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Suchtklinik – Schadensersatz wegen Rückfall

Oberlandesgericht Koblenz, Az: 5 U 938/14, Urteil vom 23.12.2015

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 10. Juli 2014 wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

alkoholsuchtI. Der Kläger verlangt als Treuhänder über das Vermögen des Peter F. (Patient) Schadensersatz wegen fehlerhafter Behandlung während einer stationären Entwöhnung. Mit Beschluss des Amtsgerichts Landshut vom 20. November 2012 wurde der Kläger zum Treuhänder im Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen des Peter F. bestellt.

Bei dem Patient besteht bereits seit seinem 20. Lebensjahr eine Alkoholabhängigkeit. Seit dem Jahr 1991 wurden bei ihm drei Entwöhnungsbehandlungen und 25 Entgiftungsbehandlungen durchgeführt. Nach sämtlichen Behandlungen kam es zu Rückfällen. Aufgrund eines Verkehrsunfalls im Jahr 2008 besteht beim Patient ein weitergehender Hörverlust auf der linken Seite sowie ein rezidivierender Drehschwindel.

Vom 16. Februar 2010 bis zum 13. April 2010 befand sich der Patient zu einer weiteren stationären Entwöhnungsbehandlung in der von der Beklagten zu 1) betriebenen Suchtklinik, in der zu dieser Zeit der Beklagte zu 2) als Chefarzt, der Beklagte zu 3) als Oberarzt sowie die Beklagte zu 4) als Stationsärztin tätig waren. Er nahm dort an einem umfangreichen Therapieprogramm teil. Am 3. April 2010 (Ostersamstag) klagte der Patient über Tinnitusbeschwerden am linken Ohr sowie über eine Zunahme seines Drehschwindels. Es wurde die Medikation mit Pentoxifyllin® dokumentiert.

Am 4. April 2010 wurde eine Verlegung in das nahe Krankenhaus M. bzw. eine Vorstellung in der dortigen Notfallambulanz angeboten, was der Patient ablehnte. Am 7. April 2010 erfolgte die Vorstellung in einer HNO-Praxis in B., wo als Therapieempfehlung die Fortführung der eingeleiteten Medikation sowie die Gabe von SoluDecortin® vorgenommen wurde.

Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, unmittelbar am Entlassungstag habe der Patient während der Wartezeit auf seinen Rückflug Alkohol konsumiert und damit einen Rückfall erlitten. Dies sei Folge einer unzureichenden Behandlung durch die Beklagten. Die Ursache der Abhängigkeit des Patienten sei nicht ermittelt und nicht im Wege einer individuell auf ihn angepassten Therapie behandelt worden. Zudem hat er beanstandet, die vom Patient am 3. April 2010 geklagten Tinnitusbeschwerden am linken Ohr seien nicht ausreichend behandelt worden. Daher leide dieser heute an einem Tinnitus und verstärktem Schwindel. Er hat ein in das gerichtliche Ermessen gestelltes Schmerzensgeld in einer Mindesthöhe von 10.000 € sowie die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden und den Ersatz vorgerichtlich entstandener Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 528,95 € beansprucht.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung darauf verwiesen, hinsichtlich der Beklagten zu 2) bis 4) sei eine Zuordnung einzelner Behandlungsmaßnahmen, die aus Sicht des Klägers standardwidrig gewesen seien, nicht erfolgt, weshalb es an einer hinreichenden Entscheidungsgrundlage fehle. Hinsichtlich der Beklagten zu 1) könne keine sachwidrige Behandlung festgestellt werden, da sich aus der Behandlungsdokumentation umfangreiche Behandlungsmaßnahmen hinsichtlich sämtlicher therapeutischer Aspekte (psychotherapeutische Behandlung, Suchtbehandlung etc.) ergäben. Aufgrund der Rückfälle in der Vergangenheit erschließe sich nicht, inwieweit ein vom Patient gefordertes individuelles Therapiekonzept eine Rückfallgefahr habe ausschließen können. Die Behandlung des Tinnitus sei ebenfalls nicht standardwidrig erfolgt, da am 4. April 2010 eine Behandlung im benachbarten Krankenhaus angeboten, vom Patient aber abgelehnt worden sei. Auch der Drehschwindel bei dem Patient sei ausweislich der Dokumentation behandelt worden. Zur weiteren Begründung wird auf die angefochtene Entscheidung vom 10. Juli 2014 verwiesen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung unter Weiterverfolgung seines erstinstanzlichen Begehrens. Zur Begründung führt er an, seinem Vorbringen in erster Instanz sei zu entnehmen, in welcher Funktion die Beklagten zu 2) bis 4), die auch den Entlassungsbericht unterzeichnet hätten, in die Behandlung eingebunden gewesen seien. In der Sache selbst habe das Landgericht nicht ohne eine Beweisaufnahme entscheiden dürfen. Es habe der Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zur Frage der Erforderlichkeit einer individuellen, zielgerichteten Therapie mit umfassenden einzeltherapeutischen Behandlungsmaßnahmen bedurft. Entsprechendes gelte hinsichtlich seines Vorbringens, auf seine geklagten Hörbeschwerden habe es einer unverzüglichen HNO-fachärztlichen Behandlung bedurft. Der Patient habe die Behandlung im benachbarten Krankenhaus ablehnen dürfen, da es sich lediglich um ein Krankenhaus ohne geeignete Fachabteilung handele. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf die Berufungsbegründung vom 14. Oktober 2014 verwiesen.

Der Kläger beantragt, unter Änderung des Urteils des Landgerichtes Koblenz vom 10.07.2014,

1. die Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 10.000 € nebst Zinsen hieraus von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu zahlen.

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, Herrn F. sämtliche weitere materiellen und immateriellen Schäden, welche aus der fehlerhaften Behandlung in der AHG-Klinik Tönisstein in dem Zeitraum vom 16.02.2010 bis 13.04.2010 resultieren, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen.

3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger zu Händen seiner Bevollmächtigten die nicht anrechenbare hälftige Geschäftsgebühr von 528,95 € nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu zahlen.

Hilfsweise,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, den Kläger gegenüber seinen Bevollmächtigten von der nicht anrechenbare hälftige Geschäftsgebühr von 528,95 € nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz freizustellen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagten verteidigen die angefochtene Entscheidung und treten dem Berufungsvorbringen unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen entgegen. Es fehle an einer Pflichtverletzung wie der Kausalität für den eingeklagten Schaden.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines suchtmedizinischen Gutachtens einschließlich mündlicher Erläuterung. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. S. vom 26. Mai 2015 sowie deren Ergänzungsgutachten vom 10. November 2015 und das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 9. Dezember 2015 Bezug genommen.

II. Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Dem Kläger stehen keine vertraglichen bzw. deliktischen Ansprüche auf Schadensersatz zu, da eine unzureichende medizinische Versorgung während des Aufenthalts in der Klinik der Beklagten zu 1) nicht festgestellt werden kann. Insoweit scheiden auch Ansprüche gegen die Beklagten zu 2) bis 4) aus.

Voraussetzung für eine vertragliche bzw. deliktische Einstandspflicht ist das Vorliegen eines Behandlungsfehlers, also eine Verletzung des suchtmedizinischen Facharztstandards. Diesen hat – ebenso wie den Ursachenzusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem geltend gemachten Gesundheitsschaden – der Kläger zu beweisen (vgl. nur BGH, NJW 2011, 1672; BGH, VersR 2003, 1256). Allein der Misserfolg der ärztlichen Behandlungsmaßnahme bzw. der Eintritt eines Schadens genügt folglich nicht zur Haftungsbegründung. Hiervon ausgehend können anspruchsbegründende Umstände nicht mit hinreichender Gewissheit (§ 286 Abs. 1 ZPO) festgestellt werden.

1. Die Gestaltung der Therapie während des Entwöhnungsaufenthalts in der Suchtklinik der Beklagten zu 1) begegnet keinen Bedenken.

Generell ist die Wahl der Behandlungsmethode primär Sache des Arztes, dem bei seiner Entscheidung ein weites Ermessen zusteht (vgl. etwa BGH, NJW 2007, 2774; BGH, NJW 2006, 2477), soweit nicht eine Behandlungsmethode zwingend indiziert ist (BGH, VersR 1956, 224). Daher beantwortet sich die Frage, ob dem Arzt bei der Wahl der Therapiemethode ein Behandlungsfehler unterlaufen ist danach, ob er im konkreten Fall eine vertretbare Entscheidung über die therapeutische Maßnahmen getroffen hat.

Hieran besteht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kein Zweifel. Die Sachverständige Prof. Dr. S. hat in ihren gutachtlichen Stellungnahmen ausgeführt, dass das während des stationären Entwöhnungsaufenthalts angebotene Therapiekonzept mit dem suchtmedizinischen Standard im Einklang stand. Die von ihr aufgezählten einzelnen angebotenen und beim Patient angewandten Maßnahmen seien umfangreich und ausreichend gewesen. Sie hat auch in ihrer persönlichen Anhörung hervorgehoben, dass sie keine weiteren Therapiemaßnahmen sieht, die sie selbst (noch) angeordnet hätte. Die wesentlichen Behandlungselemente wie die Vermittlung in Selbsthilfegruppen, die Vor- und Nachbereitung der Teilnahme an Selbsthilfegruppen, die Einleitung spezieller Nachsorgeangebote, das Angebot psychoedukativer sowie problem- und störungsorientierter Gruppen zur Stressbewältigung und dem Umgang mit Alkohol, ein soziales Kompetenztraining, der Umgang mit Angst und Depression, autogenes Training, störungsunspezifischer verhaltenstherapeutischer Psychotherapie sowie Maßnahmen zur Rückfallprävention und dem Umgang mit Angst und Depression hat die Sachverständige hierbei berücksichtigt. Sie hat weiter klargestellt, dass keine Therapiemaßnahmen, die indiziert gewesen seien, verabsäumt wurden. Das Behandlungskonzept sei vielmehr vollständig, qualitätszertifiziert und leitliniengerecht.

Entgegen der Auffassung des Klägers habe es auch keiner stärkeren Individualisierung des Behandlungsprogramms bedurft. Das Therapiekonzept habe bereits individuell eine einzelfallbezogene Therapiemaßnahme vorgesehen. Insbesondere habe der Patient umfassende einzelpsychotherapeutische Behandlungen erhalten. So seien während des Entwöhnungsaufenthalts sieben Therapiesitzungen à 20 Minuten, drei Therapiesitzungen à 60 Minuten und drei Therapiesitzungen à 90 Minuten angeboten worden. Dies sei auch im Vergleich mit anderen Patienten eine sehr einzelfallorientierte Therapie.

Auf der Grundlage dieser keinen inhaltlichen Zweifeln begegnenden Ausführungen der Sachverständigen vermag der Senat keinen Behandlungsfehler bei der Therapiegestaltung durch die Beklagten festzustellen. Weitere Aufklärungsmaßnahmen sind nicht veranlasst, da die Sachverständige die Behandlungsmaßnahmen vollständig gewürdigt und ausgewertet hat. Sie wusste die Nachfragen des Klägers überzeugend und nachvollziehbar zu beantworten.

Auch der Vorwurf des Klägers, der Patient sei zu früh entlassen worden, vermag keinen Behandlungsfehlervorwurf zu begründen. Die Sachverständige Prof. Dr. S. hat insoweit ausgeführt, dass die Langzeittherapie beim Patient ausreichend gewesen sei. Dieser habe die reguläre Therapiedauer von acht Wochen absolviert. Eine längere Therapie sei nicht veranlasst gewesen. Generell gebe es in der wissenschaftlichen Literatur keine gesicherten Erkenntnisse, wie lange eine stationäre Langzeittherapie dauern solle. Eine Therapie über acht Wochen hinaus erfordere jedoch bestimmte gesundheitliche Faktoren, die beim Patient nicht gegeben gewesen seien. So könne für eine längere Therapiedauer z.B. eine schwere somatische Erkrankung, schwere psychiatrische Begleiterkrankungen oder eine schwere hirnorganische Beeinträchtigung sprechen. All dies sei indes beim Patient nicht gegeben gewesen. Im Rahmen der Erläuterung des Gutachtens hob sie die Notwendigkeit der Eigenmotivation des Patienten hervor, der gegenüber der Länge der Therapie die höhere Bedeutung zukomme.

2. Auch die mit der Berufung angegriffene unzureichende Behandlung der vom Patient am 3. April 2010 geklagten Ohrenbeschwerden vermag der Senat nicht festzustellen.

Der Patient befand sich bei der Beklagten zu 1) in einer suchtmedizinischen Klinik und ihm wurde nach Fortbestehen der Beschwerden am 4. April 2010 die Verlegung in das nahe Krankenhaus M. bzw. die Vorstellung in der dortigen Notfallambulanz angeboten. Dies hat der Patient abgelehnt. Soweit er die Auffassung vertritt, er habe diese Behandlung ablehnen dürfen, ist dies zwar zutreffend, da eine Zwangsbehandlung nicht gerechtfertigt gewesen wäre. Allerdings hat das Landgericht zutreffend darauf verwiesen, dass diese Verweigerung der Übergabe der Behandlungsverantwortung hinsichtlich der geklagten Ohrenbeschwerden einem Behandlungsfehlervorwurf entgegensteht. Die Beklagten bzw. weitere bei der Beklagten zu 1) beschäftigte Ärzte haben zutreffend aufgrund der persistierenden Beschwerden die Vorstellung in einem Krankenhaus beabsichtigt. Ob dieses letztlich über eine ausreichende fachliche und apparative Ausstattung für die Behandlung der Beschwerden des Patienten verfügt hat, kann dahinstehen. Denn es war nicht zu beanstanden, dass die Beklagte zu 1) als suchtmedizinische Einrichtung zunächst die Behandlungsverantwortung an ein Krankenhaus weiterreicht, um dort entscheiden zu lassen, ob eine weitere, speziellere Versorgung von Nöten ist. Entsprechendes ergibt sich auch aus den Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. S.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht gegeben sind. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

Der Senat hat beschlossen, den Streitwert auf 14.000 € festzusetzen.

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