Das Oberlandesgericht Dresden hat die Klage einer Frau abgewiesen, die Schadensersatz und Schmerzensgeld aufgrund einer angeblich fehlerhaften medizinischen Behandlung ihres verstorbenen Ehemannes forderte. Das Gericht bestätigte die Entscheidung des Landgerichts Zwickau, dass keine Behandlungsfehler bei der Erstdiagnose vorlagen. Der Fall unterstreicht die rechtliche Komplexität bei der Unterscheidung zwischen Diagnoseirrtümern und Befunderhebungsfehlern.
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Übersicht
- ✔ Das Wichtigste in Kürze
- Fehler in der Medizin: Befunderhebungsfehler oder Diagnoseirrtum?
- Der Fall vor dem Oberlandesgericht (OLG) Dresden im Detail
- ✔ FAQ zum Thema: Unterscheidung zwischen Befunderhebungsfehlern und Diagnoseirrtümern
- Was versteht man unter einem Diagnoseirrtum im medizinischen Kontext?
- Was ist ein Befunderhebungsfehler und welche Folgen kann er haben?
- 3. In welchen Fällen ist eine Klinik haftbar für Diagnose- und Befunderhebungsfehler?
- Welche Rolle spielt der medizinische Sachverständige in Prozessen um Diagnose- und Befunderhebungsfehler?
- § Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- ➜ Das vorliegende Urteil vom Oberlandesgericht (OLG) Dresden
✔ Das Wichtigste in Kürze
- Ein Befunderhebungsfehler liegt vor, wenn die Erhebung medizinisch gebotener Befunde unterlassen wird; ein Diagnoseirrtum hingegen, wenn erhobene Befunde falsch interpretiert werden.
- Die Diagnosen einer Exsikkose und eines grippalen Infekts bei Aufnahme waren vertretbar, da keine Hinweise auf eine Abstoßungsreaktion der transplantierten Niere vorlagen.
- Es lag kein Befunderhebungsfehler vor, da die gebotenen Untersuchungen (Sonografie, Röntgen, Echokardiografie etc.) initial durchgeführt wurden.
- Eine Hinterfragung der Exsikkose-Diagnose ab 28.01. wäre sinnvoll gewesen, jedoch lag kein Befunderhebungsfehler wegen unterlassener Bildgebung oder Influenza-Diagnostik vor.
- Eine Verlaufs-Röntgenkontrolle war beim stabilen Zustand zunächst nicht zwingend indiziert.
- Ein PCR- oder Schnelltest zur Erregerbestimmung ist nicht standardmäßig durchzuführen.
- Die Klägerin konnte nicht beweisen, dass eine frühere Bildgebung oder ein Schnelltest einen reaktionspflichtigen Befund ergeben hätte.
Fehler in der Medizin: Befunderhebungsfehler oder Diagnoseirrtum?
In der Medizin können Fehler auf unterschiedliche Art und Weise entstehen – sei es bei der Erhebung medizinischer Befunde oder bei der Einordnung und Diagnose des Krankheitsbildes. Diese beiden Kategorien von Fehlern, der Befunderhebungsfehler und der Diagnoseirrtum, sind rechtlich von großer Bedeutung, da sie unterschiedliche Konsequenzen nach sich ziehen können.
Während ein Befunderhebungsfehler darauf beruht, dass der Arzt die medizinisch gebotenen Untersuchungen und Analysen unterlassen hat, liegt ein Diagnoseirrtum vor, wenn der Arzt zwar die erforderlichen Befunde erhoben, diese aber falsch interpretiert und daher die falsche Therapie eingeleitet hat.
Im Folgenden soll ein aktuelles Gerichtsurteil vorgestellt werden, das sich mit der rechtlichen Abgrenzung dieser beiden Fallkonstellationen befasst und wichtige Kriterien für die Unterscheidung herausarbeitet. Das Urteil bietet wertvolle Erkenntnisse für Patienten, Ärzte und alle, die sich mit medizinischen Haftungsfragen beschäftigen.
Der Fall vor dem Oberlandesgericht (OLG) Dresden im Detail
OLG Dresden: Klage wegen vermeintlicher fehlerhafter Behandlung abgewiesen
Das Oberlandesgericht (OLG) Dresden hat in seinem Urteil vom 07.11.2023 (Az. 4 U 675/23) die Klage einer Frau abgewiesen, die Schadensersatz und Schmerzensgeld aufgrund einer angeblich fehlerhaften medizinischen Behandlung ihres verstorbenen Ehemannes forderte. Der Fall verdeutlicht die rechtliche Komplexität bei der Unterscheidung zwischen Diagnoseirrtümern und Befunderhebungsfehlern, die im Medizinrecht eine entscheidende Rolle spielen.
Die Klägerin, Miterbin ihres verstorbenen Ehemannes, warf der beklagten Klinik vor, bei der stationären Behandlung ihres Mannes im Jahr 2017 eine Abstoßungsreaktion seiner transplantierten Niere nicht erkannt zu haben. Sie behauptete sowohl einen Diagnosefehler, da die Klinik die Abstoßung nicht diagnostiziert habe, als auch einen Befunderhebungsfehler, da keine ausreichenden Untersuchungen durchgeführt worden seien.
Keine Behandlungsfehler bei Erstdiagnose
Das Landgericht Zwickau hatte die Klage bereits in erster Instanz abgewiesen, nachdem ein medizinischer Sachverständiger zu dem Schluss gekommen war, dass kein Behandlungsfehler vorlag. Das OLG Dresden bestätigte diese Entscheidung.
Zentrale Argumente des Gerichts:
- Die Klinik hatte die Diagnosen einer Exsikkose (Austrocknung) und eines grippalen Infekts gestellt, was aufgrund der Symptome des Patienten und der durchgeführten Untersuchungen vertretbar war.
- Es gab keine eindeutigen Hinweise auf eine Abstoßungsreaktion der transplantierten Niere, da der Patient weder Fieber noch Schmerzen oder Schwellungen im Bereich des Implantats aufwies.
- Die Klinik hatte die gebotenen Untersuchungen wie Sonografie, Röntgen, Echokardiografie und Laboruntersuchungen durchgeführt.
Keine Pflicht zur Verlaufsröntgenkontrolle
Das Gericht räumte zwar ein, dass eine Hinterfragung der Exsikkose-Diagnose ab dem Auftreten weiterer Symptome wie Atemnot sinnvoll gewesen wäre. Es sah jedoch keinen Befunderhebungsfehler in der unterlassenen Verlaufsröntgenkontrolle der Lunge, da diese Maßnahme nur bei schwerkranken Patienten auf der Intensivstation standardmäßig durchgeführt wird.
Influenza-Diagnostik nicht standardmäßig erforderlich
Auch die unterlassene Influenza-Diagnostik mittels PCR- oder Schnelltest wertete das Gericht nicht als Befunderhebungsfehler, da solche Tests nicht zum medizinischen Standard gehören.
Kausalität nicht nachgewiesen
Die Klägerin konnte nicht beweisen, dass eine frühere Bildgebung oder ein Schnelltest einen reaktionspflichtigen Befund ergeben hätte, der zu einer anderen Behandlung und möglicherweise einem besseren Verlauf geführt hätte. Der Sachverständige betonte, dass die letztendliche Verschlechterung des Zustands des Patienten durch eine bakterielle Superinfektion verursacht wurde, die auch bei einem früheren Therapiebeginn nicht verhindert worden wäre.
Keine Fehler bei Medikamentengabe und Überwachung
Das Gericht wies auch die Behauptung der Klägerin zurück, dass es Fehler bei der Medikamentengabe oder der Überwachung des Patienten gegeben habe. Die Behandlungsunterlagen zeigten eine ordnungsgemäße Dokumentation der Medikation und Rücksprachen mit der Charité.
✔ FAQ zum Thema: Unterscheidung zwischen Befunderhebungsfehlern und Diagnoseirrtümern
Was versteht man unter einem Diagnoseirrtum im medizinischen Kontext?
Ein Diagnoseirrtum liegt vor, wenn der Arzt erhobene oder sonst vorliegende Befunde falsch interpretiert und deshalb nicht die aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs gebotenen weiteren diagnostischen oder therapeutischen Maßnahmen ergreift.
Der Arzt hat also die notwendigen Untersuchungen durchgeführt, um sich eine ausreichende Informationsbasis über den Zustand des Patienten zu verschaffen. Er zieht aber aus den vorliegenden Befunden die falschen Schlüsse für die Diagnose. Dies kann passieren, weil die Symptome einer Erkrankung oft nicht eindeutig sind, sondern auf verschiedene Ursachen hinweisen können. Auch zeigt jeder Patient aufgrund der Unterschiede des menschlichen Organismus die Anzeichen derselben Krankheit anders.
Diagnoseirrtümer, die objektiv auf einer Fehlinterpretation der Befunde beruhen, werden daher von der Rechtsprechung nur zurückhaltend als Behandlungsfehler gewertet. Ein Diagnoseirrtum begründet für sich allein noch keine Haftung des Arztes. Erst wenn die Fehldiagnose nicht mehr verständlich oder vertretbar erscheint, liegt ein vorwerfbarer, haftungsrelevanter Diagnosefehler vor.
Was ist ein Befunderhebungsfehler und welche Folgen kann er haben?
Ein Befunderhebungsfehler liegt vor, wenn der Arzt medizinisch gebotene Untersuchungen unterlässt, um seine Verdachtsdiagnose abzusichern. Er erhebt also nicht die Befunde, die nach dem medizinischen Standard erforderlich gewesen wären.
Im Gegensatz dazu handelt es sich bei einem Diagnoseirrtum um die Fehlinterpretation korrekt erhobener Befunde. Nicht jeder Diagnoseirrtum ist ein Behandlungsfehler, da die Symptome einer Krankheit oft nicht eindeutig sind. Ein Befunderhebungsfehler stellt hingegen immer einen Behandlungsfehler dar.
Die Folgen eines Befunderhebungsfehlers können für den Patienten weitreichend sein, wenn sich bei Erhebung des Befundes mit hoher Wahrscheinlichkeit (>50%) ein reaktionspflichtiger Befund ergeben hätte. Dann führt bereits ein einfacher, nicht grober Befunderhebungsfehler zu einer Beweislastumkehr zu Gunsten des Patienten.
Der Patient muss dann im Arzthaftungsprozess nicht mehr beweisen, dass der Befunderhebungsfehler ursächlich für seinen Gesundheitsschaden war. Vielmehr muss der Arzt nachweisen, dass der Schaden auch bei korrekter Befunderhebung eingetreten wäre.
Insbesondere wenn Befunde nicht erhoben wurden, die zur Abwehr schwerer Gesundheitsschäden erforderlich gewesen wären, kann dies als grober Behandlungsfehler gewertet werden. Dies verbessert die Aussichten des Patienten erheblich, Schadensersatz und Schmerzensgeld durchzusetzen.
3. In welchen Fällen ist eine Klinik haftbar für Diagnose- und Befunderhebungsfehler?
Eine Klinik kann in folgenden Fällen für Diagnose- und Befunderhebungsfehler haftbar gemacht werden:
- Wenn angestellte Ärzte der Klinik Fehler begehen, haftet die Klinik als Arbeitgeber nach § 831 BGB. Die Klinik muss sich das Fehlverhalten der Ärzte zurechnen lassen, da diese als Erfüllungsgehilfen für die Klinik tätig werden.
- Bei Belegärzten, die nicht bei der Klinik angestellt sind, sondern die Einrichtungen der Klinik nur für ihre Behandlungen nutzen, ist die Rechtslage anders. Hier haftet grundsätzlich nur der Belegarzt selbst für seine Behandlungsfehler, nicht die Klinik. Eine Zurechnung des ärztlichen Fehlverhaltens zur Klinik findet nicht statt.
- Die Klinik kann aber haften, wenn sie ihre Organisationspflichten verletzt. Dazu gehört, dass sie für eine ausreichende personelle Besetzung und Qualifikation des ärztlichen und pflegerischen Personals sorgen muss.
- Auch eine mangelhafte Ausstattung der Klinik begründet deren Haftung, wenn dadurch eine fachgerechte Behandlung nicht möglich war.
- Übernimmt die Klinik Behandlungen, für die sie fachlich, personell oder von der Ausstattung her nicht geeignet ist, liegt ein Übernahmeverschulden vor. Dann haftet die Klinik ebenfalls.
- Schließlich muss die Klinik den Informationsaustausch zwischen den beteiligten Ärzten, Abteilungen und nachbehandelnden Einrichtungen sicherstellen. Kommt es durch Informationsverluste zu Behandlungsfehlern, kann dies eine Haftung der Klinik begründen.
Insgesamt hängt die Haftung der Klinik also maßgeblich davon ab, ob die Fehler durch angestellte Ärzte und Pflegekräfte verursacht wurden und ob die Klinik ihre Organisationspflichten verletzt hat. Bei Belegärzten ist eine Haftung der Klinik nur bei Pflichtverletzungen im Verantwortungsbereich der Klinik selbst möglich.
Welche Rolle spielt der medizinische Sachverständige in Prozessen um Diagnose- und Befunderhebungsfehler?
Der medizinische Sachverständige spielt eine entscheidende Rolle in Prozessen um Diagnose- und Befunderhebungsfehler:
Sein Gutachten ist die Grundlage für die juristische Beurteilung, ob ein Behandlungsfehler vorlag. Der Sachverständige muss darin klären:
- Ob der zum Behandlungszeitpunkt geltende medizinische Standard eingehalten wurde. Er beurteilt, ob Befunde korrekt erhoben und Diagnosen fachgerecht gestellt wurden.
- Ob ein Befunderhebungsfehler vorliegt, weil der Arzt gebotene Untersuchungen unterlassen hat.
- Ob es sich bei einer Fehldiagnose um einen vorwerfbaren Diagnosefehler oder einen vertretbaren Diagnoseirrtum handelt.
- Ob zwischen einem festgestellten Fehler und dem Gesundheitsschaden des Patienten ein Kausalzusammenhang besteht.
Das Gericht ist bei der Frage nach Behandlungsfehlern und Haftung vollständig auf die Bewertung des medizinischen Sachverständigen angewiesen. Dessen Gutachten ist unverzichtbar, um die medizinischen Fakten sachgerecht zu beurteilen.
Der Sachverständige muss seine Einschätzungen auf Basis gesicherter medizinischer Erkenntnisse und unter Berücksichtigung des damaligen Wissensstands treffen. Er darf sich nicht von Faktoren wie Mitgefühl leiten lassen. Seine Begutachtung ist entscheidend dafür, ob ein Behandlungsfehler mit Haftungsfolgen vorliegt.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 630a BGB – Vertragstypische Pflichten beim Behandlungsvertrag: Dieser Paragraph ist die rechtliche Grundlage für alle Behandlungsverhältnisse zwischen Patienten und Behandlern. Er definiert die Hauptpflichten des Behandelnden, die Durchführung der Behandlung nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu gewährleisten. Im vorliegenden Fall betrifft dies die Frage, ob die durchgeführten medizinischen Maßnahmen und die Nichterkennung der Nierenabstoßung diesen Standards entsprachen.
- § 823 Abs. 1 BGB – Haftung wegen Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit, des Eigentums oder eines sonstigen Rechts: Dieser Paragraph ist zentral, da er die Grundlage für Schadensersatzansprüche bei Körperverletzungen durch fehlerhafte medizinische Behandlung bildet. Er wird herangezogen, um die Haftung für Behandlungs- und Aufklärungsfehler zu begründen, was im Falle einer Fehldiagnose oder eines Befunderhebungsfehlers relevant sein kann.
- § 253 BGB – Immaterieller Schaden (Schmerzensgeld): Dieser Paragraph erlaubt die Geltendmachung von Schmerzensgeld bei immateriellen Schäden. In diesem Fall bezog sich das auf die Ansprüche der Klägerin auf Schmerzensgeld wegen des Todes ihres Ehemannes und der vermuteten fehlerhaften Behandlung.
- § 280 BGB – Schadensersatz wegen Pflichtverletzung: Dieser Paragraph wird oft im Kontext von Vertragsverhältnissen angewandt, insbesondere wenn nachgewiesen werden kann, dass eine Pflicht aus dem Behandlungsvertrag nicht erfüllt wurde. Im Kontext der medizinischen Behandlung umfasst dies Fälle, in denen eine unsachgemäße Behandlung zu Schäden führt.
- § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO – Bindung des Berufungsgerichts an die tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichts, sofern keine konkreten Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit bestehen: Dies ist entscheidend für das Verständnis der gerichtlichen Bewertung von medizinischen Sachverhalten und Expertengutachten im Berufungsverfahren. Im dargestellten Fall bedeutet dies, dass das Berufungsgericht die Einschätzung des Landgerichts und des medizinischen Sachverständigen übernimmt, solange keine neuen Beweise oder klare Fehler in der Erstbeurteilung nachgewiesen werden.
Diese Paragraphen und Regelungen sind zentral für das Verständnis der rechtlichen Rahmenbedingungen, die in dem konkreten Fall der medizinischen Behandlung und der darauf folgenden rechtlichen Auseinandersetzung relevant sind. Sie helfen zu verstehen, wie Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld im deutschen Rechtssystem strukturiert sind und welche rechtlichen Anforderungen für deren Durchsetzung erfüllt sein müssen.
➜ Das vorliegende Urteil vom Oberlandesgericht (OLG) Dresden
OLG Dresden – Az.: 4 U 675/23 – Urteil vom 07.11.2023
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Zwickau vom 08.02.2023 – 1 O 553/19 – wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
III. Das Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 194.859,16 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin ist Miterbin ihres am 21.2.2018 im Alter von 55 Jahren verstorbenen Ehemannes (im folgenden Patient). Sie begehrt aus ererbtem Recht Schmerzensgeld und Haushaltsführungsschaden und macht aus eigenem Recht Ansprüche auf Hinterbliebenenschmerzensgeld, Erwerbsschadensersatz sowie die Feststellung der Einstandspflicht für materielle und immaterielle Zukunftsschäden geltend wegen einer behaupteten fehlerhaften Behandlung des Patienten im Hause der Beklagten im Zeitraum vom 25.01. bis zum 02.02.2017. Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Das Landgericht hat die auf Behandlungs- und Aufklärungsfehler gestützte Klage nach Einholung eines fachärztlichen Gutachtens abgewiesen. Zur Begründung ihrer auf Behandlungsfehlervorwürfe beschränkten Berufung rügt die Klägerin, die sachverständige Begutachtung sei widersprüchlich und unklar.
Sie beantragt, unter Abänderung des am 8.2.2023 verkündeten Urteils des Landgerichts Zwickau, 1 O 553/19,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Erbengemeinschaft hinter dem am 21.02.2018 verstorbenen ……, bestehend aus der Klägerin und Frau ……, ……, ein angemessenes Schmerzensgeld nicht unter 150.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
2. Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld (Hinterbliebenengeld) in Höhe von mindestens 20.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
3. die Beklagte zu verurteilen, an die Erbengemeinschaft hinter dem am 21.02.2018 verstorbenen ……, bestehend aus der Klägerin und Frau ……, ……, zum Ausgleich des Haushaltsführungsschadens für den Zeitraum vom 01.03.2017 bis 21.02.2018 einen Betrag in Höhe von 10.200,00 € nebst Zinsen daraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
4. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zum Ausgleich ihres Erwerbsschadens für den Zeitraum vom 01.03.2017 bis 21.02.2018 einen weiteren Betrag in Höhe von 2.764,31 € nebst Zinsen daraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
5. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Erbengemeinschaft hinter dem am 21.02.2018 verstorbenen ……, bestehend aus der Klägerin und Frau ……, ……, sämtliche materielle und immaterielle Zukunftsschäden ab Rechtshängigkeit zu ersetzen, die ihnen aus der fehlerhaften Behandlung des Erblassers, Herrn ……, in der Zeit vom 25.01.2017 bis 02.02.2017 durch die Beklagte resultieren, sofern diese nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
4. werden die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 3.425,30 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen die angefochtene Entscheidung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Der Klägerin stehen die aus eigenem und ererbtem Recht geltend gemachten Ansprüche auf Schmerzensgeld, Schadenersatz und Feststellung der Einstandspflicht gemäß §§ 630 a ff., 823 Abs. 1, 280, 253 BGB nicht zu.
1.
Das Landgericht ist unter Berücksichtigung der Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. H…… zu Recht und mit zutreffender Begründung zu dem Ergebnis gelangt, dass der Klägerin der Nachweis eines behandlungsfehlerhaften Vorgehens bei der streitgegenständlichen Behandlung ihres Ehemannes im Hause der Beklagten nicht gelungen ist.
Ausgehend von der sachverständigen Einschätzung des Behandlungsverlaufs hat das Landgericht zu Recht keinen Behandlungsfehler gesehen. An diese Feststellungen ist der Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Feststellungen unvollständig oder unrichtig sind. Dies ist aber nicht der Fall. Die bloße Behauptung eines Behandlungsfehlers entgegen den erstinstanzlichen Feststellungen auf der Grundlage eines nachvollziehbaren und gut begründeten Sachverständigengutachtens genügt nicht (vgl. Senat, Beschluss vom 11.12.2020 – 4 U 1885/20 – juris; vgl. Senat, Beschluss vom 07.08.2020 – 4 U 1285/20 – juris). Zwar ist eine Partei grundsätzlich nicht verpflichtet, bereits in erster Instanz ihre Einwendungen gegen ein Gerichtsgutachten auf die Beifügung eines Privatgutachtens oder auf sachverständigen Rat zu stützen oder selbst oder durch Dritte in medizinischen Bibliotheken Recherchen anzustellen, um Einwendungen gegen ein medizinisches Sachverständigengutachten zu formulieren (vgl. Senat, Beschluss vom 11.12.2020 – 4 U 1885/20 – juris). Anders ist es hingegen in der Berufungsinstanz. Würde man auch hier einem Patienten gestatten, ohne nähere Angaben seine eigene Meinung zu medizinischen Kausalzusammenhängen derjenigen eines gerichtlichen Sachverständigen entgegenzustellen, liefe dies auf eine Umgehung der in § 529 ZPO geregelten grundsätzlichen Bindungen an das erstinstanzliche Ergebnis einer Beweisaufnahme hinaus (so Senat, a.a.O.; vgl. Senat, Beschluss vom 07.08.2020 – 4 U 1285/20 – juris). Weil der Patient in Arzthaftungssachen regelmäßig über keine medizinische Sachkunde verfügt, kann er konkrete Anhaltspunkte, die in medizinischer Hinsicht Zweifel an der erstinstanzlichen Beweiswürdigung wecken sollen, nur dadurch vortragen, dass er ein Privatgutachten vorlegt, zumindest aber selbst auf medizinische Fundstellen oder Leitlinien zurückgreift, die für seine Behauptung streiten (vgl. Senat, a.a.O.). Entspricht der Vortrag diesen Anforderungen nicht und fehlt es auch im Übrigen an Anhaltspunkten dafür, dass das Gutachten in sich widersprüchlich oder der Sachverständige erkennbar nicht sachkundig ist, kommt eine Wiederholung der Beweisaufnahme nicht in Betracht (vgl. Senat, Beschluss vom 11.12.2020 – 4 U 1885/20; Senat, Beschluss vom 07.08.2020 – 4 U 1285/20 – juris). Im vorliegenden Fall hat die Klägerin sich im Wesentlichen auf eine Wiederholung ihrer erstinstanzlichen medizinischen Behauptungen beschränkt. Ihrem Vortrag lassen sich auch keine zureichenden Anhaltspunkte für Widersprüchlichkeiten oder Lücken des Sachverständigengutachtens entnehmen. Dies genügt nicht.
2.
Der Sachverständige hat – bezogen auf die Behauptung, die Beklagte habe am 25.01.2017 eine Abstoßungsreaktion der transplantierten Niere nicht erkannt – einen Diagnose- aber auch einen Befunderhebungsfehler zu Beginn der stationären Behandlung überzeugend verneint.
Ein Befunderhebungsfehler ist gegeben, wenn die Erhebung medizinisch gebotener Befunde unterlassen wird. Im Unterschied dazu liegt ein Diagnoseirrtum vor, wenn der Arzt erhobene oder sonst vorliegende Befunde falsch interpretiert und deshalb nicht die aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs gebotenen therapeutischen oder diagnostischen Maßnahmen ergreift (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2016, Az.: VI ZR 146/14 – juris – m.w.N.; Senat, Urteil vom 14. September 2021, Az.: 4 U 1771/20 – juris). Ein Diagnoseirrtum setzt aber voraus, dass der Arzt die medizinisch notwendigen Befunde überhaupt erhoben hat, um sich eine ausreichende Basis für die Einordnung der Krankheitssymptome zu verschaffen. Hat dagegen die unrichtige diagnostische Einstufung einer Erkrankung ihren Grund bereits darin, dass der Arzt die nach dem medizinischen Standard gebotenen Untersuchungen erst gar nicht veranlasst hat, ist er mithin aufgrund unzureichender Untersuchungen vorschnell zu einer Diagnose gelangt, ohne diese durch die medizinisch gebotenen Befunderhebungen abzuklären, dann ist dem Arzt ein Befunderhebungsfehler vorzuwerfen. Denn bei einer solchen Sachlage geht es im Kern nicht um die Fehlinterpretation von Befunden, sondern um deren Nichterhebung (vgl. BGH, a.a.O.; Senat, a.a.O. und Beschluss vom 21. Juni 2022 – 4 U 2466/21 –, Rn. 24, juris).
a) Entgegen der Ansicht der Klägerin ist der Beklagten ein Diagnosefehler wegen Verkennung einer Abstoßungsreaktion der transplantierten Niere bei Aufnahme des Patienten am 25.01.2017 nicht anzulasten, vielmehr waren die gestellten Diagnosen einer Exsikkose und eines grippalen Infekts vertretbar und zutreffend. Den gutachterlichen Ausführungen zufolge lagen keine Hinweise auf eine Abstoßungsreaktion vor, denn der Patient habe weder Fieber noch eine zusätzliche klinische Symptomatik wie Schmerzen oder Schwellungen im Bereich des Implantates aufgewiesen. Zudem sei der nur leicht erhöhte Kreatininwert nach Flüssigkeitssubstitution wieder zurückgegangen. Auf eine Exsikkose hätten auch die anamnestischen Angaben (“zu wenig getrunken“) und das Symptom „trockene Haut“ hingewiesen (vgl. S. 15,16 des Gutachtens, mündliche Anhörung Bl. 134 GA).
b) Der Sachverständige hat auch mit überzeugenden Erwägungen einen Befunderhebungsfehler bei Aufnahme am 25.01.2017 verneint. Auf der Grundlage der Verdachtsdiagnose Exsikkose und des bereits anfänglich angegebenen grippalen Infekts seien die hiernach gebotenen Untersuchungen und Befunde – auch im weiteren Verlauf bis zum 27.01.2017 – wie Sonografie, Röntgen Thorax, Echokardiografie, Kontrolllaborchemie und Sammelurin erhoben worden, hätten aber nichts ergeben, was in Bezug auf die Nierenproblematik ein anderes Behandlungsregime erfordert hätte. Der Sachverständige hat nochmals bekräftigt, dass dieses Vorgehen bei stabilen Vitalparametern und nur minimal erhöhten Infektparametern – zumindest unter der anfänglichen Klinik – eine vollständige und adäquate Infektabklärung dargestellt hat. Eine Nierenbiopsie und die Bestimmung des Tacrolimusspiegels seien zu diesem Zeitpunkt nicht indiziert gewesen. Welche weiteren Untersuchungen angesichts der bestehenden Symptomatik bis zum 27.01.2017 hätten durchgeführt werden müssen, zeigt die Klägerin in der Berufungsbegründung nicht auf.
3.
Der Sachverständige hat allerdings angenommen, dass eine Hinterfragung der Hauptdiagnose einer Exsikkose ab der Entwicklung einer Dyspnoe und des „im Sitzen Schlafens“ am 28.01.2017 sinnvoll gewesen wäre. Die Beklagte habe zwar die wegen der Exsikkose bis zu diesem Zeitpunkt angezeigte Volumensubstitution beendet und die in dieser Situation gebotenen Untersuchungen zum Ausschluss einer Endokarditis oder einer anderen kardialen Genese der Beschwerden durchgeführt. Bei einem Verlauf mit progredienter Symptomatik wäre nach Ansicht des Sachverständigen jedoch eine Reevaluation der Diagnose prinzipiell sinnvoll gewesen, die zum einen eine Verlaufsdiagnostik in Form einer Bildgebung der Lunge (Röntgenthorax oder CT Thorax) und zum anderen eine Influenza-Diagnostik umfasst hätte, für die wegen der Immunsuppression des aus diesem Grund besonders gefährdeten Patienten eine Indikation bestanden habe.
a) Hinsichtlich einer Verlaufsröntgenkontrolle hat er aber einen Befunderhebungsfehler mit dem Hinweis darauf verneint, dass diese allenfalls dann erfolge, wenn es sich um schwerkranke Patienten handele, die sich bereits auf der Intensivstation befänden. Dort sei es durchaus sinnvoll, sich fortlaufend über den Zustand der Lunge zu vergewissern. Hiervon könne aber im Hinblick auf den zunächst stabilen Zustand des Patienten nicht ausgegangen werden. Bei ihm habe eine – grundsätzlich zunächst beherrschbare – virale Infektion der oberen Luftwege vorgelegen, was durch die bis zum 30.01.2017 nicht relevant erhöhten Entzündungsparameter belegt werde. Eine Indikation für eine weitere pulmonale Bildgebung sei auch nicht allein im Hinblick darauf gegeben, dass bei dem Patienten möglicherweise im Verlauf eine bakterielle Infektion auftreten könne. Erst die am 02.02.2017 entgleisten Werte infolge einer bakteriellen Superinfektion, die sich als zweite Erkrankung auf die sich entwickelnde Lungenentzündung aufgelagert habe, hätten eine intensivmedizinische Behandlung erforderlich werden lassen. Hierauf habe die Beklagte aber adäquat reagiert. Bis zum tatsächlichen Auftreten und Erkennen dieser bakteriellen Infektion seien keine Versäumnisse in der Befunderhebung festzustellen.
b) Einen der Beklagten anzulastenden Befunderhebungsfehler hat der Sachverständigen auch im Hinblick auf die nicht erfolgte Influenza-Diagnostik verneint, da ein PCR- oder anderer Schnelltest zur Erregerbestimmung nicht standardmäßig durchgeführt werde. Entgegen der Ansicht der Klägerin sei es zur Abklärung der bestehenden Beschwerden des Patienten gerade nicht geboten gewesen, in Bezug auf die pulmonale Infektionen einen speziellen Erreger festzustellen, dies sei vielmehr vor der Corona-Pandemie und auch jetzt noch unüblich gewesen und keinesfalls beanstandungswürdig.
c) Diese sachverständigen Einschätzungen stehen der Annahme eines groben Befunderhebungsfehlers wegen unterlassener Bildgebung der Lunge oder fehlender Infekt-Erregerbestimmung entgegen. Die danach beweisbelastete Klägerin konnte auch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit, die der Senat in ständiger Rechtsprechung bei einer Wahrscheinlichkeit über 50 % annimmt, beweisen, dass eine frühere Bildgebung oder ein bei Aufnahme durchgeführter Schnelltest einen reaktionspflichtigen Befund ergeben hätte, mit der Folge, dass ein anderes Behandlungsregime erforderlich gewesen wäre.
aa) Zwar hat der Sachverständige in seinem Gutachten dargelegt, dass Zeichen einer Pneumonie in einem Verlaufsröntgenbild wahrscheinlich bereits frühzeitiger erkennbar gewesen wären. Es sei auch richtig, dass bei einer früheren Diagnose der doppelseitigen Pneumonie eine frühere antibiotische Behandlung erfolgt wäre, wobei prinzipiell gelte, dass je früher eine antibiotische Therapie eingeleitet werde, desto besser das Outcome sei. Dennoch wäre mit einer solchen Behandlung die Superinfektion mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht verhindert worden, da immunsupprimierte Patienten generell häufiger einen gravierenderen Verlauf sowohl unter einer viralen als auch unter einer bakteriellen Infektion hätten. In Anbetracht der rapiden Progredienz der Infektion hätte die Inkubationspflichtigkeit auch bei einem früheren Beginn der antibiotischen Therapie nicht verhindert werden können, denn die mangelnde Oxygenierung sei maßgeblich durch die virale Pneumonie bedingt gewesen, auf die eine antibiotische Therapie keinen Einfluss gehabt hätte. Die aufgetretene bakterielle Infektion oder die Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Behandlung hätten daher nicht vorhergesehen und verhindert werden können, da es sich wegen der rasanten Entwicklung der bakteriellen Infektion um ein sehr enges Zeitfenster nach Auftreten bis zur Entwicklung einer Sepsis gehandelt habe.
bb) Der Sachverständige hat weiter ausgeführt, dass selbst wenn ein Schnelltest Erreger der Influenza Typ A bei dem Patienten offenbart hätte, dies keine therapeutischen Konsequenzen gehabt hätte und zwar auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich um einen Patienten gehandelt habe, dessen Immunsystem supprimiert gewesen sei. Es wären keine weiteren Behandlungsmaßnahmen geboten gewesen, da der Verlauf einer Influenza durch eine medikamentöse antivirale Therapie mit z.B. Tamiflue nur relevant beeinflusst werden könne, wenn die Therapie innerhalb von 48 Stunden nach Symptombeginn eingeleitet werde. Dieser Zeitraum sei aber angesichts der bei Aufnahme am 25.01.2017 seit 14 Tagen vorbestehenden Symptomatik mit Husten verstrichen gewesen. Zudem habe die Beklagte den Infekt mit therapeutischen Maßnahmen wie Inhalationen, Einreibungen und Schleimlösern standardgerecht angegangen, so dass weitere Maßnahmen nicht geboten gewesen seien. Zwar hat der Sachverständige zugleich darauf hingewiesen wird, bei Immunsupprimierten bestehe die Indikation zu einer antiviralen Therapie zu jedem Zeitpunkt, da bei dieser Patientengruppe ein erhöhtes Risiko vorliege, an einer Influenza zu versterben. Er hat aber nochmals betont, dass der Verlauf der Influenza hier auch durch eine antivirale Therapie nicht mehr beeinflusst hätte werden können. Ursache für das entgleiste Behandlungsgeschehen sei letztendlich gewesen, dass sich die bakterielle Superinfektion auf die virale Infektion aufgelagert habe. Dies sei einhergegangen mit einer drastischen Vermehrung der Erreger nebst Ausschüttung der entsprechenden Toxine und habe zu der dramatischen Verschlechterung des Zustandes des Patienten geführt. Die Kausalkette Influenza – bakterielle Pneumonie – Sepsis hätte auch bei sofortigem Therapiebeginn mit Aufnahme des Patienten nicht mehr unterbrochen werden können. Vor dem Hintergrund der sachverständigen Ausführungen ist der Klägerin weder der Beweis gelungen, dass bei einer Befunderhebung eine Reaktion hierauf in Form einer antiviralen Therapie geboten gewesen wäre, noch dass hierauf der Eintritt der schweren Folgen hätte verhindert werden können.
4.
Einen Befunderhebungsfehler wegen unterlassener Bestimmung der Herzenzyme hat der Sachverständige wegen einer fehlenden Herzproblematik als Ursache der Entgleisung am 2.2.2017 verneint. Auch bei einer Bestimmung der Herzenzyme hätte man hieraus keine Hinweise auf die sich entwickelnde Superinfektion entnehmen können. Gleiches gilt für einen Befunderhebungsfehler wegen einer nicht erfolgten engmaschigen Kontrolle der Entzündungsparameter. Die im Rahmen der Eingangsuntersuchung ermittelten Entzündungsparameter seien lediglich diskret erhöht gewesen, dies habe sich problemlos mit der Virusinfektion erklären lassen. Eine maßgebliche Erhöhung habe erst nach dem Entgleisen der Vitalparameter am 02.02.2017 im Zusammenhang mit der Lungenentzündung und der bakteriellen Superinfektion stattgefunden.
6.
Entgegen der Ansicht der Klägerin lässt sich eine fortschreitende Nierenabstoßung auch nicht aus dem in den laborchemischen Blutkontrollen erkennbaren Anstieg der Kreatininwerte im Zeitraum vom 30.01. bis zum 02.02.2017 ableiten. Der Sachverständige hat diesen Anstieg vielmehr nachvollziehbar auf die erst am 01./02.02.2017 auch in der progredienten Symptomatik manifeste bakterielle Superinfektion zurückgeführt, die zu einer Sepsis geführt habe, in deren Folge letztlich die Nierenschädigung eingetreten sei. Im Gegensatz zu früheren Ergebnissen der Blutkontrollen sei es zu einer maßgeblichen Erhöhung in Form eines „Entgleisens der Werte“ erst am 02.02.2017 gekommen. Hierauf habe die Beklagte aber angemessen reagiert und den Patienten letztlich in eine andere Klinik verlegt, die die Betreuung umfassend habe gewährleisten können.
7.
a) Die Klägerin hat auch ihre Behauptung nicht bewiesen, dass am 27.1.2017 eine Medikamentengabe fehlerhaft unterblieben ist. In der Behandlungsunterlagen der Beklagten findet sich vielmehr ein Medikamentenplan, in dem sowohl die (Dauer-) Medikation als auch einmalige Medikationen dokumentiert sind. Aus diesem ist zu entnehmen, dass die Dauermedikation gegenüber den Vortagen nicht verändert wurde. Zusätzlich wurde in der Behandlungsdokumentation die ambulante Medikation sowie die tägliche stationäre Medikation aufgeführt. Der Sachverständige hat die Medikation unter Bezugnahme auf die Behandlungsunterlagen auch unbeanstandet gelassen.
b) Zu dem Vorhalt der Klägerin, am 26.01. sei das Medikament Amlodipin (Blutdrucksenker) geändert worden, hat der Sachverständige ausgeführt, dass eine mögliche Änderung keine Bedeutung habe, da sie nichts mit der Infektion zu tun habe und es in diesem Zusammenhang auch nicht auf eine Rücksprache mit der Charité ankomme. Wenn der Patient infolge Flüssigkeitsmangel akut einen niedrigen Blutdruck habe, sei es nicht sinnvoll, den Blutdruck weiter abzusenken, so dass man die Dosierung zulässigerweise zurückfahre. Zudem sei wegen der bestehenden Erkrankungen des Patienten die vorliegend bloß kurzfristige Veränderung der Blutdruckmedikamente im Hinblick auf die Akut-Situation und im Gesamtgeschehen irrelevant. Sodann sei seitens der behandelnden Ärzte kurzfristig Rücksprache gehalten worden (vgl. auch ärztlicher Eintrag zur Rücksprache mit Charite am 27.1.: “Amlodipin 5 1-0-1 sinnvoll“), so dass das Behandlungsregime insgesamt nicht zu beanstanden sei.
b) Soweit die Klägerin bestreiten will, dass das Medikament Prograf bzw. Tacrolimus (Immunsuppressor) ordnungsgemäß verabreicht wurde, reicht ihr Vorbringen im Hinblick auf die ihr obliegende Beweislast für ein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen nicht aus. Sie kann sich auch nicht auf eine unklare bzw. zu ihren Gunsten streitende Dokumentation berufen, da der Sachverständige eine verordnungsentsprechende Medikamentengabe jeweils in den täglichen Kurvenblätter ausreichend dokumentiert gefunden hat; gleiches gilt für die dokumentierten Rücksprachen der behandelnden Ärzte mit der Charité. Er hat hierzu ausgeführt, dass laut den Aufzeichnungen in den verschiedenen als maßgeblich bewerteten Kurvenblättern keine Dosisanpassung von Tacrolimus bei der Beklagten vorgenommen worden sei und im Übrigen auch eine diesbezügliche Rücksprache stattgefunden habe. Soweit am 01.02. ein Zurückfahren der Immunsuppression stattgefunden habe, sei dies in der akuten Behandlungssituation als richtig zu bewerten. Unabhängig davon hätte auch eine kurzfristige Änderung in der Dosierung der Immunsuppressiven Medikamente allenfalls marginale Auswirkungen haben können.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 3 ZPO.