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Anforderungen an Patientenaufklärung vor Operation mit hohem Misserfolgsrisiko

OLG Koblenz – Az.: 5 U 370/11 – Beschluss vom 24.08.2011

In dem Rechtsstreit wegen Arzthaftung weist der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz dass beabsichtigt ist, seine Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen (§ 522 Abs. 2 ZPO).

Gründe

Die Berufung ist ohne Aussicht auf Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Was die Berufung dagegen vorbringt, ist jedenfalls im Ergebnis nicht stichhaltig.

1. Wegen einer Operation, die der beklagte Chefarzt der Urologie beim seinerzeit 47–jährigen Kläger am 29. Januar 1998 durchführte, begehrt der Patient ein Schmerzensgeld sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für materielle und immaterielle Schäden. Dem Eingriff war am Vortag ein Aufklärungsgespräch zwischen dem Kläger und dem Zeugen Dr. med. …[A] vorausgegangen. Ob ein zweites Gespräch mit dem Zeugen Dr. med. …[B] stattfand, ist streitig.

Der Kläger litt an einer Penisverkrümmung, was Schmerzen beim Geschlechtsverkehr verursachte. Bei der Operation entfernte der Beklagte ein Stück Mundschleimhaut aus der Innenseite der Unterlippe und implantierte es am Penis. Wegen Komplikationen wurde noch am selben Tag ein Revisionseingriff an der Entnahmestelle des Implantats erforderlich.

Weil sich später erneut eine Peniskrümmung einstellte, ließ der Kläger Ende 2005 andernorts einen Revisionseingriff durchführen. Auf die Möglichkeit einer „erneuten Krümmung“ hatte der Zeuge Dr. med. …[A] den Kläger am 28. Januar 1998 hingewiesen, was im Formular über das Aufklärungsgespräch handschriftlich festgehalten ist.

2. Der Kläger hat eine unzureichende Aufklärung und Fehler bei der Operation beanstandet.

Anforderungen an Patientenaufklärung vor Operation mit hohem Misserfolgsrisiko
Symbolfoto: Von Andrei_R/Shutterstock.com

Der Beklagte hat erwidert, die extreme Verkrümmung des Penis habe vor dem Hintergrund des erheblichen Leidensdrucks des Klägers die Operation unausweichlich gemacht.  Aufklärung und Durchführung des Eingriffs seien nicht zu beanstanden. Selbst wenn man ein partielles Aufklärungsdefizit sehe, müsse von einer hypothetischen Einwilligung ausgegangen werden.

3. Das Landgericht hat in dem seit 1999 anhängigen Rechtsstreit mehrere Sachverständige konsultiert, Zeugen befragt und den Kläger angehört. Hiernach hat es die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Eingriff sei entsprechend dem Stand der medizinischen Wissenschaft des Jahres 1998 durchgeführt worden. Das ergebe sich aus den Feststellungen und Schlussfolgerungen der Sachverständigen. Über die vom Sachverständigen Prof. Dr. …[C] berichtete 70 %-ige Wahrscheinlichkeit einer erneuten Krümmung des Geschlechtsteils sei der Kläger vom Zeugen …[A] zwar nicht aufgeklärt worden; insoweit  müsse jedoch von einer hypothetischen Einwilligung des Klägers ausgegangen werden.

4. Mit seiner Berufung wiederholt der Kläger die erstinstanzlichen Anträge. Zutreffend habe das Landgericht ein Aufklärungsdefizit gesehen. Wären ihm vor der Operation sämtliche, erst durch die Sachverständigengutachten in sein Bewusstsein gerückten Risiken mitgeteilt worden, hätte er die Behandlung beim Beklagten abgebrochen und sich keinesfalls operieren lassen. Mit dem Rat, nur durch eine Operation könne dem Kläger geholfen werden, habe der Beklagte den Blick auf andere Behandlungsmöglichkeiten verstellt.

Der Beklagte verteidigt die Entscheidung des Landgerichts. Auch er vertieft und ergänzt sein Vorbringen zur Aufklärungsfrage und wiederholt den Einwand der hypothetischen Einwilligung.

5. Das Rechtsmittel ist ohne Aussicht auf Erfolg.

a. Dass dem Beklagten bei der Vorbereitung und Durchführung des Eingriffs keine Versäumnisse oder Fehler unterlaufen sind, ist durch die vom Landgericht eingeholten Gutachten hinreichend geklärt. Auf die zutreffenden und von der Berufung nicht in erheblicher Weise in Frage gestellten Ausführungen im angefochtenen Urteil wird statt Wiederholung verwiesen.

b. Hinsichtlich des vermeintlichen Aufklärungsversäumnisses hat das Landgericht jedenfalls im Ergebnis richtig entschieden.

aa. Den vom Senat umfassend gesichteten und ausgewerteten Krankenakten der Klinik ist zu entnehmen, dass der Kläger unter dem  26. Oktober 1997 den Beklagten schriftlich um eine Untersuchung und Beratung bat. Dazu hatte der Urologe Dr. …[D] geraten, der den Kläger zuvor behandelt hatte und seine Möglichkeiten anscheinend erschöpft sah. Der Kläger teilte dem Beklagten  mit, Dr. …[D] habe zu einer Strahlentherapie geraten, aber auch von der Möglichkeit einer Operation gesprochen.

Angesichts dieser Ausführungen des Klägers im Schreiben vom 26. Oktober 1997 kann keine Rede davon sein, er habe die Operation als völlig alternativlos angesehen.

Dabei wird nicht verkannt, dass der Beklagte aufgrund der nachfolgenden Untersuchung und Beratung vom  18. Dezember 1997 zur Operation riet. Dem vorausgegangen war indes, dass der Kläger von einer seit Jahren zunehmenden (Hervorhebung durch den Senat) Verkrümmung des Penis sprach. Dies und die weiter erhobenen Befunde (Ultraschall) führten zur Empfehlung des Beklagten, operativ vorzugehen.

Der Frage, ob darin ein fehlerhafter, möglicherweise auf einer Blickverengung beruhender ärztlicher Rat lag, ist das Landgericht nachgegangen und hat – sachverständig umfassend und sorgfältig beraten – die Überzeugung gewonnen, dass die Empfehlung des Beklagten aus fachärztlicher Sicht nicht zu beanstanden ist.

Dagegen wird von der Berufung nichts erinnert, was einen Fehler oder eine zu weiterer Beweiserhebung zwingende Lücke der angefochtenen Entscheidung aufzeigt.

bb. Da weder dargetan noch ersichtlich ist, dass bereits bei dem Beratungsgespräch am 18. Dezember 1997 ein konkreter OP–Termin vereinbart wurde, spricht vieles dafür, dass das weitere Vorgehen zunächst offen blieb.

Daher stellt sich auch nicht die Frage, ob und gegebenenfalls wie eingehend ein Arzt gegen Ende eines ambulanten Untersuchungs- und Beratungstermins, der mit der Empfehlung zur Operation endet, den Patienten bereits über die Risiken des Eingriffs aufklären muss. Derartiges mag wünschenswert erscheinen, um dem Patienten bereits in einem frühen Stadium umfassend vor Augen zu führen, worauf er sich möglicherweise einlässt; rechtlich erforderlich ist es nicht angesichts des allgemeinen Wissens eines jeden Patienten, dass Operationen risikobehaftet sind, so dass  er insoweit bei dem ambulanten Untersuchungstermin nachfragen kann, falls er schon jetzt eine konkrete Risikoinformation wünscht. Einem Arzt kann bei einer Operationsempfehlung, deren Befolgung durch den Patienten ungewiss ist, nicht abverlangt werden, ungefragt über die Risiken eines Eingriffs zu informieren, dessen Durchführung noch nicht konkret zur Debatte steht.

cc. Der Operation am 29. Januar 1999 gingen zwei ärztliche Aufklärungsgespräche voraus. Davon ist der Senat – ebenso wie das Landgericht – überzeugt.

Dass der Kläger Details des ersten Gesprächs nicht erinnert und das zweite insgesamt bestreitet, rechtfertigt allerdings nicht den vom erstinstanzlichen Prozessvertreter des Beklagten erhobenen Vorwurf des versuchten Prozessbetruges.

Ein Patient kann gerade bei einem operativen Eingriff im Intimbereich in einer Weise aufgeregt sein, dass seine Ängste, aber auch seine Erwartungen später die Erinnerung an ärztliche Gespräche vollständig oder im Detail  überlagern. Vor diesem Hintergrund sollte der harsche anwaltliche Vorwurf, ein Aufklärungsversäumnis werde wegen der in diesem Bereich dem Arzt zugewiesenen Beweislast wahrheitswidrig nur deshalb behauptet, um nicht gerechtfertigte Ansprüche durchzusetzen, solchen Fällen vorbehalten bleiben, in denen ein greifbarer Anhalt für bewusst wahrheitswidrigen Prozessvortrag besteht. Das ist hier nicht der Fall. Der unangemessene Vorwurf ist vom neuen Prozessvertreter des Beklagten in zweiter Instanz auch nicht mehr aufgegriffen worden.

Das Landgericht hat gemeint, über die vom urologischen Sachverständigen Prof. Dr. …[C] berichtete hohe „Misserfolgsquote“ von 70 % (erneute Krümmung des Penis) hätten die beiden Ärzte, die vor dem Eingriff mit dem Kläger sprachen, den Patienten aufklären müssen.

Dem kann in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden.  Bei der Risikoaufklärung vor einer Operation geht es in der Regel um Beeinträchtigungen, die aufgrund des Eingriffs neu entstehen oder hinzutreten können und daher den Patienten in unerwünschter Weise andersartig stören oder gar gefährden als dies aufgrund des Problems der Fall ist, dessen Beseitigung die Operation dient. Darum geht es hier nicht. Die vom Landgericht vermisste Aufklärung hätte dahin lauten müssen, dass der von beiden Parteien erhoffte und auch zu erwartende Operationserfolg im Falle seines Eintritts nicht dauerhaft garantiert werden kann. Das ist jedoch bei vielen ärztlichen Eingriffen der Fall. Sieht man die ärztliche Aufklärungspflicht in all diesen Fällen derart weit wie das Landgericht, muss man den Arzt auch für verpflichtet halten, zu der nahe liegenden Patientenfrage Stellung zu nehmen, welche Zeitspanne mit dem avisierten lediglich vorübergehenden Operationserfolg umschrieben ist. Das wird in kaum einer medizinischen Fachrichtung verlässlich beantwortet werden können und überspannt daher nach Auffassung des Senats die inhaltlichen Anforderungen an ein Aufklärungsgespräch vor einer Operation. Dies um so mehr, als der dauerhafte Erfolg eines Eingriffs – nicht im vorliegenden Fall, aber in anderen medizinischen Fachgebieten – ganz entscheidend auch von der postoperativen Compliance des Patienten und von sonstigen Umständen abhängt, die kein Arzt verlässlich überblicken, abschließend beurteilen oder gar beeinflussen kann.

Hier ist zu sehen, dass der aufklärende Arzt Dr. …[A] den Kläger ausweislich der schriftlichen Einwilligung vom 28. Januar 1998 auf durchaus gravierende operationsbedingte neue Beeinträchtigungen wie Erektionsstörungen und Impotenz hinwies. Daneben erwähnte er aber auch ausdrücklich die Möglichkeit der „erneuten Krümmung“ des Penis. Daran schließt sich die Erklärung des Klägers an

„Eine Aufklärung über weitere Einzelheiten erfolgte, soweit ich es wünschte“.

Nach Auffassung des Senats hat das Landgericht diese Erklärung sowie die Rechtsprechung des BGH, wonach der Angabe von statistischen Risikowerten nur eine vergleichsweise geringe Bedeutung zukommt (vgl. BGHZ 126, 386, 389 und BGH in VersR 1981, 456, 457), letztlich aber auch den Umstand nicht hinreichend beachtet, dass mit der erneuten Krümmung des Geschlechtsteils lediglich ein dauerhafter Operationserfolg ausblieb. Einen derartigen Erfolg kann indes kein Arzt – schon gar nicht anhand einer Statistik – ganz oder überwiegend wahrscheinlich machen.  Sähe man das anders, müsste jedes Krankenhaus und jeder dort tätige Arzt zu jedem operativen Eingriff Misserfolgsstatistiken führen, um jeden einzelnen Patienten bei jedem Aufklärungsgespräch verlässlich darüber informieren zu können, wie wahrscheinlich jedes einzelne Risiko ist. Dass mit einem derartigen Statistikfeuerwerk für den Patienten ein Erkenntnisgewinn und eine Entscheidungshilfe verbunden ist, erschließt sich dem Senat nicht.

Dabei wird nicht verkannt, dass die vom urologischen Sachverständigen Prof. Dr. …[C] berichtete 70 %-ige Wahrscheinlichkeit einer erneuten Krümmung des Geschlechtteils ein außerordentlich hoher Prozentsatz ist. Dogmatisch Tragfähiges lässt sich daraus für den Inhalt der ärztlichen Aufklärungspflicht gleichwohl nicht gewinnen, weil keine Kriterien vorhanden oder ersichtlich sind, bei welchem prozentualen Statistikwert die Informationspflicht des Arztes beginnen und wann sie noch entbehrlich sein soll.

dd. Die dargestellten Fragen zum Inhalt und Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht bedürfen im vorliegenden Fall keiner Entscheidung aufgrund einer mündlichen Verhandlung,  weil die von der Berufung geforderte Aufklärung inhaltlich nicht mehr als die Erklärung des Arztes verlangt, dass ein dauerhafter Erfolg der Operation nicht garantiert werden kann. Das hat indes in der schriftlich fixierten Erklärung, es könne eine „erneute Krümmung“ eintreten, hinreichend Ausdruck gefunden. Nach weiteren Details zu fragen, war in dieser Situation Sache des Klägers.

Nach alledem hat das Landgericht jedenfalls im Ergebnis richtig entschieden, so dass die Frage der hypothetischen Einwilligung nicht weiter aufklärungsbedürftig ist.

6. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung. Ebenso wenig erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts.

Die Berufung sollte kostensparend zurückgenommen werden.

Frist zur Stellungnahme:  26. September 2011

 

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