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Arzt- bzw. Krankenhaushaftung – Schädigung durch Spinalanästhesie

LG Köln – Az.: I-5 U 63/15 – Urteil vom 23.05.2018

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 25.3.2015 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 25 O 192/13 – unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden verurteilt, an die Klägerin 40.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 31.12.2012 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche künftigen immateriellen sowie alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden, die ihr infolge der fehlerhaften Behandlung vom Juli 2005 entstanden sind bzw. noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.

Die Beklagten werden verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 4242,35 EUR zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen die Klägerin zu 40%, die Beklagten als Gesamtschuldner zu 60%.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Beklagte zu 1) ist Trägerin des K-Krankenhauses in S, der Beklagte zu 2) ist dort tätiger Facharzt für Anästhesiologie und Chefarzt der Anästhesie.

Die am 12.02.1950 geborene Klägerin erlitt am 28.12.2004 bei einem Unfall eine Sprunggelenksfraktur links mit Syndesmosenruptur. Diese wurde im Haus der Beklagten zu 1) am 28.12.2004 im Wege der offenen Reposition mit Osteosynthese operativ versorgt. Dabei wurde durch den Beklagten zu 2) eine Spinalanästhesie vorgenommen.

Arzt- bzw. Krankenhaushaftung -  Schädigung durch Spinalanästhesie
(Symbolfoto: Roman Zaiets/Shutterstock.com)

Im Juli 2005 sollte das Osteosynthesematerial im Haus der Beklagten zu 1) entfernt werden. Die Aufklärung, deren Inhalt und Umfang streitig ist, erfolgte am 07.07.2005. Die Operation wurde am 08.07.2005 durchgeführt. Dabei wurde wieder eine Spinalanästhesie durch den Beklagten zu 2) vorgenommen. Postoperativ klagte die Klägerin über Beschwerden, insbesondere über Lähmungserscheinungen und starke Schmerzen, die im Einzelnen streitig sind.

Die Klägerin hat behauptet, die Spinalanästhesie am 08.07.2005 sei fehlerhaft durchgeführt worden. Die Injektionstechnik sei nicht lege artis gewesen. Die Punktionsstelle sei falsch gewählt worden. Beim Einstechen sei ein heftiger Schmerz aufgetreten, so schlimm, wie sie noch nie in ihrem Leben Schmerz empfunden habe. Im Hinblick auf ihre Schmerzäußerung sei inne gehalten worden und der Beklagte zu 2) sei vom Operateur, dem Zeugen Dr. C, gefragt worden, ob man weitermachen solle, was dann auch geschehen sei, obwohl ein sofortiger Abbruch der Injektion geboten gewesen sei.

Die Dokumentation der Beklagten sei im Hinblick auf die Spinalanästhesie unvollständig und möglicherweise verändert worden.

Postoperativ seien die Störung der Blasen- und Mastdarmfunktion nicht hinreichend untersucht und behandelt worden. Wegen des fehlerhaften Injizierens habe sie nach der Operation an starken Kopfschmerzen, Kopfdruck und Nackenschmerzen gelitten und auch direkt Schwierigkeiten bei Entleerung von Blase und Darm entwickelt. Sie leide nun lebenslänglich an Lähmung und Gefühllosigkeit von Blase und Darm und habe immer Schwierigkeiten bei der Entleerung.

Die Klägerin hat zudem die Aufklärungsrüge erhoben und dazu vorgetragen, dass ihr die Risiken einer Spinalanästhesie bereits vor der ersten Operation am 28.12.2004 unzureichend mitgeteilt worden seien. Unterschrieben habe sie den Bogen nicht, ihre Unterschrift darunter sei gefälscht. Hätte sie von dem Risiko von Lähmungen gewusst, hätte sie sich bereits vor der ersten Operation dafür entschieden, mit der Operation zuzuwarten, bis sie eine Vollnarkose hätte erhalten können. Vor der streitgegenständlichen zweiten Operation habe gar keine richtige Aufklärung stattgefunden, es sei ein kurzes Gespräch in großer Hektik gewesen, in dem erneut keinerlei Risiken der Spinalanästhesie benannt worden seien, sondern nur der Ablauf erklärt worden sei. Sie habe wegen der guten Erfahrung bei der ersten Spinalanästhesie zugestimmt, ohne indes über deren Risiken etwas zu wissen.

Der Klägerin hat beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie aus der fehlerhaften Behandlung vom Juli 2005 ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichtes gestellt wird, mindestens jedoch 100.000,00 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 31.12.2012, festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr sämtliche künftigen immateriellen sowie alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden, die ihr infolge der fehlerhaften Behandlung vom Juli 2005 entstanden sind bzw. noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden, und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie die ihr entstandenen außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von insgesamt 6.479,55 Euro zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben die erhobenen Vorwürfe zum Grund und zur Höhe bestritten. Die streitgegenständliche Spinalanästhesie sei lege artis durchgeführt worden. Wären Probleme beim Setzen der Spinalanästhesie aufgetreten, wären sie dokumentiert worden. Der dokumentierte Text „glatte SpA“ bedeute, dass es eine Spinalanästhesie ohne Komplikationen oder Probleme gewesen sei – mehr als das sei damals in problemlosen Fällen oft nicht dokumentiert worden. Vor beiden Spinalanästhesien sei die Klägerin hinreichend aufgeklärt worden. Jedenfalls sei von hypothetischer Einwilligung auszugehen. Sie haben hierzu behauptet, dass sich die Klägerin bei dem streitgegenständlichen Eingriff am 08.07.2005 auch bei einer umfassenderen Gegenüberstellung der Vorteile und Risiken der Vollnarkose gegenüber der Spinalanästhesie für die Spinalanästhesie entschieden hätte wegen ihrer guten Erfahrung bei dem vorangegangenen Eingriff vom 28.12.2004. Die Beklagten haben den von der Klägerin behaupteten Krankheitsverlauf und die behaupteten Beschwerden mit Nichtwissen bestritten. Auch sind sie der Ansicht, dass bezüglich der Geltendmachung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten die Aktivlegitimation der Klägerin fehle.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens mit mündlicher Erläuterung des Sachverständigen Prof. Dr. S2 sowie durch Vernehmung der Zeugen Dr. C, E und C2. Sie hat ferner die Klägerin und den Beklagten zu 2) angehört.

Sie hat sodann mit Urteil vom 25.3.2015 die Klage abgewiesen. Auch unter Berücksichtigung von Beweiserleichterungen wegen erheblicher Mängel in der Dokumentation habe die Klägerin einen schadensursächlichen Behandlungsfehler nicht beweisen können. Einen Behandlungsvorgang, der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf einen Fehler bei der Injektion schließen lasse, habe die Kammer angesichts des von den Zeugen und dem Beklagten zu 2) geschilderten üblichen Ablaufes der Spinalanästhesie nicht feststellen können. Der Beklagte zu 2) habe glaubhaft angegeben, dass er grundsätzlich die Spinalanästhesie in den Bereich L3/L4 setze, und notfalls eine andere Art der Anästhesie wähle, wenn sich dieser Punkt nicht sicher feststellen lasse. Es sei auch schwer vorstellbar, dass die Klägerin angesichts des behaupteten Schmerzempfindens und der behaupteten Schmerzäußerung sich anschließend auf den seitens des Beklagten zu 2) betriebenen „Small-talk“ eingelassen habe. Auch den behaupteten Schmerzensschrei und die weiteren von der Klägerin geschilderten Umstände erachte die Kammer nicht als überwiegend wahrscheinlich. Nach dem Sachverständigengutachten sei auch nicht davon auszugehen, dass die aufgetretene Schädigung nur durch eine fehlerhafte Injektionstechnik zu erklären sei. Vielmehr sei das hier wahrscheinlich anzunehmende Cauda-equina-Syndrom auch durch eine als bloße Komplikation anzusehende bloße Nervverletzung, die nicht immer vermeidbar sei, erklärbar. Auch sei davon auszugehen, dass ein Zurückziehen der Nadel nach erkannter Fehllage am Schadensbild wohl nichts mehr hätte ändern können. Auch hinsichtlich der operativen Nachsorge seien keine schadensursächlichen Fehler festzustellen. Schließlich sei die Klage auch nicht unter dem Gesichtspunkt unzureichender Aufklärung über Risiken oder Behandlungsalternativen begründet. Zwar könnten die Beklagten eine ordnungsgemäße Aufklärung nicht belegen, allerdings sei von einer hypothetischen Einwilligung auszugehen. Insbesondere vor dem Hintergrund einer problemlos durchgeführten Spinalanästhesie bei der ersten Operation und der erheblichen Risiken einer Vollnarkose habe die Klägerin einen Entscheidungskonflikt nicht plausibel gemacht.

Mit der form- und fristgerecht eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin die geltend gemachten Anträge weiter. Sie rügt, dass die Kammer die Bedeutung der seitens aller Sachverständigen festgestellten Dokumentationsversäumnisse verkannt habe. Diese müssten vollständig zu Lasten der Beklagten gehen und eine Umkehr der Beweislast bewirken. Fest stehe, dass die Schädigung durch die Injektion hervorgerufen worden sei (hierzu bezieht die Klägerin sich auch auf ein Gutachten des Gerichtssachverständigen Prof. Dr. S2 vor den Sozialgerichten). Dies lasse in Verbindung mit der plausiblen Schilderung der Klägerin hinsichtlich des Geschehensablaufs und der ganz unzureichenden Dokumentation den Schluss auf ein fehlerhaftes Vorgehen zu. Sie rügt auch die Vorgehensweise seitens der Kammer. Die Vernehmung des von der Klägerin nicht benannten Zeugen Dr. C habe unzulässige Amtsermittlung seitens der Kammer bedeutet. Die Klägerin hält auch die Aufklärungsrüge aufrecht und wiederholt ihren Vortrag unzureichender Aufklärung sowohl vor der ersten Operation als auch (und erst recht) vor der hier streitigen Operation. Sie behauptet weiterhin, den Aufklärungsbogen nicht unterschrieben zu haben. Dem habe die Kammer nachgehen müssen. Einen Entscheidungskonflikt habe die Kammer zu Unrecht verneint. Vor allem angesichts des Risikos, möglicherweise im Rollstuhl zu sitzen, hätte sie sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung für eine Vollnarkose entschieden.

Die Beklagten treten dem Berufungsvorbringen entgegen und verteidigen das angefochtene Urteil.

Der Senat hat weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines neurologischen Sachverständigengutachtens der Sachverständigen Privatdozentin Dr. T nebst mündlicher Erläuterung. Er hat ferner die Klägerin und den Beklagten zu 2) selbst eingehend zum Ablauf der Behandlung vom 8.7.2005 angehört, die Zeugin C2 hierzu erneut als Zeugin vernommen und den Zeugen E zur üblichen Vorgehensweise bei Spinalanästhesien befragt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten von Privatdozentin Dr. T vom 27.1.2017 (Bl. 337 ff.) sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 7.3.2018 Bezug genommen (Bl. 493 ff.).

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II.

Die Berufung ist zulässig und hat in der Sache zumindest teilweise Erfolg. Der Klägerin steht wegen der behandlungsfehlerhaften Schädigung ihrer Gesundheit gegen die Beklagten ein Anspruch auf ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000.- EUR aus §§ 280 Abs.1, 611 Abs.1, 249, 253 BGB bzw. aus §§ 823 Abs.1, 249, 253 BGB zu. Die Beklagten sind ferner verpflichtet, der Klägerin den aus der Verletzung resultierenden materiellen Schaden sowie künftige immaterielle Schäden, soweit sie nicht durch den Schmerzensgeldbetrag abgedeckt sind, zu ersetzen.

1.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, die der Senat ergänzend zu den durch die Kammer gewonnenen Beweisergebnissen durchgeführt hat, steht zur vollen Überzeugung des Senats (§ 286 ZPO) fest, dass der Beklagte zu 2) unter Verstoß gegen fachärztlichen Standard, also behandlungsfehlerhaft, die Klägerin durch eine zu hoch angesetzte Spinalanästhesie geschädigt hat. Für die richterliche Überzeugungsbildung genügt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wie des erkennenden Senats ein Maß an Gewissheit von der Richtigkeit einer Tatsache, das „lebenspraktischen“ Anforderungen genügt und bei dem vernünftige Zweifel schweigen, ohne sie mit letzter Gewissheit auszuschließen. Ein derartiges Maß an Gewissheit hat der Senat im Hinblick auf eine den Beklagten vorwerfbare Schädigung der Klägerin. Auf die von der Kammer grundsätzlich zu Recht diskutierten Beweiserleichterungen im Hinblick auf die von allen Sachverständigen monierten erheblichen Dokumentationsmängel kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.

Es steht zunächst fest, dass die bei der Klägerin festgestellten Schädigungen, nämlich insbesondere die Gefühllosigkeit der Harnblase, deren Kontraktionsschwäche und die Mastdarmschwäche durch weitgehend aufgehobenen Analsphinktertonus, auf der Spinalanästhesie vom 8.7.2005 beruhen. Die Sachverständige PD Dr. T, die im schriftlichen Gutachten vor dem Hintergrund fehlender wissenschaftlich-objektiver Nachweisbarkeit insoweit stets vorsichtig von „Wahrscheinlichkeit“ gesprochen hatte, hat sich im Rahmen der mündlichen Anhörung auf entsprechendes Befragen allerdings insoweit festgelegt, dass sie „keine Zweifel“ hege, dass das von ihr diagnostizierte Conus-medullaris-Syndrom auf der Spinalanästhesie vom 8.7.2005 beruhe. Sie hat dies damit begründet, dass die Spinalanästhesie ohne weiteres geeignet sei, die entsprechenden Verletzungen herbeizuführen, und dass der zeitliche Zusammenhang mit dem Auftreten der Symptomatik bei Fehlen anderer möglicher Ursachen und fehlenden Anhaltspunkten, dass die Klägerin die Symptomatik etwa schon vor der hier streitigen Spinalanästhesie aufgewiesen habe, keine andere Deutung zulasse. Dies deckt sich mit der Auffassung des erstinstanzlich tätigen Sachverständigen Prof. Dr. S2, der insbesondere in seinem für das Landessozialgericht erstellten Gutachten ausgeführt hat, dass die Symptomatik mit einer „über 99%igen Wahrscheinlichkeit“ auf die Spinalanästhesie zurückzuführen sei (Bl. 257 d.A.), was er ebenfalls mit dem Fehlen jeglicher Anhaltspunkte für irgendeine andere Ursache (etwa Bandscheibenvorfall, Sakralschädigung) erklärt hat. Dies deckt sich ferner mit der Auffassung der für die Gutachterkommission tätigen Sachverständigen Prof. Dr. C3 und Privatdozent Dr. W sowie des für den MDK tätigen Gutachters Prof. Dr. N, ferner des Privatsachverständigen Prof. Dr. B und des für die Berufsgenossenschaft tätigen Sachverständigen Prof. Dr. H. Diese praktisch einhellige Auffassung der mit der Frage befassten Sachverständigen ist für den Senat unmittelbar einleuchtend und überzeugend. Soweit etwa die Gutachterkommission in ihrem abschließenden Bescheid sich insoweit nicht festzulegen vermochte, begründet dies aus Sicht des Senats keine Zweifel, denn es wird hier nicht erklärt, wie denn anders als durch die Spinalanästhesie die Schädigung eingetreten sein kann.

Dass es sich bei dem anzunehmenden Verletzungsvorgang nicht um eine bloße Komplikation handelt, die dem Beklagten zu 2) nicht vorzuwerfen wäre, sondern um einen echten Behandlungsfehler, ergibt sich aus der Gesamtschau der gutachterlichen Äußerungen des Anästhesisten Prof. Dr. S2 und der Neurologin PD Dr. T in Verbindung mit dem radiologischen Zusatz-Gutachten von Prof. Dr. C4. Der Sachverständige Prof. Dr. S2 hat insoweit ausgeführt, dass eine Spinalanästhesie normalerweise im Bereich L3/L4 erfolge, dass eine Punktion im Bereich L2/L3 auch noch nicht kontraindiziert sein müsse, eine Punktion oberhalb von L2 hingegen als (sogar grob) fehlerhaft zu bewerten wäre. Aus dem MDK-Gutachten Prof. Dr. N ergibt sich ferner, dass eine Verletzung des Conus medullaris entweder zurückzuführen sei auf ein zu hohes Ansetzen der Punktionsnadel oder einen anormal tiefen Stand des Conus medullaris. Ein anormal tiefer Stand des Conus medullaris ist allerdings nach dem Ergebnis des radiologischen Gutachtens von Prof. Dr. C4 sicher auszuschließen. Vielmehr befindet sich der Conus medullaris, wie aufgrund der durchgeführten MRT-Untersuchung mit Gewissheit anzunehmen ist, im Fall der Klägerin in Höhe der Grundplatte BWK 12, mithin also noch deutlich höher als der Wirbelkörper L2. Eine nicht auf einer Verletzung fachärztlichen Standards beruhende Verursachung der Schädigung ist damit nicht vorstellbar und nicht vereinbar. Zwischen dem Wirbel-Zwischenraum L3/L4, den der Beklagte zu 2), wie er stets behauptet hat, grundsätzlich anstrebt, und der Grundplatte des letzten Brustwirbels BWK 12 liegen drei Wirbelkörper. Das entspricht, wie die Sachverständige PD Dr. T ausgeführt hat und anhand jedes Anatomie-Atlanten nachzuvollziehen ist, einem Abstand von mindestens fünf Zentimetern (eher deutlich mehr). Das Verfehlen des „richtigen“ Punktes um eine derartige Distanz ist mit einem Versehen, das jedem Anästhesisten bei noch so sorgfältiger Vorgehensweise immer wieder einmal unterlaufen kann, nicht zu erklären, sondern letztlich nur auf mangelnde Sorgfalt bei der Ermittlung der Einstichstelle zurückzuführen. Dem entspricht, dass keiner der Sachverständigen, die eine bloße Komplikation im hier vorliegenden Fall für möglich halten, ausdrücklich etwa auf Schwierigkeiten verweisen, die richtige Punktionsstelle zu treffen und eine entschuldigte Verfehlung um eine derart große Distanz für ohne weiteres möglich halten, sondern auf ganz andere Erklärungsversuche (toxische Wirkung des Mittels, Hämatome) zurückgreifen. Der Beklagte zu 2), der in erster Instanz noch keinerlei Zweifel äußerte, die Spinalanästhesie mit absoluter Gewissheit in den Zwischenraum L3/L4 gesetzt zu haben, musste auf die Frage des Senats, wie er sich dann die Verletzung der Klägerin erkläre, einräumen, dass er wohl doch zu hoch geraten sei. Er hat ferner geschildert, wie er grundsätzlich die Punktionsstelle ermittele, nämlich durch Abtasten der Dornfortsätze anhand der Beckenknochen des Patienten, was im Einklang steht mit der Darstellung der anästhesiologischen Sachverständigen. Er hat auf gewisse Schwierigkeiten bei adipösen Patienten hingewiesen, hier letzte Gewissheit zu erlangen, was wiederum in gewissem Kontrast steht zu der vorgerichtlich und erstinstanzlich geäußerten Sicherheit, den Raum L3/L4 sicher getroffen zu haben. Entlasten kann ihn dies aber nicht. Wenn eine sichere Identifizierung der richtigen Punktionsstelle nicht gewährleistet ist, mindestens aber, wenn nicht auszuschließen ist, dass die gewünschte und sichere Punktionsstelle um mehr als einen Zwischenwirbelraum verfehlt wird, dann kann und darf die Spinalanästhesie nicht gesetzt werden.

Die von dem Sachverständigen Prof. Dr. S2 ebenso wie von der Sachverständigen PD Dr. T diskutierte Möglichkeit einer mittelbaren toxischen Schädigung scheidet aus. Anders als der Sachverständige Prof. Dr. S2 geht die Neurologin Dr. T nicht vom Vorliegen eines Cauda-equina-Syndroms aus, sondern von einem Conus-medullaris-Syndrom. Bei dieser Beurteilung ist der Neurologin der Vorzug zu geben. Sie ist für die Beurteilung dieser Fragen die Spezialistin. Sie hat die Klägerin auch persönlich untersucht. Die Argumentation, wonach nicht von einem Cauda-equina-Syndrom auszugehen sei, weil dies zwingend voraussetze, dass die Extremitäten, hier insbesondere die Beine, betroffen seien, die Klägerin aber bis heute diesbezüglich keinerlei Beschwerden geäußert habe und diese auch nirgendwo beschrieben seien, ist schlüssig und überzeugend. Für den Sachverständigen Prof. Dr. S2 aber ist die Möglichkeit einer auf Überdosierung beruhenden, also rein toxisch wirkenden Schädigung daran geknüpft, dass ein Cauda-equina-Syndrom vorliegt (vgl. hierzu insbesondere die Ausführungen des Sachverständigen zu Beweisfragen 4 und 6, S. 20 ff. des Gutachtens vom 28.4.2014, Bl. 117 ff., 123 d.A.). Dabei stellt auch er – wie alle übrigen Sachverständigen – im Übrigen eindeutig fest, dass eine Überdosierung hier gerade nicht vorliege. Der Unterscheidung zwischen beiden Syndromen kommt insofern eine nicht unerhebliche Bedeutung zu, als das Conus-medullaris-Syndrom weniger häufig vorkommt und eine direkte Verletzung als Schädigungsursache hier wahrscheinlicher ist als beim Cauda-equina-Syndrom. Bei diesem wird einerseits in den Fallberichten häufiger eine schmerzlose Injektion beschrieben und andererseits weit häufiger ein neurotoxischer Effekt angenommen (so die Sachverständige Dr. T, S. 49 ihres Gutachtens, Bl. 385 d.A.).

Dennoch erörtert auch die Sachverständige Dr. T eine mögliche Schädigung durch das Lokalanästhetikum unter Hinweis auf japanische Untersuchungen, die einen gewissen neurotoxischen Effekt bestätigen. Im Rahmen der mündlichen Erörterung, bei der die Frage möglicher toxischer Wirkung vor allem unter dem Aspekt intensiv diskutiert worden ist, ob bei einer lege artis gesetzten Spritze, die allenfalls im Bereich L2/L3 angesetzt wird, noch eine solche Wirkung in Betracht kommen könne, hat sich die Sachverständige letztlich dahin festgelegt, dass dies doch „sehr unwahrscheinlich“ sei. Sie könne sich nicht vorstellen, dass ein Mittel, das derart häufig eingesetzt werde, tatsächlich geeignet sei, aus größerer Entfernung Schäden herbeizuführen. Diese Aussage der – erkennbar sehr vorsichtig formulierenden – Sachverständigen reicht aus Sicht des Senates aus, um die Möglichkeit einer toxisch bewirkten indirekten Schädigung bei kunstgerecht angesetzter Spritze in einen Bereich jenseits „vernünftiger Zweifel“ zu verweisen. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass keiner der anästhesiologischen Sachverständigen (Prof. Dr. S2, Prof. Dr. C3, Prof. Dr. N) eine solche Möglichkeit bei der hier anzunehmenden normalen Dosierung des Betäubungsmittels ernsthaft in Erwägung zieht. Sehr eindrücklich und bezeichnend hat der Sachverständige Prof. Dr. S2 vielmehr formuliert: „Da im vorliegenden Fall eine normale und einmalige Dosis gewählt wurde, halten alle Gutachter einschließlich meiner Person es für ausgesprochen unwahrscheinlich, dass bei der Patientin das Cauda-equina-Syndrom durch eine Lokalanästhesienebenwirkung entstanden ist. Allerdings vermuten alle Gutachter einschließlich meiner Person, dass im vorliegenden Fall die Cauda-equina-Symptomatik auch durch eine direkte Verletzung des Conus medullaris entstanden sein könnte.“ Der Senat versteht den medizinischen Sachverständigen dahin, dass auch er vernünftige Zweifel daran, dass hier eine direkte Verletzung des Conus medullaris vorliegt, nicht hat. Dies gelte – so der Sachverständige weiter – erst recht, wenn von dem seitens der Klägerin geäußerten Schmerzreiz auszugehen sei, was aus Sicht des Senates tatsächlich der Fall ist (dazu sogleich unten). Berücksichtigt man, dass der Sachverständige Prof. Dr. S2 stets vom Vorliegen eines Cauda-equina-Syndroms ausgeht, bei dem wie oben dargelegt, toxische Effekte naheliegender sind, verringern sich etwa verbliebene Zweifel noch einmal spürbar. Des von den Beklagten beantragten ergänzenden pharmakologischen Gutachtens bedarf es nach alledem nicht.

2.

Der Senat hält es ferner für erwiesen, dass der Beklagte zu 2) fehlerhaft die Injektion fortgesetzt hat, obwohl eine Schmerzäußerung der Klägerin vorlag, die ihn zum sofortigen Abbruch hätte veranlassen müssen. Der Sachverständige Prof. Dr. S2 hat hierzu eindeutig und absolut überzeugend ausgeführt, dass es als (sogar grob) fehlerhaft zu bewerten sei, wenn ein Lokalanästhetikum weiter injiziert werde, obwohl während der Injektion Schmerzen oder Muskelzuckungen auftreten. Die Bewertung des Fortsetzens der Anästhesie trotz Schmerzäußerungen des Patienten als fehlerhaft leuchtet unmittelbar ein, da – wie oben dargelegt – die unmittelbare Schädigung mit schwerwiegenden Folgen für die Gesundheit des Patienten droht. In diesem Punkt gibt es auch bei keinem anderen der beteiligten Sachverständigen irgendeinen Zweifel. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass der Sachverständige Prof. Dr. S2 im Rahmen der mündlichen Erläuterung vor der Kammer ausgeführt hat, dass er davon ausgehe, der Schaden sei bereits beim ersten Einstechen verursacht worden und ein Zurückziehen hätte am Schadensbild letztlich nichts mehr geändert. Abgesehen davon, dass dies so kein anderer Sachverständiger gesehen hat, die Sachverständige PD Dr. T vielmehr davon spricht, dass ein durch Einstechen geschädigter Nerv durch die Injektion durchaus weiter geschädigt werden könne, was eher einleuchtet, muss die Frage des fehlerhaften Vorgehens auch gedanklich getrennt werden von der Frage der Schadensursächlichkeit. Dass ein sofortiges Zurückziehen der Nadel zwingend ist, folgt schon aus der Überlegung, dass der Arzt in der konkreten Situation ja nicht sicher überblicken kann, was genau möglicherweise den Schmerz ausgelöst hat und ob sich tatsächlich ein irreversibler Schaden ereignet hat. Genau dies hat der Beklagte zu 2) in der mündlichen Anhörung auch selbst bekundet, indem er sagte, man wisse im Falle einer Schmerzäußerung ja nicht, ob nicht vielleicht ein Nerv der Cauda equina getroffen sei, den man durchaus noch vor weiterer Schädigung bewahren könne.

Nach eingehender Anhörung der Klägerin und des Beklagten zu 2) hält es der Senat für erwiesen, dass die Klägerin einen Schmerzschrei ausgestoßen hat. Die Klägerin hat auf den Senat einen glaubwürdigen Eindruck hinterlassen. Die Schilderung des Geschehens aus ihrer Sicht war von Beginn der Auseinandersetzung an absolut konstant und nicht etwa situativ angepasst, wurde auch auf konkrete Nachfragen hin nicht widersprüchlich. Die Schilderung war überaus lebendig und enthielt eine Fülle von Details (etwa die Angaben zu markanten – auch durchaus beiläufigen – Äußerungen von Beteiligten), die insgesamt eine sehr plastische Darstellung des Geschehens ergeben. Diese Darstellung wirkt auch ihrerseits nicht so, als könne sie genauso gut frei erfunden sein, denn sie gibt keinen stereotypen Geschehensablauf wieder, sondern einen in seinen Details sehr eigentümlichen und einzigartigen. Es kann auch keine Rede davon sein, dass die Klägerin eine klare Belastungstendenz erkennen ließe. Vielmehr zeigte sich die Klägerin gerade auch in solchen Punkten nachdenklich, differenziert und vorsichtig, wo sie entweder keine sichere Erinnerung hatte oder wo eine selbstbegünstigende Antwort nahe gelegen hätte. So war von ihr nicht die Rede von einem quasi „markerschütternden“ Schrei (der nach der Auffassung der meisten Sachverständigen eher zu erwarten gewesen wäre), sondern von einem „starken Stöhnen oder einem Schrei“, was die Klägerin auch ähnlich differenziert demonstriert hat. Eine Antwort auf die auch aus ihrer Sicht besonders einprägsame Frage von Dr. C („Machen wir weiter?“) kann sie nicht bekunden, obwohl bei einer erdachten Aussage Derartiges nahe gelegen hätte. Die Zeit bis zur Wirkung der Spritze kann sie – nachvollziehbar – nicht angeben.

Maßgeblich zur Glaubwürdigkeit der Klägerin trägt der Umstand bei, dass ihre Darstellung in jedem Punkt medizinisch plausibel ist. Nach dem oben Gesagten gehen die Sachverständigen weitgehend als sehr wahrscheinlich davon aus, dass es zu einem direkten Einstich in den Conus medullaris gekommen ist. Dann aber passen der von der Klägerin geschilderte Ablauf einschließlich ihres Schmerzlautes und das Schadensbild völlig nahtlos zusammen, Unstimmigkeiten und Widersprüche gibt es nicht. Die umgekehrte Darstellung der Beklagten, die in der Dokumentation „glatte SpA“ zum Ausdruck kommt, kann den Schadenshergang nicht in auch nur einigermaßen überzeugender Weise erklären. Weder wird von irgendeinem Sachverständigen wirklich klar und schlüssig erklärt, wie sich im Falle einer „glatten SpA“ ein derartiges Schadensbild hätte ergeben können, noch will einleuchten, dass ein Patient keinerlei auffälliges Verhalten zeigt. Dass im Bereich der Schädigungen von Cauda-equina-Syndrom oder Conus-medullaris-Syndrom noch manches nicht hinreichend geklärt sei, ist dann, wenn ein anderweitig gänzlich stimmiges Bild vorliegt, eine wenig überzeugende Erklärung.

Schließlich hat den Senat auch die von der Klägerin geschilderte Begebenheit als deutlich für sie und ihre Glaubwürdigkeit sprechenden Umstand gewertet, dass eine Überprüfung der Innenseiten ihrer Beine und anderer Hautareale nach der Operation stattgefunden habe. Sie hat geschildert, eine vermummte Gestalt habe sie mit einem spitzen Instrument im Bauchbereich und den Innenseiten der Oberschenkel gestochen und das Gefühl kontrolliert, was aber nichts Auffälliges ergeben habe. Eine solche Begebenheit ist für den Senat kaum als freie Erfindung einer an einem günstigen Prozessausgang interessierten Klagepartei vorstellbar, dafür ist sie zu speziell und selbst für eine intelligente Prozesspartei wie die Klägerin zu fernliegend. Trifft sie aber zu, passt sie vollständig zur sonstigen Darstellung und wäre ein Beleg dafür, dass es während der Spinalanästhesie Anlass gegeben hatte, an einen ernsthaften Zwischenfall zu denken. Das Überprüfen der Sensibilität an den Innenseiten der Beine ist nur dadurch plausibel und deutet stark darauf hin, dass dem Verdacht eines Cauda-equina-Syndroms nachgegangen wurde. Wäre es routinemäßig erfolgt ohne konkreten Anlass, hätte nichts näher gelegen, als dies seitens der Beklagten vorzutragen. Tatsächlich aber bestreiten sie auch diesen Vortrag der Klägerin.

Die Darstellungen des Beklagten zu 2) sowie der Zeugin C2 und des Zeugen E sowie erstinstanzlich auch des Zeugen Dr. C sind insgesamt nicht geeignet, nachhaltige Zweifel an der Richtigkeit der Darstellung der Klägerin zu wecken. Allen Aussagen ist gemein, dass eine konkrete und genaue Erinnerung an die damalige Situation nicht mehr vorliegt. Die Genannten, soweit sie bei der Anästhesie anwesend waren, haben sich darauf zurückziehen müssen, dass sie, hätte es Besonderheiten gegeben, insbesondere eine markante Schmerzäußerung der Klägerin, sich mutmaßlich konkreter erinnern würden, oder dass zumindest solche Auffälligkeiten dokumentiert worden wären, so dass aus dem Fehlen der Dokumentation auf das Fehlen von Besonderheiten zu schließen sei. Dies überzeugt den Senat allerdings letztlich nicht. Hinsichtlich des Beklagten zu 2) ist dabei festzustellen, dass seine Aussage vor dem Senat weniger klar und eindeutig ausfiel als vor dem Landgericht, er vielmehr eher bestrebt war, die offen zu Tage tretenden Widersprüchen zwischen der eigenen Darstellung und dem Ergebnis der Anästhesie etwas stärker zu überbrücken. Geblieben ist der Beklagte zu 2) bei seiner Darstellung, dass er im Falle einer Schmerzäußerung der Patientin die weitere Spinalanästhesie abgebrochen und dies auch dokumentiert hätte. Allerdings hat er schon einleitend geäußert, dass die Situation bei Schmerzäußerungen von Patienten als solche für ihn nicht immer eindeutig sein müsse, was für den Senat grundsätzlich nachvollziehbar ist. Es soll danach einen erheblichen Unterschied machen, bei welcher Eindringtiefe die Schmerzäußerung erfolge. Es ist deutlich geworden, dass er bei einer direkten Berührung des Conus medullaris eine eindeutigere Reaktion des Patienten erwartet, die sich etwa neben der Schmerzäußerung in einem Aufrichten äußert. Er muss einräumen, dass Schmerzäußerungen bei einer Spinalanästhesie durchaus häufiger vorkommen. Das alles vermittelt – für den Senat durchaus nachvollziehbar – eher das Bild einer sehr breiten Palette von Patientenreaktionen, die gelegentlich nicht einfach zu deuten sein mögen und bei denen es letztlich zu Fehleinschätzungen kommen mag. Auch im vorliegenden Fall geht der Senat davon aus, dass der Beklagte zu 2) eine vielleicht weniger eindrücklichere Schmerzäußerung der Klägerin, als normalerweise zu erwarten wäre, falsch eingeschätzt und für eine Überreaktion bei eigentlich ungefährlicher Sachlage angesehen hat. Das ändert indes nichts an dem Umstand, dass ein Zurückziehen der Nadel zwingend war und ein Fortsetzen der Injektion keineswegs hätte erfolgen dürfen. Seine Aussage, dass bei Schmerzäußerungen, wie sie die Klägerin demonstriert hat, unbedingt sofort ein Zurückziehen der Nadel erfolgt wäre, nimmt der Senat ihm allerdings nicht ab.

Dass Patienten sehr unterschiedlich reagieren und eine Einschätzung der Situation dadurch erschweren, bestätigen letztlich auch die Zeugin C2 und der Zeuge E. Dabei übersieht der Senat keineswegs, dass insbesondere die Zeugin C2, die – anders als der Zeuge E – eigene Kenntnisse über die Vorgehensweise des Beklagten zu 2) hat, bestätigt hat, dass bei Schmerzäußerungen grundsätzlich inne gehalten und die Nadel zunächst entfernt werde, jedenfalls nicht etwa weitergemacht werde. Der Senat hat allerdings auch keinen Anlass anzunehmen, dass der Beklagte zu 2) grundsätzlich dazu neige, Schmerzäußerungen von Patienten zu ignorieren. Es geht hier nur um die Frage, ob die geschilderte generelle Vorgehensweise geeignet ist, die detaillierte Schilderung eines im konkreten Fall anderen Ablaufes zu widerlegen oder jedenfalls zu erschüttern. Dass bei der hier streitigen Anästhesie eine Situation gegeben war, die sich letztlich als fatale Fehleinschätzung der Lage darstellte, wird aber durch die Schilderung der generellen Vorgehensweise durch die Zeugin nach der Überzeugung des Senates keineswegs ausgeschlossen.

Erst recht vermag der Senat dem Argument nicht zu folgen, dass eine wie auch immer geartete Auffälligkeit definitiv dokumentiert worden wäre. Der Beklagte zu 2) hat als Beispiel einer solchen von ihm grundsätzlich dokumentierten Besonderheit sogar das bloße Auftreten von Schweißperlen auf der Stirn des Patienten genannt. Das ist angesichts des Umstandes, dass die Dokumentation insgesamt durch den Sachverständigen Prof. Dr. S2 in einer Weise kritisiert worden ist, dass sie nur mit dem Wort „indiskutabel“ zusammengefasst werden kann, schlechterdings unglaubhaft. Der Sachverständige hat buchstäblich alles vermisst, was er als ordnungsgemäße Dokumentation einer Spinalanästhesie angesehen hat (insoweit wird auf die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils verwiesen). Wenn dann ernsthaft behauptet wird, dies alles gelte nur bei einer vollständig glatt verlaufenden Spinalanästhesie, ansonsten würden minutiös alle Besonderheiten aufgeführt, so kann der Senat dies schlicht nicht glauben. Es passt auch nicht zusammen mit den Aussagen der Zeugin C2 und des Zeugen E. Die Zeugin C2 hat vor dem Senat sich eher zurückhaltend und einschränkend dahin geäußert, sie „glaube schon“, dass bei „außergewöhnlichen“ Schmerzen dies auch dokumentiert werde. Der Zeuge E hat ausgesagt, er sei sich nicht einmal sicher, ob er es dokumentiere, wenn die Lage einer Nadel korrigiert werden müsse; zur Vorgehensweise des Beklagten könne er zwar nichts sagen, gehe aufgrund derselben Ausbildung und des teilweise gemeinsamen Berufsweges aber davon aus, dass der Beklagte ähnlich verfahre.

Dem Umstand, dass es in den Darstellungen der Parteien auch vor dem Senat einen heftig ausgetragenen Streit gab, ob die Anästhesie tatsächlich im Vorbereitungsraum durchgeführt wurde (so die Beklagten in Übereinstimmung mit den Zeugen) oder tatsächlich schon im OP-Saal (so die Klägerin mit voller Überzeugung), misst der Senat keine besondere Bedeutung zu. Wenn hier die Erinnerung der Klägerin tatsächlich nicht mehr zuverlässig sein sollte, was der Senat für naheliegend hält, würde dies die Überzeugungskraft ihrer Bekundungen im Übrigen nicht nachhaltig schmälern, insbesondere nicht den Schluss zulassen, dass dann möglicherweise auch der entscheidende Kern des Geschehens erfunden sei.

Auch dem Argument der Kammer folgt der Senat nicht, wonach es lebensfremd sei, dass nach der behaupteten Schmerzäußerung die Klägerin sich ohne weiteres wieder auf ein nebensächliches Geplauder mit den Ärzten eingelassen habe. Es handelt sich um einen Umstand, der zu beiden Darstellungen ohne weiteres passt und keinen Rückschluss auf Unwahrheit oder Unzuverlässigkeit in der Darstellung der Klägerin zulässt. Wenn eine Schmerzäußerung erfolgt und wenn der Anästhesist nach (möglicherweise falscher) Einschätzung der Situation die Anästhesie fortsetzt, stellt es eine durchaus plausible Vorgehensweise dar, den Patienten mit einem Gespräch über banale Dinge (hier Urlaubspläne) abzulenken und zu beruhigen. Dass die Klägerin, die nach ihren konstanten Bekundungen sehr rasch die Wirkung der Anästhesie spürte und schmerzfrei war, sich darauf einlassen konnte und wollte, ist für den Senat nicht weiter auffällig.

3.

Dass die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsschäden, nämlich das Conus-medullaris-Syndrom, das sich vor allem durch die Gefühllosigkeit der Harnblase, deren Kontraktionsschwäche und ferner die Mastdarmschwäche durch weitgehend aufgehobenen Analsphinktertonus äußert, unmittelbar auf der fehlerhaft durchgeführten Spinalanästhesie beruhen, ist bereits oben festgestellt worden. Auch dieser Ursachenzusammenhang steht damit zur sicheren Überzeugung des Senats fest (§ 286 ZPO). Fest steht ferner, dass die fehlerhafte Durchführung der Spinalanästhesie zu sehr heftigen Kopfschmerzen, zu Kopfdruck, Nackenschmerzen und zu Nackensteifigkeit über einen gewissen Zeitraum nach der Spinalanästhesie geführt haben, wie sich unmittelbar aus der Dokumentation der Beklagten zu 1) ergibt und als solches nicht streitig ist. Dass es sich hierbei um eine auch als normale Komplikation durchaus bekannte und typische Folge einer Spinalanästhesie handelt, ändert nichts daran, dass es sich hier um eine den Beklagten zuzurechnende Schadensfolge handelt. Ob es zu diesen Folgen auch bei ordnungsgemäßer Vorgehensweise gekommen wäre, ist ungewiss. Die Beweislast hierfür tragen die Beklagten, denn es handelt sich um eine Frage des hypothetischen Kausalverlaufs. Kein Ursachenzusammenhang ist hingegen festzustellen im Hinblick auf die von der Klägerin geltend gemachte Bluthochdruckerkrankung. Hier hat die Sachverständige PD Dr. T einen Zusammenhang mit der Schädigung des Conus medullaris definitiv ausgeschlossen und in der mündlichen Verhandlung einen derartigen Zusammenhang als medizinisch nicht plausibel und in der Literatur nirgends beschrieben bezeichnet.

4.

Die gesundheitlichen Schäden und die daraus resultierenden Beschwerden und Leiden auf Seiten der Klägerin rechtfertigen ein Schmerzensgeld von 40.000.- EUR. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass es sich bei dem Conus-medullaris-Syndrom um einen Dauerschaden von durchaus erheblicher Bedeutung handelt. Es handelt sich um eine Rückenmarkschädigung, die zu einer asensiblen, hypokontraktiven Blase und zu einer Mastdarmentleerungsstörung führt. Im Hinblick auf die Blase hat dies zur Folge, dass die Klägerin keinerlei Gefühl in der Blase spürt, also auch keinen Miktionsdruck. Sie muss die Blase „nach der Uhr“ entleeren, was zu einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung des Tagesablaufs führt ebenso wie zu einer regelmäßigen Unterbrechung des nächtlichen Schlafs durch die Notwendigkeit, den Wecker zu stellen und die Toilette aufzusuchen. Das Entleeren der Blase geschieht weitgehend durch Pressen der Hand mittels eines speziellen Handgriffs auf den Unterbauch. All dies ergibt sich weitgehend übereinstimmend nicht nur aus den Berichten der Klägerin selbst, sondern auch aus den urologischen und neurologischen Gutachten. Die zwischen den Gutachtern eher unterschiedlich gesehene Frage einer Lähmung der Blase ist für die Bemessung des Schmerzensgeldes von geringer Bedeutung, es geht vielmehr um die Frage, wie sich die Rückenmarksverletzung auf das Alltagsleben der Klägerin auswirkt. Hierzu rechnet der Senat im Übrigen auch die durch den Urologen PD Dr. P. beschriebene „gelegentliche“ Überlauftendenz der Blase, vor allem nachts. Das ist deshalb glaubhaft, weil den Ergebnissen von Dr. W nicht nur die Angaben der Klägerin zugrunde liegen, sondern auch eine ausgesprochen ausführliche Untersuchung der Klägerin. Ansonsten allerdings ist nicht von einer Harninkontinenz auszugehen, denn eine solche wird in keinem der Gutachten bestätigt. Insgesamt bewertet die Sachverständige PD Dr. T die Auswirkungen auf die Blase – im Einklang mit den urologischen Sachverständigen, als leicht- bis mittelgradig und misst diesem Aspekt eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20% bei.

Hinsichtlich der Darmentleerungsstörung liegt nach den Erkenntnissen der Sachverständigen PD Dr. T ein fehlender Analreflex und ein verminderter Analsphinktertonus vor. Die für das tägliche Leben resultierenden Folgen für die Klägerin stellen sich dar als spürbare Erschwerung bei der Darmentleerung, die nur mit viel aktivem Pressen möglich ist, als Notwendigkeit, die Ernährung auf die erschwerte Darmentleerung umzustellen und als Gefühllosigkeit im Bereich des Enddarms mit den entsprechenden Unsicherheitsgefühlen. Ungewollter Stuhlabgang ist nach Angaben der Klägerin gegenüber der Sachverständigen zwar selten, insbesondere ein vollständiger Kontrollverlust, in leichtgradiger Form ist er allerdings durch die Untersuchungen der Sachverständigen durchaus festgestellt worden. Insgesamt hat die Sachverständige den Komplex Lähmung und Gefühllosigkeit des Darms ebenfalls als eher leichtgradig eingestuft und sie im Hinblick auf die Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 20% für die eigentliche Mastdarmentleerungsstörung sowie mit zusätzlich 10% Einzel-MdE für die Ausfälle im Analbereich auf der Haut bewertet.

Von den sonstigen, seitens der Klägerin behaupteten Folgen im Zusammenhang mit der Rückenmarkschädigung erachtet der Senat eine besondere Anfälligkeit für Harnwegsinfekte als ohne weiteres plausibel, zumal sie auch eine entsprechende Wertung in den Sachverständigengutachten erfahren. Die von ihr geschilderten psychischen Beeinträchtigungen sind im Kern ebenfalls nachvollziehbar. Mit der Blasen- und Mastdarmlähmung ist ein intimer Bereich betroffen, der für den Patienten regelmäßig in besonderer Weise psychisch belastend sein wird und sich in Schamgefühlen und Rückzugstendenzen aus dem gesellschaftlichen Leben äußert. Die Annahme weitergehender psychischer Folgen, die allenfalls wertend und allgemein vorgebracht werden, ist hingegen nicht gerechtfertigt. Insbesondere ergeben sie sich nicht aus entsprechenden ärztlichen Unterlagen. Einer speziellen psychotherapeutische Behandlung unterzieht die Klägerin sich offensichtlich nicht.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes steht damit die Dauerschädigung eindeutig im Vordergrund. Sie ist mit dem ausgeurteilten Betrag angemessen, aber auch ausreichend abgegolten. Die ebenfalls der Schädigung zuzurechnenden unmittelbaren Folgen durch Kopf- und Nackenschmerzen fallen demgegenüber nicht ins Gewicht. Berücksichtigt ist, dass eine Besserung des Zustandes nicht mehr zu erwarten ist. Allerdings ist auch nicht zu erwarten, dass der Zustand sich spürbar verschlechtert. Sollte dies der Fall sein, wäre dies nicht durch den ausgeurteilten Betrag, wohl aber durch den immateriellen Vorbehalt abgedeckt. Insgesamt ist angesichts der dauerhaften Folgen im Vergleich zu anderen, ähnlich gelagerten Fällen ein Betrag von 40.000.- EUR gerechtfertigt, keineswegs aber ein wesentlich höherer Betrag, wie von der Klägerin begehrt. Die Fälle von Rückenmarksschädigung, die ein Schmerzensgeld im sechsstelligen Bereich rechtfertigen würden, sind ungleich gewichtiger.

Der Feststellungsantrag ist nach dem Gesagten hingegen ohne weiteres und uneingeschränkt begründet.

5.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 BGB. Verzug ist am 31.12.2012 eingetreten. Die Zuvielforderung hinsichtlich des Schmerzensgeldes hindert den Verzugseintritt nicht.

6.

Begründet ist auch der Anspruch auf vorgerichtliche Anwaltskosten. Hinsichtlich der Aktivlegitimation, die ungeachtet des Forderungsübergangs im Wege der Ermächtigung behauptet und üblich ist, hat der Senat keine Zweifel. Die geltend gemachte Höchstgebühr von 2,5 ist hier ausnahmsweise gerechtfertigt, da der Fall überdurchschnittlich komplex ist und die vormaligen Prozessbevollmächtigten eine ganz erhebliche, das normale Maß weit überschreitende Tätigkeit entfaltet haben. Der Streitwert, der der außergerichtlichen Gebühr zugrunde liegt, war auf die tatsächlich berechtigte Forderungshöhe (90.000.- EUR) zu begrenzen.

7.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Für eine Zulassung der Revision (§ 543 ZPO) besteht kein Anlass. Die hier entschiedenen Fragen sind ausnahmslos solche des Einzelfalls.

8.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 150.000.- EUR (wie erste Instanz).

 

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