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Arzt- bzw. Krankenhaushaftung: Voraussetzungen Behandlungs-/Aufklärungsfehler

LG Berlin – Az.: 13 O 5/16 – Urteil vom 20.03.2020

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Klägerin macht gegen die Beklagten einen Anspruch auf Schmerzensgeld wegen einer behauptet fehlerhaften Behandlung im Jahr 1987 geltend.

Die Klägerin erlitt im Jahr 1986 einen Arbeitsunfall in Form eines Verkehrsunfalls, bei dem sie sich eine Tibiakopf-Fraktur links zuzog. Sie wurde anschließend in Hamburg operiert.

In der Folge wendete sich die Klägerin an den Beklagten zu 1 als Spezialist für Knieverletzungen, zunächst um Material entfernen zu lassen. Der Beklagte zu 1, der seinerzeit im Universitätsklinikum Steglitz der Freien Universität Berlin, deren Rechtsnachfolger die Beklagte zu 2 ist, als Leiter der Abteilung für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie tätig war, stellte zudem eine Instabilität fest.

In einem Gespräch mit dem Beklagten zu 1 teilte dieser mit, dass im Bereich der Außenseite des linken Knies ein Knochenteil eingesunken sei. Dies sei zu beheben. Dazu sei es notwendig, einen Knochenteil aus der Hüfte zu entnehmen und im linken Knie operativ einzusetzen. Die Klägerin entschloss sich daraufhin zu einer Operation. Andere Ärzte hatten ihr zu einem Zuwarten geraten.

Am 26.01.1987 wurde die Klägerin stationär im Universitätsklinikum aufgenommen. Am folgenden Tag erfolgte eine Aufklärung. Der Aufklärungsbogen, der von der Klägerin unterschrieben wurde, trug die Überschrift „Materialentfernung links Tibiakopf und überligamentäre Umstellung (autologe Spongiosa)“.

Am 28.01.1987 wurde eine Umstellungsosteotomie durchgeführt. Nach der Operation war die Klägerin entsetzt und weinte, als sie ihr Bein nach der Gipsentfernung sah. Die Klägerin wurde am 10.02.1987 aus der stationären Behandlung entlassen.

Arzt- bzw. Krankenhaushaftung: Voraussetzungen Behandlungs-/Aufklärungsfehler
(Symbolfoto: Von Tridsanu Thopet/Shutterstock.com)

Unter dem 25.02.1987 übersandte der Beklagte zu 1 der Klägerin eine Rechnung, in der unter Diagnose aufgeführt wurde: „Zustand nach Tibiakopffraktur und Osteosynthese links – Instabilität des linken Kniegelenkes“ und zur Therapie: „Materialentfernung, Interligamentäre, laterale Osteotomie mit autologer Spongiosaplastik“.

In der Folge litt die Klägerin zunächst bis zum Jahr 1998 unter keinen Beschwerden.

Am 19.05.2011 erstellte … ein Gutachten, wonach die dann eingetretenen Beschwerden auf die Umstellungsosteomie zurückzuführen seien.

Die Klägerin behauptet, sie sei nicht hinreichend aufgeklärt worden. Sie sei nicht darüber aufgeklärt worden, dass eine Umstellungsosteotomie durchgeführt werde. Sie sei nicht über die Folgen der Operation belehrt worden. Mit … habe sie keinen Kontakt gehabt. Sie habe allein Kontakt mit dem Beklagten zu 1 gehabt.

Der Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 2 sei ein Überwachungsverschulden vorzuwerfen, da sie die Belehrungen nicht überwacht habe.

Nachdem die Klägerin zunächst vorgetragen hatte, der Beklagte zu 1 habe sie operiert, behauptet sie nunmehr er habe dies nicht getan. … habe sie operiert, wie sich aus einem Unterschriftsvergleich zwischen dem Aufklärungsbogen und dem vorläufigen Operationsprotokoll ergebe. Sie habe mit dem Beklagten zu 1 vereinbart, dass dieser sie persönlich operiere.

Ihre ärztliche Behandlung durch die Beklagten am 28.01.1987 sei nicht entsprechend dem anerkannten und gesicherten Stand der ärztlichen Wissenschaft zum Zeitpunkt der Behandlung erfolgt, weil eine Umstellungsosteotomie zur Stabilisierung des linken Knies nicht indiziert gewesen sei, da diese zwingend zur Beschädigung des linken Sprunggelenks habe führen müssen.

Die Behandlung habe bei ihr zu folgenden Beeinträchtigungen geführt: Schmerzen im Kniebereich seit der Operation, Meniskusschaden, geänderte Belastungsstruktur, die zu einer überhöhten Belastung der Wirbelsäule und der Bandscheiben geführt habe und daraus resultierend zu dauerhaften Schmerzen, Arthrose des linken Sprunggelenks, daher mittelfristig Versteifung des Sprunggelenks.

Die Klägerin beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von 15.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten, die Klägerin sei hinreichend aufgeklärt worden. Sie erheben die Einrede der Verjährung. Der Klägerin sei bereits zum Zeitpunkt ihrer Unterschrift auf dem Aufklärungsbogen Bogen bekannt gewesen, dass eine Umstellungsosteomie erfolgen solle. Denn in der Einverständniserklärung sei handschriftlich ausgeführt: „Materialentfernung links Tibiakopf und überligamentäre Umstellung (autologe Spongiosa)“. Es sei nicht entscheidend, ob der Begriff „Umstellungsosteomie“ verwendet worden sei oder nicht. Ihre Kenntnis ergebe sich auch aus dem Gutachten des … aus dem Jahr 2011. Die Beklagten erheben zudem den Einwand der hypothetischen Einwilligung.

Im Hinblick auf den Vortrag, dass die Klägerin mit dem Beklagten zu 1 vereinbart habe, dieser solle sie operieren, möge sie die Wahlleistungsvereinbarung bzw. den Behandlungsvertrag vorlegen. Aus der Rechnungsstellung allein ergebe sich eine solche Vereinbarung nicht.

Die operative Versorgung der Klägerin sei lege artis erfolgt, weil die durchgeführte valgisierende Osteotomie zur Entlastung des Innenmeniskus geführt und damit die Stabilität des Knies wieder hergestellt habe, ansonsten wäre die Implantation einer Knieprothese nicht zu vermeiden gewesen.

Ggf. bestehende Beschwerden seien auf den Unfall im Jahr 1986 zurückzuführen seien.

Die Klägerin habe sich im Jahr 2011 zur Ausräumung der Beschwerden operieren lassen können. Ihr sei daher ein Mitverschulden vorzuhalten.

Auch im Hinblick auf etwaige Behandlungsfehler erheben die Beklagten die Einrede der Verjährung.

Wegen des weitergehenden Vortrags wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Die Kammer hat die Klägerin zur Aufklärung in der mündlichen Verhandlung vom 17.08.2018 angehört. Es wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Die Kammer hat zudem Beweis erhoben über die Behauptung der Klägerin eines behandlungsfehlerhaften Vorgehens der Beklagten durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen …, das er in der mündlichen Verhandlung vom 17.01.2020 erläutert hat. Es wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet. Der Klägerin stehen weder unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des ärztlichen Dienstvertrags (§§ 611, 421 BGB, pVV a. F.) noch unter dem Gesichtspunkt des Delikts (§§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 Satz 1, 421 BGB a. F.) Ansprüche gegen die Beklagten zu.

Auf das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien ist das BGB in seiner bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung anzuwenden, da die streitgegenständliche Behandlung vor diesem Datum stattfand (Art. 229 §§ 5 Satz 1 EGBGB). Ein Anspruch auf Schmerzensgeld bestand nach der seinerzeitigen Rechtslage nur aufgrund der Verwirklichung eines Delikts (§ 847 Abs. 1 Satz 1 BGB in der bis zum 30.06.1990 geltenden, hier anwendbaren Fassung). Es ist daher unerheblich, ob den Beklagten Vertragsverletzungen vorzuwerfen sind, da diese jedenfalls nicht zu dem hier allein geltend gemachten Anspruch auf ein Schmerzensgeld führen können. Andererseits hat die Beklagte zu 2, als Gesamtrechtsnachfolgerin der Freien Universität (§ 1 Abs. 2 Berliner Universitätsmedizingesetz vom 05.12.2005), auch für ein eventuelles Fehlverhalten des Beklagten zu 1 deliktisch einzustehen (§§ 31, 89, 276, 278, 823 Abs. 1 BGB a. F.; BGH VI ZR 234/83, Urteil vom 18.06.1985, zitiert nach juris, dort Rn. 10)

1. Behandlungsfehler

Die für das Vorliegen eines kausal zu einem Schaden führenden Behandlungsfehlers beweispflichtige (Geiß/Greiner Arzthaftpflichtrecht 7. Aufl. 2014 Rdnr. B 200; ebenfalls bereits Geiß Arzthaftpflichtrecht 1. Aufl. 1989, S. 65) Klägerin hat einen solchen nicht beweisen können. Ein solcher liegt in einem Absehen von einer medizinisch gebotenen Vorgehensweise und der darin liegenden Abweichung von dem haftungsrechtlich maßgeblichen Standard eines Facharztes vor (u. a.: BGH VI ZR 270/81, Urteil vom 10.05.1983, zitiert nach juris, dort Rn. 13; Geiß aaO S. 47 f). Der Sachverständige hat eine solche Abweichung vom fachärztlichen Standard zum Behandlungszeitpunkt nicht feststellen können. Die Kammer folgt den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen, denen sich die Kammer in vollem Umfang anschließt. Der Sachverständige kommt zu der Auffassung, dass die Behandlung durch den Beklagten zu 1 lege artis erfolgt ist.

Der Sachverständige ist befähigt, den streitgegenständlichen Sachverhalt zu begutachten. Er ist seit 1986 Orthopäde, somit bereits zum Behandlungszeitpunkt, und war ab 1991 Chefarzt der orthopädischen Abteilung des Bundeswehrkrankenhauses bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2012. Zusätzlich hat er die Bezeichnung „Unfallchirurg“ erworben. Die Operation der streitgegenständlichen Art hat er mehrere 100 Male ausgeführt. Auch die Tatsache, dass er heute nicht mehr beruflich tätig ist, stellt seine Kompetenz nicht infrage, da er noch bis zum letzten Jahr, auch operativ, tätig war. Es ist daher davon auszugehen, dass er weiterhin die erforderliche Sachkenntnis betreffend den streitgegenständlichen Behandlungsvorgang hat.

Der Sachverständige hat überzeugend sowohl schriftlich als auch in seinen mündlichen Ausführungen dargelegt, dass die streitgegenständliche Operation jedenfalls zum Zeitpunkt der hier streitgegenständlichen Behandlung, als standardgemäß anzusehen war. Der Sachverständige hat insoweit plastisch ausgeführt, dass seit Ende der siebziger Jahre vermehrt derartige Operationen unter Zuhilfenahme des seinerzeit entwickelten osteosynthetischen Materials durchgeführt worden sind. Er hat insoweit dargelegt, dass seinerzeit die Auffassung herrschend war, dass auch bei einer varisierenden Variante der Operation über die Nulllinie herausgegangen werden konnte. Nach dem seinerzeitigen Kenntnisstand war man der Auffassung, dass der Effekt umso positiver sein würde, je mehr man über die Null-Linie hinausgeht. Diese Auffassung hat sich zwar im Laufe der Zeit relativiert. Zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Operation bestanden daran jedoch noch keine Zweifel. Der Sachverständige hat insoweit ausgeführt, dass erst um die Jahrtausendwende herum entsprechende, kritische Literatur veröffentlicht wurde.

Soweit die Klägerin heute unter negativen Auswirkungen leidet, kann dies zwar, nach Aussagen des Sachverständigen, jedenfalls auch auf die streitgegenständliche Operation zurückzuführen sein und ist nicht nur Ausdruck der Ausgangsverletzung aus dem Jahre 1986. Gleichwohl lässt sich daraus nicht ein Verstoß gegen den seinerzeit geltenden Standard ableiten.

Der Sachverständige hält die Operation auch für indiziert, und zwar unabhängig davon, ob, wie in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt, bei der Klägerin eine pathologische X-Beinstellung oder nur eine normale, physiologische X-Beinstellung vorlag. Zweck der streitgegenständlichen Operation war es, den geschädigten Anteil des Gelenks zu entlasten. Dafür war die Beinstellung nicht entscheidend.

Weiterhin weist der Sachverständige darauf hin, dass nach der Ausgangsverletzung aus dem Jahr 1986 die große Gefahr bestand, dass, auch innerhalb kürzester Frist, eine Arthrose des Kniegelenks eintreten könnte. Der Sachverständige erklärt insoweit, dass dies die gefährlichste Entwicklung im Zusammenhang mit der Ausgangsverletzung darstellt. Naturgemäß kann er nicht feststellen, ob eine solche bei der Klägerin eingetreten wäre. Aus der maßgeblichen Ex-Ante-Sicht war daher eine Operation zur Vermeidung eines solchen Zustandes indiziert. Zudem ist der Sachverständige der Auffassung, dass ein gutes Operationsergebnis erzielt wurde, da die Klägerin über 20 Jahre im wesentlichen ohne Einschränkungen war, was bei einem unoperierten Zustand eher nicht anzunehmen gewesen wäre.

Der Sachverständige kann auch nicht feststellen, dass die Operation seinerzeit fehlerhaft durchgeführt worden ist. Allerdings liegt kein Operationsbericht mehr vor. Die Beklagte zu 2 hat insoweit ausgeführt, dass die entsprechenden Unterlagen vernichtet worden sind. Dies führt vorliegend jedenfalls nicht zu Beweiserleichterungen (zum heutigen Rechtsstand: Palandt/Weidenkaff BGB 79. Aufl. 2020 § 630f Rn. 5), da die streitgegenständliche Operation ca. 30 Jahre zurückliegt und die Aufbewahrungsfristen für die Unterlagen abgelaufen sind (vgl. § 630 f Abs. 3 BGB; § 10 Abs. 3 Musterberufsordnung Bundesärztekammer).

2. Rechtmäßigkeit der Operation

a) Aufklärung

Eine Pflichtverletzung seitens der Beklagten kann nicht festgestellt werden.

Ein von einem Arzt entsprechend den anerkannten Regeln der Heilkunst durchgeführter Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten erfüllt den Tatbestand der Körperverletzung und ist nur dann rechtmäßig, wenn er von einer wirksamen Einwilligung des Patienten gedeckt ist. Diese Einwilligung ist nur dann wirksam, wenn der Patient weiß, worin er einwilligt und er in der Lage ist, durch hinreichende Abwägung der für und gegen den Eingriff sprechenden Gründe seine Entscheidungsfreiheit und damit sein Selbstbestimmungsrecht in angemessener Weise zu wahren. Die ärztliche Aufklärung soll dem Patienten ermöglichen, Art, Bedeutung, Ablauf und mögliche Folgen des Eingriffs zu verstehen. Er soll zu einer informierten Risikoabwägung in der Lage sein. Dem Patienten muss ein zutreffender allgemeiner Eindruck von der Schwere des Eingriffs und der Art der Belastungen vermittelt werden und daher „im Großen und Ganzen“ über Chancen und Risiken der Behandlung aufgeklärt werden. Nicht erforderlich ist die exakte medizinische Beschreibung der in Betracht kommenden Risiken. Dabei ist auch über sehr seltene Risiken aufzuklären, die im Falle ihrer Verwirklichung die Lebensführung schwer belasten und trotz ihrer Seltenheit für den Eingriff spezifisch, für den Laien aber überraschend sind (BGH VI ZR 37/79, Urteil vom 22.04.1980, zitiert nach juris, dort Rdnr. 20). Gibt es mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden, die wesentlich unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen aufweisen, besteht mithin eine echte Wahlmöglichkeit für den Patienten, dann muss diesem nach entsprechend vollständiger ärztlicher Aufklärung die Entscheidung überlassen bleiben, auf welchem Wege die Behandlung erfolgen soll und auf welches Risiko er sich einlassen will (BGH NJW 2005, 1718, zitiert nach juris, dort Rdnr. 10).

Aufklärungsfehler sind nicht feststellbar.

Dies gilt zunächst für den Vortrag der Klägerin, sie sei nicht über die durchgeführte Umstellungsosteotomie aufgeklärt worden. Die Kammer ist davon überzeugt (§ 286 Abs.1 ZPO), dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Operation wusste, in welcher Form der Beklagte zu 1 vorgehen wollte. Es war ihr bekannt, dass ein Stück Knochen in den Tibiakopf eingesetzt werden sollte. Dies reicht im Hinblick auf die Aufklärung über das Behandlungsvorgehen aus. Dass ihr gegebenenfalls das Wort „Umstellungsosteotomie“ nicht bekannt war, ist insoweit ohne Belang. Denn es kommt auf die Kenntnis des Patienten von der Art und Weise der Behandlung, nicht auf spezifische ärztliche Ausdrucksweisen an. Die Kammer hat zudem Zweifel daran, dass das Wort „Osteotomie“ gegenüber der Klägerin nicht verwendet worden ist. Denn die Klägerin hat bei ihrer Anhörung am 17.08.2018, auf den Hinweis der Kammer auf die Rechnung des Beklagten zu 1 vom 25.02.1987, in dem das Wort „Osteotomie“ zu ausdrücklich vermerkt ist, ausgeführt, dass es sie nicht interessiert habe, was das bedeutete. Es ist daher nicht nachvollziehbar, warum sie sich heute daran erinnern können will, dass ihr gegenüber der Begriff nicht erwähnt worden ist, und warum dieser Ausdruck nunmehr für die Klägerin von derartiger Bedeutung ist.

Unterstellt, dass die Klägerin vor der Operation keine Kenntnis von dessen Inhalt hatte, so erlangte die Klägerin jedoch umgehend nach der Operation Kenntnis davon. Sie selbst trägt vor, dass sie nach der Umstellungsosteotomie entsetzt vom Aussehen ihres Beines gewesen sei (Klageschrift gegen die Beklagte zu 2, Seite 3). Somit hat die Klägerin selbst deutlich gemacht, dass sie zu diesem Zeitpunkt bereits wusste, worum es bei der Operation ging. Wenn die Klägerin daher präoperativ nicht ordnungsgemäß aufgeklärt gewesen wäre, so hatte sie davon jedoch unmittelbar postoperativ Kenntnis. Ein solcher Aufklärungsfehler wäre jedenfalls verjährt (§ 852 Abs. 1 BGB alter Fassung). Gemäß Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 EGBGB finden die Verjährungsvorschriften des BGB in seiner Fassung ab dem 01.01.2002 nur Anwendung auf Ansprüche, die zu diesem Zeitpunkt nicht verjährt waren. Zum Zeitpunkt der Operation galt insoweit § 852 BGB alter Fassung, der ebenfalls auf die Kenntnis des Schadens und der Person des Ersatzpflichtigen abstellt und insoweit eine Verjährungsfrist von 3 Jahren etabliert. Da die Klägerin somit hinreichende Kenntnis im Januar 1987 hatte, ist die Verjährung im Januar 1990 abgelaufen.

Andere Aufklärungsfehler sind ebenfalls nicht feststellbar.

Soweit die Klägerin darauf verweist, dass sie über die Folgen der Operation nicht aufgeklärt worden sei, führt dies vorliegend ebenfalls nicht zu einer Haftung der Beklagten. Wie bereits oben im Zusammenhang mit der Frage des Behandlungsfehlers ausgeführt worden ist, war zum Zeitpunkt der Operation nicht bekannt, dass sich negative Entwicklungen, so wie sie sich ggf. bei der Klägerin verwirklicht haben, einstellen könnten. Vielmehr bestand die Auffassung, dass die streitgegenständliche Operation nur positive Effekte haben würde. Die Klägerin konnte daher über negative Folgen nicht aufgeklärt werden.

Im Hinblick auf Behandlungsalternativen zur streitgegenständlichen Operation war die Klägerin aufgeklärt. Wie der Sachverständige ausführte, war die einzige Alternative zur Operation das Abwarten. Wie die Klägerin bei ihrer Anhörung am 17.08.2018 ausführte, haben ihr verschiedene Ärzte zum Abwarten geraten. Dementsprechend hatte sie Kenntnis über die Behandlungsalternative. Der Beklagte zu 1 brauchte sie daher nicht noch einmal darüber aufzuklären, so er dies mit ihr nicht erörtert hat.

Darüber hinaus würde gegebenenfalls auch der Einwand der hypothetischen Einwilligung Platz greifen. Die Kammer geht nach der Anhörung der Klägerin davon aus, dass sie, bei unterstellt unkorrekter Aufklärung, sich auch bei korrekter Aufklärung für die Operation entschieden hätte. Denn sie vertraute offensichtlich dem Beklagten zu 1. Dies ergibt sich schon eindeutig daraus, dass sie den Ratschlägen verschiedener anderer Ärzte, sich seinerzeit nicht operieren zu lassen, nicht nachgekommen ist. Es ist auch nicht erkennbar, warum sie sich nicht hätte operieren lassen sollen, da seinerzeit von einem jedenfalls positiven Effekt der Operation ausgegangen worden ist. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 17.01.2020 ausgeführt hat, sie hätte sich bei gehöriger Aufklärung nicht für eine OP, insbesondere nicht mit den Beklagten zu 1, entschieden, überzeugt dies nicht. Dies stellt sich aus Sicht der Kammer als eine Ex-Post-Betrachtung dar, zumal schon nicht klar ist, wieso sie sich der seinerzeit drohenden Arthrose hätte aussetzen wollen, wenn aus seinerzeitiger Sicht die Operation nur positive Effekte hatte.

Im Zusammenhang mit der Aufklärung ist auch keine Pflichtverletzung der Beklagten zu 2 erkennbar. Soweit die Klägerin insoweit vorträgt, es läge ein Organisationsverschulden wegen falscher Belehrungen vor, so ist der Vortrag schon nicht konkret genug. Andererseits ist schon nicht feststellbar, dass überhaupt Aufklärungsfehler vorlagen, sodass auch ein Organisationsverschulden nicht feststellbar ist.

b) Person des Operateurs

Soweit im Verlaufe des Rechtsstreits streitig wurde, ob der Beklagte zu 1 die streitgegenständliche Operation durchgeführt hat, so führt dies nicht zu einer Haftung der Beklagten. Denn der dahingehende, geänderte Vortrag der Klägerin ist prozessual nicht mehr zu berücksichtigen. Gemäß § 288 Abs. 1 ZPO liegt ein gerichtliches Geständnis vor, da die Klägerin bis zur ersten mündlichen Verhandlung am 17.08.2018 selbst vorgetragen hat, der Beklagte zu 1 habe sie operiert. An dieses Geständnis im prozessualen Sinn ist sie gebunden. Ein Widerruf des Geständnisses gemäß § 290 ZPO liegt nicht vor. Die Klägerin hat schon nicht dargelegt, dass ihr ursprünglicher Vortrag durch einen Irrtum veranlasst war.

3.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 S. 1, 2 ZPO.

Die nicht nachgelassenen Schriftsätze der Klägerin selbst vom 10.02. und 03.03.2020 sowie des Klägervertreters vom 03.03.2020 sind nicht zu berücksichtigen (§ 296a Satz 1 ZPO). Sie bieten insbesondere auch keinen Anlass, die mündliche Verhandlung erneut zu eröffnen (§ 156 ZPO). Dies gilt insbesondere für die nunmehr eingereichten Behandlungsunterlagen. Mit dem Beweisbeschluss vom 31.08.2018 war die Klägerin aufgefordert worden, sämtliche ihr vorliegenden Behandlungsunterlagen zu den Gerichtsakten zu reichen. Dem ist sie nicht nachgekommen. Dies kann sie nunmehr auch nicht mehr mit einem nicht nachgelassenen Schriftsatz nachholen.

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