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Arzt- und Krankenhaushaftung – Therapiefehler bei Sterilisationsbehandlung

OLG Karlsruhe –  Az.: 7 U 14/13 – Urteil vom 27.11.2013

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 20.12.2012 – Az. 3 O 192/11 – wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsrechtszugs.

III. Das Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Zwangsvollstreckung kann durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Arzt- und Krankenhaushaftung - Therapiefehler bei Sterilisationsbehandlung
Symbolfoto: Von Spotmatik Ltd/Shutterstock.comnde

I.

Die Klägerin macht Ansprüche auf Schadensersatz und Feststellung der Ersatzpflicht hinsichtlich zukünftiger Schäden aus eigenem und abgetretenem Recht ihres Ehemannes im Zusammenhang mit ihrer Sterilisation geltend. Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen des Sach- und Streitstands im ersten Rechtszug sowie der getroffenen Feststellungen Bezug genommen wird, hat die Klage abgewiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihre Ansprüche – begründet allerdings nur noch mit operativen Behandlungsfehlern – in vollem Umfang weiter verfolgt. Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands im zweiten Rechtszug wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, wegen der Antragstellung auf die Sitzungsniederschrift vom 14.11.2013 (II 99). Der Senat hat gemäß Beschluss vom 10.04.2013 (II 51/53) Beweis erhoben durch Einholung einer ergänzenden schriftlichen Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. M. E. sowie durch Anhörung des Sachverständigen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das ergänzende Gutachten vom 25.05.2013 (II 59 -65) sowie die Sitzungsniederschrift vom 14.11.2013 (II 97-103) verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.

Der Klägerin stehen die im Berufungsrechtszug ausschließlich noch wegen operativer Behandlungsfehler – den Vorwurf einer unzureichenden therapeutischen Aufklärung verfolgt sie im Berufungsrechtszug nicht weiter – geltend gemachten Ansprüche weder aus Vertrag gem. §§ 280, 611,253,249 BGB zu noch unter dem Gesichtspunkt der unerlaubten Handlung gem. §§ 823Abs. 1, 253,249 BGB.

Allerdings tragen die Ausführungen des Landgerichts zur Frage des Unterbleibens einer Koagulation und Ligatur (vgl. Urteil des Landgerichts S. 9) die Klageabweisung nicht. Denn angesichts der mangelhaften Dokumentation genügte es nicht, dass die Kammer es lediglich für unwahrscheinlich hielt, dass diese unterlassen wurden; vielmehr musste sie sich unter der Prämisse einer insoweit mangelhaften Dokumentation von deren Durchführung überzeugen, § 286 ZPO. Den Beklagten gelingt jedoch in der Berufung der Nachweis, dass bei der Klägerin im Zusammenhang mit der Operation am 07.12.2007 in dem von der Beklagten zu 1 betriebenen Klinikum auch eine Sterilisationsbehandlung durch Tubenresektion einschließlich Ligatur und Koagulation vorgenommen wurde.

1. Die geltend gemachten Positionen sind grundsätzlich ersatzfähig. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH sind die mit der Geburt eines nicht gewollten Kindes für die Eltern verbundenen wirtschaftlichen Belastungen, insbesondere die Aufwendungen für dessen Unterhalt, als ersatzpflichtiger Schaden auszugleichen, wenn der Schutz vor solchen Belastungen Gegenstand des Behandlungs- oder Beratungsvertrages war. Diese – am Vertragszweck ausgerichtete – Haftung des Arztes hat der BGH insbesondere auch bejaht für Fälle fehlgeschlagener Sterilisation aus Gründen der Familienplanung (vgl. BGH, NJW 2008, 533 ff., juris Tz. 12 m.w.N.). Der BGH hat ferner ausgesprochen, dass die Herbeiführung einer ungewollten Schwangerschaft selbst dann, wenn diese ohne pathologische Begleiterscheinungen verläuft, einen Schmerzensgeldanspruch der Frau auslösen kann (a.a.O., juris Tz. 13 m.w.N.).

Hier war die Familienplanung der Klägerin unstreitig abgeschlossen und der Schutz vor den oben genannten Belastungen war ersichtlich Gegenstand des Behandlungsvertrages.

2. Die Beklagten haben nicht jegliche Sterilisationsbehandlung unterlassen. Vielmehr ist der Senat, wie schon das Landgericht, auch unter Berücksichtigung der Dokumentationsmängel, davon überzeugt, dass bei der Klägerin am 07.12.2007 aus den bereits vom Landgericht dargelegten Gründen eine Tubensterilisation durch eine Resektion von Tubenteilstücken durchgeführt wurde.

a) Die unterbliebene, unvollständige oder nur lückenhafte Dokumentation bildet grundsätzlich keine eigenständige Anspruchsgrundlage und führt auch nicht unmittelbar zu einer Beweislastumkehr hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs zwischen einem Behandlungsfehler und dem eingetretenen Primärschaden. Jedoch kann aus der Tatsache einer fehlenden, mangelhaften oder unvollständigen Dokumentation einer aus medizinischen Gründen aufzuzeichnenden Maßnahme bis zum Beweis des Gegenteils durch die Behandlungsseite darauf zu schließen sein, dass diese Maßnahme unterblieben ist bzw. vom Arzt nicht getroffen wurde (Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 3. Aufl., D 394 f. m.w.N.). In Anwendung dieser Grundsätze kann mit indizieller Bedeutung aus einem Dokumentationsmangel eine Beweiserleichterung für den Patienten dahingehend hergeleitet werden, es bestehe die Vermutung, dass die nichtdokumentierte Maßnahme vom Arzt auch nicht getroffen worden sei (BGH, NJW 1999, 863 f., juris Tz. 14; VersR 1995 f., juris Tz. 13). Der Arzt kann die Vermutung des Unterbleibens der nicht dokumentierten Maßnahme durch die Zeugenaussage der an der Behandlung beteiligten Ärzte und Pfleger oder sonstige Umstände jedoch widerlegen (Senat, OLGR Karlsruhe 2006, 339 ff., juris Tz. 12; Martis/Winkhart, a.a.O., D 396 m.w.N.).

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen müssen die Beklagten allerdings die Vermutung des Unterbleibens einer Sterilisation widerlegen. Denn die medizinisch gebotene Dokumentation hinsichtlich der Sterilisation ist unterblieben. Der Sachverständige hat überzeugend ausgeführt, was von den Beklagten auch eingeräumt wird, dass die Dokumentation über die Sterilisation mangelhaft ist, weil eine durchgeführte Sterilisationsbehandlung im Operationsbericht nicht einmal erwähnt wird.

c) Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht, dem Sachverständigen folgend, im Hinblick auf den bei den Behandlungsunterlagen befindlichen Einsendeschein vom 07.12.2007 an das Institut für Pathologie, Lahr, betreffend zwei Tubenteilstücke (AH II, 107), den korrespondierenden Befund der Pathologie vom 10./12.12.2007 (AH II, 105) sowie den Arztbrief vom 12.12.2007 (AH II, 3/5) jedoch die Überzeugung gewonnen, dass bei der Klägerin am 07.12.2007 eine Resektion von zwei Tubenteilstücken vorgenommen wurde. Dies zweifelt letztendlich auch die Berufung nicht mehr an, vgl. die Berufungsbegründung vom 12.03.2013, S. 3-5 (II 29-33). Die aufgrund auch den Senat überzeugender sachverständiger Beratung getroffene Feststellung des Landgerichts, dass die Länge des resezierten Tubenteilstückes hinreichend war, greift die Berufung zu Recht nicht mehr an.

2. Das Landgericht hält es für unwahrscheinlich (Urteil S. 8/9), dass eine Koagulation und eine Ligatur unterblieben ist. Es stützt dies tragend auf die Angaben des Beklagten zu 3 (im ersten Rechtszug zu 4). Ausgehend von einem Dokumentationsmangel ist dies nach dem oben Gesagten unzureichend. Den Beklagten gelingt jedoch zur Überzeugung des Senats (§ 286 ZPO) der Beweis, dass im Zuge der Sterilisationsbehandlung auch eine ordnungsgemäße Ligatur und Koagulation vorgenommen wurde.

a) Ein Unterbleiben der Koagulation bzw. der Ligatur verstieß allerdings gegen den ärztlichen Standard eines Krankenhauses im Jahre 2007, wie es von der Beklagten zu 1 betrieben wird.

Der Beklagte zu 3 geht bei seiner Anhörung vor dem Landgericht (Sitzungsniederschrift vom 29.11.2012, S. 2, I 239) selbst davon aus, dass zu einer vollständigen Sterilisierung die Ligatur und das elektrische Koagulieren gehört. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen in seinem Ergänzungsgutachten vom 18.04.2013, S. 2 (II 61) wird bei Anwendung der zur Resektion von Tubenteilstücken beschriebenen Technik im Rahmen des Abtrennens eines Eileiterteilstückes vorher die Unterbindung (Ligatur) durchgeführt. Allein der thermische Verschluss wäre nicht ausreichend , eine unzureichende Koagulation begründet die Gefahr, dass sich unter dem koagulierten Bereich liegende(s) Blutgefäße/Gewebe wieder öffnen (Sitzungsniederschrift vom 14.11.2003, S. 3, II 101).

b) Der Senat geht unter Berücksichtigung der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen bei seiner Anhörung (Sitzungsniederschrift vom 14.11.2013, S. 3, II 101) davon aus, dass den Beklagten der Nachweis obliegt, dass eine Ligatur und Koagulation vorgenommen wurde, weil hier weder die Durchführung einer Sterilisation noch die angewandte Methode dokumentiert ist.

c) Die Beklagten erbringen jedoch den ihnen obliegenden Beweis, dass bei der Operation am 07.12.2007 der Beklagte zu 2 als Assistent und der Beklagten zu 3 als Operateur auch eine Ligatur und Koagulation vorgenommen haben.

Der Beklagte zu 2 hat bei seiner Anhörung vor dem Senat überzeugend dargelegt, wie er bei derartigen Sterilisationen vorgegangen ist. Danach wird vor der Entfernung des Teilstückes des Eileiters die Ligatur vorgenommen und nach der Entfernung werden die durch die Ligatur unterbundenen Stümpfe mit elektrischem Strom versiegelt. Dies steht der Sache nach in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Beklagten zu 3 vor dem Landgericht (dort noch Beklagte zu 4, Sitzungsniederschrift vom 29.11.2012, S. 2, I 239). Der Beklagte zu 2 hat bei seiner Anhörung vor dem Senat ferner überzeugend auf Frage hinsichtlich des Operationsberichtes vom 07.12.2007 ausgeführt (II 99), er habe diesen nicht eigenhändig unterschrieben, dieser sei ihm nicht vorgelegt worden. Er hätte sonst gemerkt, dass die Sterilisation nicht erwähnt wurde. Ausweislich des OP-Berichtes (vgl. AH II, 111, i. V. m. dem Schriftsatz der Beklagten vom 14.10.2011, I 123/125) trifft es zu, dass dieser für den Beklagten zu 2 „i.V.“ unterzeichnet wurde. Für die Darlegungen des Beklagten zu 2 spricht ferner die von ihm beispielhaft durch Vorlage von zwei Operationsberichten (II 105/107) belegte Operations- und Dokumentationspraxis. Der Beklagte zu 2 hat auf den Senat auch einen gewissenhaften Eindruck gemacht. So hat er die Ereignisse zum Anlass genommen, sich bei der Herstellerfirma zu erkundigen, ob der zur Ligatur eingesetzte Faden Stoffe beinhaltet, aufgrund derer man ihn in einem Röntgenbild erkennen könnte. Auch der Umstand, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen bei seiner Anhörung (II 101) ohne Vornahme der Ligatur es bei der Herausnahme des Teilstückes aus dem Eileiter sofort zu einer arteriellen Blutung gekommen wäre, die in jedem Fall mit größter Wahrscheinlichkeit aufgefallen wäre und ein aufwändiges Einschreiten zu ihrer Unterbindung erfordert hätte, spricht dafür, dass hier vor der Resektion des Teilstückes eine Ligatur erfolgt ist. Denn Anhaltspunkte für eine derartige Komplikation sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Unter diesen Umständen ist der Senat überzeugt, dass auch bei der streitigen Operation entsprechend der vom Beklagten zu 2 geschilderten ständigen Praxis verfahren wurde.

Eine weitere – gegenbeweisliche – sachverständige Begutachtung hinsichtlich der Behauptung der Beklagten, eine Ligatur sei vorgenommen worden, ist nicht veranlasst. Der zur Ligatur eingesetzte Merselinefaden ist nach dem unstreitigen Vorbringen des Beklagten zu 2 bei seiner Anhörung vor dem Senat (II 99/101) zwar nicht resorbierbar, auf einem Röntgenbild aber nicht darstellbar. Der Sachverständige hat dies hinsichtlich der Sichtbarkeit in bildgebenden Verfahren überzeugend bestätigt (II 101). Danach käme eine weitere Überprüfung lediglich durch einen operativen Eingriff in Betracht , der jedoch – unabhängig von der Frage seiner Wirksamkeit ohne medizinische Indikation – jedenfalls das auch im Anschluss an den Senatstermin nicht erklärte Einverständnis der Klägerin voraussetzen würde.

3. Die hier angewandte Sterilisationsmethode ist nicht zu beanstanden. Die Berufung zieht dies auch nicht mehr substantiiert in Zweifel. Das Vorgehen war nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen bei seiner Anhörung vor dem Senat korrekt und sehr sicher (II 101). Die Resektion von Tubenteilstücken mit Ligatur der Eileiter und Koagulation ist eine für sich allein stehende, ausreichend sichere, fachlich anerkannte Sterilisierungsmaßnahme (Gutachten vom 25.03.2012, S. 8/9, SH; Ergänzungsgutachten vom 25.05.2013, S. 3, II 63). Aus dem Umstand, dass es dennoch bei der Klägerin zu einer weiteren Schwangerschaft gekommen ist, kann nicht auf eine sorgfaltswidrige Ausführung der Sterilisation geschlossen werden. Der Sachverständige hat dargelegt (II 99/101), dass es, wenn auch im Promillebereich, schicksalhafte Fälle gibt, in denen auch bei ordnungsgemäßer Sterilisation nach der hier angewandten Methode schicksalhaft eine Schwangerschaft, auch eine Gebärmutterschwangerschaft, eintritt (vgl. auch Ergänzungsgutachten vom 25.05.2013, S. 2, II 61).

4. Der angeblich vereinbarte, aber unstreitig unterbliebene Einsatz sog. Plastikringe vermag der Berufung nicht zum Erfolg zu verhelfen. Der Sachverständige hat überzeugend in seinem Ergänzungsgutachten vom 25.05.2013, S. 3 (II 63) überzeugend ausgeführt, dass nicht zu erwarten sei, dass das nicht als Facharztstandard etablierte zusätzliche Anbringen von Fallopringen/Clips bei ordnungsgemäß durchgeführter Resektion von Tubenteilstücken und Ligatur noch einmal das Versagerrisiko relevant gesenkt hätte.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708Nr. 10, 711 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

 

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