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Arzthaftung – Anforderungen an den Nachweis einer vollständigen Aufklärung

Oberlandesgericht Naumburg – Az.: 1 U 72/11 – Urteil vom 15.03.2012

Die Berufung der Klägerin gegen das am 29.6.2011 verkündete Urteil des Landgerichts Magdeburg (9 O 2386/08) wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 15.000,– Euro abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 250.000,– Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Arzthaftung - Anforderungen an den Nachweis einer vollständigen Aufklärung
Symbolfoto: Von New Africa/Shutterstock.com

Die Klägerin leidet an einem athetotischen Syndrom sowie an einer Kyphoskoliose. Wegen einer schweren zervikalen Myelopathie wurde die Klägerin im Jahre 1997 in der A. Klinik in S. von vorn an den Halswirbelkörpern 3 und 4 operiert. Die Operation (die auch vom Beklagten durchgeführt wurde) war insoweit erfolgreich, dass sich die Klägerin in ihrer Wohnung ohne Rollstuhl fortbewegen konnte. Etwa ab dem Jahr 2003 trat erneut eine Verschlechterung ein. Im Februar 2005 wurden die Beschwerden der Klägerin konservativ in einer Klinik für Orthopädie behandelt, ohne dass sich ein Erfolg einstellte. Die Klägerin wandte sich an den Beklagten, der als Neurochirurg in einer Belegabteilung des Klinikums Q. tätig war. In der Zeit vom 5.-10.7.2005 wurde die Klägerin zur Untersuchung in das Klinikum Q. aufgenommen. Es wurde eine progrediente Halsmarkerkrankung (aktive Myelopathie) im Bereich zwischen den HW 6 und HW 7 festgestellt. Der Beklagte schlug eine Entlastungsoperation von hinten vor. Unstreitig hat es in der Zeit der stationären Aufnahme im Juli 2005 mehrere Gespräche zwischen den Parteien gegeben, deren Inhalt streitig ist (dazu i.E.: Anhörung der Parteien durch das Landgericht gemäß Protokoll vom 8.6.2011 und Anhörung durch den Senat gemäß Protokoll vom 1.3.2012). Am 3.10.2005 wurde die Klägerin stationär aufgenommen mit der Blickrichtung der Durchführung der angedachten Entlastungsoperation. Die Operation war geplant für den 6.10.2005. Nach dem Vortrag der Klägerin wurde ihr rund 1 Stunde vor dem geplanten Eingriff ein Aufklärungsformular zur Unterschrift vorgelegt (anders bei ihrer Anhörung durch den Senat). Sie habe dieses Formular unterschrieben, als sie sich bereits im sedierten Zustand befunden habe. Mit dem Beklagten habe nur noch ein kurzes Gespräch stattgefunden, was dieser im Grundsatz bestätigt. Die Operation wurde dann – aus nicht bekannten Gründen – auf den 7.10.2005 verlegt und sodann wie geplant durchgeführt. In dem Operationsbericht (den der Sachverständige für sehr kurz hält [Bl. 17 I]) wird aufgeführt, dass eine mikrochirurgische Entfernung der Wirbelbögen der HWK 6, HWK 7 und des BWK 1 erfolgt sei. Der Nervenwurzelzylinder habe sich gut entfaltet. Die Klägerin verblieb bis zum 15.12.2005 in stationärer Behandlung. Zu der letzten MRT-Kontrolluntersuchung heißt es, dass eine hinreichende Weite des Wirbelkanals der HWS habe nachgewiesen werden können. Es habe sich ein intramedulläres Signal im Sinne eines Ödems ergeben. Es wird eine Verschlechterung des Zustandes, insbesondere Gefühlsstörungen beschrieben. Die Klägerin war auf einen Blasenkatheter angewiesen und hatte wiederholte Harnwegsinfekte. Die Klägerin sei mit Hilfe kurz stehfähig gewesen. Im August 2006 wurde bei der Klägerin im Klinikum K. eine Aufrichtungs- und Versteifungsoperation von HWK 3 bis BWK 2 durchgeführt und im Oktober 2006 eine Wirbelkörperersatzoperation des HWK 5 und HWK 6 mit Entfernung der vormals eingebrachten Metallplatte (gemeint bei der OP 1997), sowie ein Wirbelkörperersatz zwischen dem HWK 4 und HWK 7 und zusätzlich eine Versteifungsoperation zwischen dem HWK 4 und HWK 7. Er folgte eine stationäre Behandlung im Klinikum B. im August 2007 und in der A. Klinik S. (Juni – August 2008). Auf einem MRT vom 17.8.2009 lässt sich eine erneute Verengung des Wirbelkanals der HWS zwischen dem HW 3 und HW 4, eine Ausdünnung des Halsrückenmarks erkennen mit dem Nachweis sog. Signalveränderungen in der Rückenmarksubstanz.

Die Klägerin rügt, dass die Operation nicht lege artis durchgeführt worden sei. So sei es fehlerhaft gewesen, keine Stützpfeiler zur Stabilisierung einzusetzen. Sie sei vom Beklagten nicht ausreichend über die Risiken der Operation aufgeklärt worden. Wäre sie hinreichend über die Risiken aufgeklärt worden, hätte sie sich gegen den Eingriff entschieden. Sie habe unmittelbar nach der Operation feststellen müssen, dass sie ihre Beine nicht mehr habe bewegen können. Die Klägerin trägt vor, dass folgende Beschwerden eingetreten wären:

– trotz mehrfacher Nachoperationen leide sie unter verschiedenen Missempfindungen und Schmerzen

– es bestehe ein Gefühl des Abgeschnürtseins um den Körper herum

– ein Brennen und Stacheln an Brust- und Lendenwirbelsäule

– kalte Beine

– starkes Taubheitsgefühl beim Sitzen im Gesäß- und Genitalbereich

– ein Gefühl der Verkürzung der Brustwirbelsäule

– Druckschmerzen an der Lendenwirbelsäule

– Blasenkrämpfe sowie Darmentleerungsstörungen

Die Klägerin rügt weiter eine unzureichende Dokumentation der Operation selbst sowie des postoperativen Verlaufs.

Der Beklagte ist dem Klagevorbringen entgegengetreten. Er hat insbesondere vorgetragen, dass er die Klägerin – wie er dies in anderen Fällen in gleicher Weise tue – in vollem Umfang über die Risiken der Operation aufgeklärt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vortrages der Parteien und der in erster Instanz gestellten Anträge wird Bezug genommen auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil.

Das Landgericht hat ein schriftliches Sachverständigengutachten von Dr. B. eingeholt, das dieser mit Datum vom 23.8.2010 erstellt und mit Datum vom 10.3.2011 schriftlich ergänzt hat. Das Landgericht hat die Parteien persönlich angehört.

Das Landgericht hat die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Es handele sich letztlich um eine schicksalhafte Entwicklung bei der Klägerin. Die Operation sei indiziert gewesen und lege artis durchgeführt worden. Eine Stabilisierung der Wirbelkörper mit Stahlstiften sei nicht zwingend erforderlich gewesen. Hinsichtlich des Inhalts und des Umfangs der Aufklärung hat sich das Landgericht den Ausführungen des Beklagten bei seiner mündlichen Anhörung angeschlossen. Es seien nach den Ausführungen des Sachverständigen zwar auch andere Operationsmethoden in Betracht gekommen, insoweit sei aber auf den Grundsatz der Therapiefreiheit abzustellen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Sie bezweifelt, dass überhaupt eine Indikation für den Eingriff bestanden habe, jedenfalls sei aber davon auszugehen, dass weniger risikoreiche Möglichkeiten bestanden hätten. Der Zugang dorsal zum Operationsbereich sei ebenso zu rügen, wie die unterlassene Verwendung von Stahlstiften. Sie rügt eine unzureichende Dokumentation von Operation und postoperativem Verlauf. An dieser Stelle rügt die Klägerin weiter, dass der Sachverständige an einigen Stellen die fehlende Dokumentation mit Vermutungen geschlossen habe. Sie hält die Aufklärung durch den Beklagten für unzureichend. Es sei nicht auf das Risiko einer Querschnittlähmung hingewiesen worden. Die Gespräche im Juli 2005 seien nur jeweils sehr kurz gewesen. Am 6.10.2005 sei sie bereits sediert gewesen, als sie den Aufklärungsbogen unterschrieben habe.

Wegen der von der Klägerin in der Berufungsinstanz gestellten Anträge wird Bezug genommen auf Seite 1 der Berufungsbegründung vom 1.11.2011.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt und vertieft seinen Vortrag aus erster Instanz.

Der Senat hat den Sachverständigen mündlich ergänzend angehört und die Parteien persönlich zum Inhalt der Aufklärung befragt.

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere nach dem Ergebnis der Anhörung der Parteien, geht der Senat nicht von einer Aufklärungspflichtverletzung aus. Beweispflichtig für eine vollständige Aufklärung ist der Arzt. An den Nachweis einer solchen vollständigen Aufklärung dürfen keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Es kann ausreichen, wenn – wie vorliegend – unstreitig ist, dass überhaupt ein Aufklärungsgespräch stattgefunden hat, wenn der Arzt belegen kann, was bei ihm ständige Praxis der Aufklärung ist und dass dies auch im vorliegenden Fall eingehalten wurde (dazu: Geiß/Greiner Arzthaftpflichtrecht, 6. Aufl., Anm. C 134 m.w.N.). Im vorliegenden Fall sind insoweit zwei Komplexe zu unterscheiden. Zum einen die Umstände der Unterzeichnung des schriftlichen Aufklärungsbogens (der einen ausdrücklichen Hinweis auf das Risiko einer Querschnittslähmung beinhaltet) vor der Operation und der insoweit erfolgten Gespräche der Klägerin mit dem Beklagten und zum anderen das, was zwischen den Parteien beim ersten stationären Aufenthalt im Juli 2005 erörtert worden ist.

Eine vollständige Aufklärung unmittelbar vor dem operativen Eingriff sieht der Senat nicht als gegeben an. Zwar hat die Klägerin bei ihrer Anhörung durch den Senat erklärt, dass der Aufklärungsbogen ihr bereits mehrere Tage vor der Operation zur Verfügung gestellt worden ist (und sie den Hinweis auf eine mögliche Querschnittlähmung auch zur Kenntnis genommen habe), sie hat aber weiter bekundet, dass anhand dieses Aufklärungsbogens ein Aufklärungsgespräch mit dem Beklagten oder einem anderen Arzt nicht stattgefunden habe. Dies hat der Beklagte zwar in Abrede gestellt. Anders als für den stationären Aufenthalt im Juli, hat er aber selbst nicht von einer detaillierten Aufklärung gesprochen, sondern es scheinen die Hauptpunkte nur noch einmal benannt worden zu sein. Dass dabei der Aufklärungsbogen Gegenstand des Gesprächs war, hat der Beklagte nicht bekundet.

Letztlich kann im Ergebnis aber dahinstehen, ob eine vollständige Aufklärung unmittelbar vor der Operation erfolgt ist, weil eine solche jedenfalls für den stationären Aufenthalt im Juli 2005 anzunehmen ist. Insoweit ist bereits vorab festzuhalten, dass die Klägerin bei ihrer Anhörung durch den Senat deutlich mehr Einzelheiten geschildert hat, als dies in erster Instanz protokolliert wurde. Unabhängig davon, was vor ihrem Entlassungstag am 10.7.2005 mit dem Beklagten besprochen wurde, hat sie jedenfalls für diesen Tag eingeräumt, dass über die Operation als solche, das Operationsgebiet (Halswirbelsäule) und den vom Beklagten geplanten Operationszugang von hinten gesprochen wurde. Dass dies vom Beklagten auch schon vorher deutlich gemacht worden sein muss, zeigt der Umstand, dass bei dem stationären Aufenthalt – nach dem Vortrag der Klägerin (der Beklagte hatte dies zunächst nicht erwähnt) – ein „Probeliegen“ durchgeführt wurde, bei dem der Beklagte überprüfen wollte, ob das Operationsgebiet überhaupt zu erreichen war. Als Ergebnis dieses „Probeliegens“ habe der Beklagte dann erklärt, dass es machbar sei. Weiter ist nach dem Bekunden der Klägerin (jedenfalls am Entlassungstag) über das Risiko einer Querschnittlähmung gesprochen worden und auch darüber, dass ganz generell das Risiko einer Verschlechterung bestehen könnte. Weiter nach dem eigenen Bekunden der Klägerin ist zwischen Juli und Oktober 2005 in einem Telefonat noch einmal über die Notwendigkeit der Operation gesprochen worden und vom Beklagten auch die Möglichkeit eines Verzichts darauf thematisiert worden. Abgesehen davon, ob nicht bereits nach dem eigenen Bekunden der Klägerin von einer vollständigen Aufklärung auszugehen ist, müssen ihre Äußerungen aber das Maß beeinflussen, was jetzt noch vom Beklagten zum Nachweis ordnungsgemäßer Aufklärung erwartet werden muss. Ganz generell hat der Beklagte für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass er die Aufklärungsgespräche (generell und auch im konkreten Fall) in mehreren Schritten führe, weil die komplexe medizinische Problematik die Patienten schnell überfordern könne. Nach seinem Bekunden wurde (auf mehrere Tage verteilt) über die Operationsmethode, den Zugang zum Operationsgebiet ebenso gesprochen wie über die Notwendigkeit des Eingriffs, dass konkrete Aussagen über eine Verbesserung aber nicht getroffen werden könnten, sondern dass auch eine Verschlechterung möglich sei. Vergleicht man die Angaben der Parteien, so unterscheiden sie sich genau genommen nur darin, ob die einzelnen Punkte nur an einem Tag oder verteilt über die gesamte Dauer des stationären Aufenthaltes erörtert worden sind. Berücksichtigt man zudem, dass zwischen dem/den Gespräch(en) im Juli und dem Zeitpunkt der Operation ein Zeitraum von nahezu 3 Monaten lag, in dem die Klägerin ausreichend Zeit für die Entscheidungsfindung hatte und weiter, dass es zwischenzeitlich (jedenfalls) ein weiteres telefonisches Gespräch zwischen den Parteien gegeben hat, spielt es für vollständige Aufklärung im vorliegenden Fall letztlich keine Rolle, ob die vorgenannten Angaben an einem Tag oder verteilt über mehrere Tage gemacht worden sind. Der Sachverständige hat ausdrücklich bekundet, dass die Aufklärung (die Angaben des Beklagten unterstellt) ausreichend war. Er hat weiter bekundet, dass durch Fortsetzung einer konservativen (sprich Krankengymnastik/Maßnahmen zur Durchblutungsförderung) Therapie der Klägerin bei dem progredienten Verlauf der Krankheit nicht mehr zu helfen gewesen wäre, sodass dies keine Alternative zu dem operativen Eingriff dargestellt habe. Zu den operativen Eingriffen, die im Jahre 2006 erfolgt sind, hatte sich der Sachverständige bereits in seinem schriftlichen Gutachten kritisch geäußert. Anders als die dortigen Ärzte aber in Übereinstimmung mit der Strategie des Beklagten hält er den Versuch einer anatomischen Korrektur der Wirbelsäule bei der Beklagten für verfehlt, weil es angesichts des unstreitig progredienten Krankheitsverlaufs überhaupt nur noch darum gehen könne, den Verlauf zu verlangsamen, bestenfalls zu stoppen. Der Eintritt von Verbesserungen sei eher selten. Die in seinem Ergänzungsgutachten (dort S. 2) aufgezeigten Möglichkeiten sind daher rein theoretischer Natur, stellen aber nach Ansicht des Sachverständigen keine Alternative zum Vorgehen des Beklagten dar (was sich leider rein tatsächlich dadurch bestätigt, dass die umfangreichen operativen Eingriffe im Jahre 2006 erfolglos waren). Auch unter dem Blickwinkel möglicher Behandlungsalternativen kann somit ein Aufklärungsfehler nicht festgestellt werden.

Auch ein Behandlungsfehler steht nicht fest. Insoweit ist parallel dazu die Frage zu berücksichtigen, ob ein Dokumentationsfehler (in Sonderheit bei der Abfassung des Operationsberichts) anzunehmen ist. Anknüpfend an die zuletzt gemachten Ausführungen zum Aufklärungsmangel ist festzuhalten, dass der vorgenommene Eingriff indiziert war. Bei dem progredienten Verlauf der Krankheit konnte es nach den Bekundungen des Sachverständigen überhaupt nur noch darum gehen, durch die durchgeführte Entlastungsoperation das Tempo eines weiteren Fortschreitens der Krankheit zu verlangsamen oder bestenfalls zu stoppen. Dass sich bei einem schon weit fortgeschrittenen Krankheitsverlauf – wie bei der Klägerin – die Operationschancen verschlechtern, hält der Sachverständige nur für einen Punkt bei der Entscheidungsfindung. Der Umstand allein führt aber nicht dazu, die Notwendigkeit des Eingriffs infrage zu stellen.

Zum Einwand der Berufung, der Sachverständige spekuliere (Seite 6 des Hauptgutachten) über eine erfolgte Duraeröffnung, hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung unstreitig gestellt, dass eine solche intraoperativ nicht erfolgt sei (weil dazu keine Notwendigkeit bestanden habe). Der Sachverständige hat dazu bekundet, dass der Operateur im konkreten Fall entscheiden müsse, ob er eine solche Öffnung vornehme oder nicht („manchmal wird es gemacht, manchmal nicht“). Wenn der Beklagte angibt, dass eine Eröffnung nicht erfolgt ist, war auch nichts zu dokumentieren. Hängt die Frage, ob eine Duraeröffnung erfolgt oder nicht, von der konkreten Operationssituation ab, kann für den konkreten Fall nicht festgestellt werden, dass ihr Unterlassen ein Fehler war, zumal die Klägerin dafür die Beweislast treffen würde. Der Sachverständige hat insoweit ergänzt, dass er keine Aussagen dazu treffen könne, ob die bei der Klägerin eingetretenen Schwellungen durch eine Duraeröffnung (intraoperativ) hätten vermieden werden können („ dass solche Folgen eintreten, lässt sich nicht immer erklären, in einem Fall ist es so und in einem anderen Fall nicht, ohne dass ich dies objektiv erklären könnte“).

Hinsichtlich des Einwandes der Berufung zur Frage einer Mobilitätsprüfung (Ergänzungsgutachten S. 2) ist von Folgendem auszugehen. Im Operationsbericht wird ausgeführt, dass sich bei einer Funktionsaufnahme der HWS vor der Operation eine Mobilität im Segment C4/C5 gezeigt habe. Wird dies voroperativ festgestellt, muss dies in jedem Fall intraoperativ kontrolliert werden. Von dem Ergebnis der Prüfung hängt ab, ob eine Stabilisierung (z.B. mittels Stahlstiften) erforderlich ist. Ist keine Beweglichkeit (Überbeweglichkeit) gegeben, ergibt sich auch keine Erforderlichkeit für eine gesonderte Stabilisierung. Dies kann aber auf sich beruhen, weil sich diese Feststellung von Mobilität (vor der Operation) nicht auf das Operationsgebiet beziehen. Die Operation bezog sich – unstreitig (und im Operationsbericht dokumentiert) – auf die Bögen der HWK6 und HWK7 sowie des BWK1. Insoweit wurde eine Mobilität (Überbeweglichkeit) vor der Operation nicht festgestellt, sondern nur, dass die HWK5, 6 und 7 mehr oder weniger fusioniert seien. Der Sachverständige ist zwar der Ansicht, dass – auch bezogen auf das Operationsgebiet – eine Beweglichkeit bzw. Überbeweglichkeit intraoperativ zu überprüfen wäre (was nach der Bekundung des Beklagten auch erfolgt ist). Er hat sich aber nicht darauf festgelegt, dass diese Prüfung dann auch zwingend dokumentiert werden müsse. Er hat lediglich bekundet, dass er selbst es wohl dokumentieren würde (lediglich dann, wenn bereits vor der Operation eine gewisse Mobilität festgestellt wurde, hält der Sachverständige die Dokumentation der intraoperativen Überprüfung – wohl – für erforderlich). Dies reicht aber zum Nachweis eines Dokumentationsmangels nicht aus, sodass sich weitergehende Fragen der Folgen eines solchen Mangels (BGH MDR 1998, 655) nicht stellen. Die Klägerin kann mithin im Ergebnis auch über diesen Gesichtspunkt einen Behandlungsfehler nicht beweisen.

Dies gilt letztlich auch für die Frage der Dokumentation des postoperativen Verlaufs. Eine zusätzliche Entlastungsoperation ist unstreitig nicht erfolgt, sodass insoweit auch nichts zu dokumentieren war. Der Sachverständige spricht zwar in seinem Ergänzungsgutachten (S. 2) davon, dass im Hinblick auf die festgestellte Rückenmarksschwellung die Möglichkeit eines Zweiteingriffs zur Entlastung diskutiert werden könne. Bei seiner mündlichen Anhörung durch den Senat hat er dann aber präzisiert, dass er die Möglichkeit einer Revisionsoperation zurückhaltend beantworten müsse. Stehe das Rückenmark durch die Schwellung unter einer starken Spannung könne es sein, dass es herausplatze. Die im vorliegenden Fall getroffene Entscheidung, der Schwellung medikamentös zu begegnen, hat der Sachverständige vor diesem Hintergrund als Standard bezeichnet. Damit ist jedenfalls auch nicht bewiesen, dass die Unterlassung einer Revisionsoperation in Bezug auf die eingetretene Schwellung einen Behandlungsfehler darstellt.

Die Berufung ist daher insgesamt zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen von § 543 ZPO nicht vorliegen.

 

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