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Arzthaftung: Aufklärung über Versteifungsrisiko vor operativer Korrektur

OLG Oldenburg, Az.: 5 U 104/96, Urteil vom 03.12.1996

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom 10. Mai 1996 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung fallen den Beklagten zur Last.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer übersteigt 60.000,- DM nicht.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Ersatz immaterieller Schäden und Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige immaterielle und materielle Schäden im Zusammenhang mit einer operativen Korrektur einer Fehlstellung eines Großzehs.

Am 5.11.1992 operierte der bei dem Beklagten zu l) beschäftigte Beklagte zu 2) die bei der Klägerin seit ihrer Kindheit bestehende Abknickung der linken Großzehe im Großzehengrundgelenk nach der Kleinzehenseite (Hallux valgus) nach der Methode Kramer. In der Folgezeit trat eine bis heute bestehende Bewegungseinschränkung des Gelenks ein.

Arzthaftung: Aufklärung über Versteifungsrisiko vor operativer Korrektur
Foto: alexraths/ Bigstock

Die Klägerin hat u.a. behauptet, sie sei über das Risiko der bei ihr infolge der Operation eingetretenen Versteifung der linken Großzehe i.S. eines irreparablen Dauerschadens nicht aufgeklärt worden. Bereits nach kurzer Belastung leide sie an erheblichen Schmerzen beim Gehen und Stehen, so daß sie ihre Tätigkeit als Verkäuferin allenfalls noch drei bis vier Stunden ausüben könne.

Die Beklagten haben die Pflicht zu einer entsprechenden Aufklärung bestritten; ein solches Risiko habe nicht bestanden und es sei auch keine operationsbedingte Komplikation aufgetreten.

Das Landgericht hat sachverständig beraten der Klägerin ein Schmerzensgeld von 10.000,- DM zuerkannt und den Feststellungsanträgen auf Ersatz von Zukunftsschäden stattgegeben, da sie wegen unzureichender Aufklärung über das mit der Operation verbundene Versteifungsrisiko in den Eingriff nicht wirksam eingewilligt habe.

Mit der dagegen gerichteten Berufung verfolgen die Beklagten ihr Klagabweisungsbegehren in vollem Umfang weiter.

Unter ergänzender Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens greifen sie die Feststellungen des Landgerichts zu der Aufklärungspflichtverletzung an. Die Erläuterungen des Sachverständigen reichten dafür nicht, da er den Zusammenhang zwischen Versteifungsrisiko und der gewählten Operationsmethode nicht habe belegen können. Der vom Gericht herangezogene Perimed- Aufklärungsbogen betreffe lediglich die Aufklärung über Gelenkversteifungen infolge von Weichteilschwellungen. Ein aufklärungsbedürftiges Risiko habe sich bei der Klägerin nicht verwirklicht. Sie habe auch bei ihrer Operationseinwilligung nicht vor einem Entscheidungskonflikt gestanden. Zudem habe sich ihr Gesundheitszustand durch die Operation nicht verschlechtert. Angesichts dessen sei die Schmerzensgeldhöhe und die Feststellung, Zukunftsschäden ersetzen zu müssen, nicht zu rechtfertigen.

Die Beklagten beantragen, das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt unter ergänzender Bezugnahme auf ihr bisheriges Vorbringen die angefochtene Entscheidung nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung und bekräftigt, daß sie sich bei der gebotenen Aufklärung mit einer Versteifung niemals einverstanden erklärt hätte. Ihre Beschwerden hätten gegenüber dem präoperativen Zustand erheblich zugenommen.

Von der weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird gem. § 543 Abs. 1 1. Halbsatz ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig. In der Sache bleibt sie ohne Erfolg.

Ansprüche wegen fehlerhafter Behandlung sind nicht ersichtlich und werden auch von der Klägerin in der Berufungsinstanz nicht mehr aufgegriffen. Die Beklagten haben aber gem. den §§ 823 Abs. 1, 847 i.V.m. §§ 831 bzw. 31 BGB für den operationsbedingten Schaden Ersatz zu leisten, da die Klägerin mangels ausreichender Risikoaufklärung nicht wirksam in den Eingriff eingewilligt hat.

Die Angriffe der Berufung gegen den Haftungsgrund infolge unzureichender Aufklärung gehen insgesamt ins Leere.

Zu Recht hat das Landgericht die Pflicht der Behandlungsseite bejaht, Patienten über das (Teil-) Versteifungsrisiko vor solchen Operationen zu unterrichten. Der Gutachter begründet überzeugend die Pflicht zur Information über das Risiko von Bewegungseinschränkungen bei Korrekturosteotomien nicht mit der gewählten Methode als einer neben einer Anzahl anderer Operationsarten, sondern generell mit dem Arbeiten in Gelenknähe. Die von der Berufung gerügten fehlenden statistischen Erkenntnisse über die Kramer-Osteotomie in Bezug auf das Versteifungsrisiko sind mithin entbehrlich. Zusätzlich hat der Gutachter sich für seine Einschätzung bei dem Vizepräsidenten der deutschen Gesellschaft für Fußchirurgie, dem leitenden Oberarzt Dr. J. aus M. vergewissert, der bestätigt hat, daß generell über Risiken einer Teilversteifung bei derartigen Operationen aufzuklären ist.

Ferner sind bei Operationen, die nicht zur Abwendung einer akuten oder auch nur schwerwiegenden Gefahr erforderlich sind und sogar noch die Gefahr der Zustandsverschlechterung in sich bergen, an die Aufklärungspflichten des Arztes verschärfte Anforderungen i.S. einer detaillierten, für den medizinischen Laien verständlichen Darlegung der Chancen und Risiken zu stellen (vgl. BGH VersR 1988, 493 f). Das ist insbesondere für Eingriffe anerkannt, die wie hier wesentlich auch aus kosmetischen Gründen veranlaßt sind (vgl. nur BGH VersR 1991, 227). Dieser besonderen Verantwortung des Arztes, den Patienten das Für und Wider mit allen Konsequenzen vor Augen zu führen, ist im Verantwortungsbereich der Beklagten bei der von der Klägerin gewünschten Korrekturoperation nicht genügt worden.

Daß der vom Landgericht eingeführte, nicht bei den Akten befindliche Perimed-Aufklärungsbogen ein Versteifungsrisiko anderer Ursache für die Aufklärungspflicht nennt, ist unerheblich. Einerseits ist nach den sachverständigen Erläuterungen eine Aufklärungspflicht über Versteifungsrisiken der eingetretenen Art auch ohne diesen Bogen festzustellen, andererseits bestätigt er die Aufklärungspflicht, wobei es auf die genannten Risikogründe nicht ankommt.

Die in dem verwendeten Aufklärungsbogen handschriftlich aufgenommenen Risiken sind im übrigen qualitativ von anderer Art. Daß zum Teil schwerwiegendere Risiken der Patientin erklärt worden sind, läßt daher die genannte Pflicht, über das Teilversteifungsrisiko zu unterrichten, nicht entfallen.

Auch der Einwand der Beklagten, bei ordnungsgemäßer Aufklärung hätte die Klägerin ebenfalls in den vorgeschlagenen Eingriff eingewilligt, greift nicht durch. Die Klägerin hat dem Senat bei ihrer persönlichen Anhörung nachvollziehbar dargelegt, daß sie sich in einem echten Konflikt befunden hätte, wenn sie bei ausreichender Aufklärung eine Entscheidung darüber hätte treffen müssen, ob die Chance einer kosmetischen Verbesserung und Verbesserung auch der leichten körperlichen Beschwerden das Risiko der nicht unerheblichen Verschlimmerung der Beschwerden in den Hintergrund treten läßt.

Die Rüge, das aufklärungsbedürftige Risiko habe sich nicht verwirklicht, ist – unabhängig von der Leidensursache „Fibrose“ – aus Rechtsgründen unbeachtlich. Der Sachverständige hat jetzt vorhandene Beweglichkeitsbeeinträchtigungen der Klägerin als operationsbedingte positiv festgestellt. Diese haben eine andere schwerere Qualität als die Beschwerden, die die Klägerin vorher infolge der Fehlstellung hatte. Die zuvor nicht vorhandenen Abrollhindernisse mit den dadurch ausgelösten Schmerzen nach kurzzeitiger Belastung leuchten unmittelbar ein und werden entgegen der Berufung auch durch die objektive Befunderhebung (Gutachten Seite 13 – 15) bestätigt. Die Behauptung, es läge keine Verschlechterung durch die Operation vor im Verhältnis zum Zustand vorher, die Klägerin habe also keine größeren Beschwerden, ist ohne zureichende Grundlage und betrifft allenfalls die Schadenshöhe, nicht aber den Schadenseintritt. Für eine weitere sachverständige Begutachtung besteht kein Anlaß. Die gegenüber dem Beschwerdebild vor dem Eingriff festgestellte neue Funktionseinbuße durch die Operation wird durch die Untersuchungsergebnisse erhärtet.

Das zuerkannte Schmerzensgeld ist nach den zu berücksichtigenden Gesamtumständen ebenfalls nicht zu beanstanden. Dabei kommt insbesondere dem noch geringen Alter der Klägerin und den jetzt vorhandenen Beschwerden mit ihren Auswirkungen im beruflichen und privaten Bereich Bedeutung zu. Bei ihrer beruflichen Tätigkeit ist sie infolge der herabgesetzten Ausdauer beim Stehen und Gehen erheblich eingeschränkt. Bevorzugte sportliche Aktivitäten wie Jazz- Tanz, Aerobic, Tennis kann sie nicht (mehr) ausüben. Bei der Oberbekleidung, vor allem was Kleider und Röcke anlangt, ist sie wegen der notwendigen breiten Schuhe mit Abrollhilfe eingeschränkt. Angesichts dieser Gesamtumstände ist ein Immaterialausgleich in Höhe von 10.000,- DM noch angemessen.

Da die gesundheitliche Entwicklung noch nicht abgeschlossen und damit nicht endgültig zu beurteilen ist, hat das Landgericht schließlich zu Recht den Feststellungsanträgen stattgegeben.

Die Berufung war daher insgesamt mit den Nebenentscheidungen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713, 546 ZPO zurückzuweisen.

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