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Arzthaftung – Aufklärungsrüge in Berufungsinstanz

KG Berlin – Az.: 20 U 46/17 – Beschluss vom 07.08.2018

Die Berufung der Klägerin gegen das am 8. März 2017 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin – 8 O 296/14 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch die Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Der Streitwert für die zweite Instanz wird auf bis zu Euro 80.000,00 festgesetzt.

Gründe

I.

Die am 30. Oktober 1969 geborene Klägerin begehrt immateriellen und materiellen Schadensersatz wegen behaupteter ärztlicher Fehler im Zusammenhang mit der Behandlung ihres linken Knies sowohl im Hause der Beklagten zu 1. als auch in dem von der Beklagten zu 4. getragenen D… . Der Beklagte zu 3. behandelte die Klägerin in beiden Kliniken. Wegen des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Landgerichts Bezug genommen.

Die Klägerin hat mit der der Beklagten zu 1. am 12. Januar 2015, im Übrigen am 13. Januar 2015 zugestellten Klage beantragt,

die Beklagten zu 1. und 3. als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, welches einen Betrag von Euro 60.000,00 nicht unterschreiten sollte, zu zahlen; die Beklagten zu 1., 3. und 4. als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie Euro 4.863,52 nebst Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen; festzustellen, dass die Beklagten zu 1. und 3. zum Ersatz aller immateriellen und materiellen Schäden verpflichtet sind, die aus ihrer ärztlichen Fehlbehandlung im Zeitraum vom 12. Februar 2004 bis 29. Januar 2013 zukünftig entstehen werden.

Die Beklagten zu 1., 3. und 4. haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Das durch den Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. A… sachverständig beratene Landgericht hat die Klage abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 9. März 2017 zugestellte Urteil am 6. April 2017 Berufung eingelegt, welche sie nach entsprechend gewährter Fristverlängerung am 9. Juni 2017 begründet hat. Die Klägerin macht in Bezug auf die Operation vom 13. September 2005 im Hause der Beklagten zu 1. geltend, dass der Sachverständige ausgeführt habe, dass der – hier nicht erfolgte – Einsatz einer Allergie-TEP indiziert sei, wenn nachweislich eine systemische Allergie gegen Chirurgenstahl bestehe. Insoweit habe es das Landgericht versäumt, sich mit ihrem Vorwurf einer fehlenden Aufklärung über Behandlungsalternativen im Falle des Bestehens einer systemischen Allergie auseinanderzusetzen. Darüber hinaus könne es nicht zu ihren Lasten gehen, dass eine Abklärung einer solchen Allergie unterblieben sei. Insoweit habe sie erstinstanzlich Indizien vorgetragen, die auf eine Allergie hinwiesen, nämlich Schwellungen im Bereich des linken Knies und damit verbundene Rötungen. In Bezug auf die Operation vom 18. Januar 2010 in der von der Beklagten zu 4. getragenen Klinik habe der Sachverständige aufgezeigt, dass sich das von ihr nach wie vor bestrittene Operationsziel einer Änderung der Osteotomieebene nicht dem Operationsbericht entnehmen lasse. Dies begründe zumindest die Aufklärungsrüge. Unterstellt, die von ihr bestrittene Operationsindikation hätte bestanden, hätte sie auch über die bestehende Alternative einer vollgekoppelten TEP aufgeklärt werden müssen, was unterblieben sei.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil zu ändern und gemäß ihren erstinstanzlich gestellten Anträgen zu entscheiden, hilfsweise das Urteil aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagten zu 1., 3. und 4. beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagten zu 1., 3. und 4. verteidigen das angefochtene Urteil. Die Beklagten zu 3. und 4. meinen, dass die Klägerin die Aufklärungsrüge bezüglich der Operation am 18. Januar 2010 in der ersten Instanz nicht erhoben habe. Nun sei sie damit ausgeschlossen. Abgesehen davon sei die Klägerin durch den Beklagten zu 3. vor der Operation am 18. Januar 2010 detailliert über die Abwägungsgesichtspunkte zur Verwendung eines vollgekoppelten Systems und der dann durchgeführten Veränderung der Osteotomieebene aufgeklärt worden. Darüber hinaus wäre von einer hypothetischen Einwilligung auszugehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die gewechselten Schriftsätze und das Sitzungsprotokoll des Landgerichts vom 8. Februar 2017 (Blatt 31 ff. d.A. Bd. II) verwiesen.

II.

Die Berufung ist ohne mündliche Verhandlung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Voraussetzungen nach § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 4 ZPO erfüllt sind.

Gemäß § 513 Abs.1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die erstinstanzliche Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Beides ist nicht der Fall. Der Senat nimmt auf seinen gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO erteilten Hinweisbeschluss vom 24. Mai 2018 (Bl. 153 ff. d.A. Bd. II) Bezug.

Der Schriftsatz der Klägerin vom 26. Juni 2018, mit der sie weiter zu der Aufklärungsrüge betreffend die Operation am 18. Januar 2010 Stellung nimmt, führt zu keiner anderen Beurteilung:

1. Die in dem Schriftsatz vertretene Ansicht der Klägerin, sie habe den Vortrag der Beklagten zu 3. und 4., dass das Operationsziel im Januar 2010 auch eine Veränderung der Resektionsebene auf der tibialen Seite und damit eine bessere Bandspannung gewesen sei, in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 8. Februar 2017 ausdrücklich bestritten, womit sie gleichzeitig die Aufklärungsrüge erhoben habe, überzeugt nicht.

Dabei kommt es letztlich nicht darauf an, ob die Aufklärungsrüge einen eigenständigen Streitgegenstand darstellt (vgl. hierzu OLG Nürnberg, Urteil vom 20. April 2017 – 5 U 458/16 – juris Rz. 35). Der Bundesgerichtshof hat diese Frage bislang offen gelassen (vgl. Urteil vom 5. Dezember 2006 – VI ZR 228/05 – juris Rz. 11). Denn unabhängig davon, ob es sich bei der Aufklärungsrüge um einen selbständigen Streitgegenstand oder lediglich um einen anderen Haftungstatbestand handelt, ist es jedenfalls Sache der anspruchstellenden Partei, den entscheidungserheblichen Lebenssachverhalt darzulegen. Gemäß § 308 Abs. 1 ZPO ist das Gericht nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist. Die Bindung an den Antrag betrifft nicht nur den Urteilsausspruch, sondern auch den Grund des erhobenen Anspruchs (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die klagende Partei allein legt den Streitgegenstand fest, über welchen das Gericht zu entscheiden hat. Dieser wird nicht nur durch den Klageantrag, sondern auch durch den Lebenssachverhalt bestimmt, aus dem die klagende Partei die begehrte Rechtsfolge herleitet (vgl. zum Vorstehenden BGH, Urteil vom 17. März 2016 – IX ZR 142/14 – juris Rz. 17). Genauso wenig darf das Gericht gegen den zivilprozessualen Beibringungsgrundsatz verstoßen. Danach darf das Gericht seiner Entscheidung nur solche Tatsachen zugrunde legen, welche die Parteien vorgetragen haben (vgl. BGH, Urteile vom 27. Februar 2018 – VI ZR 86/16 – juris Rz. 21; vom 18. Juni 1998 – IX ZR 311/95 – juris Rz. 13).

Da es Sache der Klägerin als Anspruchstellerin ist, den Lebenssachverhalt für den geltend gemachten Anspruch darzulegen, vermag das bloße Bestreiten des zu einem Behandlungsfehler ergangenen Beklagtenvortrages nicht die Erhebung der Aufklärungsrüge zu begründen. Selbst unter Anwendung des Grundsatzes, dass sich eine Partei stets – d.h. auch stillschweigend – ihr günstige Beweisergebnisse zumindest hilfsweise zu eigen macht (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 5. Januar 2017 – VII ZR 184/14 – juris Rz. 8), ist die Aufklärungsrüge erstinstanzlich nicht Prozessstoff geworden. Soweit die Klägerin auf die Ausführungen des Sachverständigen hinweist, dass im Operationsbericht vom 18. Januar 2010 zwar die Veränderung der Osteotomieebene beschrieben sei, nicht aber der Hintergrund dieser Maßnahme – das Erreichen der Bandstabilität – (S. 5 d. Sitzungsprotokolls vom 8. Februar 2017, Bl. 35 d. A. Bd. II), folgt daraus nicht, dass eine entsprechende Aufklärung vor der Operation am 18. Januar 2010 unterblieben sein muss. Denn etwaige Versäumnisse bei der Dokumentation eines Eingriffs im Operationsbericht lassen keine Rückschlüsse auf die präoperative Aufklärung zu. Mithin hat sich der Sachverständige mit der vorstehenden Äußerung nicht zu einer Aufklärung der Klägerin verhalten. Darüber hinaus hat er bei seiner Anhörung vor dem Landgericht angegeben, dass im Operationsbericht immerhin niedergelegt sei, dass die Bandstabilität geprüft worden sei, was er aus medizinischer Sicht für ausreichend erachtet hat. Zwar hat der Sachverständige bei seiner Anhörung weiterhin ausgeführt, dass zu dem vorgenommenen Eingriff am 18. Januar 2010 die vollgekoppelte TEP eine Behandlungsalternative gewesen wäre, über die aufzuklären sei (S. 6 d. Sitzungsprotokolls vom 8. Februar 2017, Bl. 36 d.A. Bd. II). Jedoch ist es weder Sache eines Sachverständigen zu beurteilen, ob eine Aufklärung erfolgt ist, noch hat der Sachverständige Dr. A… dies getan, weshalb auch diesbezüglich nicht durch seine Ausführungen als neue Tatsache erstinstanzlich eingeführt worden sein kann, dass die Klägerin vor dem Eingriff am 18. Januar 2010 nicht oder nicht hinreichend aufgeklärt wurde.

2. Würde bejaht, dass es sich bei der Erhebung der Aufklärungsrüge um einen eigenständigen Streitgegenstand handelt, hätte die Klägerin in der Berufungsinstanz ihre Klage diesbezüglich erweitert. Eine Klageerweiterung ist aber analog § 524 Abs. 4 ZPO bei Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO nicht möglich (vgl. BGH, Urteil vom 3. November 2016 – III ZR 84/15 – juris Rz. 14). Handelt es sich dagegen lediglich um einen anderen Haftungstatbestand, ist der neue Tatsachenvortrag gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht mehr zu berücksichtigen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2012 – VI ZR 396/12 – juris). Denn vorliegend ist dem Landgericht kein Verfahrensmangel unterlaufen (Nr. 2), sondern die Aufklärungsrüge wurde erstinstanzlich aufgrund Nachlässigkeit durch die Klägerin nicht erhoben (Nr. 3). Es drängt sich im Anwaltsprozess auf, dass dem Gericht durch bloßes Bestreiten weder ein neuer Streitgegenstand noch ein neuer Haftungsgrund unterbreitet werden kann. Eines rechtlichen Hinweise durch das Vordergericht bedurfte es schon deshalb nicht, weil nicht erkennbar gewesen ist, dass die Klägerin hilfsweise die Aufklärungsrüge betreffend den Eingriff vom 18. Januar 2010 erheben wollte.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 97 Abs. 1 ZPO (Kosten) und §§ 708 Nr. 10 Satz 1 und Satz 2, 709 Satz 2 analog, 711 Satz 1 und Satz 2 ZPO (vorläufige Vollstreckbarkeit).

IV.

Die Festsetzung des Gebührenstreitwertes für die zweite Instanz hat ihre Rechtsgrundlagen in §§ 48 Abs. 1 Satz 1, 63 Abs. 2 Satz 1 GKG, § 3 ZPO. Der Senat folgt der Festsetzung des Landgerichts, gegen die sich die Parteien nicht gewendet haben.

 

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