OLG Koblenz – Az.: 5 U 1258/11 – Beschluss vom 29.02.2012
In dem Rechtsstreit … wegen Arzthaftung – hier: Diagnoseirrtum – weist der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz den Kläger darauf hin, dass beabsichtigt ist, seine Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen (§ 522 Abs. 2 ZPO).
Gründe
Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass
1. die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2. die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3. die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil nicht erfordert und
4. eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
I.
Der 1952 geborene Kläger wirft dem beklagten Hautarzt einen Diagnoseirrtum und eine daran anknüpfende Fehlbehandlung vor.
Die auf Zahlung materiellen und immateriellen Schadensersatzes, Feststellung der Ersatzpflicht für entsprechende Zukunftsschäden und Erstattung von Anwaltskosten der vorgerichtlichen Interessenwahrnehmung gerichtete Klage ist nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens und Anhörung des Sachverständigen gescheitert.
Zur Begründung hat das Landgericht, auf dessen Entscheidung zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird, ausgeführt, welche Hauterkrankungen am 6. und 22. März 2006 bei den Untersuchungen durch den Beklagten vorgelegen hätten, sei verlässlich nicht aufzuklären. In Betracht komme dreierlei, nämlich ein dysregulativ – mikrobielles Ekzem oder Scabies (Krätze) und letztlich Pityriasis rosea. Die von einem Ekzem ausgehende Einleitungsbehandlung sei daher ebenso vertretbar gewesen wie die am 22. März 2006 unter der Verdachtdiagnose Scabies weitergeführte Behandlung. Dass ab 27. März 2006 in der Universitätsmedizin …[X] die dort eingeleitete Behandlung unter der Diagnose Pityriasis rosea erfolgt sei, spreche nicht zwingend gegen die Diagnose des Beklagten.
II.
Mit seiner Berufung wiederholt der Kläger seine erstinstanzlichen Anträge unter Erneuerung, Vertiefung und Ergänzung des dortigen Vorbringens. Er bezweifelt die Qualifikation des gerichtlichen Sachverständigen und lastet ihm kollegiale Benevolenz gegenüber dem Beklagten an. Dieser verteidigt die Entscheidung des Landgerichts.
III.
Das Rechtsmittel erscheint aussichtslos. Die Berufungsbegründung geht an der gefestigten Rechtsprechung des BGH und des erkennenden Senats zu den Voraussetzungen der Arzthaftung für Diagnoseirrtümer vorbei. Insoweit ist zu sehen und zu berücksichtigen:
Ein Behandlungsfehler nicht immer schon dann anzunehmen ist, wenn ein Arzt zu einer objektiv unrichtigen Diagnose gelangt. Grundsätzlich ist zwar das Nichterkennen einer erkennbaren Erkrankung und der für sie kennzeichnenden Symptome als Behandlungsfehler zu werten (vgl. BGH in VersR 1958, 545, 546 und VersR 1981, 1033, 1034 sowie AHRS 1815/102). Irrtümer bei der Diagnosestellung, die in der Praxis nicht selten vorkommen, sind jedoch oft nicht die Folge eines vorwerfbaren Versehens des Arztes. Die Symptome einer Erkrankung sind nämlich nicht immer eindeutig, sondern können auf die verschiedensten Ursachen hinweisen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der vielfachen technischen Hilfsmittel, die zur Gewinnung von zutreffenden Untersuchungsergebnissen einzusetzen sind (vgl. BGH in VersR 1981, 1033, 1034). Auch kann jeder Patient wegen der Unterschiedlichkeiten des menschlichen Organismus die Anzeichen ein und derselben Krankheit in anderer Ausprägung aufweisen. Diagnoseirrtümer, die objektiv auf eine Fehlinterpretation der Befunde zurückzuführen sind, können deshalb nur mit Zurückhaltung als Behandlungsfehler gewertet werden (vgl. BGH aaO).
Ein haftungsrelevantes ärztliches Fehlverhalten kann aber auch dann gegeben sein, wenn der behandelnde Arzt ohne vorwerfbare Fehlinterpretation von Befunden eine objektiv unrichtige Diagnose stellt und diese darauf beruht, dass der Arzt eine notwendige Befunderhebung entweder vor der Diagnosestellung oder zur erforderlichen Überprüfung der Diagnose unterlassen hat. Ein solcher Fehler in der Befunderhebung kann zur Folge haben, dass der behandelnde Arzt für eine daraus folgende objektiv falsche Diagnose und für eine der tatsächlich vorhandenen Krankheit nicht gerecht werdende Behandlung und deren Folgen einzustehen hat (vgl. BGHZ 138, 1, 5 ff. und BGH in VersR 1999, 231, 232 – jeweils m.w.N.).
An diesen Grundsätzen gemessen hat das sachverständig beratene Landgericht die Klage zu Recht abgewiesen.
Die Berufung meint, das schriftliche Gutachten des Sachverständigen und die mündliche Erläuterung in der Verhandlung des Landgerichts seien keine tragfähigen Entscheidungsgrundlagen. Daher müsse ein neues Gutachten eingeholt werden.
Soweit der Rechtsmittelführer in diesem Zusammenhang die allgemeine wissenschaftliche Qualifikation und die praktische Erfahrung des Sachverständigen in Zweifel zieht, kann dem nicht gefolgt werden. Prof. Dr. med. …[A] ist leitender Oberarzt eines deutschen Universitätsklinikums. Daher steht seine grundsätzlich Befähigung, die entscheidungserheblichen Beweisfragen zu beantworten, außer Frage.
Die Berufung moniert, die Feststellungen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen könnten nicht überzeugen, weil die am 27. März 2006 konsultierte Universitätsmedizin …[X] sofort eine erfolgreiche Behandlung unter der richtigen Diagnose Pityriasis rosea eingeleitet habe. Damit seien die abweichenden Diagnosen des Beklagten durchgreifend falsifiziert.
Das greift zu kurz. Nach dem Beschwerdebild beim ersten Arztbesuch kamen drei verschiedene Hauterkrankungen in Betracht. Nachdem die vom Beklagten unter der Verdachtsdiagnose dysregulativ – mikrobielles Ekzem eingeleitete Erstbehandlung ebenso enttäuschend verlaufen war wie die unter der Diagnose Scabies fortgeführte Zweitbehandlung, befand die Universitätsmedizin Mainz sich am 27. März 2006 in einer völlig anderen Situation als der Beklagte. Dessen (angeblich) fehlgeschlagene therapeutischen Bemühungen hatten nämlich aus Sicht des Klägers und des nachbehandelnden Arztes die vorausgegangenen Diagnosen falsifiziert, so dass es sich nur noch um Pityriasis rosea handeln konnte, wenn man dem Berufungsvorbringen zum äußeren Geschehensablauf folgt.
Indes ist noch nicht einmal das gesichert. Bei seiner mündlichen Anhörung hat der Sachverständige nämlich nachvollziehbar dargelegt, dass die Diagnose „Scabies“ zutreffend gewesen sein kann mit der Maßgabe, dass die Krätze im weiteren Verlauf von der in Mainz diagnostizierten Pityriasis rosea überlagert bzw. verdrängt wurde, weil die Behandlung der Scabies erfolgreich war. Weiter hat der Sachverständige Zweifel anklingen lassen, ob die Drittdiagnose „Pityriasis rosea“ zutrifft.
Aus alledem erschließt sich, dass die richtige Diagnose im vorliegenden Fall außerordentlich schwierig war. Entscheidend ist, dass sich nicht verlässlich feststellen lässt, ob Erst- und Zweitdiagnose überhaupt objektiv falsch waren, was die Berufung aus dem weiteren, für den Kläger außerordentlich unbefriedigenden Verlauf ableitet. Damit verschließt der Rechtsmittelführer sich jedoch der vom Sachverständigen vermittelten Erkenntnis, dass im Fall des Klägers einer ersten dermatologischen Erkrankung eine zweite gefolgt sein kann, was als Ursache der persistierenden Hautirritationen zumindest nicht auszuschließen ist. Der dem Kläger in einem ersten Schritt obliegende Nachweis, dass die Diagnosen des Beklagten objektiv falsch waren, ist nach dem erstinstanzlichen Beweisergebnis nicht gelungen und ersichtlich auch nicht zu führen, so dass sich die Frage der Vorwerfbarkeit im Sinne der einleitend dargestellten Rechtsprechung zur Arzthaftung bei Diagnoseirrtümer nicht mehr stellt.
Soweit die Berufung pharmakologische Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen, insbesondere zu den Wirkstoffen Chlorhexidin und Salizylsäure, vermisst, geht sie daran vorbei, dass auch diese Fragen bei der mündlichen Anhörung des Sachverständigen mit einem Ergebnis erörtert wurden, das den Klageanspruch nicht stützt.
Der Kläger zeigt auch nicht auf, warum die von ihm nunmehr als aufklärungsbedürftig angesehenen Fragen dem Sachverständigen nicht bei dessen Anhörung gestellt wurden. Aus einem Parteiversäumnis in diesem Bereich lässt sich in zweiter Instanz kein erstmaliges Aufklärungsbedürfnis herleiten.
Das konkrete Vorbringen des Klägers zur schädlichen Wirkung der als „Salbenkomposition“ bezeichneten Medikamente ist neu und damit in zweiter Instanz unbeachtlich (§ 531 Abs. 2 ZPO). Im Übrigen besagt der Umstand, dass der Kläger bei seinen Recherchen in der Fachliteratur nichts über die Wirkungen einer Kombination der beiden genannten Wirkstoffe gefunden hat, keineswegs, dass das vom Beklagten verordnete Medikament den weiteren Kausalverlauf richtunggebend verändert oder auch nur verschlimmert hat. Das dazu unterbreitete Berufungsvorbringen ist spekulativ.
Da der Senat die von der Berufung geäußerten Bedenken gegen das Sachverständigengutachten und dessen mündliche Erläuterung nicht teilt, besteht kein Anlass, ein weiteres Gutachten einzuholen.
IV.
Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung. Ebenso wenig erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts. Dass die mündliche Verhandlung der Sache zu einem Erkenntnisgewinn führen könnte, ist weder dargetan noch ersichtlich. Die Berufung sollte kostensparend zurückgenommen werden.
Frist zur Stellungnahme: 19. März 2012