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Arzthaftung: Kunstfehler bei Darmspiegelungen zur Krebsvorsorge

AG Bremen, Az.: 22 C 110/06, Urteil vom 18.10.2007

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuweisen, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Arzthaftung: Kunstfehler bei Darmspiegelungen zur Krebsvorsorge
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Der Kläger ist praktizierender Facharzt für Innere Medizin in …. In dieser Eigenschaft hat er den Bruder der Beklagten, Herrn F. am 10.06.2003 untersucht, nachdem bei ihm Blut im Stuhl festgestellt worden war.

Bei der Untersuchung am 10.06.2003 wurde eine Ileo-Coloskopie durchgeführt. Dabei wurden mindestens drei Polypen entfernt und ein weiterer Polyp wurde belassen. Der Patient wurde zur endoskopischen Kontrolle in einem halben Jahr wieder einbestellt. Es erfolgte dann eine weitere Untersuchung am 09.01.2004. Bei dieser Untersuchung wurde der belassene Polyp entfernt und der Verdacht auf weitere kleine Polypen im Colon ascendens geäußert. Es wurde eine erneute Befundkontrolle in einem Jahr empfohlen.

Bei der Untersuchung des Patienten am 08.03.2005 stellte der Kläger bei der rektalen Austastung des Enddarms eine derbe Resistenz fest. Bei der weiteren Untersuchung wurde hier ein mäßig differenziertes Adenomkarzinom diagnostiziert.

Der Kläger ist Regionalbeauftragter des Vereins …, der sich mit der Früherkennung von Darmkrebs befasst.

Die Beklagte hat sich mit ihrem Schreiben vom 13.03.2006 schriftlich an die Geschäftsstelle des Vereins … gewandt und in dem Schreiben behauptet, dass der Kläger bei dem Bruder der Beklagten durch zweimalige nicht gewissenhafte Durchführung einer Recto-Coloskopie die Diagnose eines Rektumkarzinoms langfristig verzögert habe. Die erforderliche digitale rektale Untersuchung habe er nicht vorgenommen. Die Beklagte hat in dem Schreiben angeregt zu überlegen, ob nicht ein anderer Regionalbeauftragter gewählt werden sollte.

Der Kläger behauptet, er habe die Untersuchungen gewissenhaft durchgeführt und dokumentiert. Die Tatsache, dass bei der dritten Untersuchung ein Karzinom festgestellt worden sei, sei schicksalhaft für den Patienten. Ein Kunstfehler des Klägers liege nicht vor.

Das Schreiben der Beklagten mit den darin enthaltenen Vorwürfen sei für den Kläger rufschädigend. Derartige Behauptungen seien von der Beklagten zu unterlassen.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, über den Kläger kritische Äußerungen über seine Tätigkeit als Arzt (Schmähkritik), insbesondere die Äußerung, eine Fehldiagnose mit dramatischen Folgen vorgenommen zu haben, sowie ärztlich und menschlich versagt zu haben, gegenüber dem Verein … zu unterlassen,

2. der Beklagten anzudrohen, dass für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von Euro 3.000,00 oder eine Ordnungshaft gegen sie festgesetzt wird.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, die von ihr aufgestellten Behauptungen seien richtig und gerechtfertigt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird Bezug genommen auf die eingereichten Schriftsätze.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses wird Bezug genommen auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. med. S. und dessen mündliches Gutachten im Termin vom 18.09.2007.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Die Behauptung der Beklagten, dem Kläger sei bei der Behandlung ihres Bruders eine Fehldiagnose mit dramatischen Folgen unterlaufen und er habe ärztlich und menschlich versagt, ist von der Meinungsfreiheit der Beklagten gedeckt.

In der Behauptung, eine Fehldiagnose vorgenommen zu haben, liegt eine Tatsachenbehauptung. Diese Behauptung durfte sie aufstellen, wenn sie nach dem Studium der ärztlichen Dokumentation über die Behandlung des Bruders der Beklagten durch den Kläger zu dem Schluss gelangen durfte, dem Kläger sei eine Fehldiagnose unterlaufen, indem er das bei der dritten Untersuchung festgestellte Karzinom bei den ersten beiden Untersuchungen nicht festgestellt hat.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Beklagte zu dieser Überzeugung gelangen durfte.

Der Sachverständige Dr. S. hat überzeugend dargelegt, dass ein Karzinom, wie beim Bruder der Beklagten festgestellt worden ist, mit einer Wahrscheinlichkeit von ca. 97 % bei den beiden vorangegangenen Untersuchungen vorhanden war. Darmkarzinome entwickeln sich mit dieser Wahrscheinlichkeit über einen Zeitraum von mehr als 10 Jahren, so dass eine Frist von ca. 10 Jahren verbleibt, um Vorstadien zu erkennen und vor der Entwicklung zum Karzinom zu beseitigen.

Bei einer fachgerechten Untersuchung bleiben Dickdarmkarzinome nur mit einer Rate von ca. 6 % unentdeckt. Die Rate ist für den vorliegenden Fall niedriger anzusetzen, weil der Kläger vor dem Entdecken des Karzinoms zwei Darmspiegelungen vorgenommen hat, bei denen jeweils Gelegenheit bestand, das Karzinom zu entdecken. Mit einer Wahrscheinlichkeit von ca. 95 % war mithin das Karzinom bei den Untersuchungen vom 23.06.2003 und vom 09.01.2004 vorhanden und wäre bei einer sachgerechten Untersuchung vom Kläger zu entdecken gewesen.

Die Beklagte durfte weiter auf eine nicht sorgfältige Untersuchung schließen, weil die ihr überlassene Dokumentation nicht frei von Mängeln war. Die Dokumentation muss inhaltlich alle wesentlichen Fakten und Befunde für die Anamnese, Diagnose und Therapie enthalten, so dass ein Fachmann sich ausreichend über die Behandlung orientieren kann (Beck’scher Online-Kommentar, BGB § 823 Rn. 738). Diesen Anforderungen genügt die Dokumentation des Klägers nicht. Es fehlen in der Dokumentation sämtliche Angaben zur Anamnese (Erkrankungen, Medikamentation, Voroperationen). Der Anlass der ersten Untersuchung ist nicht korrekt angegeben worden. Unstreitig ist die Untersuchung durchgeführt worden, weil Blut im Stuhl festgestellt worden war. Der Kläger hat jedoch angegeben, dass es sich um eine Vorsorgeuntersuchung handelte. Dies ist nicht korrekt, da eine Vorsorgeuntersuchung auch eine Untersuchung ist, die allein aufgrund des Alters des Patienten vorgenommen werden kann, ohne dass irgendein erkennbares Risiko für den Patienten besteht, an Krebs erkrankt zu sein. Weil bei dem Patienten Blut im Stuhl festgestellt worden ist, ist eine andere Herangehensweise an die Untersuchung und an die Bewertung der Befunde erforderlich.

Die digitale rektale Untersuchung (Tastuntersuchung des Enddarms mit dem Finger) ist bei den Untersuchungen vom 23.06.2003 und 09.01.2004 nicht dokumentiert. Eine solche Untersuchung ist obligater Bestandteil jeder Koloskopie und der Befund, auch ein unauffälliger Befund, muss dokumentiert werden. Da eine solche Dokumentation nicht erfolgt ist, durfte die Beklagte davon ausgehen, dass eine solche Untersuchung nicht vorgenommen worden ist.

Zusätzlich war eine Proktoskopie (starre Spiegelung des unteren Enddarms) erforderlich. Der Sachverständige hat überzeugend dargelegt, dass mit dem flexiblen Endoskop im Enddarmbereich keine ausreichend scharfen Bilder erzielt werden können, da der erforderliche Abstand zwischen der Linse und der Schleimhaut nicht hergestellt werden kann. Zwar sei es möglich, das Endoskop auch weiter in den Darm einzuführen und die Spitze dann so zu wenden, dass sie in Richtung des Ausganges gerichtet wird; eine solche Maßnahme sei jedoch nicht ausreichend und auch nicht dokumentiert.

Der Sachverständige hat weiter ausgeführt, dass es Zweifel an der sorgfältigen Arbeitsweise des Klägers gäbe, weil er bei den Untersuchungen vom 09.01.2004 und vom 08.03.2004 neue Polypen festgestellt habe, die bei der ersten Untersuchung nicht festgestellt worden seien. Bei der Untersuchung am 08.03.2005 habe er zudem entdeckte Polypen nicht abgetragen. Dies wäre erforderlich gewesen, um die Krebsrisiken im Darm mit Ausnahme des vom Chirurgen zu entfernenden Geschwürs zu beseitigen. Die verbliebenen Polypen könnten bei der Operation des Patienten nicht beseitigt werden. Es bestehe bei der Vorgehensweise des Klägers nach der Operation ein weiteres Risiko wegen der belassenen Polypen.

Der Sachverständige kam in Anbetracht der geringen Wahrscheinlichkeit, dass das vorgefundene Rektumkarzinom bei den ersten Untersuchungen noch nicht vorhanden war und bei der Berücksichtigung der Vorgehensweise des Klägers und der mangelhaften Dokumentation des Klägers zu dem Schluss, dass ein Kunstfehler vorliegt. Das Gutachten ist überzeugend und lässt Mängel nicht erkennen. Die vom Kläger erhobenen Bedenken gegen die Beurteilung des Akteninhalts durch den Sachverständigen und gegen die Schlussfolgerung des Sachverständigen hält das Gericht nicht für durchgreifend. Der Sachverständige hat sein Gutachten im Hinblick auf die erhobenen Vorwürfe überzeugend erläutert. Es besteht kein Anlass, ein Obergutachten einzuholen.

Danach steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dem Kläger bei der Behandlung des Bruders der Beklagten ein Kunstfehler unterlaufen ist.

Die Beklagte durfte den Verein … in ihrem Schreiben darauf hinweisen, dass dem Kläger dieser Kunstfehler unterlaufen ist, da der Kläger diesen Verein, der sich um Aufklärung der Öffentlichkeit bezüglich der Krebsfrüherkennung bemüht, als Regionalbeauftragter vertritt. Es ist in der Öffentlichkeit unstreitig, dass die Krebsfrüherkennung ein wichtiges Anliegen ist. Wenn die Beklagte in Anbetracht des Kunstfehlers, der dem Kläger unterlaufen ist, Bedenken hatte, ob der Kläger der richtige Repräsentant ist, durfte sie dies dem Verein mitteilen.

Die Beklagte durfte auch behaupten, dass der Kläger im Zusammenhang mit dieser Fehldiagnose ärztlich und menschlich versagt hat. Es handelt sich um Wertungen, die von der Meinungsfreiheit gedeckt sind. Die Beklagte hat außer ihrer Behauptung, dass der Kläger den oben erörterten Kunstfehler begangen hat, hinsichtlich des ärztlichen und menschlichen Versagens nichts weiter vorgetragen. Dem Kläger musste aufgrund seiner Sachkunde klar sein, dass ihm mit großer Wahrscheinlichkeit ein Kunstfehler unterlaufen ist, weil er den Tumor nicht entdeckt hat. Nachdem er dies stets bestritten hat und der Beklagten die oben erörterten Mängel in der Dokumentation des Klägers hinsichtlich der Behandlung des Bruders des Beklagten bekannt waren, durfte die Beklagte zu dem Schluss kommen, dass der Kläger menschlich und ärztlich versagt hat und dies auch im Rahmen ihrer Meinungsfreiheit äußern. Das Verhalten des Klägers in diesem Verfahren verstärkt den Eindruck, dass die Äußerung der Beklagten gerechtfertigt war.

Die Klage ist danach abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708, 711 ZPO.

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