KG Berlin – Az.: 20 U 290/12 – Urteil vom 13.01.2014
1. Die Berufung der Klägerin gegen das am 20. September 2012 verkündete Urteil der Zivilkammer 6 des Landgerichts Berlin – 6 O 273/06 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
2. Das angefochtene Urteil und dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin verlangt Schmerzensgeld und Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz von zukünftigen Schäden anlässlich einer Operation im Hause der Beklagten am 25.4.2005.
Die Klägerin ließ eine Darmspiegelung bei PD Z r durchführen. In dem Befundbericht heißt es, dass sich bei 100 cm eine „breitbasig wurstförmige Prominenz mit zentraler ulceröser Einsenkung“ findet, als Diagnose wurde ein Colon-Karzinom gestellt. Weiter heißt es: „Befund entspricht dem colon ascendens [meint: Dickdarmteil vom Blinddarm bis zur ersten Darmschleife]. bis zum coecum [meint: Blinddarm].“ Die pathologische Untersuchung der Gewebeprobe ergab ein Karzinom. Als Therapievorschlag wurde eine Hemikolektomie rechts genannt.
Der letzte unvollständige Satzteil des Befundberichts liest sich in den Unterlagen des PD Z wie folgt: „Ansonsten bis zum Coecum unauffälliger Befund.“
Zur Durchführung der Hemikolektomie wurde die Klägerin bei der Beklagten stationär aufgenommen; die Operation fand am 24.4.2005 statt. Zuvor wurde am 21.4.2005 noch ein MRT gemacht, das unauffällig war. Der entnommene Darmteil wurde pathologisch untersucht; der Befund war hinsichtlich einer Krebsdiagnostik unauffällig: Zellveränderungen oder ein ivasives Tumorwachstum waren nicht nachweisbar. Jedoch wurde ein polypenartige Verwachsung im Dickdarm vorgefunden (gutartiger Tumor). Deswegen hätte jedoch keine Hemikolektomie erfolgen müssen.
Am 30.6.2005 wurde eine neue Darmspiegelung durchgeführt, die unauffällig verlief, ebenso eine Röntgenaufnahme mit Kontrastmittel vom 27.9.2005. Am 9.12.2005 wurde eine nach Auffassung des eine erneute Darmspiegelung durchführenden PD Z ein identischer Tumorbefund wie im April 2005 erhoben. Daraufhin erfolgte am 29.12.2005 in der S eine Resektion eines weiteren Darmabschnitts (colon transversum, mittlerer Bereich des Dickdarms zwischen den beiden Darmschleifen), in dem sich nach Ergebnis der Pathologie ein Karzinom auch zeigte. Nach der Operation kam es zu einer Wundheilungsstörung und einer Fistelbildung, was zu einer weiteren Behandlung der Klägerin bis zum Mai 2006 führte.
Durch die beiden Operationen hat die Klägerin ca. 29 % ihres Dickdarms verloren.
Die Klägerin behauptet, die Beklagte habe im April 2005 nicht den zuvor festgestellten Tumor entfernt, sondern ein gesundes Dickdarmstück. Die Ärzte der Beklagten hätten angesichts der ungenauen Befundung des PD Z und insb. angesichts des unvollständigen Satzes im Befundbericht vor der OP kontrollieren müssen, ob in dem Dickdarmteil sich tatsächlich ein Tumor befunden habe. Dies hätten sie jedenfalls auch während der Operation tun müssen. Die erste Operation sei überflüssig gewesen, da sich der Tumor tatsächlich im colon transversum und nicht im colon ascendens befunden habe.
Die Beklagte trägt vor, der im Dezember 2005 entfernte Tumor sei eine Neubildung gewesen, wofür auch die unauffälligen Befunde von Juni und Juli 2005 sprächen. Der Befund vom April 2005, auf den die Entfernung des Dickdarmteils im Bereich des coecums erfolgte, sei eindeutig gewesen.
Hinsichtlich des Parteivorbringens erster Instanz und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Landgerichts Bezug genommen.
Mit Urteil vom 20.9.2012 hat das Landgericht die Klage nach Beweisaufnahme in Form von Sachverständigengutachten (Chirurg B und Viszeralchirurg Dr. P , wobei letzterer nach dem Beweisbeschluss vom 30.9.2010 – Bl. 8/II – als Obergutachter nach § 412 ZPO eingesetzt wurde) und Erläuterung der Gutachten durch beide Sachverständige abgewiesen. Zur Begründung führt es aus, es läge kein Behandlungsfehler darin, dass die Ärzte der Beklagten die Diagnose des die Darmspiegelung durchführenden PD Z nicht kontrolliert hätten. Man habe sich darauf verlassen können, dass der die Klägerin überweisende Arzt diese ordnungsgemäß untersucht und die Indikation für die Behandlung geprüft habe. Der Befundbericht vom April 2005 sei insoweit eindeutig; auch die histologische Untersuchung vom 20.4.2005 habe ein Karzinom gezeigt. Eine Kontrolldiagnostik im Hause der Beklagten sei daher nicht erforderlich gewesen. Aus den Unterlagen des Vorbehandlers hätte sich auch ergeben, wo genau der Tumor lokalisiert gewesen sei. Während der Operation hätte daher nicht noch mal der Tumor identifiziert werden müssen, was nur durch eine nochmalige Darmspiegelung hätte erfolgen können. Dies hätte intraoperativ jedoch zusätzliche Belastungen, Risiken und Aufwand bedeutet und könne bei einer eindeutigen Befundung nicht erwartet werden. Vom Sachverständigen B bemängelte Dokumentationsfehler stellten keinen Behandlungsfehler dar.
Die Klägerin könne nicht damit gehört werden, dass sie nicht in die Resektion eines gesunden Darmabschnitts eingewilligt habe, da sie in eine Entfernung des rechten Dickdarmteils eingewilligt habe, was auch erfolgt sei.
Hiergegen richtet sich die rechtzeitige Berufung der Klägerin, mit der sie geltend macht, die Vordiagnose des PD Z sei unklar gewesen. Das Landgericht hätte zudem den Behandlungsvertrag auslegen müssen und wäre dann zu dem Ergebnis gelangt, dass es ihr, der Klägerin, um die Entfernung des Darmtumors gegangen sei, nicht aber um die Entfernung anderen, gesunden Gewebes. Genau dies sei aber geschehen, so dass sich die Frage nach der Reichweite der erteilten Einwilligung stelle. Ihre, der Klägerin, Einwilligung habe sich nur auf die Entfernung des Tumors gerichtet. Daher käme es auf einen Irrtum über die richtige Lokalisierung des Tumors nicht an. Eine eindeutige Lokalisierungsangabe habe auch nicht vorgelegen. Zudem sei sie, die Klägerin, der Meinung, dass es vor der Operation stets der Überprüfung der Lokalisationsangabe bedürfe. Hier hätte dafür Anlass bestanden angesichts einer unvollständigen Formulierung des überweisenden Arztes über die Lokalisation des Tumors. Da der Tumor unstreitig von PD Z nicht markiert oder getuscht gewesen war, hätte nicht blind ein Darmteil entfernt werden dürfen, sondern eine Vordiagnostik betrieben werden müssen. Das Landgericht hätte nicht dem Gutachter Dr. P folgen dürfen, sondern ein Obergutachten einholen müssen, zumal die mündliche Erläuterung Widersprüche in den Gutachten B einerseits und Dr. P andererseits nicht habe ausräumen können.
Die Klägerin beantragt, das am 20.9.2012 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin, AZ 6 O 273/06, abzuändern und
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des erkennenden Gerichts gestellt wird, welches nach deren Vorstellung den Betrag von 21.000 EUR nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.4.2005 zu zahlen,
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr die künftigen materiellen und immateriellen Schäden, die nicht von Gesetzes wegen nicht auf Dritte übergegangen sind, zu ersetzen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze der Parteienvertreter nebst Anlagen verwiesen.
Der Sachverständige Dr. P hat in der mündlichen Verhandlung am 13. Januar 2014 dem Senat sein Gutachten erläutert.
II.
Die Berufung der Klägerin gegen das am 20. September 2012 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin war zurückzuweisen, da sie unbegründet ist. Das landgerichtliche Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zu Grunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
1.
Die Berufungsbegründung kann hinsichtlich der Aspekte Inhalt des Behandlungsvertrages einerseits und wirksame Einwilligung andererseits nicht zum Erfolg des Rechtsmittels beitragen.
a)
Dies gilt zunächst, soweit die Klägerin bemängelt, das Landgericht hätte den Behandlungsvertrag auslegen müssen und habe dies fehlerhaft unterlassen. Bei einer Auslegung hätte sich ergeben, dass Vertragsinhalt die Verpflichtung zur Entfernung des Tumors gewesen wäre und diese Pflicht habe die Beklagte nicht erfüllt.
Aus Sicht des Senates bestand jedoch kein Anlass dazu, eine Auslegung des Behandlungsvertrages vorzunehmen (§§ 133, 157 BGB). Eine solche Vorgehensweise kommt überhaupt nur in Betracht, wenn der rechtlich maßgebliche Sinn einer Willenserklärung ermittelt werden muss, weil es an einer eindeutigen Erklärung der Partei(en) fehlt. Denn eine Auslegung einer Willenserklärung ist die Ermittlung ihres rechtlich maßgeblichen Sinns (§ 133 BGB).
Eine solche Ausgangslage ist hier jedoch nicht gegeben. Die Klägerin kam mit dem konkreten Therapievorschlag des PD Z einer Hemikolektomie rechts zu der Beklagten und wollte diese Operation auch ausführen lassen. Natürlich ging sie ebenso wie die behandelnden Ärzte der Beklagte inzident davon aus, dass diese Operation erforderlich sei, um den Tumor zu beseitigen. Dies war quasi Geschäftsgrundlage für die Durchführung der Operation. Als Geschäftsgrundlage bezeichnet man diejenigen Umstände, deren Vorhandensein erforderlich ist, damit der Vertrag im Sinn der Intentionen beider Vertragsparteien noch als eine sinnvolle Regelung bestehen kann. Eine derart radikale Operation mit Entfernung eines Teils von Organen macht jedoch nur bei einer entsprechend ernsten Diagnose wie einer Krebsdiagnose Sinn. Derartige Vorstellungen der Parteien im Sinne einer Geschäftsgrundlage sind jedoch gerade nicht Inhalt des Vertrages (Palandt/Grüneberg, 73. A. 2014, § 313 RZ 10 m.w.N.).
Rechtswirkungen daraus, dass sich hier wesentliche Vorstellungen der Parteien nachträglich als falsch herausstellen (vgl. § 313 Abs. 2 BGB), ergeben sich bei beiderseits bereits vollständig erfüllten Verträgen – und so liegt es hier – nicht (Palandt aaO., § 313 RZ 24).
b)
Ausgehend von dem vorgenannten Ergebnis hat die Klägerin auch wirksam in die Hemikolektomie rechts eingewilligt. Streitentscheidend und erheblich ist nicht, ob sie eingewilligt hat, nur kranke Organteile zu entfernen. Die Klägerin ging – ebenso wie die Beklagte – von einer notwendigen Operation am colon ascendens als Vertragsgegenstand aus. Hierzu hat sie ihre Zustimmung erteilt. Sich nachträglich herausstellende falsche Vorstellungen über die tatsächliche Notwendigkeit der Operation ändern an der Wirksamkeit der bereits abgegebenen Einwilligungserklärung als Willenserklärung nichts.
2.
Zu der Frage, inwieweit die Ärzte der Beklagten verpflichtet gewesen wären, die Vordiagnose des Facharztes PD Z zu überprüfen oder wegen vermeintlich ungenauer Angaben zur Lokalisation des Tumors bei ihm nachzufragen, geht das Landgericht von zutreffenden rechtlichen Grundsätzen aus.
a)
Im Allgemeinen darf sich der Nachbehandler darauf verlassen, dass der vorbehandelnde Arzt seine Patienten richtig behandelt und beraten hat und darf hierauf insbesondere bei zumindest gleicher oder auch besserer Sachkunde und größerer Erfahrung des Vorbehandlers vertrauen (BGH, Urteil vom 28. Mai 2002 – VI ZR 42/01 = NJW 2002, 2944). Anders ist es aber dann, wenn der Nachbehandler ohne besondere weitere Untersuchungen aufgrund der bei ihm vorauszusetzenden Kenntnisse und Erfahrungen erkannt hat oder erkennen müsste, dass ernste Zweifel an der Richtigkeit der vorgeschlagenen Behandlung und der dem Patienten gegebenen ärztlichen Ratschläge bestehen. In einem solchen Fall darf er im Rahmen seiner eigenen ärztlichen Sorgfaltspflichten dem Patienten gegenüber offenbare Versehen oder ins Auge springende Unrichtigkeiten nicht unterdrücken. Dasselbe gilt, wenn der Nachbehandler nach den bei ihm vorauszusetzenden Erkenntnissen und Erfahrungen jedenfalls gewichtige Zweifel und Bedenken hat, ob die Vorbehandlung richtig war. Denn kein Arzt, der es besser weiß, darf sehenden Auges eine Gefährdung seines Patienten hinnehmen, wenn ein anderer Arzt seiner Ansicht nach etwas falsch gemacht hat oder er jedenfalls den dringenden Verdacht haben muss, es könnte ein Fehler vorgekommen sein. Das gebietet der Schutz des dem Arzt anvertrauten Patienten (BGH aaO.).
In Anwendung dieser Grundsätze ist entscheidungserheblich, ob die für die Operation maßgebliche schriftliche Befundung des PD Z den Verdacht auf einen Fehler oder zumindest eine Unklarheit über die Richtigkeit der Therapie (Hemikolektomie rechts) hätte aufkommen lassen müssen. Diese Frage hat das Landgericht, wovon sich der Senat nach ergänzender Erläuterung durch den Sachverständigen Dr. P überzeugt hat, zutreffend bejaht.
b)
Auf Grund der nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. P liegt die Ursache der Problematik darin, dass die ursprüngliche Lokalisationsangabe des Tumors durch den Koloskopen unzutreffend gewesen sein dürfte. Denn das nach der Koloskopie im April 2005 histologisch nachgewiesene Karzinom befand sich tatsächlich im colon transversum, nicht aber im colon ascendens. Dies belegen die histologischen Befunde. Gleichwohl wurde vom Vorbehandler das Karzinom dem colon ascendens zugeordnet. Die Klägerin wurde am colon ascendens operiert; dort fand sich zwar auch eine gutartige Zellveränderung; diese lässt sich dem positiven histologischen Befund vom April 2005 jedoch nicht zuordnen, so dass der Sachverständige für den Senat nachvollziehbar davon ausgeht, dass PD Z diese Veränderung in seinem Befundbericht auch nicht beschrieben hatte. Jedenfalls hätte wegen dieser Veränderung keine Hemikoloskopie durchgeführt werden müssen.
Fraglich ist allein, ob der Fehler in der Zuordnung (Karzinom tatsächlich im colon transversum statt im colon ascendens) den Ärzten der Beklagten vor oder während der Operation hätte auffallen müssen.
Auszugehen ist von Folgendem: Der den Ärzten der Beklagten vorliegende Befundbericht enthält einen unvollständigen Satzteil, nämlich “ … . bis zum coecum.“ Tatsächlich wollte PD Z sagen „…. .Ansonsten unauffälliger Befund bis zum coecum.“
Allein dieser fehlende Satzteil hätte nicht zu Zweifeln bei den Ärzten der Beklagten hinsichtlich der Diagnose und der vorgeschlagenen Therapie führen müssen. Denn dieser fehlende Satzteil enthält in seiner tatsächlichen Ausprägung überhaupt keine weiterführenden Informationen für die durchzuführende Operation; die wesentlichen Fakten finden sich in den Sätzen davor, nämlich dass sich bei 100 cm eine Prominenz mit zentraler ulceröser Einsenkung befindet und „Befund entspricht dem colon ascendens“. Nach Erläuterung des Sachverständigen ist allein die Angabe des colon ascendens für die vermeintliche Lokalisation des Tumors und damit den Operationsbereich entscheidend gewesen. Weder der vollständige noch der unvollständige Satz im Befundbericht des PD Z lässt einen Schluss darauf zu, dass der Tumor sich tatsächlich im colon transversum befindet und damit in einem Darmabschnitt nicht vor, sondern hinter der ersten Dickdarmkurve.
Ob der unvollständige Satzteil Interpretationsspielraum dahingehend zuließ, in welchem Bereich des colon ascendens genau sich das Karzinom befand, ist unerheblich. Denn nach den Erläuterungen des Sachverständigen wäre in jedem Fall allein die Hemikolektomie rechts mit der vollständigen Entfernung des colon ascendens und einem Teil des colon transversum vorzunehmen gewesen. Der Grund hierfür ist vom Sachverständigen auch nachvollziehbar erläutert worden. Denn im Rahmen der Resektion des mit einem Karzinom befallenen Darms ist von wesentlicher Bedeutung, dass auch die maßgeblichen Lymphknoten und Versorgungsstränge des colon ascendens mit entfernt werden, um eine größtmögliche Sicherheit für den Patienten zu erreichen. Allein eine Entfernung eines Teils des colon ascendens mit einem Sicherheitsabstand zum Karzinom kommt als Behandlung hingegen nach den sachverständigen Ausführungen nicht in Betracht und entspricht nicht dem medizinischen Standard. Sofern die Klägerin daher meint, der unvollständige Satzteil hätte Anlass zu einer Nachfrage gegeben, in welchem Abschnitt des colon ascendens tatsächlich zu operieren sein soll, ist dies aus medizinischer Sicht nicht zu begründen.
Ob sich bei hingegen bei einer Nachfrage der behandelnden Ärzte der Beklagten bei PD Z , was es mit dem unvollständigen Satzteil auf sich habe, ergeben hätte, dass der Tumor im colon transversum und nicht im colon ascendens liegt, ist spekulativ, denn PD Z hatte die krankhafte Veränderung ausdrücklich dem colon ascendens zugeordnet. Der mit der Nachfrage- und Überprüfungspflicht des Nachbehandlers verbundene Schutzzweck geht jedoch nicht dahingehend, durch eine Rückfrage quasi einen „Zufallsfund“ zu generieren und festzustellen, dass nicht der colon ascendens, sondern tatsächlich der colon transversum operiert werden sollte. Die entscheidende Frage hier ist nicht, wo sich im colon ascendens der Tumor befand, sondern ob er sich hier überhaupt befand. So wirft auch die Klägerin der Beklagten vor, sie sei in vorwerfbarer Weise im gesunden und nicht im tatsächlich erkrankten Darmabschnitt operiert worden. Die Klägerin wirft der Beklagten hingegen nicht vor, sie sei im falschen Abschnitt des colon ascendens operiert worden, sondern vielmehr, dass sie hier gar nicht hätte operiert werden dürfen.
Gerade auf eindeutige Angaben zum OP-Bereich – hier colon ascendens – kann sich der Nachbehandler nach der Rechtsprechung jedoch grds. verlassen, da gerade sie prinzipiell keine Zweifel beim Nachbehandler begründen bzw. begründen müssen.
Entscheidend ist daher nur, ob die Angabe „Befund entspricht dem colon ascendens“ aufgrund der weiteren im Befundbericht enthaltenen Angaben von den Ärzten der Beklagten in Zweifel zu ziehen war und sie sich hätten fragen müssen, ob tatsächlich dieser Darmabschnitt und nicht ein anderer betroffen war. Dies hat der Sachverständige Dr. P nachvollziehbar und eindeutig verneint.
c)
Soweit der Sachverständige davon ausgeht, dass der die Koloskopie Durchführende möglichst in seinem Befund einen Bezug zu Landmarken und damit anatomisch klar zuzuordnenden Punkten herstellen soll, hätte dieser Aspekt für die Ärzte der Beklagten keinen Anlass zur Nachfrage geben müssen. Zwar ergibt sich aus dem Untersuchungsbericht des PD Z die klare Landmarke des coecums (Endpunkt der Untersuchung). Auch nennt er den colon ascendens. Doch ist es nicht erforderlich, durch die Angabe von konkreten Zentimeterangaben in Bezug auf die Landmarke des coecums den Tumor im colon ascendens weiter zu lokalisieren, so dass allein das Fehlen derartiger Entfernungsangaben bei den Nachbehandlern kein Zweifel an der Lokalisationsangabe begründen musste. Dies folgt gerade daraus, dass bei einem Karzinom im colon ascendens immer eine Hemikolektomie rechts durchgeführt wird, da nur eine Teilentfernung des colon ascendens als Behandlung medizinisch nicht in Betracht kommt.
Auch aus der Angabe „ca. 100 cm“ mussten sich keine Zweifel daran ergeben, dass das Karzinom nicht im colon ascendens lokalisiert war. Denn nach den Ausführungen des Sachverständigen kann die Länge des Dickdarms von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich sein. So liegt die Schwankungsbreite zwischen minimal 90 bis maximal 180 cm. Angesichts derartiger Längenunterschiede ist es, wie der Sachverständige erläutert hat, gerade nicht angezeigt, Zweifel daran zu haben, ob die Lokalisationsangaben von 100 cm nach anus einerseits und colon ascendens andererseits zueinander passen und ob wirklich dieser Darmabschnitt betroffen war.
Auch das Fehlen einer Tusch- oder Clipmarkierung des Tumors musste bei der Beklagten keinen Anlass zur Nachfrage geben. Denn eine solche Markierung ist nach Ausführungen des Sachverständigen in Konstellationen wie den Vorliegenden zwar wünschenswert, aber nicht zwingend. Aus diesem Grund mussten die Ärzte der Beklagten den Vorbehandler auch nicht hiernach fragen, obwohl er in seinem Befundbericht keine derartige Markierung erwähnt hatte.
Auch das am 21.4.2005 bei der Beklagten vorgenommene und im Ergebnis unauffällige MRT hat keinen Anlass zur Nachfrage hinsichtlich der Lokalisation des Tumors geben müssen. Denn der Sachverständige hat nachvollziehbar ausgeführt, dass Sinn dieser Untersuchung nicht die Bestätigung des Befundes des Vorbehandlers ist, sondern vielmehr der Ausschluss von Metastasen.
Der Sachverständige hat zudem nachvollziehbar erläutert, dass ein kleiner Tumor, auch wenn er eine „wurstförmige Prominenz“ hat, nicht intraoperativ palpabel – also tastbar -sein muss. Vielmehr seien Veränderungen erst ab einer Größe von ca. 2 cm tastbar, wobei zudem die Position der zu entfernenden Gewebeveränderung im bzw. am Darm eine entscheidende Rolle spielt. Vorliegend geht es jedoch um einen kleinen Tumor von ca. 1 cm Größe, der gerade nicht tastbar sein muss. Hinzu kommt, dass die von PD Z beschriebene Gewebeveränderung nach den Ausführungen des Sachverständigen ihrer äußeren Erscheinung nach mit derjenigen, die intraoperativ von den Ärzten der Beklagen vorgefunden worden war, vergleichbar ist. Eine eindeutige Aussage unter der Operation, ob die von PD Z beschriebene Veränderung mit der tatsächlich bei der Klägerin vorgefundenen nicht identisch ist, war daher den Ärzten der Beklagten nicht möglich.
Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen bietet auch der Umstand, dass den Ärzten der Beklagten vor Beginn der Operation die Fotodokumentation des PD Z von der von ihm vorgefundenen Veränderung nicht vorlag, keinen Anlass für Nachfragen beim Koloskopen. Denn die von PD Z im Befundbericht vorgenommene verbale Beschreibung der Gewebeveränderung ist nach Ausführungen des Sachverständigen für den Nachbehandler eindeutig, so dass es einer weiteren bildlichen Darstellung der Gewebeveränderung nicht bedarf.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97Abs. 1, 708 Nr. 10,711 ZPO.