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Arzthaftung – Pflicht zur Aufklärung über den Geburtsverlauf

LG Hamburg – Az.: 323 O 161/10 – Urteil vom 12.07.2012

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 130.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Arzthaftung - Pflicht zur Aufklärung über den Geburtsverlauf
Symbolfoto: Von Blue Planet Studio /Shutterstock.com

Die Klägerin zu 1) erhebt gegen den Beklagten Vorwürfe im Zusammenhang mit der Leitung der Geburt ihres Sohnes – des Klägers zu 2) – und macht Ansprüche auf Zahlung von Schmerzensgeld und einen Feststellungsanspruch geltend.

Die Klägerin wurde von ihrem ersten Kind am 20. März 2004 bei Präeklampsie mit HELLP-Symptomatik, vaginalen Blutungen und auffälliger Cardiotokographie (CTG) entbunden.

Vor der Geburt ihres zweiten Kindes – des Klägers zu 2) – wurde sie am 30. Juni 2006 wegen des Verdachts auf eine beginnende Präeklampsie erstmals stationär in der Klinik des Beklagten stationär aufgenommen. Als Stichtag war der 20. Juli 2006 errechnet worden. Nach unauffälligen Untersuchungsbefunden wurde die Klägerin am 3. Juli 2006 entlassen.

Am 10. Juli 2006 erfolgte eine ambulante Wiedervorstellung, bei der ebenfalls keine Anzeichen für eine Präeklampsie festgestellt wurden.

In der Perinatologischen Basisdokumentation heißt es, dass die Klägerin eine Spontangeburt anstreben möchte mit großzügiger Sectioindikation bei einer sich andeutenden Pathologie. Dabei wurde sie auf ein erhöhtes Risiko einer Uterusruptur nach Sectio aufgeklärt. In der handschriftlichen Dokumentation heißt es hierzu in einer Eintragung vom 10. Juli 2006 „Pat. wünscht – wenn medizinisch vertretbar – nach Möglichkeit eine vaginale Entbindung-, andererseits möchte sie einen Geburtsverlauf wie beim 1. Kind vermeiden!!! -> daher großzügige Sectioindikation im Falle einer sich andeutenden Pathologie!!“

Am 19. Juli 2006 stellte sich die Klägerin mit fraglichen Wehen in der Frauenklinik des A. – Krankenhauses vor und wurde wieder entlassen, nachdem die CTG-Untersuchung unauffällig und der Zervikalbefund unreif war.

Am 20. Juli 2006 traten kräftigere Wehen auf, so dass sich die Klägerin um 2:10 Uhr erneut im A.-Krankenhaus vorstellte. Alle 3 bis 5 Minuten traten kräftigere unregelmäßige Wehen auf und der Zervixbefund war fortgeschritten. Die Klägerin wurde nunmehr aufgenommen. Die Geburt verlief danach wie folgt:

Um 3.20 Uhr äußerte die Klägerin Schmerzen, so dass gegen 3.55 Uhr ein Katheter für die Periduralanästhesie gelegt wurde.

Ab 4:10 Uhr wurde mit der Infusion von Oxytocin zur Wehenverstärkung, beginnend mit 20 ml/h, begonnen. Die Menge wurde schrittweise erhöht auf 40 ml/h. Gegen 5:00 Uhr verspürte die Klägerin einen starken Wehendruck.

Um 5:10 Uhr ist dokumentiert, dass der Muttermund vollständig ist, der Kopf bis knapp Beckenmitte herabgetreten ist und die Pfeilnaht schräg ist. Es wird eine Amniotomie durchgeführt.

Um 5:30 Uhr wird die Oxytocin-Infusion auf 60 ml/h erhöht. Um 5.50 Uhr kommt es im CTG zur Aufzeichnung eines eingeengten Oszillationstyps der fetalen Herzfrequenz und zum Auftreten von fetalen Herztonabfällen. Auf Anordnung der Zeugin Dr. Z. wird zur um 6:00 Uhr eine erste Mikroblutuntersuchung durchgeführt.

Um 6:20 Uhr erfolgt weitere Erhöhung der Qxytocin-Infusion auf 70 ml/h und um 6:30 Uhr auf 80 ml und Vorbereitung einer erneuten Mikroblutuntersuchung

Um 6:42 Uhr heißt es, dass der Muttermund vollständig sei, der vorangehende Teil stehe fest im Beckeneingang, das Fruchtwasser laufe rosafarben. Es wird eine zweite Mikroblutuntersuchung „in üblicher Weise“ durchgeführt.

Um 6: 52 Uhr kam es bei dem Kläger zu einem Herztonabfall auf 80 Schläge in der Minute. Nachdem es zu keiner Erholung kam, wurde um 6:59 Uhr die Entschluss zu einer Cito-Sectio aufgrund der anhaltenden Bradykardie getroffen.

Um 7:15 Uhr wurde der Kläger geboren.

Bei Durchführung der Sectio zeigte sich, dass es im Bereich der alten Sectionarbe zu einer Uterusruptur gekommen war. Die Klägerin wurde bis zum 25. Juli 2006 stationär behandelt; der Kläger blieb bis zum 1. August 2006 in stationärer Behandlung.

Dem Beklagten wird von den Klägern zum Vorwurf gemacht, dass die Klägerin nicht über ein erhöhtes Risiko einer Uterusruptur bei Gabe von Oxytocin aufgeklärt worden sei. Wenn sie darüber aufgeklärt worden wäre, hätte sie von einer Oxytocin – Gabe Abstand genommen und eine Sectio gewünscht. Dies wäre spätestens um 6:15 Uhr der Fall gewesen. Sie sei im Zusammenhang mit den Mikroblutuntersuchungen auch nicht darüber aufgeklärt worden, dass jedenfalls eine relative Indikation für die Sectio bestehe.

Außerdem sei spätestens ab 5:15 Uhr von einem Geburtsstillstand in der Austreibungsphase auszugehen. Bis 6:42 Uhr sei keine Untersuchung erfolgt, um ein Fortschreiten der Geburt zu kontrollieren. Wenn dies erfolgt wäre, wäre der Geburtsstillstand festgestellt worden. Es hätte dann schon früher – spätestens ab 6:15 Uhr – die Indikation zur Sectio gestellt werden müssen. Stattdessen sei laufend die Infusion mit Oxytocin erhöht worden.

Außerdem sei ein relatives Missverhältnis zwischen dem kindlichem Kopf und dem mütterlichen Becken so wahrscheinlich gewesen, dass ein weiteres Zuwarten bzw. das Steigern der Oxytocin-Gabe nicht mehr fachgerecht gewesen sei.

Folge sei, dass es bei der Klägerin zu der Uterusruptur gekommen sei. Infolgedessen habe der Kläger eine perinatale Asphyxie erlitten. Wenn die Indikation für die Section früher gestellt worden wäre, wäre die Ruptur und die Asphyxie vermieden worden. Wie sich aus den Mikroblutuntersuchungen ergebe, sei es zu einer hypoxischen Gefährdung des Klägers erst danach gekommen.

Die Asphyxie habe zu einer Entwicklungsstörung des Klägers geführt.

Bis Juni 2008 werde eine – leichte – Verzögerung der Entwicklung in verschiedener Hinsicht beschrieben, zuletzt eine leichte Sprachretardierung. Diese Entwicklungsverzögerung bestehe fort. Sie rechtfertige ein Schmerzensgeld von mindestens 20.000,00 Euro.

Die Klägerin könne nach der Uterusruptur nicht erneut schwanger werden. Ihre Familienplanung sei noch nicht abgeschlossen gewesen. Dies rechtfertige ein Schmerzensgeld von mindestens 40.000,00 Euro.

Die Kläger beantragen,

1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten p.a. über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger zu 2) ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, welches in das Ermessen des Gerichts gestellt wird und diejenigen Körper- und Gesundheitsschäden berücksichtigt, die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eingetreten sind, mindestens jedoch € 20.000,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten hieraus über dem jeweiligen Basiszins der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, sämtlichen weiteren immateriellen und materiellen Schaden der Klägerin zu 1) und des Klägers zu 2) aus der streitgegenständlichen fehlerhaften Geburtsleitung vom 20.07.2006 im A.-Krankenhaus zu ersetzen, soweit dieser nicht auf Träger der Sozialversicherung oder Sozialhilfe übergegangen ist oder übergehen wird,

4. den Beklagten zu verurteilen, die Klägerin zu 1) und den Kläger zu 2) von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von € 4.510,10 freizuhalten.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er macht geltend, dass die Geburtsleitung nicht zu beanstanden sei. Die Eröffnungsperiode sei insgesamt zeitgerecht verlaufen. Die Gabe von Oxytocin sei ebenfalls nicht zu beanstanden. Nachdem im CTG Dezelerationen aufgetreten seien, sei fachgerecht eine Mikroblutuntersuchung veranlasst worden. Die Werte seien physiologisch gewesen. Gleiches gelte für die zweite Mikroblutuntersuchung. Nach Auftreten einer Bradykardie sei der Entschluss zur sofortigen Beendigung der Geburt durch eine Kaiserschnittentbindung gefasst worden. Vorher sei dies nicht erforderlich gewesen. Eine feste zeitliche Limitierung des Abwartens in der Austreibungsphase bestehe heutzutage nicht mehr. Ein Abwarten des Tiefertretens des Köpfchens bei vollständigem Muttermund könne sich über 2 bis 3 Stunden hinziehen. Maßgeblich sei, dass keine Gefahrensituation für das Kind bestehe. Dies sei durch die zweimaligen Mikroblutuntersuchungen geklärt worden. Vor Durchführung der Untersuchungen sei die Klägerin über die Notwendigkeit zur Klärung einer möglichen pathologischen Entwicklung und die möglichen Konsequenzen, d.h. auch über die Möglichkeit oder Erforderlichkeit einer Sectio aufgeklärt worden. Die Klägerin habe jedoch weiterhin eine Geburt auf natürlichem Wege gewünscht. Erst die Bradykardie habe dann die Notwendigkeit einer Sectio begründet, die dann zeitgerecht durchgeführt worden ist.

Ob einer frühzeitigere Sectio den Kausalverlauf geändert hätte, sei spekulativ, da der Zeitpunkt der Uterus-Ruptur nicht festgestellt werden könne.

Das geltend gemachte Schmerzensgeld sei übersetzt. Soweit es den Kläger zu 2) betrifft, werde in den Befundberichten eine altersentsprechende Entwicklung beschrieben. Von einer Entwicklungsverzögerung könne nicht die Rede sein.

Zum weiteren Vorbringen der Parteien wird ergänzend auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Kammer hat Beweis erhoben gemäß dem Beweisbeschluss vom 22. Juli 2010 (Bl. 39 d.A.). Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof Dr. M. vom 16. Mai 2011 Bezug genommen sowie auf das Protokoll von der mündlichen Anhörung des Sachverständigen vom 2. Februar 2012 (Bl. 112 d.A.).

Die Kammer hat zudem gemäß dem Beschluss vom 15. März 2012 (Bl. 137 d.A.) die Klägerin persönlich gemäß § 141 ZPO angehört und den Ehemann der Klägerin sowie Frau Dr. Z. als Zeugen vernommen. Zum Ergebnis der Anhörung und Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Sitzung vom 31. Mai 2012 (Bl. 147 d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Kläger haben keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung von Schmerzensgeld und auf Feststellung der Einstandspflicht für weitere materielle oder immaterielle Schäden aus §§ 611, 280, 253 BGB i.V. mit dem Behandlungsvertrag.

Die Kläger haben weder einen Behandlungsfehler noch einen Aufklärungsmangel beweisen können.

1. Zunächst steht zur Überzeugung der Kammer aufgrund des überzeugenden Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. M. fest, dass die Geburtsleitung fachgerecht erfolgte.

Danach bestand eine zwingende Indikation für eine Sectio erst nach Auftreten der anhaltenden Bradykardie, die im CTG um 6:52 Uhr aufgezeichnet worden ist. Nach den schlüssigen und für die Kammer überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen kann aus dem plötzlichen Abfall der kindlichen Herztöne auf 80 Schläge pro Minute in Verbindung mit dem Ausbleiben des zuvor beschriebenen Wehenschmerzes mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf geschlossen werden, dass es zu diesem Zeitpunkt zu der Uterusruptur und infolgedessen zu der Bradykardie gekommen ist. Daraus ergab sich die dann alternativlose Indikation für eine Sectio. Die Reaktion auf die Bradykardie, die Entscheidung zur sofortigen Sectio und die Umsetzung dieser Entscheidung erfolgte nach den Ausführungen in jeder Beziehung – sowohl hinsichtlich der nach dem Abfall der fetalen Herztöne ergriffenen Maßnahmen als auch in zeitlicher Hinsicht von der Indikationsstellung bis zur Durchführung der Sectio – fachgerecht.

Vor diesem Zeitpunkt gab es demgegenüber keine Anhaltspunkte dafür, dass es dem Kind nicht gut gehen und die Geburt einen pathologischen Verlauf nehmen könnte. Es war zwar nach den Ausführungen des Sachverständigen ab 5:10 Uhr zu einem Geburtsstillstand gekommen, da um 6:42 Uhr der vorangehende Teil fest im Beckeneingang saß, während um 5:10 Uhr der Kopf schon bis knapp Beckenmitte eingetreten war. Der Geburtsstillstand lag jedoch noch innerhalb der tolerablen zeitlichen Grenze und indizierte für sich genommen keine Sectio. Wie der Sachverständige erläutert hat, beläuft sich bei Erstgebärenden die akzeptable zeitliche Spanne für den fehlenden Geburtsfortschritt in der Austreibungsperiode auf 2 Stunden ohne und 3 Stunden mit liegender Periduralanästhesie. Diese zeitliche Spanne war zum Zeitpunkt des Herztonabfalles bei weitem noch nicht erreicht; es konnte noch mit einer spontanen Geburt gerechnet werden. Als physiologisch Erstgebärende war die Klägerin anzusehen, da die Geburt ihres ersten Kindes per Kaiserschnitt erfolgte. Auf die im CTG aufgezeichneten Dezelerationen ist fachgerecht mit Mikroblutuntersuchungen reagiert worden, die unauffällig waren und keinen Anhaltspunkt für einen möglicherweise pathologischen Verlauf gaben.

Die Gabe von Oxytocin zur Wehenverstärkung ist weder für sich genommen noch im Zusammenhang damit zu beanstanden, dass bereits das erste Kind der Klägerin per Kaiserschnitt zur Welt gekommen ist. Die Stimulation mit Oxytocin erfolgte fachgerecht, nachdem mit der Periduralanästhesie begonnen worden war und die Wehentätigkeit darunter nachgelassen hatte. Die Dosierung lag auch in der höchsten Dosierung von 80 ml/h = max. 16 mE/min noch deutlich unter der maximal zulässigen Dosis von 40 bis 42 mE/min und ist ebenfalls nicht zu bemängeln.

Auch unter dem Aspekt eines relativen Missverhältnisses zwischen den mütterlichen Beckenmaßen und dem Kopfdurchmesser des Kindes ist weder die Stimulation der Wehentätigkeit mit Oxytocin noch der Zeitpunkt der Entscheidung zur Sectio zu beanstanden. Ein relatives Missverhältnis war unter Berücksichtigung der vorangegangenen Gewichtsschätzung und nach Eintreten des Kopfes bis knapp Beckenmitte und schräg stehender Pfeilnaht nämlich zu keinem Zeitpunkt wahrscheinlich.

Das Geburtsmanagement war damit insgesamt nicht zu beanstanden.

2. Auch die erhobene Aufklärungsrüge vermag der Klage nicht zum Erfolg zu verhelfen.

Soweit die Klägerin rügt, sie sei über ein erhöhtes Risiko einer Uterusruptur bei Gabe von Oxytocin nicht aufgeklärt worden, geht diese Rüge ins Leere, weil es nach den auch insoweit überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. M. nach wissenschaftlichen Erkenntnissen insoweit kein erhöhtes Risiko, über das aufzuklären wäre, gibt. Wie der Sachverständige auch insoweit überzeugend und unter Auseinandersetzung mit dem Stand der Wissenschaft und den Ausführungen des von den Klägern beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. G. ausgeführt hat, gibt es zwar ein insgesamt geringes Risiko einer Uterusruptur bei einer Spontangeburt nach einer vorausgegangenen Sectio. Dieses Risiko, über das die Klägerin aufgeklärt worden ist, wird nach wissenschaftlicher Erkenntnis jedoch nicht dadurch erhöht, dass die Wehen durch Oxytocin stimuliert werden. Ein nachweisbarer Unterschied zwischen „natürlichen“ Wehen und durch Oxytocin stimulierten Wehen besteht danach nicht.

Nach dem Ergebnis der Anhörung der Klägerin und der Beweisaufnahme ist die Klägerin auch über eine relative Indikation für eine Sectio hinreichend aufgeklärt worden. Dass die Klägerin grundsätzlich über eine Sectio als Alternative zur vaginalen Geburt aufgeklärt worden ist, ist nicht streitig. Vielmehr ist sogar unstreitig, dass mit der Klägerin, die nach Möglichkeit eine vaginale Geburt wünscht, eine großzügige Indikation bei sich anbahnender Pathologie vereinbart war. Um der Klägerin auf dieser Basis eine selbstbestimmte Entscheidung über die Durchführung einer Sectio in der konkreten Situation zu ermöglichen, war sie über den Geburtsverlauf aufzuklären, und zwar vor dem Hintergrund der Vereinbarung einer Sectio bei sich anbahnender Pathologie auch über Umstände, die noch keine zwingende Indikation für eine Sectio begründen. Ob die medizinischen Voraussetzungen für eine Sectio auf der Grundlage der mi ihr vor der Geburt getroffenen Vereinbarung vorlagen, konnte die Klägerin nämlich nicht aus eigener Kenntnis beurteilen. Vielmehr war sie insoweit auf eine Aufklärung durch die die Geburt begleitenden Ärzte angewiesen. Dabei musste die Klägerin zwar nicht über einen Geburtsstillstand aufgeklärt werden, da nach den Ausführungen des Sachverständigen ein solcher zwar eingetreten war, aber die zu tolerierende Zeitspanne bei einer Erstgebärenden bei weitem noch nicht erreicht war und sich daraus keine Anhaltspunkte für eine sich anbahnende Pathologie ergaben. Aufzuklären war die Klägerin demgegenüber über den Grund und über die möglichen Konsequenzen der Mikroblutuntersuchungen, da diese Untersuchung nicht routinemäßig, sondern bei einem auffälligen, wenn auch nicht eindeutig pathologischem CTG durchgeführt wird. Sie dient der Überprüfung der Sauerstoffsättigung des Blutes Kindes bzw. eines etwaigen Sauerstoffmangels. Auch wenn nach dem Ergebnis der beiden Untersuchungen ein Anhaltspunkt für eine Gefährdung des Kindes zu diesem Zeitpunkt nicht bestand, war die Klägerin nicht nur über das Ergebnis der Untersuchungen aufzuklären, sondern auch darüber, warum die Untersuchungen erfolgen müssen, um ihr die Entscheidung zu ermöglichen, ob für sie allein die Notwendigkeit dieser Untersuchung unabhängig von dem Ergebnis einen Grund darstellt, zu einem Kaiserschnitt überzugehen, um jede Gefährdung des Kindes auszuschließen. Eine solche Aufklärung hat indessen stattgefunden. Die Zeugin Dr. Z. hatte zwar keine konkrete Erinnerung an die Gespräche mit der Klägerin. Sie hat jedoch glaubhaft geschildert, dass regelmäßig vor der Durchführung einer Mikroblutuntersuchung während der Geburt die Notwendigkeit und die möglichen Konsequenzen mit der Patientin besprochen werde. Dabei wird der Grund für die Untersuchung – hier ein unregelmäßiges CTG – genannt und erläutert, dass es sich bei der Mikroblutuntersuchung um eine zusätzliche Untersuchung handelt, die die Feststellung dient, wie es dem Kind in dem Moment geht. Es werde weiter erklärt, dass abhängig von dem Ergebnis der Untersuchung zu entscheiden ist, ob die natürliche Geburt abgebrochen und ein Kaiserschnitt durchgeführt werden soll, oder ob die natürliche Geburt fortgesetzt werden soll. Dabei sei die Mikroblutuntersuchung für die Fortsetzung der natürlichen Geburt letztlich alternativlos, da ohne diese Untersuchung keine näheren Informationen über den Zustand des Kindes zu erlangen seien und die Fortsetzung der natürlichen Geburt im Interesse des Kindes ohne weitere Informationen nicht zu vertreten sei. Diese Darstellung ist auch glaubhaft. Dass die – invasive – Mikroblutuntersuchung durchgeführt wird, ohne vorher mit der Patientin darüber gesprochen zu haben, warum dies erforderlich ist, ist gerade vor dem Hintergrund wenig wahrscheinlich, dass bei einer Verweigerung eine Sectio durchzuführen gewesen wäre. Auch die Klägerin selbst hat letztlich angegeben, dass ihr gesagt worden sei, dass die Mikroblutuntersuchungen der Feststellung gedient habe, wie es dem Kinde gehe. Der Zeuge K. hat sogar konkret ausgesagt, dass die Untersuchung zur Prüfung durchgeführt werde, wie die Sauerstoffsättigung sei. Es sei ihnen jedoch nicht gesagt worden, aus welchem Anlass dies gemacht werde und welche Konsequenzen dies habe. Gerade vor dem Hintergrund der getroffenen Vereinbarung ist jedoch wenig plausibel, dass die Klägerin und ihr Ehemann, die sich vor der Geburt sorgfältig überlegt haben, ob erneut eine Sectio durchgeführt oder eine natürliche Geburt angestrebt werden soll, und die sich auch darüber haben beraten lassen, in dieser Situation nicht einmal gefragt haben wollen, warum überprüft werden müsse, wie es dem Kind gehe bzw. wie die Sauerstoffsättigung sei. Der Zeuge K. hat sich darauf zurückgezogen, dass er sich nicht erinnern könne, ob er nachgefragt habe, obwohl er ansonsten eine sehr genaue Erinnerung auch hinsichtlich der Uhrzeiten gehabt haben will. Die Klägerin selbst hat angegeben, sie sei sich sicher, dass im Zusammenhang mit den Mikroblutuntersuchungen nicht über einen Kaiserschnitt gesprochen worden sei, weil sie sich dann sicher für einen Kaiserschnitt entschieden habe. Warum sie in der Situation der Geburt allein wegen des auffälligen CTG eine Mikroblutuntersuchung, die gerade der Klärung dient, ob tatsächlich ein Risiko für das Kind besteht, verweigert hätte und eine Sectio gewünscht hätte, ist letztlich nicht plausibel. Es ist vielmehr der Eindruck entstanden, dass die Erinnerung der Klägerin und ihres Ehemann durch die nachfolgenden Ereignisse und den Wunsch, sie hätten sich noch vor dem Eintritt der kritischen Situation für ihr Kind für eine Sectio entschieden, beeinflusst worden ist.

Die Informationen, die die Klägerin von der Zeugin Dr. Z. erhalten hat, waren ausreichend, um eine selbstbestimmte Entscheidung über eine Sectio zu diesem Zeitpunkt treffen zu können.

Über das Ergebnis der Untersuchungen, nämlich dass keine Gefährdung des Kindes ersichtlich ist, ist die Klägerin sodann ebenfalls korrekt aufgeklärt worden.

Nach allem ist die Klage somit abzuweisen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.

 

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