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Arzthaftung: Schmerzensgelderhöhung bei Verzögerung der Zahlung durch den Haftpflichtversicherer

OLG Frankfurt, Az.: 12 U 7/98, Urteil vom 07.01.1999

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 06.11.1998 abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von insgesamt 20.000,00 DM zuzüglich 4 % Zinsen hieraus seit dem 10.02.1994 zu zahlen.

Wegen des weitergehenden Zinsanspruchs wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten der ersten Instanz tragen die Klägerin 1/3 und der Beklagte 2/3.

Die Kosten der Berufung fallen dem Beklagten zur Last.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschwer des Beklagten: 10.000,00 DM.

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz nur noch über die Höhe eines angemessenen Schmerzensgeldes.

Daß dem Beklagten ein ärztlicher Kunstfehler unterlaufen ist, indem er am 16.06.1993 bei der Klägerin die Frakturen zweier Lendenwirbelkörper durch unsachgemäße Untersuchungen übersehen hat, die dann erst Mitte Oktober 1993 durch einen anderen Arzt festgestellt wurden, ist zwischen den Parteien unstreitig. Streit besteht darüber, ob eine bleibende Fehlstellung der Wirbelsäule durch ein rechtzeitiges Erkennen der Frakturen hätte verhindert werden können. Das Landgericht hat dies mit Urteil vom 06.11.1997 unter Bezugnahme auf ein eingeholtes Sachverständigengutachten verneint, der Klägerin aber ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,00 DM deshalb zugesprochen, weil nach den insoweit nicht angegriffenen Ausführungen des Sachverständigen bei alsbaldiger Feststellung der Frakturen eine sofortige Schmerzbehandlung zu einer deutlichen und frühzeitigen Verringerung der von der Klägerin zu erduldenden starken Schmerzen geführt hätte.

Mit der Berufung verlangt die Klägerin ein höheres Schmerzensgeld. Dabei beanstandet sie insbesondere auch, daß die hinter der Beklagten stehende Haftpflichtversicherer bislang jegliche Entschädigungsleistung hartnäckig verweigert habe, obwohl der Beklagte selbst das Urteil des Landgerichts nicht angefochten hat.

Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

Arzthaftung: Schmerzensgelderhöhung bei Verzögerung der Zahlung durch den Haftpflichtversicherer
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Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet.

Zwischen den Parteien ist in erster Linie streitig, ob der Dauerschaden der Klägerin — Fehlstellung der Lendenwirbelsäule — ohne den unstreitigen Diagnosefehler des Beklagten, also bei sofortigem Erkennen der Frakturen hätte vermieden werden können und deshalb ein deutlich erhöhtes Schmerzensgeld geschuldet wird. Dies hat das Landgericht unter Bezugnahme auf das eingeholte Sachverständigengutachten zur Recht verneint. Dem Gutachten läßt sich nämlich entnehmen, daß mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die von der Klägerin beklagte Einschränkung der Beweglichkeit in der Lendenwirbelsäule auch bei einer ordnungsgemäßen sofortigen Diagnose und Behandlung durch den Beklagten nicht hätte verhindert werden können.

Eine deutliche Erhöhung des der Klägerin zugesprochenen Schmerzensgeldes hält das Berufungsgericht gleichwohl aus folgenden Gründen für gerechtfertigt:

Das Landgericht hat einen Schmerzensgeldbetrag von 10.000,00 DM für angemessen gehalten, weil die Schmerztherapie bei der Klägerin infolge des schuldhaften Diagnosefehlers des Beklagten erst mit einer Verzögerung von 4 Monaten eingeleitet werden konnte, die Klägerin also während dieses Zeitraumes an sich vermeidbare Schmerzen erheblichen Ausmaßes erleiden mußte. Dies mag im Grundsatz noch gerade als angemessene immaterielle Entschädigung hingenommen werden, wenn gleich nicht zu übersehen ist, daß der dem Beklagten unterlaufene Fehler — Nichterkennen von Wirbelfrakturen trotz daraufhin deutender Symptome — durchaus als schwer einzustufen ist.

Wenn das Berufungsgericht gleichwohl eine deutliche Erhöhung des Schmerzensgeldes — hier eine Verdoppelung — für angebracht hält, so beruht dies ausschließlich auf dem Verhalten des Haftpflichtversicherers des Beklagten, das dieser sich zurechnen lassen muß.

Die Haftpflichtversicherer des Beklagten hat in vorliegendem Fall in nicht mehr verständlicher und in hohem Maße tadelnswerter Weise sich dem berechtigten Entschädigungsverlangen der Klägerin entgegengestellt. Dies muß bei der Schmerzensgeldbemessung zu Lasten des Beklagten berücksichtigt werden. Zunächst ist zu beanstanden, daß der Versicherer trotz eines klar zu Tage liegenden Diagnosefehlers des Beklagten die Zahlung selbst eines bescheiden bemessenen Schmerzensgeldes davon abhängig gemacht hat, daß die Klägerin eine Abfindungserklärung auch bezüglich sämtlicher weiterer, insbesondere auch bezüglich noch unbekannter zukünftiger Ansprüche unterzeichnet. Ein solches Verhalten ist zwar — was das Gericht aus leidvoller Erfahrung weiß — bei Regulierungsverhandlungen nichts ungewöhnliches und mag auch akzeptiert werden, wenn ernsthafte Zweifel am Haftungsgrund bestehen.

Wenn aber — wie hier — die grundsätzliche Leistungspflicht nicht ernsthaft zu bezweifeln ist, dann ist es aus Sicht des Berufungsgericht geradezu unanständig, jegliche Zahlung davon abhängig zu machen, daß der Anspruchsgegner auf alle denkbaren, insbesondere auch zukünftigen Ansprüche endgültig verzichten soll um überhaupt eine Entschädigung zu erhalten. Ein solches Verhalten grenzt an den Tatbestand der Nötigung, beinhaltet zumindest aber eine mit den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht mehr zu vereinbarende Ausnutzung einer psychologischen und und ökonomischen Machtposition des wirtschaftlich Stärkeren. Dies kann nicht hingenommen werden.

Ebenso schwer zu Lasten des Haftpflichtversicherers fällt ins Gewicht, daß er bis zum heutigen Tage nicht einmal das vom Landgerichts mit Urteil vom 06.11.1997 zugesprochene Schmerzensgeld an die Klägerin gezahlt hat, obwohl der Beklagte seiner Verurteilung nicht angegriffen hat. Hierin zeigt sich ganz besonders die gehäuft zu beobachtende Einstellung mancher Haftpflichtversicherer, den Gläubiger unzweifelhaft berechtigter Ansprüche geradezu als lästigen Bittsteller zu behandeln und mit kaum zu überbietender Arroganz die Regulierung selbst berechtigter und unstreitiger Ansprüche zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil in die Länge zu ziehen. Es ist an der Zeit, nochmals zu wiederholen, was bereits das Oberlandesgericht Karlsruhe im Jahre 1972 (NJW 1973, 851) dem Versicherungsgewerbe ins Stammbuch geschrieben:

Die Haftpflichtversicherungen sind verpflichtet, die Schadensregulierung von sich aus zu fördern und angemessene Abschlagszahlungen zu leisten, sobald ihre Einstandspflicht bei verständig — lebensnaher, objektiver Betrachtungsweise erkennbar wird. Verstoßen sie hiergegen unter Verletzung von Treu und Glauben in der Weise, daß dies auf den Geschädigten als ein Zermürbungsversuch wirken kann, so sind die Gerichte nach Gesetz und Verfassung dazu verpflichtet, einem Mißbrauch wirtschaftlicher Macht dadurch entgegen zu wirken, daß sie dem Geschädigten als Genugtuung ein erhöhtes Schmerzensgeld zusprechen.

Da sich in vorliegendem Fall der Haftpflichtversicherer des Beklagten dieser — ihm sicher nicht unbekannten — obergerichtlichen Rechtsprechung offenbar bewußt verschließt, hält das Gericht eine Verdoppelung des an sich angemessenen Schmerzensgeld für gerechtfertigt.

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91, 92, 708 Nr. 10, 713, 546 Abs. 2 ZPO.

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