Trotz deutlicher Anzeichen unterließ die HNO-Ärztin notwendige Hörtests beim Patienten, was eine Arzthaftung wegen grobem Befunderhebungsfehler auslöste. Dieses grundlegende Versäumnis kehrte die gesamte beweislastumkehr/“>Beweislast um und zwang die Ärztin, für bleibende Hörschäden geradezustehen.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was genau ist ein „grober Befunderhebungsfehler“ in der Arzthaftung?
- Wie hilft mir die juristische „Beweislastumkehr“ nach einem groben Arztfehler?
- Welche audiometrischen Tests muss mein HNO-Arzt bei plötzlichen Hörstörungen sofort machen?
- Welches Schmerzensgeld kann ich für bleibende hochgradige Schwerhörigkeit verlangen?
- Wer zahlt die Kosten für mein Hörgerät und zukünftige Folgeschäden nach einem Behandlungsfehler?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 1 U 167/22 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Sachsen‑Anhalt
- Datum: 19.12.2023
- Aktenzeichen: 1 U 167/22
- Verfahren: Berufung
- Rechtsbereiche: Arzthaftungsrecht, Schadensersatzrecht
- Das Problem: Eine Patientin erlitt eine hochgradige Schwerhörigkeit. Sie klagte gegen ihre HNO-Ärztin. Die Ärztin hatte trotz Anzeichen auf einen Hörsturz notwendige Basistests nicht durchgeführt.
- Die Rechtsfrage: War das Unterlassen elementarer Hörtests ein so schwerer Fehler, dass die Ärztin für den bleibenden Schaden haftet?
- Die Antwort: Ja, die Ärztin haftet und muss Schadensersatz zahlen. Das Unterlassen der gebotenen Tests war ein Grober Befunderhebungsfehler. Wegen dieser Grobheit kehrte sich die Beweislast zuungunsten der Ärztin um.
- Die Bedeutung: Unterlässt ein Arzt grundlegende, zum Standard gehörende Untersuchungen, gilt dies schnell als grober Fehler. In diesem Fall muss der Arzt nachweisen, dass der Patient auch bei korrekter Behandlung den Schaden erlitten hätte.
Der Fall vor Gericht
Was passiert, wenn ein einfacher Hörtest unterbleibt?

Manchmal entscheidet ein simpler Test über alles. Für eine Patientin mit einem plötzlich „verstopften Ohr“ hätte ein Standard-Hörtest den Unterschied zwischen normalem Hören und lebenslanger Schwerhörigkeit bedeuten können. Ihre HNO-Ärztin führte diesen Test nicht durch. Stattdessen schickte sie die Frau mit einer Diagnose für eine Allergie nach Hause und gab ihr einen Termin in zwei Monaten. Diese Entscheidung löste einen Rechtsstreit aus, der bis zum Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt ging und eine zentrale Frage des Arzthaftungsrechts aufwarf: Wann wird ein Versäumnis zu einem „groben Fehler“, der die juristischen Spielregeln komplett verändert?
Warum war das Unterlassen der Tests ein so schwerwiegender Fehler?
Die Patientin kam am 6. Mai 2019 in die Praxis. Sie klagte über ein verstopftes Ohrgefühl seit mehreren Tagen. Eine Überweisung ihres Hausarztes sprach sogar von „plötzlichen Hörstörungen“ auf beiden Ohren. Die HNO-Ärztin führte einen einfachen Stimmgabeltest durch. Das Ergebnis war alarmierend: Es deutete auf eine Innenohrschwerhörigkeit auf dem linken Ohr hin.
An diesem Punkt schreibt der medizinische Standard, der in § 630a Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) verankert ist, eine klare Vorgehensweise vor. Bei Verdacht auf einen Hörsturz müssen umgehend weitere Untersuchungen stattfinden. Dazu gehören routinemäßige audiometrische Tests wie ein Tonaudiogramm oder eine Impedanzmessung. Diese Tests klären das genaue Ausmaß des Hörverlusts und sind die Grundlage für eine schnelle Therapie. Die Ärztin ordnete diese Untersuchungen nicht an. Sie ließ den Kontakt zur Patientin abbrechen und sah eine Wiedervorstellung erst für Juli vor – viel zu spät.
Das Oberlandesgericht wertete dieses Vorgehen nicht als irgendeinen Fehler. Es war ein grober Befunderhebungsfehler. Die Richter sahen es als fachlich unverständlich an, bei solch klaren Anzeichen auf die grundlegendsten Diagnosewerkzeuge eines HNO-Arztes zu verzichten. Ein Sachverständiger bestätigte diese Einschätzung. Das Unterlassen der zum Grundrepertoire gehörenden Hörtests und das Fehlen jeglicher ärztlicher Überwachung war ein Verstoß gegen elementare Sorgfaltsmaßstäbe.
Wer trägt die Beweislast bei einem groben ärztlichen Fehler?
Normalerweise liegt die Last beim Patienten. Er muss beweisen, dass der Fehler des Arztes direkt zu seinem Gesundheitsschaden geführt hat. Das ist oft eine kaum zu überwindende Hürde. Wie will man beweisen, dass eine rechtzeitige Behandlung mit Sicherheit geholfen hätte?
Bei einem groben Behandlungsfehler dreht das Recht diesen Spieß um. Es kommt zur Beweislastumkehr. Das Gericht geht davon aus, dass der Fehler den Schaden verursacht hat. Jetzt muss die Ärztin beweisen, dass der Schaden – die fast vollständige Taubheit der Patientin – auch bei absolut korrektem Vorgehen eingetreten wäre. Diesen Gegenbeweis konnte die Ärztin nicht führen.
Der Einwand der Ärztin, eine spätere Behandlung im Klinikum sei ja erfolgt, zählte nicht. Der entscheidende Punkt war die versäumte Diagnostik am Anfang. Nur eine sofortige Befunderhebung hätte die Dringlichkeit der Lage offenbart und eine rechtzeitige Therapie ermöglicht. Das Argument, man hätte auf eine Spontanheilung warten können, pulverisierten die Richter ebenfalls. Ein überwachtes Abwarten sei nur bei informierten Patienten und geringfügigen Hörverlusten eine Option. Ein stilles Nichtstun ohne Patientenkontakt ist das genaue Gegenteil. Die Ärztin hatte eine Situation geschaffen, in der die Ursache für den Dauerschaden nicht mehr zweifelsfrei geklärt werden konnte. Für dieses selbst geschaffene Beweisproblem musste sie nun die Konsequenzen tragen.
Welchen Schadensersatz erhielt die Patientin?
Das Gericht sprach der Patientin auf Grundlage der ärztlichen Haftung für Körperverletzung (§ 823 Abs. 1 BGB) einen umfassenden Schadensersatz zu. Dieser umfasste zwei zentrale Posten.
Erstens ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro, wie es § 253 Abs. 2 BGB für immaterielle Schäden vorsieht. Die Richter berücksichtigten dabei das Ausmaß des Schadens: eine hochgradige Schwerhörigkeit auf dem linken Ohr, die das Sprachverständnis und die Fähigkeit zur Richtungsbestimmung massiv einschränkt. Die Notwendigkeit, dauerhaft ein Hörgerät tragen zu müssen, und die damit verbundenen Einschränkungen im Alltag flossen ebenfalls in die Bewertung ein.
Zweitens musste die Ärztin die Kosten für die Zuzahlung zu einem besonders leistungsfähigen Hörgerät in Höhe von 847,80 Euro erstatten. Das Gericht sah diese Kosten als direkten materiellen Schaden an, der zur Milderung der dauerhaften Schädigung notwendig war. Zusätzlich stellte das Gericht fest, dass die Ärztin auch für alle zukünftigen materiellen und unvorhersehbaren immateriellen Schäden haften muss, die aus ihrem Fehler vom 6. Mai 2019 noch entstehen könnten.
Die Urteilslogik
Grobe Fehler in der Befunderhebung verschieben die juristische Verantwortung vollständig vom Patienten auf den behandelnden Arzt.
- Verletzung des fachärztlichen Standards: Bei einem klaren Verdacht auf eine akute und dringliche Erkrankung müssen Ärzte unverzüglich alle grundlegenden diagnostischen Maßnahmen ergreifen, die der medizinische Standard vorschreibt. Der Verzicht auf elementare, zur Abklärung notwendige Routinetests stellt einen groben Befunderhebungsfehler dar.
- Die Umkehr der Beweispflicht: Begeht der behandelnde Arzt einen groben Fehler, kehrt sich die Beweislast um: Die Kausalität zwischen Fehler und Gesundheitsschaden gilt als bewiesen, es sei denn, der Arzt kann nachweisen, dass der Schaden auch bei absolut fehlerfreiem Verhalten unvermeidlich eingetreten wäre.
- Umfang der Haftung: Verursacht ein grobes ärztliches Versäumnis eine dauerhafte, lebensbeeinträchtigende Schädigung, muss der Verursacher nicht nur angemessenes Schmerzensgeld leisten, sondern auch alle materiellen Kosten tragen, die zur Linderung des Dauerschadens notwendig sind, etwa Zuzahlungen für leistungsfähige medizinische Hilfsmittel.
Die Nichterfüllung elementarer Sorgfaltspflichten führt unmittelbar zur Haftung für alle entstandenen und zukünftigen gesundheitlichen und finanziellen Konsequenzen.
Benötigen Sie Hilfe?
Vermuten Sie grobe Behandlungsfehler bei der Befunderhebung Ihres Hörschadens? Kontaktieren Sie uns für eine sachliche erste juristische Bewertung Ihrer Situation.
Experten Kommentar
Wie weit darf ein Arzt bei eindeutigen Alarmzeichen abwarten? Die Gerichte ziehen hier eine klare rote Linie. Dieses Urteil zeigt: Wer bei Verdacht auf einen Hörsturz elementare Tests wie das Tonaudiogramm unterlässt, begeht nicht nur einen Fehler, sondern handelt sich automatisch die juristisch größte Schwierigkeit ein – die Beweislastumkehr. Auf einmal muss nicht mehr der Patient den Kausalzusammenhang beweisen, sondern der Arzt muss beweisen, dass der massive Hörschaden auch bei korrektem Handeln eingetreten wäre. Ein Verzicht auf die fachärztliche Basis-Diagnostik wird damit zu einem unnötig hohen Haftungsrisiko.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was genau ist ein „grober Befunderhebungsfehler“ in der Arzthaftung?
Ein grober Befunderhebungsfehler beschreibt ein Versäumnis des Arztes, das fachlich derart unverständlich ist, dass es elementare Sorgfaltsmaßstäbe verletzt. Es handelt sich nicht nur um einen einfachen Fehler, sondern um den Verstoß gegen grundlegendste Diagnosepflichten. Dieser schwerwiegende Fehler hat weitreichende Konsequenzen, da er zur juristischen Beweislastumkehr führt. Sie erhalten damit eine starke Position im Arzthaftungsprozess.
Der Fehler liegt vor, wenn der Arzt trotz klarer Warnzeichen auf routinemäßige und notwendige Diagnosewerkzeuge verzichtet. Konkret bedeutet das beispielsweise, bei einem Verdacht auf Hörsturz das Tonaudiogramm oder die Impedanzmessung zu unterlassen, obwohl ein einfacher Stimmgabeltest alarmierende Ergebnisse lieferte. Das Gericht sieht dieses Vorgehen als fachlich unentschuldbar an. Der Arzt hat es in diesem Fall versäumt, die Basis für eine schnelle und korrekte Therapie überhaupt zu schaffen.
Juristisch ist die Schwere des Fehlers entscheidend, weil nur ein Verstoß gegen elementare Sorgfaltsmaßstäbe die Beweislast umkehrt. Normalerweise müssen Sie beweisen, dass der Fehler den Schaden verursacht hat. Durch die Umkehrung nimmt das Gericht an, dass der Fehler ursächlich war. Der behandelnde Arzt muss nun beweisen, dass der Schaden auch bei absolut sofortiger und fehlerfreier Diagnostik unvermeidbar eingetreten wäre.
Sichern Sie die gesamte medizinische Dokumentation, um nachzuweisen, dass Symptome wie plötzliche Hörstörungen dem Arzt klar kommuniziert wurden.
Wie hilft mir die juristische „Beweislastumkehr“ nach einem groben Arztfehler?
Die Beweislastumkehr ist die größte strategische Entlastung in einem Arzthaftungsprozess. Sie befreit Sie als Patient von der fast unüberwindbaren Aufgabe, die Kausalität zwischen dem groben Fehler und Ihrem Gesundheitsschaden nachzuweisen. Das Gericht geht stattdessen automatisch davon aus, dass der Fehler die Ursache für den erlittenen Schaden ist. Dadurch verschiebt sich die gesamte Prozessführung und die Erfolgsaussichten steigen deutlich.
Normalerweise liegt die gesamte Beweislast beim geschädigten Patienten, der nachweisen müsste, dass eine korrekte, frühzeitige Behandlung den Schaden verhindert hätte. Diese rückblickende Klärung einer verlorenen Heilungschance ist oft juristisch unmöglich. Bei einem groben Behandlungsfehler dreht sich die Situation: Das Gericht nimmt die Kausalität an, weil der Fehler, beispielsweise das Versäumen elementarer Diagnostik, gegen die elementarsten Sorgfaltsmaßstäbe verstieß.
Nun liegt die Beweispflicht allein beim Arzt. Er muss den sogenannten Gegenbeweis führen, dass der Dauerschaden, etwa eine bleibende Taubheit, selbst bei einem absolut korrekten und sofortigen Vorgehen unvermeidbar eingetreten wäre. Ärzte schaffen durch ihr fehlerhaftes stilles Nichtstun häufig ein Beweisproblem, weil die Ursache für den Dauerschaden nicht mehr zweifelsfrei geklärt werden kann. Die Konsequenzen dieses selbst geschaffenen Beweisproblems trägt dann der Behandelnde.
Konzentrieren Sie die juristische Strategie darauf, nachzuweisen, dass der Arzt durch sein fehlerhaftes Unterlassen die Klärung der Schadensursache unmöglich gemacht hat.
Welche audiometrischen Tests muss mein HNO-Arzt bei plötzlichen Hörstörungen sofort machen?
Bei Verdacht auf eine akute Hörstörung, wie einen Hörsturz, müssen HNO-Ärzte sofort standardisierte audiometrische Tests durchführen. Diese umgehende Befunderhebung ist entscheidend, weil jede Verzögerung irreversible Schäden verursachen kann. Die medizinischen Standards sehen zwingend objektive Messungen vor, insbesondere das Tonaudiogramm und die Impedanzmessung.
Die Pflicht zur sofortigen Diagnostik leitet sich aus den Anforderungen an eine fachgerechte Behandlung gemäß § 630a Abs. 2 BGB ab. Ergibt bereits ein einfacher Stimmgabeltest einen klaren Verdacht auf Innenohrschwerhörigkeit, reichen unspezifische Ergebnisse nicht mehr aus. Routinemäßige Untersuchungen sind notwendig, um das genaue Ausmaß des Hörverlusts zu klären und die Basis für eine schnelle, leitliniengerechte Therapie zu schaffen. Das Unterlassen dieser Tests gilt bei klaren Symptomen als Verstoß gegen elementare Sorgfaltsmaßstäbe.
Das Tonaudiogramm misst objektiv, in welchem Frequenzbereich und in welchem Ausmaß das Gehör geschädigt ist. Die Impedanzmessung dient dazu, eine Mittelohrerkrankung als mögliche Ursache auszuschließen. Werden diese Messungen verweigert, fehlt die Grundlage für eine adäquate Therapieentscheidung. Ärzte dürfen nur in Ausnahmefällen, bei geringfügigen Störungen und nach umfassender Aufklärung, ein überwachtes Abwarten empfehlen.
Sollte Ihr HNO-Arzt die sofortige Durchführung dieser zwingenden Tests ablehnen, verlangen Sie die Ablehnung schriftlich und suchen Sie umgehend ein Klinikum mit HNO-Abteilung oder einen anderen HNO-Arzt auf.
Welches Schmerzensgeld kann ich für bleibende hochgradige Schwerhörigkeit verlangen?
Für eine bleibende hochgradige Schwerhörigkeit, die durch einen groben ärztlichen Fehler verursacht wurde, wurde im Fall vor dem Oberlandesgericht (OLG) Sachsen-Anhalt ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro zugesprochen. Die Gerichte bemessen diesen Betrag (§ 253 Abs. 2 BGB) nicht nur nach dem medizinischen Befund, sondern vor allem nach den konkreten Auswirkungen auf den Alltag und das persönliche Leiden des Betroffenen.
Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes stehen die funktionellen und immateriellen Schäden im Vordergrund der Betrachtung. Wesentliche Bewertungsfaktoren sind die massiven Einschränkungen beim Sprachverständnis sowie der Verlust der Fähigkeit zur Richtungsbestimmung von Geräuschen. Gerichte berücksichtigen zudem, ob die Schädigung die Lebensqualität dauerhaft beeinträchtigt hat. Dies umfasst beispielsweise die psychische Belastung durch die Notwendigkeit, permanent ein Hörgerät tragen zu müssen und die daraus resultierenden sozialen Einschränkungen.
Das Gericht betrachtet das gesamte Leid, welches über den reinen Hörverlust hinausgeht, wie Schwierigkeiten bei Team-Meetings oder in lauten Restaurants. Um eine gerechte Entschädigung zu erhalten, dürfen Sie die Forderung nicht ausschließlich auf den medizinischen Befund stützen. Entscheidend ist die detaillierte Darlegung der konkreten Alltagsbeeinträchtigungen und des resultierenden Leidens, um das Ausmaß des immateriellen Schadens messbar zu machen.
Führen Sie ein Schadensprotokoll über 14 Tage, in dem Sie genau festhalten, wann und wo die Schwerhörigkeit konkrete Probleme im Alltag verursacht hat.
Wer zahlt die Kosten für mein Hörgerät und zukünftige Folgeschäden nach einem Behandlungsfehler?
Bei einem ärztlichen Behandlungsfehler trägt der verursachende Arzt die vollumfängliche Haftung für alle daraus resultierenden Schäden. Dazu zählen die aktuellen Kosten für notwendige Hilfsmittel wie ein leistungsfähiges Hörgerät. Wichtiger ist jedoch die Absicherung gegen alle denkbaren, lebenslangen Folgekosten, die durch den erlittenen Schaden entstehen.
Der Schadenersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB umfasst alle direkten Kosten, die zur Milderung des Gesundheitsschadens notwendig sind. Hierzu zählt die Zuzahlung für ein hochwertiges Hörgerät, die der Patient selbst tragen musste, weil die Krankenkasse nur einen Basisbetrag leistet. Im konkreten Fall der Patientin mit der fehlerhaft behandelten Schwerhörigkeit musste die Ärztin 847,80 Euro als direkten materiellen Schaden begleichen. Dies stellt jedoch nur einen Teil der gesamten finanziellen Verpflichtung des Schädigers dar.
Um sich gegen alle späteren finanziellen Belastungen abzusichern, müssen Sie zwingend die gerichtliche Feststellung der zukünftigen Haftung fordern. Diese Feststellung verpflichtet den Arzt oder dessen Haftpflichtversicherung, für sämtliche künftige, unvorhersehbare materielle Schäden aufzukommen. Dies schließt die Kosten für Ersatzgeräte, Batterien, notwendige Reparaturen oder sogar psychische Folgeschäden ein, die erst Jahre später auftreten.
Sammeln Sie deshalb umgehend alle Belege, Rechnungen und Quittungen für Zuzahlungen, Batterien und Wartungsverträge als Nachweis für Ihren juristischen Vertreter.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Arzthaftungsrecht
Das Arzthaftungsrecht regelt die zivilrechtliche Verantwortlichkeit von Ärzten und Krankenhäusern für Schäden, die Patienten durch fehlerhafte Behandlung oder mangelnde Aufklärung erleiden. Dieses Rechtsgebiet dient dazu, den Patienten einen angemessenen Schadensersatz und eine Entschädigung für Schmerz und Leid zu sichern, wenn medizinische Standards verletzt wurden.
Beispiel: Das Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt wandte die Grundsätze des Arzthaftungsrechts an, um zu klären, welche Konsequenzen das Unterlassen routinemäßiger Hörtests für die behandelnde Ärztin hatte.
Beweislastumkehr
Juristen nennen die Beweislastumkehr die entscheidende Verschiebung der Verantwortung im Prozess, bei der nicht mehr der Patient den Kausalzusammenhang beweisen muss, sondern der Arzt seine Unschuld beweisen muss. Diese Regel tritt bei besonders schwerwiegenden Fehlern, wie dem groben Behandlungsfehler, in Kraft, weil das Gesetz es als unzumutbar ansieht, den geschädigten Patienten die Beweisführung gegen das eigene Beweisproblem des Arztes zu überlassen.
Beispiel: Wegen des groben Befunderhebungsfehlers trat die Beweislastumkehr ein, sodass die Ärztin beweisen musste, dass die Taubheit der Patientin auch bei absolut sofortiger und korrekter Behandlung unvermeidbar eingetreten wäre.
Feststellung der zukünftigen Haftung
Die Feststellung der zukünftigen Haftung ist ein gerichtlicher Ausspruch, der den Schädiger (hier: die Ärztin) dazu verpflichtet, auch für alle unvorhersehbaren Folgeschäden aufzukommen, die erst Jahre nach dem ursprünglichen Fehler entstehen. Mit dieser Feststellung verschafft man dem Patienten langfristige Sicherheit, da die Verjährung für potenzielle zukünftige Ansprüche gehemmt wird und er nicht erneut klagen muss, wenn beispielsweise ein notwendiges Hilfsmittel ausfällt.
Beispiel: Zusätzlich zum Schmerzensgeld forderte die Patientin die Feststellung der zukünftigen Haftung, um sicherzustellen, dass die Ärztin auch die Kosten für zukünftige Ersatzgeräte, Reparaturen und unvorhergesehene Therapien trägt.
Grober Befunderhebungsfehler
Ein Grober Befunderhebungsfehler liegt vor, wenn ein Arzt entgegen elementarer Sorgfaltsmaßstäbe und trotz klarer Warnzeichen auf routinemäßige und zwingend notwendige Diagnoseinstrumente verzichtet. Das Gericht stuft einen solchen Fehler als fachlich völlig unverständlich ein, da er die Basis für jede korrekte Therapie zerstört und im Arzthaftungsrecht die schwerwiegendste Form des ärztlichen Versäumnisses darstellt.
Beispiel: Das Oberlandesgericht sah das Unterlassen des Tonaudiogramms bei klarem Verdacht auf Hörsturz als einen groben Befunderhebungsfehler an, da hiermit gegen grundlegendste Diagnosepflichten verstoßen wurde.
Schmerzensgeld
Schmerzensgeld, geregelt in § 253 Abs. 2 BGB, ist eine finanzielle Entschädigung für alle immateriellen Schäden, die ein Patient durch die erlittene Körperverletzung davongetragen hat. Die Zahlung bezweckt einen Ausgleich für das erlittene Leid und die Beeinträchtigung der Lebensqualität – die Summe soll dem Geschädigten ermöglichen, sich auf andere Weise Erleichterung oder Freuden zu verschaffen.
Beispiel: Für die hochgradige Schwerhörigkeit auf dem linken Ohr sprach das Gericht der Patientin ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro zu, wobei die Notwendigkeit, dauerhaft ein Hörgerät zu tragen, mitberücksichtigt wurde.
Das vorliegende Urteil
Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt – Az.: 1 U 167/22 – Urteil vom 19.12.2023
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