OLG Koblenz – Az.: 5 U 776/11 – Beschluss vom 26.09.2011
I.
1. Der Antrag des Klägers, ihm für die Durchführung der Berufung gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Bad Kreuznach vom 20. Mai 2011 Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird abgelehnt, soweit der Rechtsmittelführer
a. ein weiteres Schmerzensgeld
b. Verdienstausfall und
c. Anwaltskosten für die vorgerichtliche Vertretung
begehrt.
2. Ihm wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsbestimmung bewilligt und Rechtsanwalt …[A] zur Vertretung beigeordnet, soweit er die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für materielle Zukunftsschäden außerhalb eines etwaigen Verdienstausfalls begehrt.
Gründe
Mit der Berufung möchte der Kläger vermeintliche Ansprüche auf Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes, Verdienstausfall und Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten weiterverfolgen. Daneben begehrt er die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für weitere materielle Zukunftsschäden. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der am … 1971 geborene Kläger erlitt am 8. Juli 2005 einen Riss des Kreuzbandes im linken Kniegelenk. Am 22. August 2005 nahm der Zweitbeklagte (Arzt) im erstbeklagten Krankenhaus eine Kreuzbandersatzplastik vor. Eine Fehlplatzierung des Bohrkanals für den implantierten Kreuzbandersatz führte postoperativ zu einer erheblichen Bewegungseinschränkung des Kniegelenks. Die Verantwortlichkeit der Beklagten für den Fehler ist mittlerweile außer Streit. Die Haftpflichtversicherung der Beklagten hat ein Schmerzensgeld von insgesamt 30.000 € gezahlt.
Mit seinem weiter greifenden Begehren, unter anderem auf Zahlung eines Kostenvorschusses für den Einsatz eines künstlichen Kniegelenks, ist der Beklagte beim Landgericht gescheitert. Das gezahlte Schmerzensgeld sei ausreichend. Ohne billigenswerten Grund habe der Kläger jahrelang einen ärztlich empfohlenen und erfolgversprechenden Revisionseingriff abgelehnt. Da dieser zeitnah nach dem Ersteingriff hätte durchgeführt werden können, fehle es am Zurechnungszusammenhang zwischen dem Fehler des Zweitbeklagten und den Dauerfolgen, auf die der Kläger sein weiteres Schmerzensgeldverlangen stütze. Für den begehrten Vorschuss gebe es keine Anspruchsgrundlage. Ein Verdienstausfall sei nicht schlüssig dargetan; die vorgelegte Verdienstbescheinigung für Juni 2005 (Bl. 172 GA) unzureichend. Dem Feststellungsantrag fehle das Feststellungsinteresse, da drohende Zukunftsschäden nicht dargelegt und auch nicht erkennbar seien. Anwaltskosten für die vorgerichtliche Vertretung seien nicht zu erstatten; die seinerzeit geltend gemachte Forderung sei völlig überzogen.
Mit seiner Berufung möchte der Kläger insbesondere rügen, dass ihm die Verzögerung eines Revisionseingriffs nicht anzulasten sei, da er wegen des jahrelangen Taktierens der Beklagten den vorhandenen Zustand aus Beweissicherungsgründen nicht habe ändern können.
Das Rechtsmittel erscheint aussichtslos, soweit der Kläger ein weiteres Schmerzensgeld, Verdienstausfall und Anwaltskosten für die vorgerichtliche Vertretung begehrt. Prozesskostenhilfe musste daher insoweit versagt werden. Im Einzelnen:
a. Die Erwägung des Landgerichts, der Kläger habe zeitnah nach der Erstoperation einen voraussichtlich erfolgreichen Revisionseingriff vornehmen lassen müssen, ist im Ausgangspunkt zwar nicht frei von Bedenken, jedoch angesichts einer bisher nicht gewürdigten Besonderheit des vorliegenden Falles im Ergebnis richtig.
Der BGH hat wiederholt entschieden, dass der durch eine ärztliche Fehlbehandlung Geschädigte nur dann eine Revisionsoperation durchführen lassen muss, wenn sie einfach und gefahrlos ist, keine besonderen Schmerzen bereitet und sichere Aussicht auf Heilung oder wesentliche Besserung bietet (BGH, Urteil vom 4.11.1986 – VI ZR 12/86 – in VersR 1987, 559 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
Ob diese Voraussetzungen hier erfüllt sind, lässt sich ohne ergänzende Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. …[B] nicht hinreichend verlässlich feststellen.
Die Entscheidung des Landgerichts erweist sich aber vor dem Hintergrund des erstinstanzlichen Antrags des Beklagten, ihm einen Kostenvorschuss für die beabsichtigte Implantation eines künstlichen Kniegelenks zu zahlen, als zutreffend. Insoweit ist nämlich folgendes zu berücksichtigen: Zum Zeitpunkt der Kreuzbandverletzung war der Kläger 34 Jahre alt. Das Kniegelenk eines derart jungen Menschen durch eine Prothese zu ersetzen, kommt nur in absoluten, anders nicht zufriedenstellend lösbaren Ausnahmefällen in Betracht. Der Senat weiß, dass Orthopäden und Unfallchirurgen eine prothetische Versorgung in der Regel nur bei Patienten jenseits des 60-sten Lebensjahres erwägen. Dass im vorliegenden Fall eine tragfähige Indikation für den Eingriff bei einem solch jungen Patienten besteht, ist nicht zu ersehen.
Da der ohne hinreichenden medizinischen oder sonstigen Sachgrund vom Kläger beabsichtigte prothetische Ersatz des gesamten Kniegelenks weitaus tiefer greift und erheblich schwerwiegendere Risiken birgt als die empfohlene Revisionsoperation, ist nicht plausibel, aus welchem billigenswerten Grund der Kläger das Naheliegende ablehnt, jedoch das erheblich Risikobehaftete durchführen lassen will. Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht zu Recht eine verschuldete Obliegenheitsverletzung des Klägers in dessen Weigerung gesehen, den Revisionseingriff vornehmen zu lassen. Das darin liegende Mitverschulden bei der Schadensentwicklung schmälert den Schmerzensgeldanspruch auf Dasjenige, was dem Kläger bei zeitnah durchgeführter und erfolgreicher Revisionsoperation für den dann behobenen, von den Beklagten zu verantwortenden Knieschaden zugestanden hätte. Der gezahlte Betrag von 30.000 € erscheint insoweit angemessen.
Der Einwand der Berufung, man habe den rundum unbefriedigenden Befund über Jahre erhalten müssen, um die Beweise zu sichern, verfängt nicht.
Ein fehlerhaft platzierter Bohrkanal nach einer Kreuzbandplastik ist röntgenologisch, erst recht jedoch durch weitere bildgebende Verfahren darstellbar. Da Aufnahmen nach der Kreuzbandplastik gefertigt wurden und der Kläger nach dem überzeugenden Beweisergebnis erster Instanz zeitnah wusste, dass weiteres untätiges Zuwarten den enttäuschenden postoperativen Befund weiter erheblich verschlimmern würde, erscheint auch dem Senat die abwartende Haltung des Patienten nicht verständlich. Ein weiteres Schmerzensgeld kommt daher auch nach Auffassung des Senats nicht in Betracht.
b. Das Landgericht hat einen schlüssigen Sachvortrag nebst Beweisangebot für den behaupteten Verdienstausfallschaden vermisst. Was die Berufung dagegen vorbringt, ist nicht stichhaltig. Die in erster Instanz vorgelegte Verdienstbescheinigung vom 21. Januar 2011 bezieht sich auf den Monat Juni 2005 (Bl. 172 GA). Daraus lässt sich nichts herleiten, weil der Kläger unmittelbar anschließend verletzungsbedingt und sodann nach der Operation verletzungs- und eingriffsbedingt monatelang arbeitsunfähig war. Auf den Operationsfehler kann insoweit nicht abgestellt werden, weil der Patient auch nach einer rundum sachgemäß durchgeführten Kreuzbandersatzplastik lange Zeit arbeitsunfähig ist. Der gerichtliche Sachverständige hat – in Übereinstimmung mit Erkenntnissen des Senats aus anderen Verfahren – von 12 Wochen gesprochen. Mithin wäre der Kläger ohne den Fehler des Zweitbeklagten frühestens Ende November 2005 wieder arbeitsfähig gewesen. Einen schlüssigen Sachvortrag zum denkbaren Verdienstausfall ab diesem Zeitpunkt hat das Landgericht zu Recht vermisst, wobei der Senat nur ergänzend bemerkt, dass solches Vorbringen auch deshalb veranlasst war, weil die Bautätigkeit während der Wintermonate häufig ruht.
Der Hinweis der Berufung auf die Zeugin …[C] verfängt nicht, weil auch in zweiter Instanz kein entscheidungserheblicher Tatsachenstoff vorgetragen ist. Ohne derartiges Vorbringen ist die von der Berufung geforderte Schadensschätzung nicht möglich.
c. Soweit das Landgericht einen Anspruch auf Erstattung von Anwaltskosten für die vorgerichtliche Vertretung verneint hat, ist das hinsichtlich des deutlich überzogenen Teils der Forderung nicht zu beanstanden.
Im berechtigten Umfang kommt ein derartiger Anspruch zwar in Betracht. Dem insoweit gestellten PKH – Antrag fehlt jedoch das Rechtsschutzinteresse, weil der Kläger nach der Neufassung des § 15 a Abs. 2 RVG den angemessenen Betrag in die Kostenfestsetzung einbringen kann (§§ 104 ff ZPO).
2. Nur für den Feststellungsantrag war dem Kläger wie aus dem Tenor ersichtlich Prozesskostenhilfe zu bewilligen, weil nach Auffassung des Senats materielle Zukunftsschäden, die dem Fehler des Zweitbeklagten zuzuordnen sind, durchaus in Betracht kommen (z. B. ärztliche Versäumnisse bei Revisionseingriffen, deren schädliche Folgen innerhalb des Zurechnungszusammenhang liegen; Zuzahlungen bei Medikamenten etc.).
II.
Im Hinblick auf Letzteres hält der Senat allerdings eine endgültige vergleichsweise Regelung für sinnvoll. Wägt man die derzeit überschaubaren Prozessrisiken gegeneinander ab, hält der Senat folgenden Abfindungsvergleich für sachgemäß, bei dem die bereits geleistete Teilzahlung von 30.000 € berücksichtigt ist:
1. Zur endgültigen Abgeltung sämtlicher im vorliegenden Rechtsstreit geltend gemachter gegenwärtigen und künftigen Ansprüche des Klägers aus dem Schadensereignis vom 22. August 2005, seien diese Ansprüche bekannt oder nicht, eingeklagt oder nicht, vorhersehbar oder nicht, zahlen die Beklagten als Gesamtschuldner an den Kläger weitere 10.000 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 4. November 2008.
2. Mit Zustandekommen und Feststellung der Vergleichsvereinbarung zu 1. erklären die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt und bitten den Senat um Kostenentscheidung nach Maßgabe des § 91 a ZPO.
Wenn die Parteien den Vergleichsvorschlag durch Schriftsatz gegenüber dem Gericht annehmen, stellt der Senat das Zustandekommen des Vergleichs durch Beschluss fest ( § 278 Abs. 6 ZPO ).
Frist zur Stellungnahme: 21. Oktober 2011