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Arzthaftungsprozess -neues Vorbringen in Berufungsinstanz zulässig?

OLG Köln – Az.: I-5 U 122/15 – Urteil vom 04.05.2016

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 8.7.2015 – 11 O 203/13 wird insoweit als unzulässig verworfen, als sie sich gegen die Beklagte zu 1) richtet.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der am 14.10.1945 geborene Kläger suchte am 5.12.2009 mit einem Druckgefühl in der rechten Brust die Notfallambulanz des Krankenhauses der Beklagten zu 1) auf. Die Ärzte leiteten eine kardiologische Diagnostik ein. Eine am 10.12.2009 durchgeführte Computertomografie ergab den hochgradigen Verdacht einer Aortendissektion, der sich am 11.12.2009 bei einer transösophagealen Echokardiografie bestätigte. Die Dissektion befand sich auf Höhe der rechtskoronaren Aortenklappentasche. Der Kläger wurde daraufhin in die Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie der Beklagten zu 2) verlegt, wo die Ärzte am gleichen Tag unter der Diagnose Typ A Dissektion einen Aorta ascendens Bogenersatz und ein Stenting der Aorta descendens vornahmen. Am 14.12.2009 fiel eine Heiserkeit des Klägers auf. Ein hals-nasen-ohrenärztliches Konsil ergab die Diagnose einer Parese des N. recurrens.

Der Kläger hat der Beklagten zu 1) angelastet, eine Aortendissektion nicht in den Kreis der Differentialdiagnosen einbezogen und verspätet eine diagnostische Abklärung, insbesondere durch Computertomografie, vorgenommen zu haben. Hierdurch seien die Operationsbedingungen verschlechtert und die Verletzung des N. recurrens verursacht worden. Der Beklagten zu 2) hat er vorgeworfen, eine intraoperative Darstellung des N. recurrens fehlerhaft unterlassen zu haben.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens 65.000,00 EUR nebst fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, ihm alle immateriellen und materiellen Schäden gesamtschuldnerisch zu ersetzen, die auf die ärztliche Behandlung in der Zeit vom 5.12.2009 bis zum 6.1.2010 zurückzuführen sind, soweit nicht Ansprüche auf öffentlich-rechtliche Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden,

3. die Beklagten zu verurteilen, an ihn die außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 3.593,80 EUR nebst fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie sind den erhobenen Vorwürfen entgegen getreten.

Das Landgericht hat ein kardiologisches Gutachten von Prof. Dr. C eingeholt (Bl. 116 ff. d.A.), den Sachverständigen angehört (Bl. 168 ff. d.A.) und die Klage daraufhin abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Anträge weiter. Hilfsweise begehrt er die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht. Eine eingehende Recherche habe gezeigt, dass eine Operation am offenen Herzen nicht habe gewählt werden dürfen. In den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie werde die Abdeckung des primären Einrisses durch einen endovaskulären Stent präferiert. Ein solcher minimal-invasiver Eingriff habe eine geringere Letalität und Mortalität zur Folge. Jedenfalls habe er, der Kläger, über diesen alternativ möglichen Eingriff aufgeklärt werden müssen. Ein Risiko einer Schädigung des N. recurrens hätte bei Anlage eines Stents nicht bestanden. Der Sachverständige Prof. Dr. C habe die alternative Methode von sich aus ansprechen müssen.

II.

Die Berufung ist teils unzulässig, im Übrigen ist sie unbegründet.

1. Soweit sich die Berufung gegen die Beklagte zu 1) richtet, ist sie nicht ordnungsgemäß begründet worden und daher unzulässig.

In der Berufungsbegründung zeigt der Kläger mit keinem Wort auf, aus welchem rechtlichen oder tatsächlichen Grund die Abweisung der gegen die Beklagte zu 1) gerichteten Klage falsch sein soll. Die Berufungsbegründung stellt ausschließlich die Indikation der von der Beklagten zu 2) durchgeführten und zu verantwortenden Herzoperation vom 11.12.2009 und deren Rechtmäßigkeit in Abrede, indem sie sich auf ein vorrangiges oder jedenfalls alternativ mögliches und damit aufklärungspflichtiges minimal-invasives Verfahren beruft.

2. Im Übrigen ist das Rechtsmittel des Klägers zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Der Kläger kann von der Beklagten zu 2) die Zahlung von Schmerzensgeld und den Ersatz materieller Schäden gemäß §§ 280 Abs. 1, 823 Abs. 1, 831 Abs. 1 BGB nicht verlangen. Den Ärzten der Beklagte zu 2) fällt weder ein schadensursächlicher Behandlungsfehler noch eine mangelhafte Eingriffs- und Risikoaufklärung zur Last.

a) Eine fehlerhafte Durchführung der Operation vom 11.12.2009 hat das Landgericht in nicht zu beanstandender Weise nicht festgestellt. Hiergegen erhebt der Kläger im Berufungsverfahren keine Einwendungen.

b) Soweit der Kläger die Operation vom 11.12.2009 in der Berufungsbegründung erstmals als nicht indiziert ansieht und eine unzureichende Aufklärung rügt, handelt es sich um von der Beklagten zu 2) bestrittenes neues Vorbringen, welches gemäß 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 bis 3 ZPO nicht zuzulassen ist.

Der Kläger hat nicht schlüssig dargetan, dass ein entsprechender Vortrag in erster Instanz ohne Nachlässigkeit unterblieben ist. Zwar sind ein klagender Patient und sein Prozessbevollmächtigter nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 8.6.2004 – VI ZR 199/03, iuris Rdn. 28, abgedruckt in BGHZ 159, 254 ff.) nicht verpflichtet, sich zur ordnungsgemäßen Prozessführung medizinisches Fachwissen anzueignen. Das bedeutet, dass sie die Verspätung neuen Vorbringens damit entschuldigen können, dass sie nach Abschluss der ersten Instanz Leitlinien oder medizinische Literatur durchsehen und durcharbeiten, hierdurch neue Erkenntnisse erlangen und sodann im Prozess vortragen. Dies setzt aber voraus, dass sich die Richtigkeit des neuen Vortrags zumindest im Ansatz aus der Leitlinie oder der medizinischen Literatur ergeben kann und diese zur Stützung des neuen Vorbringens grundsätzlich geeignet sind. Andernfalls verhält sich der Kläger nicht anders als die Partei, die die Indikation einer Operation, deren Durchführung oder die vorherige Aufklärung ohne konkrete Grundlage als fehler- und mangelhaft rügt. Eine entsprechende Vorgehensweise ist stets und bereits in erster Instanz möglich.

Gemessen hieran ist die Verspätung nicht ausreichend entschuldigt. Dass die von der Beklagten zu 2) durchgeführte offene Operation, die unstreitig einen Einriss der Aorta ascedens in unmittelbarer Nähe des Herzen betraf und sich daher als Typ A-Dissektion darstellte, nicht indiziert gewesen sein soll oder die endovaskuläre Einbringung eines Stents eine aufklärungspflichtige Alternative darstellte, kann der Berufungsbegründung und der mit dieser vorgelegten Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Typ B-Dissektionen nicht ansatzweise entnommen werden. Die Leitlinie befasst sich schon ihrer Bezeichnung nach mit Typ B-Dissektionen, mithin mit einer anderen medizinischen Ausgangslage, die in der Dissektion der Aorta descendens liegt. Für akute Typ A-Dissektionen – wie im vorliegenden Fall – verweist die Leitlinie auf S. 12 allein auf die chirurgische Therapie und erklärt im Übrigen, dass diese nicht Gegenstand der Ausführungen der Leitlinie sei. Die Möglichkeit einer endovaskulären Behandlung mittels eines Stents wird im Rahmen der anschließend auf S. 12 ff. diskutierten Therapie von Typ B-Dissektionen abgehandelt und zwar im Anschluss an deren operative Behandlung. Nach dem Gegenstand der Leitlinie und dem Sinnzusammenhang können die Ausführungen zur endovaskulären Behandlung nicht auf akute Typ A-Dissektionen bezogen werden.

c) Selbst wenn das neue Vorbringen zuzulassen wäre, wäre es nicht geeignet, konkrete Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Feststellung des Landgerichts, dass ein Behandlungsfehler der Beklagten zu 2) nicht anzunehmen sei, zu begründen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) oder eine aufklärungspflichtige Behandlungsalternative schlüssig darzutun.

Der Sachverständige Prof. Dr. C hat die Frage, ob – über eine unterlassene Darstellung des N. recurrens hinaus – sonstige Behandlungsfehler der Ärzte der Beklagten zu 2) festzustellen seien, ausdrücklich verneint (Bl. 130 d.A.). Dies schließt die Indikation der offenen Operation vom 11.12.2009, mit der die am 5.12.2009 aufgetretene und mithin sich als akut darstellende Typ A-Dissektion durch einen Bogenersatz behandelt worden ist, ein. Dass stattdessen ausschließlich oder alternativ eine endovaskuläre Behandlung in Betracht gekommen wäre, kann aus den dargelegten Gründen aus der Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Typ B-Dissektionen nicht abgeleitet werden. Das vom Kläger im Schriftsatz vom 4.11.2015 noch angesprochene Unterlassen jeder invasiven Behandlung hätte angesichts der vom Sachverständigen dargelegten hohen Mortalität einer unbehandelten Aortendissektion vom Typ A keine Alternative dargestellt.

d) Soweit die Ehefrau des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat für diesen noch geltend gemacht hat, dass er während des Eingriffs vom 11.12.2009 nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt worden sei, ist schon ein hierauf beruhender gesundheitlicher Schaden nicht dargetan oder ersichtlich. Im Übrigen ist das Vorbringen ebenfalls neu und verspätet, ohne dass ein Grund, der dieses entschuldigen würde, vorgetragen worden ist.

3. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die entscheidungserheblichen Fragen sind in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt, lassen sich auf deren Grundlage beantworten oder sind solche des Einzelfalls.

Berufungsstreitwert: 70.000 EUR (Schmerzensgeld: 65.000 EUR; Feststellung: 5.000 EUR).

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