OLG Dresden – Az.: 4 U 1079/17 – Beschluss vom 04.01.2018
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.
2. Der Kläger hat Gelegenheit, innerhalb von drei Wochen Stellung zu nehmen. Er sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.
3. Der Verhandlungstermin vom 16.01.2018 wird aufgehoben.
Gründe
Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch – einstimmig gefassten – Beschluss zurückzuweisen. Die zulässige Berufung des Klägers bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.
Das Landgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung einen Anspruch des Klägers auf Zahlung von Schmerzensgeld und Schadenersatz wegen der behaupteten fehlerhaften Behandlung einer Thoraxwandhernie verneint.
1. Der vom Kläger im Berufungsverfahren verspätet, da nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist erstmals mit Schriftsatz vom 29.12.2017 begründete Vorwurf, das Landgericht sei rechtsfehlerhaft von einer ausreichenden präoperativen Aufklärung ausgegangen, greift nicht durch. Die insoweit bestehenden Bedenken an der Zulässigkeit des Vorbringens – auch nach § 533 ZPO – können dahingestellt bleiben, da eine Aufklärungspflichtverletzung nach dem eigenen Vorbringen des Klägers nicht begründet ist.
Von einer von den Beklagten zu beweisenden ausreichenden präoperativen Aufklärung über die hier in Rede stehenden Risiken ist auszugehen. Grundsätzlich hat der aufklärungspflichtige Arzt nachzuweisen, dass er die von ihm geschuldete Aufklärung erbracht hat (vgl. BGH, Urteil vom 28.01.2014 – VI ZR 143/13). Hiervon ist aber auszugehen. Der Kläger bestreitet nicht, mit dem Zeugen Dr. K. ein mündliches Aufklärungsgespräch über den konkret vorgesehenen Eingriff anhand des von ihm unterschriebenen Aufklärungsbogens geführt zu haben. Er rügt lediglich, er sei von dem aufklärenden Arzt nicht darauf hingewiesen worden, dass das Prolenenetz dislozieren und die Operation somit fehlschlagen könne. Er hat aber im Rahmen seiner mündlichen Anhörung vor dem Landgericht eingeräumt, dass er bei dem Aufklärungsgespräch auch über das Risiko einer Re-Operation aufgeklärt wurde. Dies reicht für eine ordnungsgemäße Aufklärung aus. Denn der Patient muss nur „im Großen und Ganzen“ über Chancen und Risiken der Behandlung aufgeklärt werden. Nicht erforderlich ist die exakte medizinische Beschreibung der in Betracht kommenden Risiken in allen denkbaren Stoßrichtungen, sondern nur, dass dem Patienten eine allgemeine Vorstellung von dem Ausmaß der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren vermittelt wird, ohne diese zu beschönigen oder zu verschlimmern (vgl. BGH, Urteil vom 11.10.2016 – VI ZR 462/15 –, Rn. 10, juris; BGH, Urt. v. 6.07.2010 – VI ZR 198/09, VersR 2010, 1220 Rn. 11; vom 14.03.2006 – VI ZR 279/04, BGHZ 166, 336 Rn. 13; vom 7. April 1992 – VI ZR 192/91, VersR 1992, 960, 961; vom 7. Februar 1984 – VI ZR 174/82, BGHZ 90, 103, 106, 108). Danach war nicht erforderlich, den Kläger neben dem Risiko einer gegebenenfalls erforderlichen Re-Operation zusätzlich genau darauf hinzuweisen, dass die Gefahr des primären Fehlschlagens der Operation besteht. Denn eine Re-Operation setzt ein Fehlschlagen einer vorherigen Primär-OP notwendig voraus. Eben sowenig war es erforderlich, den Kläger daneben auch auf die Gefahr des Dislozierens des Prolenenetzes hinzuweisen. Die Aufklärung muss sich auf die allgemein bestehenden Risiken des Eingriffs – hier die Gefahr des Fehlschlagens des Eingriffs – beziehen. Die Gefahr, dass das Prolenenetz sich ablöst und im Körper nicht mehr auffindbar ist, ist dem Sachverständigen zufolge neben dem Risiko der Re-OP aber nicht gesondert aufklärungspflichtig. Die einzelnen medizinischen Ursachen für das Wiederauftreten der Hernie anzugeben, war nicht notwendig. Da eine Aufklärung im „Großen und Ganzen“ geschuldet war und der Kläger über den konkret vorgesehenen Eingriff des Verschlusses seiner Lungenhernie, wie er vorträgt, mündlich aufgeklärt wurde, ist auch ohne Belang, ob der Aufklärungsbogen sich pauschal auf herzchirurgische Eingriffe bezieht. Ohne Erfolg rügt der Kläger weiterhin, er habe keine Zweitschrift des Aufklärungsbogens ausgehändigt bekommen, die handschriftlichen Eintragungen nicht lesen können und den mündlichen Erläuterungen nicht so schnell folgen können. Die Aufklärung muss für den Patienten sprachlich und inhaltlich verständlich sein, wobei es auf die individuelle Verständnismöglichkeit des Patienten ankommt (vgl. BGH, Urteil vom 11.10.2016 – VI ZR 462/15). Da der Kläger aber nach seinem eigenen Vortrag dem mündlichen Gespräch entnehmen konnte, dass die Gefahr des Fehlschlagens der Operation bestand, ist nicht ersichtlich, dass er über ein Risiko der Operation nicht aufgeklärt worden wäre, das sich nachfolgend dann verwirklicht hat. Die Aushändigung einer Zweitschrift oder einer Abschrift der Einwilligung in die Operation ist für die Wirksamkeit der Einwilligung des Klägers nicht erforderlich.
2. Die Berufung macht weiterhin ohne Erfolg geltend, es sei nicht hinreichend geklärt, ob bei der Lungenhernieoperation am 07.12.2012 ein Prolenenetz implantiert worden sei.
Auch wenn kurz nach der streitgegenständlichen Operation die vorbestehenden Beschwerden wieder aufgetreten sind und ein Verschluss der Lungenhernie nicht dauerhaft erreicht werden konnte, lässt sich allein daraus noch nicht schließen, dass die Operation fehlerhaft durchgeführt wurde. Voraussetzung für eine vertragliche bzw. deliktische Einstandspflicht der Beklagten ist das Vorliegen eines Behandlungsfehlers, also eines Verstoßes gegen den medizinischen Standard, den der Kläger als Patient zu beweisen hat. Allein der Misserfolg der ärztlichen Behandlungsmaßnahme bzw. der Eintritt eines Schadens genügt demnach nicht, um eine Haftung zu begründen.
Nach den gutachterlichen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. A. kann es – auch unmittelbar – nach der Operation zu einem Versagen des Netzes kommen, insbesondere beim Ausführen eines Valsava-Manövers, bei dem durch Pressen Druck auf die Operationsstelle ausgeübt wird, so dass es zu einem Teilabriss der Nähte und nachfolgend zu einer vollständigen Lösung des Netzes kommen kann. Ein solcher durch Pressen erfolgter Druck kann unter anderem durch Husten ausgelöst werden. Husten muss aber nicht in den Behandlungsunterlagen vermerkt und dem Kläger nicht einmal bewusst gewesen sein. Dass ein solcher Umstand in den Behandlungsunterlagen nicht vermerkt wurde, spricht zumindest nicht gegen die Darstellung der Beklagtenseite, während des Krankenhausaufenthaltes bei der Beklagten zu 2 seien die Symptome eines Reziditivs noch nicht aufgetreten bzw. bekannt gewesen. Soweit die Berufung hiergegen einwendet, dass dem Kläger von ärztlicher Seite mitgeteilt worden sei, es habe einen Behandlungsfehler geben müssen, wenn das Netz nach so kurzer Zeit ausgerissen sei, werden die sachverständigen Ausführungen hierdurch nicht in Zweifel gezogen. Das Vorbringen des Klägers erschöpft sich vielmehr in der Mitteilung einer abweichenden Ansicht, ohne dass diese durch die Vorlage eines ärztlichen Gutachtens näher begründet oder substantiiert wird.
Auch der Umstand, dass bei der Revisionsoperation am 27.01.2014 kein Prolenenetz aufgefunden wurde, ist nach den überzeugenden Ausführungen des Gerichtssachverständigen kein Hinweis darauf, dass es bei der Operation vom 07.12.2012 behandlungsfehlerhaft nicht oder ohne zureichende Verankerung eingesetzt wurde. Der Sachverständige hat es ausdrücklich als nicht ausgeschlossen bezeichnet, dass eine Dislokation des mehr als ein Jahr zuvor implantierten Prolene-Netzes in den Pleuraraum erfolgt ist. Eine Exploration des Pleuraraumes sei aber im Rahmen der zweiten Hernieoperation in Oldenburg nicht erfolgt, um das Risiko einer Verletzung der Lungenoberfläche nicht zu erhöhen und den Patienten nicht zu gefährden. Da dem Sachverständigen zufolge das Prolene-Netz nicht röntgendicht ist und der Verbleib des Netzes somit auch nicht mit bildgebenden Verfahren wie den am 24.01.2013 und 17.12.2013 erhobenen CTs sicher festgestellt werden könne, steht nicht fest, dass kein Prolenenetz im Körper des Klägers verblieben ist. Schließlich hat der Sachverständige sowohl die Verwendung eines Prolenenetzes zum Verschluss der Lungenhernie als auch die von dem Beklagten zu 1 angewandte fortlaufende Einnaht des Netzes und die Dauer der Operation unbeanstandet gelassen. Die Bewertung des Operationsverlaufes durch den Gerichtssachverständigen als standardgerecht wird auch durch das im Schlichtungsverfahren eingeholte Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. M. (Anlage B2) bestätigt. Die von der Berufung geäußerten Zweifel an der Befähigung des Beklagten zu 1 zu einer solchen Operation werden nur mit der Operationsdauer von 22 Minuten begründet, die nach dem Sachverständigengutachten von Prof. Dr. A. für einen erfahrenen Operateur durchaus erreichbar erscheint. Seine hiervon abweichende Auffassung begründet der Kläger nur mit dem allgemeinen Hinweis auf eine von diversen Ärzten und medizinischen Gutachtern geäußerte Auffassung, ohne diese durch die Vorlage von dementsprechenden Gutachten weiter zu belegen.
Der Kläger kann sich zur Begründung eines behandlungsfehlerhaften Vorgehens des Beklagten zu 1 auch nicht auf Beweiserleichterungen stützen, die sich aus etwaigen Dokumentationsmängeln herleiten ließen. Die Implantation eines Prolene-Netzes bei der Operation am 07.12.2012 ist im Operationsbericht vom gleichen Tag dokumentiert, der die Vorgehensweise im Rahmen der Operation eingehend und auch nach den Feststellungen des Gerichtssachverständigen nachvollziehbar beschreibt. Der Operationsbericht selbst enthält zwar keinen Hinweis auf die nach Ansicht des Sachverständigen notwendig zu dokumentierende Implantat-Chargennummer. Der Sachverständige hatte das Fehlen nach Auswertung der ihm (in Papierform) vorliegenden digitalen Reproduktion eines Teils der bei der Beklagten zu 2 geführten Patientenakte bemängelt. Der Umstand, dass die Chargennummer nicht vom Arzt im Operationsbericht eingetragen wird, entspricht aber dem Sachverständigen zufolge dem üblichen Vorgehen. Bestätigt wird dies dadurch, dass auch der vom Kläger vorgelegte Operationsbericht über die Implantation eines Prolenenetzes am 27.01.2014 keine Chargennummer enthält. Die Beklagten haben eine Bildkopie des elektronischen Erfassungssystems der elektronischen Patientenakte des Klägers zur Akte gereicht (Anlage B3), in der die Chargennummer von der Pflegekraft dokumentiert wurde. Die Chargennummer nebst einer Kopie der Ankaufrechnung wurde dem Kläger auch mit Schreiben vom März/April 2014 mitgeteilt. Der Sachverständige hat die ihm vorgelegten Auszüge der elektronischen Dokumentation im Rahmen der mündlichen Anhörung vor dem Landgericht als schlüssig bewertet.
Diese Dokumentation kann auch nicht mit dem erstmals mit der Berufungsbegründung erhobenen Einwand in Zweifel gezogen werden, die Dokumentation müsse gefälscht sein, da der Nachname der die Chargennummer eintragenden Pflegekraft auf dem Ausdruck des OP-Berichtes anders laute als auf dem im Jahr 2017 erstellten Ausdruck aus der elektronischen Patientenakte. Soweit die Berufung vermutet, dass die von den Beklagten geführte elektronische Patientenakte nicht fälschungssicher ist und hierin einen Verstoß gegen den mit der Verabschiedung des Patientenrechtegesetzes neu eingeführten § 630f Abs. 1 BGB sieht (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 13. Januar 2015 – 8 U 141/13 –, Rn. 9 m.w.N. – juris) ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Vorschrift erst am 26.02.2013 und damit nach dem streitgegenständlichen Behandlungsgeschehen in Kraft getreten ist. Nach der früheren Rechtslage kam einer ärztlichen EDV-Dokumentation der volle Beweiswert jedenfalls dann zu, wenn sie nicht gegen nachträgliche Veränderungen gesichert war, der Arzt aber nachvollziehbar darlegte, dass die Dokumentation nicht nachträglich verändert wurde und die Dokumentation auch medizinisch plausibel war (vgl. Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 4. Aufl. 2014, Rn. D 438 m.w.N.). Die Beklagten haben zum Einen behauptet und durch die schriftliche Stellungnahme des Leiters der EDV vom 02.11.2017 bestätigt, dass die bei ihnen geführte elektronische Patientenakte fälschungssicher ist. Dies kann aber offenbleiben, da die Beklagten zum Anderen entsprechend den oben dargestellten Grundsätzen die Namensänderung nachvollziehbar und plausibel erklärt haben. Demnach sei die heiratsbedingte Namensänderung der Krankenschwester durch den Administrator ausschließlich in der zentralen Benutzungsverwaltung geändert worden. Die dem Behandlungssatz, also der elektronischen Patientenakte des Klägers, zugeordnete Benutzernummer sei gleichgeblieben. Dass in den Kopien nunmehr ein anderer Nachname erscheint, erkläre sich daraus, dass nur in der Bildschirmmaske der zum aktuellen Zeitpunkt gültige Name angezeigt werde. Somit hat es schon keine Änderung der ursprünglichen Daten des Behandlungssatzes gegeben. Die medizinische Dokumentation des Operationsgeschehens am 07.12.2012 ist im übrigen – wie oben bereits ausgeführt – dem Sachverständigen zufolge auch schlüssig und wird durch die Operationsdauer, den angeblichen Operationserfolg und den Umstand, dass das Prolenenetz bei der Revisions-OP nicht aufgefunden wurde, nicht in Frage gestellt.
Abgesehen davon würde auch die Verwendung einer nicht fälschungssicheren Software durch die Beklagten nicht dazu führen, dass dem Kläger hinsichtlich des Operationsgeschehens Beweiserleichterungen zugute kommen würden. Die Aufklärung des für den Behandlungsablauf wesentlichen medizinischen Operationsgeschehens wird durch die fehlende Angabe der Chargennummer des Prolenenetzes für den Kläger nicht unzumutbar erschwert. Die Dokumentationspflicht dient der Sicherstellung wesentlicher medizinischer Daten und Fakten für den Behandlungsverlauf und ist deshalb nach ihrem Zweck nicht auf die Sicherung von Beweisen für einen späteren Haftungsprozess des Patienten gerichtet. Deshalb ist eine Dokumentation, die aus medizinischer Sicht nicht erforderlich ist, auch aus Rechtsgründen nicht geboten (BGH, Urteil vom 06. Juli 1999 – VI ZR 290/98 –, Rn. 14, juris, Urteile vom 24. Januar 1989 – VI ZR 170/88 – VersR 1989, 512, 513 und vom 23. März 1993 – VI ZR 26/92 – VersR 1993, 836, 837). Eine unvollständige oder auch nur lückenhafte Dokumentation bildet keine eigenständige Anspruchsgrundlage und führt auch grundsätzlich nicht unmittelbar zu einer Beweislastumkehr hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs (BGH a.a.O., Urteil vom 23. März 1993). Dazu kann es vielmehr nur kommen, wenn die Dokumentationslücke einen groben Behandlungsfehler indiziert, der als solcher die Grundlage für Beweiserleichterungen bildet. Das Unterlassen einer medizinisch gebotenen Dokumentation kann nur indizieren, dass die nicht dokumentierte Maßnahme unterblieben ist (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juli 1999, VI ZR 290/98, NJW 1999, 3408; BGH, Urteil vom 14. Februar 1995, VI ZR 272/93, BGHZ 129, 6; BGH, Urteil vom 23. März 1993, VI ZR 26/92, NJW 1993, 2375; BGH, Urteil vom 24. Januar 1989, VI ZR 179/88, NJW 1989, 2330). Hier wurde aber sowohl die Implantation eines Prolenenetzes wie auch der Operationsort und die gewählte Vorgehensweise im Operationsbericht ausreichend schlüssig dokumentiert. Aus einem fehlenden und/oder ergänzten Eintrag der Chargennummer könnte lediglich gefolgert werden, dass die Dokumentation der verwendeten Charge nicht ordnungsgemäß ist. Daraus folgt aber noch nicht, dass die Implantation des Netzes als solches unterblieben wäre, da dies im Operationsbericht ausführlich dargestellt wird.
Der Senat rät daher zur Berufungsrücknahme, die zwei Gerichtsgebühren spart.