OLG Stuttgart, Az.: 1 U 120/10
Urteil vom 15.02.2011
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Ravensburg vom 1.7.2010 – 3 O 120/09 – (Bl. 152 ff.d.A.) wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Streitwert: 202.244,82 €
Gründe
A.
I.
Die Klägerin, Witwe des am 3.7.2008 im Alter von 51 Jahren an den Folgen einer Darmkrebserkrankung verstorbenen …, nimmt den Beklagten, ehemaliger Chefarzt der Inneren Abteilung des … in … wegen behaupteter Behandlungsfehler im Rahmen einer ärztlichen Behandlung von … zwischen dem 30.7.2001 und dem 6.8.2001 aus übergegangenem Recht auf Schmerzensgeld und materiellen Schadensersatz in Anspruch. Sie wirft ihm im Wesentlichen vor, er habe zwingend gebotene weiterführende Untersuchungen, insbesondere eine Koloskopie (Darmspiegelung) unterlassen und … auch nicht ausreichend deutlich über die Dringlichkeit einer Koloskopie aufgeklärt. Wäre sie zeitnah erfolgt, wäre die Krebserkrankung bereits 2001 im Frühstadium erkannt worden und hätte erfolgreich behandelt werden können.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im ersten Rechtszug wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 152 ff.d.A.) Bezug genommen.
II.
Das Landgericht hat ein schriftliches Sachverständigengutachten von Prof. Dr. … (…) eingeholt (Bl. 93 ff.d.A.), die frühere Sekretärin des Beklagten, Frau …, als Zeugin vernommen (Bl. 57 ff.d.A.) und die Klage abgewiesen, weil ein Behandlungsfehler nicht festzustellen sei. Insbesondere sei nicht widerlegt, dass der Beklagte – wie er behauptet – … die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Koloskopie vor Augen geführt und zumindest eine partielle Koloskopie, die zunächst ausgereicht hätte, dringend empfohlen habe. Nicht zu widerlegen sei auch, dass der Beklagte – was zur Erfüllung der therapeutischen Aufklärungspflicht ausgereicht hätte – erklärt habe, dass man die Blutung auf ihre Herkunft näher untersuchen müsse, weil sie gegebenenfalls auch eine „ernste Ursache“ haben könne. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Beklagte tatsächlich den Eindruck erweckt habe, dass es sich bei den noch geplanten Untersuchungen um eine Kette von im Grundsatz überflüssigen Maßnahmen gehandelt habe. Dass er nicht gleich eine – besonders unangenehme – hohe Koloskopie gewählt habe, sei nachvollziehbar und in der gegebenen Situation auch vertretbar gewesen. Beweiserleichterungen mit Blick auf etwaige Dokumentationslücken bestünden nicht, weil die Dokumentation der behaupteten therapeutischen Hinweise nicht aus medizinischen Gründen geboten und damit nicht dokumentationspflichtig gewesen sei. Ohnehin sprächen die Eintragungen in der Karteikarte dafür, dass eine partielle Koloskopie angedacht gewesen sei (Vermerk: „part. Coloskopie“) und die Gründe mit dem Patienten auch erörtert worden seien.
Der Beklagte sei auch nicht verpflichtet gewesen, den Patienten nach dessen Terminsabsage nochmals einzubestellen und erneut auf die Notwendigkeit weiterer Diagnostik hinzuweisen. Eine besondere Beharrlichkeit sei vom behandelnden Arzt lediglich bei Feststehen einer lebensbedrohlichen Erkrankung zu fordern, wo dem Patienten gegebenenfalls die bestehende Lebensgefahr unmissverständlich zu erläutern sei. Im vorliegenden Fall sei eine lebensbedrohliche Diagnose aber gerade nicht gestellt gewesen und der Patient habe weiterführende Untersuchungen auch nicht ausdrücklich verweigert. Der Beklagte habe daher durch den Hinweis auf mögliche ernste Ursachen und die Feststellung von Tumormarkern die Notwendigkeit und Wichtigkeit der weiteren Diagnostik genügend dargelegt. Die Forderung, nach Absage der Kolopskopie durch den Patienten erneut auf diesen zuzugehen und ihn nochmals auf die Bedeutung weiterer Untersuchungen hinzuweisen, überspanne das Pflichtenmaß, zumal es sich bei … um einen gebildeten Hochschulabsolventen gehandelt habe, bei dem der Beklagte davon habe ausgehen dürfen, dass er die Wichtigkeit der Untersuchungen verstanden habe.
Wegen der Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil (Bl. 152 ff.d.A.) verwiesen.
III.
Das Urteil wurde der Klägerin am 9.7.2010 zugestellt. Sie hat dagegen am 2.8.2010 Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis 30.9.2010 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 29.9.2010 begründet (Bl.184 ff.d.A.).
Sie macht im Wesentlichen geltend:
Die Durchführung einer partiellen Koloskopie sei im Hinblick darauf, dass in der Sonographie zwei verdächtige Befunde an unterschiedlichen Stellen festgestellt worden seien, unzureichend gewesen. Nur der im Übergang des Kolon zum Sigma gelegene Befund sei mit einer Proktoskopie bzw. einer partiellen Koloskopie erreichbar gewesen, nicht aber der Befund im Bereich des Dünndarms. Daher liege insoweit eine unzureichende Befunderhebung vor.
Nicht richtig sei auch die Feststellung des Landgerichts, der Beklagte habe am 6.8.2001 mit … die Laborergebnisse besprochen. Der Laborbefund sei erst gegen 18.27 Uhr ausgedruckt worden und habe daher mit Sicherheit bei dem Gespräch noch gar nicht vorgelegen.
Stehe somit fest, dass die Angaben des Beklagten in einem Kernpunkt belegbar unrichtig seien, so könne nicht unterstellt werden, dass sie im Übrigen zuträfen. Auch der Sonographie-Befund vom 2.8.2001 sei vom Beklagten nicht abgezeichnet worden, was dafür spreche, dass er ihn vor der Besprechung am 6.8.2001 noch gar nicht zur Kenntnis genommen habe.
Auch die Verdachtsdiagnose „Tumor“ sei nicht dokumentiert, obwohl dies aus medizinischen Gründen notwendig gewesen sei. Daraus sei wiederum zu schließen, dass der Beklagte einen entsprechenden Verdacht gar nicht gehabt und folglich gegenüber dem Patienten auch nicht geäußert habe.
Auffällig sei auch, dass die Angaben des Beklagten vor dem Landgericht deutlich von denjenigen der Zeugin … zu den Umständen Terminsabsage abwichen. Während der Beklagte behauptet habe, die Zeugin habe die Anweisung gehabt, absagende Patienten ihm durchzustellen, habe die Zeugin berichtet, dass es eine derartige Anweisung nicht gegeben habe.
Auch die Datierung des Auftrags zur wiederholten Ultraschalluntersuchung und des Auftrags an das Labor zur Bestimmung der Tumormarker passten nicht zu dem behaupteten Ablauf. Beide seien mit Schreibmaschine ausgefüllt und trügen das Datum 13.8.2001, was vor dem Hintergrund, dass der Termin an dem genannten Tag bereits gegen 8:00 Uhr abgesagt wurde, merkwürdig sei.
Angesichts dieser Umstände sei es Sache des Beklagten, zu beweisen, dass er den Patienten mit der gebotenen Dringlichkeit darauf hingewiesen habe, dass möglicherweise eine lebensbedrohliche Erkrankung bestehen konnte.
Jedenfalls habe die Pflicht bestanden, den Patienten nach dessen Terminsabsage am 13.8.2001 erneut einzubestellen.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung (Bl. 184 ff.d.A.) Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 1.7.2010 – 3 O 120/09 – abzuändern und wie folgt zu erkennen:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes, der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 100.000 € seit dem 1.10.2006 und aus einem weiteren, im Ermessen des Gerichts stehenden Betrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 49.244,82 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
III.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Er behauptet insbesondere, die Ergebnisse der Laboruntersuchungen hätten am 6.8.2001 bei der Besprechung in Form von Teilergebnissen vorgelegen, die – wie üblich – vorab übermittelt worden seien. Die unvollständigen Ausdrucke seien – wie üblich – nach Eingang des vollständigen Ausdrucks aus der Dokumentation entfernt worden. Es habe auch kein Anlass bestanden, eine vermeintliche „Verdachtsdiagnose Tumor“ zu dokumentieren, weil die am 6.8.2001 vorliegenden Ergebnisse eine solche Diagnose, auch als Verdachtsdiagnose noch nicht zugelassen hätten. Zur weiteren Abklärung sei – wie auch in den Krankenunterlagen eingetragen – eine partielle Koloskopie vorgesehen gewesen, die aber nicht durchgeführt worden sei, weil der Patient sie abgesagt habe.
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die Berufungserwiderung (Bl. 207 ff.d.A.) verwiesen.
IV.
Der Senat hat mündlich verhandelt und den Beklagten erneut angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf das Sitzungsprotokoll vom 25.1.2011 (Bl. 214 ff.d.A.) verwiesen.
B.
Die Berufung ist zulässig. Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg. Ein Behandlungsfehler des Beklagten kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden. Insbesondere ist nicht bewiesen, dass der Beklagte den verstorbenen … unzureichend über die Dringlichkeit weiterer Untersuchungen aufgeklärt hat. Der Senat schließt sich der überzeugenden Beweiswürdigung des Landgerichts an.
I.
Unterlassene Befunderhebung
Dem Beklagten kann nicht als Behandlungsfehler angelastet werden, dass letztlich weder eine vollständige noch eine partielle Koloskopie durchgeführt wurde. Eine vollständige Koloskopie war zum damaligen Zeitpunkt medizinisch (noch) nicht zwingend erforderlich. Die Durchführung einer partiellen Koloskopie ist daran gescheitert, dass … den für den 13.8.2001 vorgesehenen Untersuchungstermin selbst abgesagt hat. Dafür ist der Beklagte nicht verantwortlich.
1. Wie der Sachverständige Prof. Dr. … überzeugend dargelegt hat, waren auf Grund der Krankengeschichte (Anamnese) und der auf Veranlassung des Beklagten erhobenen Befunde (Ultraschall, Blutbild) bei der letzten Besprechung am 6.8.2001 verschiedene Differentialdiagnosen zu erwägen (Tumorerkrankung, infektiöse Diarrhoe, antibiotikaassoziierte Diarrhoe, entzündliche Erkrankungen wie Sigmadivertikulitis, Malabsorptionsstörungen, Hämorrhoiden, Analfissuren, funktionelle Beschwerden, vgl. Gutachten S.6). Um diese abzuklären waren verschiedene Untersuchungen notwendig, wobei allerdings eine Bestimmung der Tumormarker CEA und CA 19-9 mangels Tumornachweis nicht erforderlich gewesen wäre (Gutachten S.7). Unter anderem war wegen der unklaren Blutauflagerungen im Stuhl eine Koloskopie erforderlich. Der Sachverständige hat insoweit aber überzeugend ausgeführt, dass es vertretbar und damit nicht behandlungsfehlerhaft war, zunächst nur eine partielle Koloskopie oder gar nur eine Proktoskopie durchzuführen, weil mit einer partiellen Koloskopie die unteren Darmabschnitte einzusehen gewesen wären und jedenfalls der im Ultraschall auffällige Befund im Übergang zum Sigma hätte inspiziert werden können (Gutachten S.11/12, Bl. 103/104 d.A.). Zudem hätte die Möglichkeit einer Hämorrhoidalblutung verifiziert oder ausgeschlossen werden können. Dass Hämorrhoiden des Grades I oder II als Blutungsquelle ebenfalls in Betracht kamen, hat der Sachverständige einleuchtend ausgeführt (Gutachten S.8). Ein vollständige Koloskopie war jedenfalls nicht zwingend im ersten Zugriff, sondern gegebenenfalls im weiteren Verlauf erforderlich, wenn durch eine partielle Koloskopie keine zuverlässige Diagnose hätte gestellt werden können, was aber ex post betrachtet unwahrscheinlich ist (vgl. Gutachten S.12, Bl. 104 d.A.: „Den retrospektiv erhobenen Tumorbefund hätte man mit höchster Wahrscheinlichkeit auch bei einer partiellen Koloskopie diagnostizieren können“).
Zutreffend ist, dass mit einer partiellen Koloskopie der Dünndarmbereich nicht inspiziert werden konnte. Dort war aber nach den Ausführungen des Sachverständigen ein bösartiger Tumor auch nicht zu erwarten (vgl. Bl. 216 d.A.). Außerdem hätte dieser Bereich gegebenenfalls – wie es der Beklagte nach seinem Vorbringen angedacht hatte – nachfolgend noch im Wege der vollständigen Koloskopie untersucht werden können, wenn dies erforderlich gewesen wäre.
Im Ergebnis ist es jedenfalls nicht als fehlerhaft zu werten, dass der Beklagte – wie er plausibel geschildert hat – auf Wunsch den Patienten zunächst nur eine partielle Koloskopie angestrebt hat.
2. Dass eine solche Untersuchung nicht erfolgt ist, kann dem Beklagten nicht als Behandlungsfehler im Sinne einer unterlassenen Befunderhebung angelastet werden. Dass der Beklagte die entsprechende Untersuchung vorgeschlagen hat, ist im Kern unstreitig (vgl. Anlage K 1). Es ergibt sich auch daraus, dass tatsächlich ein Untersuchungstermin für den 13.8.2001 vereinbart wurde, was belegt, dass der Beklagte eine partielle Koloskopie jedenfalls angeregt haben muss. Auf Grund der Absage des Termins konnte die geplante Untersuchung mangels Mitwirkung des Patienten aber nicht erfolgen, so dass insoweit ein Behandlungsfehler ausscheidet.
II.
Therapeutische Aufklärungspflicht
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass der Beklagte … unzureichend über die Dringlichkeit einer Koloskopie aufgeklärt hat.
1. Grundsätzlich ist der behandelnde Arzt im Rahmen der Pflicht zur therapeutischen Aufklärung gehalten, den Patienten über die notwendigen ärztlichen Maßnahmen, deren Bedeutung für den Behandlungserfolg, ihre Dringlichkeit und über etwaige schwerwiegende Folgen für den Fall der Unterlassung der gebotenen Behandlung aufzuklären (vgl. OLG Bremen, VersR 1999, 1151; OLG Köln NJW-RR 2001, 92; OLG Düsseldorf NJW-RR 2003,1333; OLG Stuttgart VersR 2008, 927; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 6. Auflage, S.110 ff.). Art und Intensität der Aufklärung richten sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Dringlichkeit der Behandlung, der Schwere der drohenden Gefahr und dem Verständnishorizont des Patienten (Geiß/Greiner, aaO, S.113). Die Darlegungs- und Beweislast liegt nach allgemeinen Grundsätzen zur Haftung wegen eines Behandlungsfehlers auf Seiten des Patienten, der gegebenenfalls den Nachweis zu führen hat, dass ein vom Arzt behaupteter Hinweis nicht erteilt wurde.
2. Im vorliegenden Fall kann die Klägerin eine Verletzung der therapeutischen Hinweispflicht und damit einen vorwerfbaren Behandlungsfehler nicht beweisen. Die Behauptung des Beklagten,. er habe … über die Möglichkeit einer „ernsten“ Erkrankung und die damit verbundene Notwendigkeit einer zumindest partiellen Koloskopie am 6.8.2001 informiert, ist nicht widerlegt und daher der rechtlichen Beurteilung zu Grunde zu legen. Geht man hiervon aber aus, so ist für eine Pflichtverletzung kein Raum.
a) Der Beklagte hat bei seiner Anhörung vor dem Landgericht ausgeführt, er habe … am 6.8.2001 darauf aufmerksam gemacht, dass eine endoskopische Untersuchung gemacht werden müsse, um die Blutungsquelle zu klären (Bl. 141 d.A.). Er habe eine Koloskopie vorgeschlagen, wobei der Patient aber „nicht Feuer und Flamme“ gewesen sei, weshalb er im Hinblick auf die Möglichkeit einer Hämorrhoidalblutung oder eine Blutung etwas höher im Darm eine Proktoskopie oder eine partielle Koloskopie vorgeschlagen habe. Mit einer partiellen Koloskopie sei der Patient einverstanden gewesen und man sei so verblieben, dass diese durchgeführt werden solle. Er habe erklärt, dass dies – auch im Hinblick auf weitere noch zu erhebende Tumormarker – zum Ausschluss von „etwas Ernsterem oder etwas Bösartigem“ geschehen solle (Bl. 141 d.A.). Bei seiner ersten Anhörung hat der Beklagte zudem ausgeführt, er habe die durchzuführenden Untersuchungen auf dem „Wunschzettel“ angekreuzt und seiner Sekretärin auf den Tisch gelegt (Bl. 59 d.A.).
b) Diese Ausführungen sind plausibel, lebensnah und nicht widerlegt. Insbesondere ergeben sich aus der Dokumentation keine durchgreifenden Zweifel.
aa) Dass der Beklagte eine weiterführende Untersuchung im Sinne einer Darmspiegelung für notwendig hielt und … auch grundsätzlich empfohlen haben muss, ergibt sich zur Überzeugung des Senats bereits daraus, dass tatsächlich ein Untersuchungstermin für eine partielle Koloskopie am 13.8.2001 vereinbart wurde. Ob dies unmittelbar am 6.8.2001 oder erst an einem der Folgetage geschah, ist für die Beurteilung ohne Belang, weil in jedem Fall daraus abzuleiten ist, dass der Beklagte mit … über eine derartige Untersuchung gesprochen und sie ihm nahe gelegt haben muss. Es ist schwer vorstellbar, dass … von sich ohne entsprechenden ärztlichen Rat auf auf den Gedanken gekommen sein könnte, eine partielle Koloskopie durchführen zu lassen.
bb) Dass der Beklagte die Untersuchung – wie die Klägerin unter Hinweis auf die E-Mail des … vom 6.7.2006 (K 1) vorträgt – nur im Sinne einer mehr oder weniger überflüssigen und optionalen Untersuchung beiläufig erwähnt haben könnte, ist sehr unwahrscheinlich und nicht bewiesen.
(1) Dass ein Termin gerade für eine partielle Koloskopie, bei der es sich im Vergleich zu einer vollständigen Koloskopie um eine eher ungebräuchliche Untersuchung handelte, vereinbart wurde, deutet darauf hin, dass – wie der Beklagte behauptet – es zwischen ihm und … eine intensive Diskussion über die Notwendigkeit einer Darmspiegelung überhaupt gegeben hat und … mit dem ursprünglichen Vorschlag, eine vollständige Koloskopie zu machen, nicht einverstanden war, so dass man sich schließlich auf eine – für den Patienten weniger unangenehme – partielle Koloskopie verständig hat. Hätte der Beklagte tatsächlich das Thema Koloskopie nur beiläufig am Rande erwähnt, so wäre kaum plausibel, dass er gerade eine nur partielle Koloskopie erwähnt hätte.
(2) Die Ausführungen des Beklagten zum Ablauf der Besprechung vom 6.8.2001 erscheinen auch im Übrigen lebensnah. Dass die festgestellten Blutbeimengungen im Stuhl der dringenden Abklärung bedurften, war aus medizinischer Sicht offensichtlich. Die Koloskopie stellt – wie der Sachverständige ausgeführt hat – insoweit eine zentrale Untersuchung dar (Basisdiagnostik), die von den einschlägigen Leitlinien „Kolonkarzinom, Reizdarm“ gefordert wurde (Gutachten S.8). Es kann kaum angenommen werden, dass dies dem Beklagten als erfahrenem Gastroenterologen nicht bekannt war. Vielmehr liegt nahe, dass er die Möglichkeit einer bösartigen Erkrankung neben anderen Differentialdiagnosen ins Kalkül gezogen hat. Vor diesem Hintergrund ist seine Schilderung der Diskussionen mit … und dessen Abneigung gegen eine vollständige Koloskopie einleuchtend und lebensnah.
(3) Auch aus der Dokumentation lässt sich nichts Gegenteiliges ableiten, was die Glaubhaftigkeit der Ausführungen des Beklagten entscheidend in Frage stellen könnte.
Dass der Beklagte nicht einen Tumor als „Verdachtsdiagnose“ in den Behandlungsunterlagen festgehalten hat, bedeutet keineswegs, dass er diese Möglichkeit nicht in Betracht gezogen hat. Unabhängig davon, ob eine entsprechende „Verdachtsdiagnose“ aus medizinischen Gründen zu dokumentieren gewesen wäre, ist plausibel, dass der Beklagte – wie er ausgeführt hat und wie es auch objektiv-medizinisch zutreffend war – einen entsprechend konkreten Verdacht auf einen Tumor am 6.8.2001 noch gar nicht hatte, sondern eine bösartige Erkrankung zu diesem Zeitpunkt noch eine von mehreren Möglichkeiten war, die es abzuklären galt. Dass er vor diesem Hintergrund die Möglichkeit eines Tumors nicht in den Krankenunterlagen erwähnte, ist gut verständlich und besagt nicht, dass er sie schon im Ansatz nicht in Erwägung zog oder als nicht ernsthaft diskutabel erachtete.
Es steht auch nicht fest, dass der Ferritin-Wert (Speichereisen) und der IGE-Wert am 6.8.2001 bei der Besprechung noch nicht Vorlagen. Der Beklagte hat plausibel und glaubhaft erläutert, dass es nicht ungewöhnlich ist, dass die Werte nach und nach eingehen, dass schriftlich noch nicht vorliegende Werte telefonisch erfragt werden müssen und dass vorliegende unvollständige Ausdrucke bei Vorliegen des Gesamtausdrucks vernichtet werden (Bl. 215 d.A.). Daher kann daraus, dass der sich bei den Krankenunterlagen befindliche Ausdruck erst von 18.27 Uhr datiert, nicht gefolgert werden, dass die genannten Werte zur Zeit der Besprechung noch nicht Vorgelegen haben.
Es gibt auch keinen Anhalt dafür, dass der Sonographiebefund bei der Besprechung am 6.8.2001 nicht zur Verfügung stand. Dass der Beklagte ihn nicht abgezeichnet hat, besagt insoweit nichts und rechtfertigt nicht den Schluss, dass dem Beklagten das Sonographieergebnis nicht bekannt war. Dies erscheint nach der Lebenserfahrung auch eher unplausibel, weil der Beklagte die Sonographie selbst veranlasst hatte, sie am 2.8.2001 durch seine Ehefrau durchgeführt wurde und der Termin am 6.8.2001 gerade der Besprechung der bisherigen Ergebnisse und des weiteren Vorgehens dienen sollte.
Ob der Beklagte der Zeugin … die generelle Anweisung erteilt hatte, bei eventuellen Terminsabsagen durch Patienten das Gespräch zu ihm durchzustellen, ist im Ergebnis ohne Belang. Es ist unstreitig, dass … den Termin abgesagt hat. Selbst wenn die Ausführungen des Beklagten insoweit unrichtig sein sollten, so könnte daraus nicht als bewiesen abgeleitet werden, dass seine Einlassung auch im Übrigen nicht der Wahrheit entspricht.
Entsprechendes gilt für die nachträgliche Veränderung der Dokumentation. Auch insoweit ist unstreitig, dass der Eintrag in der Karteikarte, „Patient hat abgesagt, will keine Untersuchung mehr!“ zwar nachträglich eingefügt wurde, nachdem die Karteikarte bereits an die Klägervertreter ausgefolgt worden war. Auch dies spielt aber für die Beurteilung keine wesentliche Rolle, weil der Inhalt der Dokumentation der Wahrheit entspricht und unstreitig ist. Daher lassen sich auch daraus keine Beweiserleichterungen ableiten.
Schließlich kann auch aus der Medikation (Paravasin gegen Durchfall, Imodium lingual gegen Reizdarm und Isoptin als Blutdrucksenker) kein tragfähiger Schluss darauf gezogen werden, dass der Beklagte eine Tumorerkrankung nicht ernsthaft erwog. Alle drei Medikamente waren als vorläufige Medikation auch dann sinnvoll, wenn der Beklagte auch für sich selbst die Möglichkeit einer bösartigen Erkrankung noch nicht ausgeschlossen hatte und insoweit weitere Untersuchungen für erforderlich hielt.
Im Ergebnis geht der Senat daher mit dem Landgericht davon aus, dass der Beklagte … am 6.8.2001 erklärte, dass eine Koloskopie bzw. eine partielle Koloskopie notwendig sei, weil sich hinter den Befunden auch „etwas Ernstes“ verbergen könnte.
c) Damit aber hat der Beklagte seiner therapeutischen Hinweispflicht genügt, so dass auch insoweit ein Behandlungsfehler nicht festgestellt werden kann. Durch den gegebenen Hinweis war für … auch ohne ausdrückliche Erwähnung eines möglichen Tumors klar, dass gegebenenfalls auch eine schwerwiegende bzw. bösartige Erkrankung in Betracht zu ziehen war. … war als … in der Lage, eine solchen Hinweis einzuordnen und die Lage richtig einzuschätzen, was sich auch daraus ergibt, dass er tatsächlich die Hinweise ernst nahm und für den 13.8.2001 einen Untersuchungstermin vereinbarte. Auch deshalb konnte der Beklagte annehmen, dass er von … richtig verstanden worden war und dass keine Notwendigkeit bestand, noch deutlicher zu werden. Dabei kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass eine ernste Erkrankung keineswegs feststand und auch nicht überwiegend wahrscheinlich, sondern nur eine von mehreren Möglichkeiten war.
III.
Pflicht zur erneuten Kontaktaufnahme nach Absage des Termins
Dem Beklagten kann unter den gegebenen Umständen auch nicht als Behandlungsfehler vorgeworfen werden, dass er nicht von sich aus auf … zugegangen ist und ihn zur Vereinbarung eines neuen Untersuchungstermins aufgefordert hat.
1. Es kann dahinstehen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein Arzt verpflichtet sein kann, im Falle einer Terminsabsage seines Patienten auf diesen erneut zuzugehen, um ihn dazu zu bewegen, die abgesagte Untersuchung durchführen zu lassen. Eine derartige Pflicht mag insbesondere dann bestehen, wenn der Arzt annehmen muss, dass sich der Patient generell gegen eine weitere Untersuchung entschieden hat, die aus medizinischer Sicht zwingend erforderlich ist, um den Patienten vor einem schwerwiegenden Schaden zu bewahren. Bestehen Gründe für die Annahme, dass der Patient den Ernst der Lage nicht erkannt oder falsch eingeschätzt hat, so kann es gegebenenfalls geboten sein, ihm durch nachträgliche therapeutische Hinweise den Ernst der Lage klarzumachen, um ihn vor einer nicht zu verantwortenden und unvernünftigen Entscheidung zu schützen.
2. So liegt der Fall aber nicht. … hatte – geht man vom Verbringen des Beklagten aus – dessen Hinweise auf die Notwendigkeit einer partiellen Koloskopie nicht etwa ignoriert, sondern sich verständig und einsichtig gezeigt und – wie ihm angeraten – einen Untersuchungstermin vereinbart. Die Zeugin … hat vor dem Landgericht berichtet, sie habe bei der Terminsabsage am 13.8.2001 das Gefühl gehabt, dass er noch einen anderen Arzt wegen einer zweiten Meinung konsultieren wollte (Bl. 63). Die Einholung einer zweiten Meinung ist nichts Ungewöhnliches und dient vielen Patienten dazu, die Befunde und Diagnosen des Erstbehandlers überprüfen zu lassen. Daher war aus der damaligen Sicht des Beklagten keineswegs als sicher davon auszugehen, dass sich … grundsätzlich gegen eine Koloskopie entschieden hatte. Es war vielmehr möglich und nicht unplausibel, dass … eine Koloskopie gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt oder auch anderweit durchführen lassen wollte, ohne dass er dies ausdrücklich erklärte.
Vor diesem Hintergrund war der Beklagte, zumal er es mit einem gebildeten und verständigen Patienten zu tun hatte, nicht verpflichtet, die Gründe der die Absage näher zu erforschen und insoweit von sich aus aktiv zu werden. Der Beklagte durfte vielmehr davon ausgehen, dass … den Ernst der Situation verstanden hatte und wusste, wie er sich verhalten musste.
Daher kann im Ergebnis auch insoweit kein Behandlungsfehler festgestellt werden, so dass die Berufung letztlich ohne Erfolg bleibt.
IV.
Nebenentscheidungen
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen (§ 97 Abs.1 ZPO). Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Gründe, die die Zulassung der Revision rechtfertigen könnten, sind nicht gegeben. Insbesondere ist die Beweiswürdigung eine Frage des Einzelfalls und daher einer Revisionszulassung nicht zugänglich.