Skip to content

Behandlungsfehler bei zementierter Hüft-TEP: Welche Kosten werden ersetzt?

Obwohl der Behandlungsfehler bei der zementierten Hüft-TEP feststand, musste das OLG Köln den komplexen Kausalzusammenhang bei Sekundärschäden neu bewerten. Die Klinik haftete für den verlängerten stationären Aufenthalt, entkam jedoch der Zahlung der geriatrischen Frührehabilitation.

Zum vorliegenden Urteil Az.: I-5 U 22/25 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Oberlandesgericht Köln
  • Datum: 08.10.2025
  • Aktenzeichen: I-5 U 22/25
  • Verfahren: Arzthaftung im Berufungsverfahren
  • Rechtsbereiche: Arzthaftungsrecht, Schadensersatzrecht, Sozialrecht

  • Das Problem: Eine gesetzliche Krankenkasse forderte von einem Krankenhaus Schadensersatz. Es ging um die Mehrkosten einer Patientin nach einem Behandlungsfehler bei einer Hüftoperation. Der Fehler führte zu einem Knochendefekt und einer stark verlängerten Operation.
  • Die Rechtsfrage: Muss das Krankenhaus für alle nachfolgenden Behandlungskosten aufkommen, wenn diese zeitlich auf den festgestellten Behandlungsfehler folgten?
  • Die Antwort: Nur teilweise. Das Krankenhaus musste Mehrkosten für den verlängerten stationären Aufenthalt bezahlen. Die Krankenkasse erhielt 6.343,70 EUR. Die Kosten für geriatrische Frührehabilitation und starke Schmerzmittel (Fentanyl) wurden abgelehnt.
  • Die Bedeutung: Bei Folgeschäden reicht es aus, wenn der ursächliche Zusammenhang überwiegend wahrscheinlich ist. Dies gilt aber nicht, wenn die spezifischen Nachbehandlungen (wie Reha) wahrscheinlich ohnehin aufgrund des Alters oder der Vorerkrankungen der Patientin nötig gewesen wären.

Behandlungsfehler bei Hüft-OP: Warum musste die Klinik nur einen Teil der Folgekosten tragen?

Eine Hüftoperation sollte die Lebensqualität verbessern, doch manchmal führt ein Fehler im Operationssaal zu einem langen Leidensweg. Wenn Komplikationen auftreten, stellt sich eine entscheidende Frage: Ist der ursprüngliche Fehler für alle nachfolgenden Probleme und Kosten verantwortlich?

Ein alarmierter Chirurg blickt auf das Gelenk, das durch vorzeitig aushärtenden Knochenzement blockiert wird.
OLG Köln begrenzt Haftung der Klinik für Folgekosten nach Behandlungsfehler bei Hüft-OP. | Symbolbild: KI

In einem Urteil vom 08. Oktober 2025 (Az.: I-5 U 22/25) hat das Oberlandesgericht Köln diese komplexe Frage der Kausalität im Arzthaftungsrecht detailliert beleuchtet. Der Fall zeigt, dass die Anerkennung eines Behandlungsfehlers nur der erste Schritt ist. Der zweite, oft schwierigere Schritt ist der Nachweis, welche Folgeschäden tatsächlich darauf zurückzuführen sind – eine Hürde, an der die klagende Krankenkasse hier teilweise scheiterte.

Was war bei der Operation genau passiert?

Am 16. August 2017 unterzog sich eine Patientin in der beklagten Klinik einer Operation, bei der ihr eine zementierte künstliche Hüfte (Hüft-TEP) eingesetzt wurde. Während des Eingriffs kam es zu einem entscheidenden Fehler: Der Knochenzement härtete zu früh aus. Dies zwang die Operateure zu korrigierenden Maßnahmen, die den Eingriff erheblich verkomplizierten. Die Folge waren ein Knochendefekt am Oberschenkelknochen (Femur) und ein Abbruch wichtiger knöcherner Strukturen. Die Operation dauerte dadurch deutlich länger als geplant.

Nach dem Eingriff traten weitere Komplikationen auf, insbesondere eine erhebliche Ansammlung von Wundflüssigkeit (Serom). Statt der üblichen Genesungszeit von ein bis zwei Wochen musste die Patientin insgesamt 42 Tage stationär im Krankenhaus bleiben. Die gesetzliche Krankenkasse der Patientin übernahm die Kosten, sah die Verantwortung aber klar bei der Klinik. Sie verklagte das Krankenhaus auf Erstattung sämtlicher Folgekosten, die ihrer Ansicht nach durch den Fehler beim Zementieren verursacht wurden. Dazu zählten:

  • Die Mehrkosten für den auf 42 Tage verlängerten Krankenhausaufenthalt.
  • Die Kosten für eine anschließende geriatrische Frührehabilitation und die zugehörigen Fahrtkosten.
  • Die Kosten für starke Schmerzpflaster (Fentanyl), die der Patientin über einen längeren Zeitraum verordnet wurden.

Das Landgericht Köln hatte der Krankenkasse in erster Instanz nur einen Teil des geforderten Betrags zugesprochen. Unzufrieden mit diesem Ergebnis, legte die Krankenkasse Berufung beim Oberlandesgericht ein, um die Klinik zur vollständigen Übernahme der Kosten zu verpflichten.

Welcher juristische Maßstab entscheidet über den Schadensersatz?

Der Kern des Streits lag nicht mehr in der Frage, ob ein Fehler passiert war – das hatte die Klinik nicht mehr bestritten. Die zentrale juristische Hürde war der Nachweis des sogenannten haftungsausfüllenden Kausalzusammenhangs. Vereinfacht gesagt: Es musste geklärt werden, ob der Fehler beim Zementieren die rechtlich wesentliche Ursache für den langen Klinikaufenthalt, die Reha und die starke Schmerzmedikation war.

Hier kommt eine entscheidende Regel der Zivilprozessordnung (ZPO) ins Spiel: das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO. Normalerweise muss ein Kläger im Zivilprozess einen vollen Beweis für seine Behauptungen erbringen, was einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit entspricht (§ 286 ZPO). Bei der Frage, ob ein anerkannter Fehler zu einem bestimmten Folgeschaden geführt hat, senkt das Gesetz die Hürde. Hier genügt eine „überwiegende Wahrscheinlichkeit„. Das Gericht muss also nicht zu 100 % überzeugt sein, sondern lediglich zu dem Schluss kommen, dass es wahrscheinlicher ist, dass der Schaden durch den Fehler verursacht wurde, als dass er es nicht wurde. Es geht um eine Abwägung, die oft einer Wahrscheinlichkeit von über 50 % entspricht.

Genau an diesem Maßstab prüfte das Oberlandesgericht jede einzelne Forderung der Krankenkasse.

Warum musste die Klinik für den langen Klinikaufenthalt, aber nicht für Reha und Schmerzmittel zahlen?

Das Gericht zerlegte den Fall akribisch und bewertete jede Schadensposition einzeln auf Basis der Gutachten eines orthopädisch-unfallchirurgischen Sachverständigen und eines Experten für Krankenhausabrechnungen. Das Ergebnis war eine differenzierte Entscheidung, die der Berufung der Krankenkasse nur teilweise stattgab.

Die Kosten für den verlängerten Klinikaufenthalt: Ein klarer Fall von Ursache und Wirkung

Hier war die Krankenkasse erfolgreich. Das Gericht sah die überwiegende Wahrscheinlichkeit als gegeben an, dass der Behandlungsfehler direkt zum verlängerten Aufenthalt führte. Die Argumentationskette war schlüssig:

  1. Der Fehler: Das verfrühte Aushärten des Zements.
  2. Die direkte Folge: Eine längere Operationsdauer und eine stärkere Verletzung des umliegenden Gewebes (Gewebetraumatisierung).
  3. Die wahrscheinliche Konsequenz: Der medizinische Sachverständige bestätigte, dass durch diese beiden Faktoren das Risiko einer Wundheilungsstörung wie der aufgetretenen Serombildung „deutlich erhöht“ war. Andere typische Risikofaktoren lagen bei der Patientin nicht vor. Der Experte schätzte die Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs auf 50 % bis 60 %.
  4. Das Urteil: Da die Wahrscheinlichkeit über 50 % lag, war das Beweismaß des § 287 ZPO erfüllt.

Das Gericht sprach der Krankenkasse daher die Mehrkosten für den Aufenthalt zu. Diese wurden anhand des DRG-Abrechnungssystems ermittelt. Für die durchgeführte Operation gab es eine Pauschale, die einen Aufenthalt von bis zu 15 Tagen abdeckte. Für jeden Tag darüber hinaus fielen tägliche Zuschläge an. Die Differenz zwischen der Pauschale für einen normalen Verlauf und den tatsächlich abgerechneten Kosten für 42 Tage musste die Klinik erstatten.

Die Kosten für die geriatrische Frührehabilitation: Eine unvermeidbare Maßnahme?

Bei den Kosten für die Reha-Maßnahme scheiterte die Krankenkasse. Ihre Argumentation, der extrem lange Klinikaufenthalt habe die ältere Patientin körperlich so geschwächt („geriatrisch dekompensiert“), dass die Früh-Reha erst dadurch notwendig wurde, überzeugte das Gericht nicht.

Der Sachverständige gab hier den Ausschlag. Er führte aus, dass eine solche geriatrische Frührehabilitation bei älteren Patienten, die schon vor der Operation in ihrer Mobilität eingeschränkt waren, sehr häufig notwendig ist – auch bei einem vollkommen komplikationslosen Operationsverlauf. Er konnte nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass die Reha gerade wegen des Behandlungsfehlers erforderlich wurde. Es war aus seiner Sicht mindestens ebenso wahrscheinlich, dass sie ohnehin angefallen wäre.

Die Krankenkasse versuchte, ihre Position mit allgemeinen Statistiken zu untermauern. Das Gericht wies dies zurück und betonte, dass für die medizinische Kausalitätsprüfung die konkrete, individuelle Situation des Patienten entscheidend ist und nicht allgemeine Fallzahlen, die die Besonderheiten des Einzelfalls nicht abbilden können.

Die Kosten für die Fentanyl-Pflaster: Ein Schmerz, viele Quellen?

Auch bei den starken Schmerzmitteln konnte die Krankenkasse den notwendigen Kausalzusammenhang nicht beweisen. Der Gutachter stellte fest, dass die Patientin bereits vor der Operation unter einem komplexen Schmerzsyndrom litt, das auch starke Knieschmerzen umfasste und den Einsatz eines Gehstocks erforderte.

Zwar hatte die Patientin auch nach der Operation noch Hüftbeschwerden, doch der Sachverständige schätzte den Anteil dieser fehlerbedingten Beschwerden an ihrem gesamten Schmerzbild auf lediglich 20 %. Die Wahrscheinlichkeit, dass ausgerechnet dieser geringe Anteil die Verordnung eines so starken Opioids wie Fentanyl notwendig machte, hielt er für sehr gering. Die Hauptursache für die Schmerztherapie lag seiner Einschätzung nach in den bereits vorher bestehenden Problemen. Damit war die erforderliche Schwelle der überwiegenden Wahrscheinlichkeit auch hier klar unterschritten.

Was bedeutet das Urteil für Patienten und Krankenkassen?

Die Entscheidung des OLG Köln ist eine wichtige Lektion über die Hürden im Arzthaftungsrecht. Sie macht deutlich, dass der Weg vom anerkannten Fehler zum vollständigen Schadensersatz anspruchsvoll ist. Die zentrale Botschaft lautet: Der Teufel steckt im Detail des Kausalitätsnachweises.

Checkliste: Was Sie nach einem Behandlungsfehler bei der Geltendmachung von Folgekosten beachten sollten

  • Der Fehler allein reicht nicht: Die Feststellung eines Behandlungsfehlers ist nur der erste Schritt. Konzentrieren Sie sich von Anfang an darauf, eine lückenlose Kette von Ursache und Wirkung für jeden einzelnen Folgeschaden aufzubauen.
  • Der Kausalzusammenhang ist entscheidend: Für jeden geltend gemachten Schaden (längerer Klinikaufenthalt, Reha, Verdienstausfall etc.) müssen Sie beweisen, dass er mit „überwiegender Wahrscheinlichkeit“ auf den Fehler zurückzuführen ist. Die bloße Möglichkeit reicht nicht aus.
  • Individuelle Gutachten schlagen allgemeine Statistiken: Wie der Fall zeigt, stützen sich Gerichte maßgeblich auf die Einschätzung von Sachverständigen, die den konkreten Einzelfall bewerten. Allgemeine Statistiken oder Studien haben oft nur eine untergeordnete Bedeutung.
  • Dokumentieren Sie Ihren Gesundheitszustand vor dem Eingriff: Vorerkrankungen spielen eine entscheidende Rolle. Je klarer Sie nachweisen können, welche Beschwerden bereits vor dem fehlerhaften Eingriff bestanden, desto besser können Sie argumentieren, welche neuen Schäden ausschließlich auf den Fehler zurückzuführen sind.
  • Unterscheiden Sie zwischen wahrscheinlichen und nur möglichen Folgen: Fragen Sie Ihre behandelnden Ärzte und Gutachter gezielt nach der Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs. Eine Aussage wie „es ist möglich, dass…“ wird vor Gericht nicht ausreichen. Es muss heißen: „Es ist wahrscheinlicher, dass der Fehler die Ursache war, als dass er es nicht war.“

Die Urteilslogik

Der Weg vom festgestellten Behandlungsfehler zum vollständigen Schadensersatz verläuft nur über den lückenlosen Beweis der Ursachenkette.

  • Haftung erfordert isolierte Kausalitätsprüfung: Die Anerkennung eines Behandlungsfehlers verpflichtet den Haftenden nicht automatisch zur Übernahme aller Folgekosten; der Kläger muss für jeden einzelnen Sekundärschaden die konkrete Ursächlichkeit gesondert nachweisen.
  • Das erleichterte Beweismaß senkt die Hürde: Im Arzthaftungsrecht genügt die überwiegende Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 %, um den Kausalzusammenhang zwischen dem Fehler und dem Folgeschaden zu beweisen; absolute Gewissheit ist nicht erforderlich.
  • Vorerkrankungen durchbrechen die Kausalkette: Der Geschädigte muss stets nachweisen, dass der Gesundheitsschaden spezifisch durch den Behandlungsfehler verursacht wurde, wenn vorbestehende Leiden den Schaden mindestens ebenso wahrscheinlich hätten auslösen können.

Die juristische Beurteilung trennt strikt zwischen der Tatsache des Fehlers und der Frage, welche gesundheitlichen und finanziellen Konsequenzen ihm tatsächlich zugerechnet werden müssen.


Benötigen Sie Hilfe?


Haben Sie Probleme, den Kausalzusammenhang für Ihre Folgeschäden nachzuweisen? Nutzen Sie die Möglichkeit einer unverbindlichen Ersteinschätzung Ihres Anspruchs.


Experten Kommentar

Viele Patienten, aber auch Krankenkassen, gehen oft davon aus, dass nach einem klaren Behandlungsfehler die gesamte Kette an Folgeschäden automatisch vom Krankenhaus bezahlt wird. Das OLG Köln legt hier jedoch konsequent offen, wie präzise der Kausalzusammenhang bei Sekundärschäden geprüft werden muss. Zwar hilft das erleichterte Beweismaß den Klägern, aber es ist keine Freifahrtschein: Jede einzelne Forderung – ob Reha oder Schmerzmittel – muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf den Fehler zurückzuführen sein. Das Urteil ist eine klare Ansage, dass vorbestehende Leiden nicht einfach der Klinik angelastet werden können, selbst wenn ein Fehler nachgewiesen wurde.


Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Welche Folgekosten nach einem Behandlungsfehler muss die Klinik wirklich erstatten?

Nach einem anerkannten Behandlungsfehler erwarten Patienten zu Recht, dass die Klinik für alle Folgeschäden aufkommt. Allerdings müssen Sie den haftungsausfüllenden Kausalzusammenhang lückenlos beweisen. Die Klinik muss nur jene Folgekosten tragen, bei denen ein Sachverständiger feststellt, dass sie mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (>50%) direkt und ursächlich durch den Fehler entstanden sind. Der zeitliche Zusammenhang von Rechnungen mit dem Eingriff genügt dafür nicht.

Erstattungsfähig sind nur Kosten für Komplikationen, die nachweislich aus der fehlerbedingten Gewebetraumatisierung resultierten. So sind beispielsweise die Mehrkosten für einen verlängerten Klinikaufenthalt wegen Serombildung oft erstattungsfähig, da der Fehler das Risiko einer Wundheilungsstörung signifikant erhöhte. Kostenpunkte werden abgelehnt, wenn die Maßnahme mit gleicher Wahrscheinlichkeit ohnehin eingetreten wäre. Dies betrifft häufig die geriatrische Frührehabilitation bei älteren Patienten, die bereits vor dem Eingriff in ihrer Mobilität eingeschränkt waren.

Besonders kompliziert ist die Lage bei der Erstattung von Schmerzmitteln. Hier spielt die Rolle von Vorerkrankungen eine große Rolle, da das Gericht penibel prüft, wie viel Prozent des Schadens dem Fehler zuzurechnen sind. Litt der Patient bereits unter einem komplexen Schmerzsyndrom, muss nachgewiesen werden, dass die verstärkte Medikation tatsächlich nur durch den Operationsfehler notwendig wurde. Häufig wird nur der geringe Teil der Kosten erstattet, der die bereits vor dem Eingriff bestehenden Schmerzen überstieg.

Erstellen Sie sofort eine chronologische Liste aller angefallenen Folgekosten und notieren Sie neben jedem Posten die konkrete medizinische Begründung, warum dieser durch den ursprünglichen OP-Fehler notwendig wurde.


zurück

Was bedeutet ‚überwiegende Wahrscheinlichkeit‘ für meinen Anspruch auf Schadensersatz?

Die „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ ist ein juristischer Maßstab, der Ihnen im Arzthaftungsprozess deutlich entgegenkommt. Diese Regelung aus § 287 Zivilprozessordnung (ZPO) senkt die Beweisanforderungen für die Folgekosten signifikant. Sie müssen nicht beweisen, dass der Schaden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eingetreten ist, sondern lediglich, dass es wahrscheinlicher (>50%) ist, dass der Fehler die Ursache war, als dass er es nicht war.

Dieses erleichterte Beweismaß gilt jedoch nur für den sogenannten haftungsausfüllenden Kausalzusammenhang – also für die konkreten Folgeschäden und Kosten, nachdem der Behandlungsfehler bereits feststeht. Im Gegensatz dazu erfordert die Feststellung des Fehlers selbst (haftungsbegründender Kausalzusammenhang) den vollen Beweis nach § 286 ZPO. Wenn ein Sachverständiger den ursächlichen Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden mit 50 % bis 60 % beziffert, reicht dies für eine gerichtliche Verurteilung des Krankenhauses aus.

Die 50-Prozent-Schwelle stellt die entscheidende Hürde dar: Ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Schaden ohnehin aufgrund einer Vorerkrankung oder der allgemeinen Lebenssituation eingetreten wäre, gleich hoch oder höher, scheitert der Anspruch. Der Gutachter muss demnach explizit feststellen, dass der Schaden überwiegend wahrscheinlich dem ärztlichen Fehlverhalten zuzurechnen ist. Vage Aussagen wie „es ist möglich, dass der Fehler die Ursache war“ genügen dem Gericht nicht für eine Verurteilung.

Bitten Sie Ihren Anwalt, den gerichtlichen Sachverständigen gezielt zu beauftragen, den Kausalzusammenhang seiner Einschätzung zur Wahrscheinlichkeit in Prozent oder mit den Worten „überwiegend wahrscheinlich“ zu beziffern.


zurück

Wie wirken sich Vorerkrankungen auf meinen Schadensersatz bei einem Behandlungsfehler aus?

Vorerkrankungen sind oft das stärkste Argument der Gegenseite, um Ihren Anspruch auf Schadensersatz zu bestreiten. Die Klinik versucht nachzuweisen, dass bestimmte Folgeschäden nicht kausal durch den Behandlungsfehler, sondern mit gleicher Wahrscheinlichkeit ohnehin durch Ihre Vorgeschichte entstanden sind. Entscheidend ist, ob der entstandene Schaden ausschließlich dem Fehler zuzurechnen ist. Nur dann besteht ein Anspruch auf Kostenerstattung.

Die Gerichtspraxis unterscheidet strikt zwischen Ihrem Gesundheitszustand vor und nach dem fehlerhaften Eingriff. Nur der nachweisbare Zuwachs an Schaden, der direkt auf den Fehler zurückzuführen ist, muss erstattet werden. Bei älteren Patienten mit Vorbelastungen, wie eingeschränkter Mobilität, lehnen Gerichte beispielsweise oft die Erstattung von Reha-Maßnahmen ab. Der Grund: Es ist mindestens ebenso wahrscheinlich, dass die geriatrische Frührehabilitation auch bei einem komplikationslosen Verlauf wegen der Vorbelastung nötig gewesen wäre.

Nehmen wir an, Sie litten bereits vor der Operation unter einem komplexen Schmerzsyndrom. Dann müssen Sie beweisen, dass die nach dem Fehler intensivierte Schmerztherapie, etwa der Einsatz starker Opioide, primär durch die fehlerbedingten Folgen notwendig wurde. Der Sachverständige trennt den Schaden hier sehr genau: Wurde der Anteil der fehlerbedingten Beschwerden an Ihrem gesamten Schmerzbild als zu gering bewertet (z.B. 20 Prozent), ist die juristische Kausalität nicht gegeben.

Sammeln Sie dringend alle medizinischen Dokumente, die Ihren Gesundheitszustand direkt vor der Operation belegen, um den kausalen Unterschied zum Zustand danach klar darzustellen.


zurück

Muss die Klinik die Kosten für die Reha nach einer fehlerhaften OP bezahlen?

Nein, die Klinik muss die Kosten für die Rehabilitationsmaßnahmen nicht automatisch übernehmen, selbst wenn ein Behandlungsfehler feststeht. Der Patient muss beweisen, dass die Reha überwiegend wahrscheinlich direkt durch die Fehlerfolgen verursacht wurde. Liegen jedoch Vorerkrankungen oder altersbedingte Einschränkungen vor, lehnen Gerichte die Erstattung häufig ab, da die Kausalität zum Behandlungsfehler fehlt.

Gerichte betrachten die Reha-Forderung strikt separat von den Kosten für den langen Klinikaufenthalt. Ein medizinischer Sachverständiger muss prüfen, ob die Notwendigkeit der Frührehabilitation tatsächlich direkt durch die fehlerbedingten Komplikationen entstand. Wenn ein Patient bereits vor der fehlerhaften Operation in seiner Mobilität eingeschränkt war, gilt die Maßnahme als sehr häufig notwendig. Der Anspruch auf Erstattung wird abgewiesen, wenn die Reha ohnehin aufgrund des hohen Alters oder der vorbestehenden Einschränkungen angefallen wäre.

Ein langer Krankenhausaufenthalt, beispielsweise 42 Tage, reicht nicht als automatischer Beweis für die kausale Verbindung zur Reha. Im konkreten Fall einer fehlerhaften Hüft-OP lehnte das Oberlandesgericht Köln die Erstattung ab. Der Gutachter konnte nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass die Reha gerade wegen des Behandlungsfehlers erforderlich war. Richter akzeptieren keine allgemeinen Statistiken, die die Notwendigkeit nach langen Aufenthalten belegen. Die Beweisführung muss sich immer auf die konkrete, individuelle Gesundheitssituation des Klägers beziehen.

Sichern Sie Entlassungs- und Reha-Berichte, in denen die Notwendigkeit explizit auf die fehlerbedingten Komplikationen und nicht nur auf allgemeine Altersschwäche zurückgeführt wird.


zurück

Welche Rolle spielen Sachverständige und Gutachten im Arzthaftungsprozess?

Im Arzthaftungsprozess sind gerichtlich bestellte Sachverständige die entscheidenden Akteure, da sie die notwendige medizinische Expertise in den Prozess einbringen. Sie übersetzen komplexe medizinische Zusammenhänge in juristisch verwertbare Fakten. Nur ein Gutachten kann die zentrale Hürde der überwiegenden Wahrscheinlichkeit klären, die über den Anspruch auf Schadensersatz entscheidet. Gerichte stützen sich fast ausschließlich auf diese individuellen Fachgutachten.

Der Gutachter hat die Aufgabe, die Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhangs quantitativ einzuschätzen. Er muss feststellen, ob es wahrscheinlicher ist (>50 %), dass ein Schaden durch den Behandlungsfehler verursacht wurde, als dass er es nicht wurde. Diese genaue Bezifferung ermöglicht es dem Richter, das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO anzuwenden. Allgemeine Studien oder Statistiken, die nicht den konkreten Einzelfall betreffen, weist das Gericht hingegen konsequent zurück, da sie die individuelle Patientengeschichte nicht abbilden.

Sachverständige sind auch essenziell, um Folgeschäden von Vorerkrankungen abzugrenzen und den Schaden zu trennen. Im Fall der Hüft-OP bewertete der Experte den Zusammenhang zwischen dem Zementierungsfehler und dem verlängerten Klinikaufenthalt als überwiegend wahrscheinlich. Er musste aber festlegen, welcher Anteil des Schmerzes oder der Schwäche auf den Fehler zurückzuführen war und welcher auf bereits bestehende Probleme. Nur der auf den Fehler zurückzuführende Zuwachs an Schaden kann entschädigt werden.

Bitten Sie Ihren Anwalt, dem Gericht präzise Fragen für den Gutachter zu formulieren, die explizit auf die Erhöhung des Risikos durch den Behandlungsfehler abzielen.


zurück

Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Arzthaftungsrecht

Das Arzthaftungsrecht regelt die zivilrechtliche Verantwortung von Ärzten, Krankenhäusern und Pflegepersonal für Schäden, die durch Behandlungsfehler oder mangelnde Aufklärung entstehen. Dieses Rechtsgebiet stellt sicher, dass Patienten einen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld haben, wenn sie durch fehlerhaftes medizinisches Handeln gesundheitlich beeinträchtigt wurden.
Beispiel: Das Oberlandesgericht Köln wandte das Arzthaftungsrecht an, um festzustellen, welche Folgekosten des langen Krankenhausaufenthalts durch den Fehler bei der Hüft-OP verursacht wurden.

Zurück

haftungsausfüllender Kausalzusammenhang

Juristen nennen das den Nachweis, dass ein bereits feststehender Behandlungsfehler die tatsächliche Ursache für den konkret eingetretenen Schaden (wie beispielsweise Mehrkosten oder Schmerzen) ist. Das Gesetz trennt hier strikt zwischen der Frage, ob ein Fehler gemacht wurde, und der Frage, welche Konsequenzen dieser Fehler tatsächlich hatte, um ungerechtfertigte Forderungen abzuwehren.
Beispiel: Die klagende Krankenkasse musste den haftungsausfüllenden Kausalzusammenhang zwischen dem fehlerhaften Zementieren und den Kosten für die geriatrische Frührehabilitation beweisen, was ihr nur teilweise gelang.

Zurück

haftungsbegründender Kausalzusammenhang

Dieser spezielle Kausalzusammenhang beschreibt, ob das ärztliche Fehlverhalten überhaupt die Ursache für die primäre, erstmalige gesundheitliche Beeinträchtigung des Patienten war. Dieser Beweisschritt ist nötig, um überhaupt erst die Haftung des Arztes oder der Klinik zu etablieren, bevor über die Höhe des Schadens gesprochen werden kann.
Beispiel: Nachdem die Klinik den Fehler beim verfrühten Aushärten des Zements nicht mehr bestritten hatte, lag der haftungsbegründende Kausalzusammenhang vor, und das Gericht konzentrierte sich auf die Folgeschäden.

Zurück

überwiegende Wahrscheinlichkeit

Als überwiegende Wahrscheinlichkeit gilt der juristische Maßstab, bei dem das Gericht einen Sachverhalt als bewiesen ansieht, wenn die Möglichkeit seines Eintretens über 50 Prozent liegt. Dieser geringere Beweisstandard kommt dem Kläger im Arzthaftungsrecht bei der Schadensfeststellung entgegen und soll verhindern, dass Patienten wegen unklarer medizinischer Zusammenhänge keinen Ersatz erhalten.
Beispiel: Das OLG Köln sah die überwiegende Wahrscheinlichkeit als gegeben an, dass der Behandlungsfehler die Serombildung direkt verursachte, da der Sachverständige den Zusammenhang mit 50 % bis 60 % bezifferte.

Zurück

§ 287 Zivilprozessordnung (ZPO)

§ 287 ZPO ist die Rechtsgrundlage für das sogenannte erleichterte Beweismaß im deutschen Zivilprozess, welches die Anforderungen an den Nachweis der Schadenshöhe signifikant lockert. Diese spezielle Prozessregel gibt dem Richter die Möglichkeit, die Höhe oder den Ursprung eines entstandenen Schadens nach freier Überzeugung zu schätzen, wenn ein vollkommener Beweis der genauen Schadenshöhe unmöglich wäre.
Beispiel: Dank der Anwendung von § 287 ZPO musste die Krankenkasse den Kausalzusammenhang für die Folgekosten nicht mit voller Sicherheit beweisen, sondern es genügte die Schwelle der überwiegenden Wahrscheinlichkeit.

Zurück



Das vorliegende Urteil


OLG Köln – Az.: I-5 U 22/25 – Urteil vom 08.10.2025


* Der vollständige Urteilstext wurde ausgeblendet, um die Lesbarkeit dieses Artikels zu verbessern. Klicken Sie auf den folgenden Link, um den vollständigen Text einzublenden.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Medizinrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Medizinrecht und Arzthaftungsrecht.  Gerne beraten und vertreten wir Sie in medizinrechtlichen Angelegenheiten.

Rechtsanwälte Kotz Medizinrecht - Kreuztal

Urteile und Rechtstipps aus dem Medizinrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!