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Behandlungsfehler im Zusammenhang mit einer Tumor-Operation

Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 12 U 128/17 – Beschluss vom 17.07.2018

1. Die Berufung der Klägerin gegen das am 05.07.2017 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam, Az.: 11 O 263/14, wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 45.739,20 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt Schadensersatz und Schmerzensgeld aus dem Vorwurf der fehlerhaften ärztlichen Behandlung im Krankenhaus der Beklagten. Auf die tatsächlichen Feststellungen im landgerichtlichen Urteil wird gemäß § 522 Abs. 2 S. 4 ZPO Bezug genommen.

Das Landgericht hat – sachverständig beraten – die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es – soweit im Berufungsverfahren noch von Interesse – im Wesentlichen ausgeführt: Im Ergebnis der Beweisaufnahme seien weder Behandlungs- noch Aufklärungsfehler feststellbar, die für den bei der Klägerin eingetretenen Schaden ursächlich geworden sein könnten. Die Operation vom 14.06.2013 sei nach dem fachärztlichen Standard indiziert gewesen. Zwar sei der gerichtlich beauftragte Sachverständige Dr. X… zunächst zu dem Ergebnis gekommen, dass eine ausreichende Indikation für die Operation nicht bestanden habe. So habe er ausgeführt, dass auch bei einem Verzicht auf die Nachoperation ein gleichwertiges onkologisches Ergebnis mit einer Radiojodtherapie möglich gewesen sei. Die Operationsindikation sei danach leitliniengerecht nur bei einem interdisziplinären Konsens und unter Abwägung patientenseitiger Umstände begründbar. Eine solche interdisziplinäre Abstimmung sei den Krankenakten nicht entnehmbar gewesen. Nachdem die Zeugin Dr. Y… eine solche interdisziplinäre Abstimmung jedoch dargelegt habe, indem sie bekundet habe, dass der „Fall“ der Klägerin Gegenstand der Tumorkonferenz am … gewesen sei und sie, die Zeugin, die Notwendigkeit der Komplettierungsoperation mit der Nuklearmedizinerin Dr. Z… besprochen habe und diese allseitig befürwortet worden sei, sei die Operation nach den Ausführungen des Sachverständigen indiziert gewesen.

Eine Aufklärung zur Alternative einer alleinigen Radiojodtherapie habe nicht erfolgen müssen, da diese nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht als gleichwertige Behandlungsalternative zur Komplettierungsoperation zur Wahl gestanden habe. Eine Aufklärung zur Möglichkeit der Schädigung des Stimmbandnerves sei in zwei von der Klägerin unterzeichneten Aufklärungsbögen dokumentiert. Zudem habe der Zeuge Dr. A… – entsprechend seiner Aussage – auch nochmals handschriftlich den Hinweis auf diese Möglichkeit in beiden Aufklärungsbögen aufgenommen. Zwar habe sich der Zeuge an die konkreten Gespräche mit der Klägerin nicht mehr erinnern können. Er habe jedoch bekundet, dass er – gerade bei schon eingetretener Läsion – noch ausführlicher über Komplikationen spreche. Die Klägerin habe zwar erklärt, die handschriftlichen Notizen auf den Aufklärungsbögen seien bei Unterzeichnung noch nicht vorhanden gewesen. Letztlich habe sie jedoch eingeräumt, dass das Thema der Stimmbandlähmung besprochen worden sei. Im Übrigen sei angesichts der potentiell lebensbedrohlichen Tumorerkrankung der Klägerin jedenfalls von einer hypothetischen Einwilligung der Klägerin auszugehen.

Gegen das ihrer Prozessbevollmächtigten am 07.07.2017 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit am 26.07.2017 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese zugleich begründet. Sie führt im Wesentlichen aus, der gerichtlich bestellte Sachverständige habe zunächst dargelegt, dass eine Resektions- bzw. Komplettierungsoperation nicht ausreichend indiziert gewesen sei. Dies müsse zugrunde gelegt werden, da eine interdisziplinäre Abstimmung der einzelnen Fachbereiche nicht stattgefunden habe. Die Zeugin Dr. Y… habe eindeutig ausgesagt, dass der „Fall“ der Klägerin nicht Gegenstand der Tumorkonferenz am … gewesen sei. Mangels Dokumentation habe die Zeugin die Daten lediglich abgeleitet. Nicht nachgewiesen sei auch die Behauptung, dass sich Frau Dr. Y… mit der Oberärztin der Nuklearmedizin, Frau Dr. Z…, über den „Fall“ der Klägerin telefonisch beraten habe. Zu diesem Telefonat habe die Zeugin kein Datum benennen können. Nicht plausibel sei, dass sich die Zeugin nach Ablauf von vier Jahren noch an Telefongespräche erinnern könne. Unverständlich sei auch, dass, obwohl die Nuklearmedizinerin auf Geduld plädiert haben soll, dann doch am 14.06.2013 schon operiert worden sei.

Eine spezielle Risikoaufklärung der Klägerin sei nicht erfolgt. Insbesondere habe es keine Abstimmung mit der Klägerin über Alternativen gegeben. Gerade bei einer zweiten Operation am gleichen Körperteil müsse die Aufklärung intensiver und umfangreicher ausfallen. Die Kammer sei zu Unrecht von einer hypothetischen Einwilligung der Klägerin in die zweite Operation ausgegangen. Wenn sie über eine erneute Gefahr der Stimmbandlähmung ausreichend aufgeklärt worden wäre, hätte sie nicht in die Operation eingewilligt.

Die Klägerin hat angekündigt zu beantragen, unter Abänderung des am 05.07.2017 verkündeten Urteils des Landgerichts Potsdam die Beklagte zu verurteilen,

1. an die Klägerin materiellen Schadensersatz in Höhe von 139,20 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

3. die Beklagte ferner zu verurteilen, an die Klägerin für den Ausfall der Erwerbsfähigkeit eine monatliche Rentenzahlung in Höhe von 300,00 € ab dem Monat November 2014 bis zum Eintritt in die Regelaltersrente am 01.03.2029 zu zahlen,

4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle weiteren materiellen und immateriellen Schäden aus dem operativen Eingriff vom 14.06.2013 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialleistungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen,

5. die Beklagte weiterhin zu verurteilen, die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten der Klägerin in Höhe von 1.822,96 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.12.2014 zu zahlen.

Die Beklagte hat angekündigt zu beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

Mit Verfügung vom 07.06.2018 hat der Vorsitzende die Klägerin darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtige, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen. Die Klägerin ist dem Hinweis mit Schriftsatz vom 26.06.2018 entgegengetreten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze, Protokolle und sonstigen Unterlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen. Der Senat ist auch unter Berücksichtigung des Schriftsatzes der Klägerin vom 26.06.2018 einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil nicht erfordern und eine mündliche Verhandlung über die Berufung auch aus sonstigen Gründen nicht geboten ist.

Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis vom 07.06.2018 Bezug genommen. Der hiergegen gerichtete Vortrag der Klägerin überzeugt nicht.

Der erstinstanzlich beauftragte Sachverständige X… hat schon in seinem Erstgutachten vom 29.05.2016 dargestellt, dass zwar eine vollständige Entfernung der Schilddrüse bei der Klägerin nicht zwingend als erforderlich anzusehen gewesen wäre, da ein im Gesunden entferntes papilläres Mikrokarzinom der Schilddrüse (PTMC) vorgelegen habe. Allerdings weise die einschlägige Leitlinie darauf hin, dass bei der festgestellten Multifokalität eine erhöhte Rate an Rezidiven bzw. Tumorabsiedlungen in Lymphknoten denkbar sei. Aus diesen Gründen könne in solchen Fällen eine Nachoperation mit Entfernung des verbliebenen Schilddrüsengewebes und die Durchführung einer zusätzlichen Bestrahlungsbehandlung in Erwägung gezogen werden. Schon hier führt der gerichtlich bestellte Sachverständige aus, dass eine Komplettierungsoperation mit Entfernung des ursprünglich verbleibenden Schilddrüsengewebes grundsätzlich zu einer verbesserten Wirksamkeit der Radiojodtherapie führen könne. Zugleich werde in der Leitlinie daher ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei der Befundkonstellation, wie sie bei der Klägerin vorgelegen habe, die Entscheidung über die weitere Behandlung interdisziplinär und unter Berücksichtigung patientenseitiger Umstände erfolgen solle. Die Entscheidung über die optimale Therapie müsse demnach zwischen Chirurgie und Nuklearmedizin abgestimmt werden.

Der Sachverständige widerspricht sich danach keineswegs, wenn er im Rahmen der Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 14.06.2017 in Kenntnis der Aussage der Zeugin Dr. Y… ausführt, dass das bestmögliche (gemeint ist das sicherste) Ergebnis mit einer Komplettierungsoperation und einer anschließenden Radiojodtherapie zu erreichen sei und die Komplettierungsoperation auch nach interdisziplinärer Abstimmung indiziert gewesen sei. Im ergänzenden Gutachten vom 22.03.2017 hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass die insgesamt nicht ausreichende Datenlage hinsichtlich der Langzeitergebnisse bei einer Komplettierungsoperation mit anschließender Radiojodtherapie noch am besten sei, so dass dies unter dieser Prämisse meist empfohlen werde.

Soweit die Klägerin weiterhin behauptet, die Zeugin Dr. Y… habe eingeräumt, dass der Fall nicht in einer Tumorkonferenz besprochen worden sei, wird dies durch die protokollierte Aussage der Zeugin Dr. Y… in der mündlichen Verhandlung vom 14.06.2017 widerlegt. Nachdem das Landgericht die notwendige Überzeugung von einer interdisziplinären Abstimmung schon auf der Grundlage der Aussage der Zeugin Y… finden konnte, kam es auf eine Vernehmung der von der Beklagten zudem benannten Zeugin Dr. Z… nicht mehr an. Die Angriffe der Berufung gegen die Beweiswürdigung rechtfertigen eine erneute oder ergänzende Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeuginnen nicht.

Im Hinblick auf die erneute Rüge einer unzureichenden Aufklärung ist der Klägerin entgegenzuhalten, dass sie am Vortag der Komplettierungsoperation einen Aufklärungsbogen mit dem Hinweis: „Der Eingriff kann zu einer Schädigung des Stimmbandnervs (Laryngeus recurrens) führen mit der Folge einer vorübergehenden oder bleibenden Stimmbandlähmung. …“ unterzeichnet hat. Hinzu kommt, dass sie eine solche Stimmbandlähmung bereits bei der ersten Operation erlitten hatte, so dass ihr dieses Risiko bekannt war. Dass es zu einem bleibenden Schaden kommen kann, ist in jedem Fall schriftlich aufgezeigt.

Nachdem im Wege der Abstimmung zwischen den Fachabteilungen festgelegt worden ist, dass eine Komplettierungsoperation mit nachfolgender Radiojodtherapie erfolgen solle, war allein dieser Behandlungsweg aufgrund des Fehlens von echten Behandlungsalternativen mit tatsächlicher Wahlmöglichkeit gegeben, sodass die Klägerin über weitere Alternativen der Behandlung nicht aufzuklären war. Die Sicherheit der onkologischen Langzeitergebnisse betrachtet, macht diese Therapie, wenn sie nach interdisziplinärer Abstimmung im Einzelfall festgelegt worden ist, nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. X… alternativlos. Andere Behandlungsalternativen können dann als medizinisch nachrangig und damit nicht als wirkliche Alternativen gewertet werden.

Da interdisziplinär auch keine unklaren oder strittigen Therapievorstellungen vorgelegen haben, war entsprechend den Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen im Gutachten vom 29.05.2016 auch keine Vorstellung der Befunde oder eine Überweisung der Klägerin an ein Referenz- oder Kompetenzzentrum für endokrine Erkrankungen mit gesicherter Anbindung an ein interdisziplinäres Tumorzentrum zu empfehlen.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47 Abs. 1, 2, 48 Abs. 1 GKG, §§ 3 ff. ZPO festgesetzt.

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