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Behandlungsfehler nach einem Schädel-Hirn-Trauma – Befunderhebungsfehler

OLG Nürnberg, Az.: 5 U 1153/14, Urteil vom 19.02.2016

I.

Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 04.04.2014 wird zurückgewiesen.

II.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; die Beklagte kann eine Vollstreckung durch die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 426.820,20 € festgesetzt.

Gründe

I.

Behandlungsfehler nach einem Schädel-Hirn-Trauma - Befunderhebungsfehler
Symbolfoto: Von Rocketclips, Inc. /Shutterstock.com

Auf die tatsächlichen Feststellungen des Ersturteils wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 ZPO).

Die Beklagte hat gegen dieses ihr am 14.04.2014 zugestellte Endurteil mit am 14.05.2014 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese rechtzeitig begründet.

Sie macht, gestützt auf ein Privatgutachten von Herrn … geltend, das Erstgericht verneine zu Unrecht einen Behandlungsfehler, stütze sich insbesondere zu Unrecht auf das Gutachten von … . Bei einem Schädel-Hirn-Trauma sei eine Immobilisierung der Halswirbelsäule mittels einer Stifneck-Krawatte zwingend, und zwar nicht nur während des Transports, sondern auch in den ersten Tagen nach dem Unfall, um eine Schädigung des Rückenmarks zu verhindern. Das Unterlassen einer Stifneck-Versorgung sei grob fehlerhaft. Im Übrigen hätten schon anfänglich konkrete Hinweise auf das Vorliegen von Frakturen im Bereich der Halswirbelsäule vorgelegen. Aus den in der Notaufnahme der Klägerin gefertigten Röntgenaufnahmen ergebe sich der dringende Verdacht auf eine Fraktur im Bereich der Wirbelkörper C1, C2, dem habe nachgegangen werden müssen. Man hätte dann diese Frakturen nicht erst im Oktober 2005 erkannt, sondern unmittelbar noch während des Aufenthalts in der Notaufnahme und entsprechend reagieren können und müssen. Das fehlerhafte Verhalten der Ärzte der Klägerin sei zumindest mitursächlich für die Querschnittlähmung.

Die Beklagte beantragt:

I. Das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 04.04.2014, Az. 13 O 961/07, wird abgeändert.

II. Die Klage wird abgewiesen.

Im Wege der hilfsweisen Teil-Widerklage:

III. Die Klägerin/Widerbeklagte wird verurteilt, an die Beklagte/Widerklägerin ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe eines Teilbetrages von € 48.069,24 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 17.08.2005 zu zahlen.

Im Wege der unbedingten Widerklage:

IV. Die Klägerin/Widerbeklagte wird verurteilt, an die Beklagte/Widerklägerin ein weiteres angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 17.08.2005 zu zahlen.

V. Die Klägerin/Widerbeklagte wird verurteilt, an die Beklagte/Widerklägerin € 173.765,92 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus € 7.431,40 ab dem 13.12.2005, aus weiteren € 8.328,36 seit dem 01.01.2006, aus weiteren € 34.755,43 seit dem 01.01.2007, aus weiteren € 19.962,19 seit dem 01.01.2008, aus weiteren € 22.903,54 seit dem 01.08.2008, aus weiteren € 80.390,00 seit dem 09.11.2008, zu bezahlen.

hilfsweise:

Die Klägerin/Widerbeklagte wird verurteilt, an die Beklagte/Widerklägerin € 7.431,40 nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit 13.12.2005 zu bezahlen.

Die Klägerin/Widerbeklagte ist verpflichtet, der Beklagten/Widerklägerin für den Zeitraum 12.12.2005 bis 31.07.2008 rückständige Rente des Erblassers … wegen Mehrbedarf in Höhe von € 166.334,52 nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz aus € 2.862,36 seit dem 02.01.2006 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.01.2006 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.02.2006 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.03.2006 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.04.2006 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.05.2006 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.06.2006 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.07.2006 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.08.2006 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.09.2006 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.10.2006 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.11.2006 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.12.2006 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.01.2007 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.02.2007 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.03.2007 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.04.2007 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.05.2007 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.06.2007 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.07.2007 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.08.2007 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.09.2007 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.10.2007 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.11.2007 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.12.2007 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.01.2008 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.02.2008 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.03.2008 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.04.2008 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.05.2008 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.06.2008 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.07.2008 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.08.2008 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.09.2008 aus weiteren € 4.770,58 seit dem 02.10.2008 und aus weiteren € 4.770,58 seit dem 09.11.2008 zu bezahlen.

VI. Die Klägerin/Widerbeklagte wird verurteilt, an die Beklagte/Widerklägerin € 16.985,04 (Haushaltsführungsschaden des Erblassers vom 17.08.2005 – 08.11.2008) nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

VII. Die Klägerin/Widerbeklagte wird verpflichtet, der Beklagten/Widerklägerin den weiteren zukünftigen Schaden in Höhe einer Haftungsquote von 100% zu ersetzen, der der Beklagten als Alleinerbin von Herrn … aus dessen Verkehrsunfall vom 17.08.2005 bis zu dessen Tod am 08.11.2008 noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf Sozialversicherungträger oder sonstige Dritte übergegangen ist oder noch übergehen wird.

VIII. Die Klägerin/Widerbeklagte trägt die Kosten des gesamten Rechtsstreits.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Ersturteil und ist insbesondere der Meinung, dass das Privatgutachten als neues Angriffs- oder Verteidigungsmittel nicht zuzulassen sei. Sie verweist darauf, dass … auch mit seinem ex-post-Wissen keine knöcherne Verletzung auf den unfallnahe gefertigten Röntgenbildern habe erkennen können und im Übrigen einen Zusammenhang dieser Verletzung mit den Ausfallerscheinungen des Patienten verneint habe.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Erholung eines ergänzenden schriftlichen Sachverständigengutachten von … sowie durch dessen mündliche Anhörung. Auf den Beweisbeschluss vom 09.10.2014 (Bl. 464/465 d.A.), das Ergänzungsgutachten vom 04.05.2015 (Bl. 477/480 d.A.), die Sitzungsniederschrift vom 12.11.2015 sowie den übrigen Akteninhalt wird Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Senat konnte sich nach ergänzender Beweisaufnahme nicht von einem Behandlungsfehler überzeugen.

Jedenfalls aber wäre ein, unterstellt sogar grober Fehler, nachweislich nicht ursächlich für die Querschnittlähmung.

Der Sachverständige … hat in der Gesamtschau seiner Stellungnahmen für den Senat nachvollziehbar einen Behandlungsfehler durch Ersetzen der zunächst angelegten Zervikalstütze (Stifneck-Krawatte) durch eine Schanz´sche (weiche) Halskrause verneint. Die Zervikalstütze sei beim Transport und auch noch bei der Röntgenuntersuchung angelegt gewesen, habe aber dann abgenommen werden dürfen, weil sich bei der Bildgebung kein Anhalt für eine Instabilität der Wirbelsäule ergeben habe, und zwar weder im Bereich C1, C2, noch im Bereich C5, C7. Ein sicherer Ausschluss einer Instabilität sei nicht erforderlich, weil dieser nur intraoperativ unter Narkose erfolgen könne.

Auch wenn ex-post betrachtet davon auszugehen sei, dass die Frakturen im Bereich C1, C2 schon beim Unfall entstanden seien, könne den Ärzten der Klägerin nicht vorgeworfen werden, den Bruch nicht erkannt zu haben. Die von … erkannten Frakturanzeichen seien nicht derart, dass sich der Verdacht einer Fraktur hätte aufdrängen müssen.

Er selbst habe trotz seines ex-post Wissens um den Bruch diesen auf der Bildgebung vom August 2005 nicht erkennen können. Eine Dislokation des Dens in Bezug auf den 2. Halswirbelkörper sei jedenfalls nicht augenscheinlich. Die Gefahr des Eindringens von Knochenteilen ins Rückenmark habe nicht bestanden. Es seien daher auch insoweit keine weiteren Maßnahmen erforderlich gewesen. Der Senat sieht auch im Hinblick auf die Stellungnahme von … keinen Anlass, an den Ausführungen des Sachverständigen zu zweifeln. Der Sachverständige … hat sich detailliert mit den von … bejahten Verdachtanzeichen für eine Fraktur auseinandergesetzt und diese aus einleuchtenden Gründen als nicht ausreichend angesehen.

Ein Behandlungsfehler liegt auch nicht im Hinblick auf das einige Tage später erkannte Ödem im Bereich C5, C7 vor. Der Sachverständige hat hierzu erklärt, ein Ödem sei nicht therapierbar, so dass sich therapeutische Konsequenzen aus einer früheren Entdeckung nicht ergeben hätten.

Es lässt sich daher weder ein Therapiefehler noch ein Befunderhebungsfehler feststellen.

Im Übrigen scheidet eine Haftung der Klägerin auch deshalb aus, weil ein kausaler Zusammenhang zwischen der Querschnittlähmung und der vermeintlich verfrühten Abnahme der Zervikalstütze und der vermeintlich unterlassenen weiteren Befundung ausgeschlossen erscheint. Der Sachverständige … führt die Querschnittlähmung auf die Kontusion im Bereich C5, C7 zurück. Die zunächst übersehene Fraktur im Bereich des 2. Halswirbelkörpers habe darauf keinen Einfluss gehabt. Eine Verletzung des Rückenmarks im Bereich C2 führe zu einer ultrahohen Parese oder Tetraplegie mit Auswirkung auf die Atmung und die Zwerchfellfunktion. Der Patient habe aber bei der Extubation selbständig atmen können. Das stehe nicht im Einklang mit einer Verletzung im Bereich des 2. Halswirbelkörpers. Dagegen passe das klinische Bild nahtlos zu einer Verletzung in Höhe des 5. Halswirbelkörpers, die sich auch im MRT dargestellt habe. Ein Zusammenhang zwischen dem Ödem bei C5 und der Schädigung bei C2 sei vorliegend auszuschließen, weil Auswirkungen auf die unten liegenden Wirbel zwar möglich seien, aber dann auch ein Ödem in Höhe C2 vorliegen müsste, was aber gerade nicht der Fall war.

Das Landgericht hat daher der Klägerin zu Recht die im Berufungsverfahren nicht mehr bestrittenen Behandlungskosten zugesprochen und die auf den Behandlungsfehlervorwurf gegründeten Gegenforderungen der Beklagten verneint.

Die Berufung der Beklagten ist zurückzuweisen.

Kosten: § 97 ZPO.

Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

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