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Behandlungsfehler – Schmerzensgeld wegen erlittener gesundheitlicher Beeinträchtigungen

LG Köln – Az.: 25 O 72/18 – Urteil vom 06.05.2020

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 113.600,94EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins auf einen Betrag in Höhe von 110.000,00EUR seit dem 21.02.2018 und auf einen Betrag in Höhe von 3.600,94EUR seit dem 10.05.2018 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 60% und die Beklagte zu 40%.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Die Klägerin ist die Tochter und Alleinerbin der am 02.07.2015 verstorbenen Frau S (im Folgenden: Patientin). Am 05.06.2014 erlitt die damals 76-jährige Patientin einen sehr schweren häuslichen Unfall bei bekannter ausgeprägter Osteoporose. Die Erstversorgung erfolgte im Krankenhaus E, wo u.a. eine Fraktur des Dens axis, Anderson und D`Alonzo Typ II diagnostiziert wurde. Zur operativen Versorgung wurde sie auf die Neurochirurgische Intensivstation der Beklagten verlegt. Zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme war die Patientin wach und allseits orientiert. Paresen und Sensibilitätsstörungen waren nicht feststellbar. Am Folgetag, dem 06.06.2014 wurde die Fraktur operativ versorgt. Es erfolgte eine zentrale Densverschraubung mittels zwei Densschrauben. Zudem wurden zwei transartikuläre Schrauben HWK 1 / HWK 2 von ventral eingebracht. Die Platzierung der Kirschnerdrähte und der Schrauben erfolgte unter Röntgenkontrolle mittels Röntgen-C-Bögen. Postoperativ war die Patientin nur verzögert erweckbar. Ein C-CT zeigte eine Densspitzendislokation nach ventral. Ferner war erkennbar, dass die Spitzen beider eingebrachter Densschrauben in der präpontinen Zisterne lagen. Weiter war eine präpontine Subarachnoidalblutung erkennbar. Es folgte eine notfallmäßige Revisionsoperation am 07.06.2014. Im Rahmen dieser zeigte sich, dass sich über beide Hohlschrauben Liquor entleerte. Die fehlliegenden Schrauben wurden entfernt. Aufgrund des drohenden Liquoraufstaus wurde eine externe Ventrikeldrainage gelegt. Die definitive Versorgung der Fraktur erfolgte dann am 12.06.2014 von dorsal mittels Schrauben-Stab-Osteosynthese HWK 1 auf HWK 2. Postoperativ zeigte die Patientin weiterhin keine adäquate Aufwachtendenz. Hirnstammreflexe waren partiell erhältlich. Am 07.07.2014 zeigte sich im MRT eine linksseitige Hirnstammläsion. Während der gesamten Zeit wurde die Patientin beatmet. Zur Erleichterung der Entwöhnung vom Respirator wurde ihr am 23.06.2014 eine plastische Tracheotomie angelegt. Nach rund fünf Wochen atmete sie fast durchgehend suffizient spontan über das Tracheostoma; sie zeigte sich wach, aber ohne Blickfixation und mit schlaffer rechts betonter Tetraparese. Am 14.07.2014 wurde die Patientin in die neurologische Reha-Behandlung in Bonn verlegt. Im Verlauf wurde die Kommunikationsfähigkeit etwas gebessert und es gelang eine vollständige Entwöhnung vom Respirator. Am 10.11.2014 zog sie in ein Pflegeheim in Zweibrücken um, wo sie bis zu ihrem Tod im Juli 2015 verblieb.

Wegen des Verdachts von Behandlungsfehlern leitete die Klägerin ein Verfahren vor der Gutachterkommission ein. Diesbezüglich erstattete Herr Prof. Dr. T am 01.09.2017 ein Gutachten, in dem er ärztliche Behandlungsfehler aufzeigt.

Der Haftpflichtversicherer der Beklagten hat im April 2018 einen Betrag in Höhe von 40.000EUR ohne Anerkennung einer Rechtspflicht an die Klägerin gezahlt, wobei 10.000EUR auf den materiellen und 30.000EUR auf den immateriellen Schaden geleistet wurden.

Der Klageantrag zu 1) betrifft Zuzahlungen zur gesetzlichen Krankenversicherung i.H.v. 534,51EUR, den Eigenanteil für eine stationäre Pflegeeinrichtung i.H.v. 11.525,33EUR, Fahrtkosten der Klägerin i.H.v. 4.160,00EUR sowie Beerdigungskosten i.H.v. 1.540,22EUR.

Die Klägerin behauptet, es sei im Rahmen der ersten Operation zu groben Behandlungsfehlern gekommen. Die gewählte OP-Methode sei nicht geeignet gewesen, da durch die Osteoporose die Kontur der betroffenen Wirbelknochen in der Durchleuchtung nur sehr schwer darzustellen gewesen sei. Diese Methode der Fixierung hätte daher nicht gewählt werden dürfen. Der Operateur hätte erkennen müssen, dass er die Konturen der betroffenen Knochenumrisse nicht zuverlässig erkennen kann und die Operation gar nicht erst beginnen dürfen. Es hätte eine andere Methode zur Fixierung der Fraktur gewählt werden müssen. Dieser Fehler habe die gravierenden Folgen der Patientin verursacht.

Sie hält ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 300.000EUR für angemessen. Die Patientin habe vor dem Unfall selbstbestimmt im eigenen Haushalt gelebt und habe keine Pflege oder sonstigen Hilfeleistungen benötigt. Durch den Behandlungsfehler sei sie ein Schwerstpflegefall geworden; sie sei nicht in der Lage gewesen irgendwelche eigenen Handlungen zu koordinieren und habe eine Vollzeitpflege benötigt. Sie habe sich nicht mehr artikulieren können. Den gesamten Sterbeprozess habe sie über rund ein Jahr bewusst miterlebt. Ihre Persönlichkeit sei völlig zerstört worden.

Die Klägerin beantragt,

1.  die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag von 7.760,06EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 21.02.2018 zu zahlen,

2.  die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld aus übergegangenem Recht der am 02.07.2015 verstorbenen Frau S , dessen Höhe zwar ausdrücklich in das Ermessen des Gerichtes gestellt wird, welches allerdings einen Betrag von 270.000,00EUR nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 21.02.2018 zu zahlen,

3.  die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 5.671,54EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,  die Klage abzuweisen.

Behandlungsfehler -  Schmerzensgeld wegen erlittener gesundheitlicher Beeinträchtigungen
(Symbolfoto: Von Steve Cukrov/Shutterstock.com)

Die Beklagte bestreitet, dass die ausgeprägte Osteoporose der Patientin eine Kontraindikation zur durchgeführten Operation dargestellt habe. Sie behauptet, die notwendigen Kontrollen und Sicherungsmaßnahmen seien durch die intraoperative Durchleuchtung stets eingehalten worden. Die Tatsache, dass die Osteoporose die Sicht des Operateurs erschwerte, führe keineswegs zu der zwingenden Schlussfolgerung, dass der Eingriff in anderer Weise hätte durchgeführt werden müssen. Die bei dem streitgegenständlichen Eingriff verwendeten Röntgen-C-Bögen seien korrekt platziert worden. Auch auf der zum Abschluss des Eingriffs erfolgten Röntgenkontrolle habe sich die Fehllage der Schrauben nicht gezeigt. Der Umstand, dass sich postoperativ eine Fehllage der Schrauben darstellte, sei als schicksalhaftes Ereignis anzusehen.

Sie bestreitet die immateriellen und materiellen Ansprüche dem Grunde und der Höhe nach. Das Schmerzensgeldbegehren sei völlig unverständlich überzeichnet. Sie bestreitet, dass die intraoperativ aufgetretenen Komplikationen zum Tod der Patientin geführt hätten. Bezüglich der Kosten für das Pflegeheim habe sie sich ersparte Kosten für die aufgegebene eigene Wohnung und Verpflegung anrechnen zu lassen. Die Krankenbesuche der Klägerin seien nicht erstattungsfähig, da ein therapeutischer Zweck nicht erkennbar sei. Sie bestreitet zudem, dass sie die Patientin so oft besucht habe.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens durch Herrn Prof. Dr. med. N , Oberarzt der Klinik für Neurochirurgie an der Universitätsklinik G . Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 19.09.2019 (Bl. 154 ff. GA) sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 11.03.2020 (Bl. 201 ff. GA) verwiesen.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die beigezogenen Behandlungsunterlagen vollumfänglich Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist in dem aus dem Tenor zu entnehmenden Umfang begründet, im Übrigen ist sie unbegründet und insoweit abzuweisen.

1.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schmerzensgeld in Höhe von 110.000,- EUR aus übergegangenem Recht, § 1922 BGB. Sie ist die Alleinerbin ihrer Mutter, der Patientin Frau S , da diese sie im Erbvertrag vom 23.07.1991 als alleinige unbeschränkte Nacherbin eingesetzt hat. Die Patientin hatte gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schmerzensgeld aus dem Behandlungsvertrag i.V.m. §§ 630a, 280 Abs. 1, 278, 249, 253 Abs. 2. BGB. Der Schmerzensgeldanspruch ist ohne Einschränkungen vererblich (BGH NJW 11, 2296, 16, 636).

Die Patientin ist im Hause der Beklagten grob fehlerhaft behandelt worden. Der Sachverständige Prof. Dr. med. N , der als Oberarzt der Klinik für Neurochirurgie der Uniklinik G zur Beurteilung der streitentscheidenden Fragestellungen im besonderen Maße berufen ist und sich eingehend mit den zur Gerichtsakte gereichten Behandlungsunterlagen sowie dem Sachvortrag der Parteien und dem Privatgutachten des Herrn Prof. Dr. T auseinandergesetzt hat, ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Behandlung der Patientin eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln verstoßen hat. Die Kammer macht sich diese nachvollziehbaren und überzeugenden Feststellungen nach kritischer Prüfung zu eigen.

Der Sachverständige hat festgestellt, dass die Indikationsstellung zur operativen Versorgung der Densfraktur vom Typ II absolut korrekt gewesen sei. Eine solche Fraktur sei zwingend operativ zu versorgen.

Das ventrale Vorgehen stelle keinen Fehler dar. Die Versorgung einer Densfraktur sei prinzipiell von ventral oder dorsal möglich, wobei die ventrale Densverschraubung die elegantere Methode sei. Bei der Patientin war der Dens aber nicht nur nach dorsal verschoben, sondern gleichzeitig auch um die Hälfte der Densdicke nach lateral links verlagert und es lag eine Luxation im Segment HWK 1 / 2 vor. Bei diesem Verletzungsmuster sei eine alleinige ventrale Densverschraubung grundsätzlich nicht ausreichend. Man hätte stattdessen von dorsal stabilisieren können. Das ventrale Vorgehen sei aber dennoch möglich und stelle keinen Fehler dar, wenn wie im vorliegenden Fall über die reine Densverschraubung hinaus die atlanto-axiale Instabilität auch durch eine ventrale transartikuläre Verschraubung HWK 1 / 2 behandelt werde (Bl. 167 d. GA).

Nachdem der ventrale Zugang zur HWS und das Einbringen der ventralen transartikulären Schrauben lege artis erfolgt sei (Bl. 171 d. GA), ist die Densverschraubung grob fehlerhaft erfolgt. Die Kammer ist gemäß § 286 ZPO davon überzeugt, dass das Einbringen der Kirschner-Drähte nicht unproblematisch erfolgte, wie es in dem nachträglich verfassten OP-Bericht vom 02.12.2014 beschrieben ist. Stattdessen geht das Gericht davon aus, dass die Operation vielmehr so verlief, wie in dem undatierten OP-Bericht. Hier heißt es dazu: „Es wird versucht, einen Kirschner-Draht durch WK2 über die Basis vom Dens in das apikale Frakturstück zu durchbohren. Dieses gelingt nicht. Der Kirschner-Draht verläuft immer zu weit dorsal und ein schrägerer Einstieg ist nicht möglich aufgrund der Anatomie und des Sternums. Mehrere Versuche, den Dens richtig zu sondieren, verlaufen frustran…“. Die OP-Berichte sind zwar alle mit „vorläufiger OP-Bericht!“ beschriftet; es findet sich indes kein endgültiger OP-Bericht in den Behandlungsunterlagen, sodass davon ausgegangen werden muss, dass sich der Eingriff so dargestellt hat, wie in dem hier zitierten undatierten OP-Bericht. Denn offensichtlich wurden die OP-Berichte alle von der wissenschaftlichen Mitarbeiterin verfasst, deren Name darunter abgedruckt ist. Da der OP-Bericht vom 02.12.2014 erst ein halbes Jahr nach der OP erstellt wurde und den problematischen Teil der Operation auslässt, geht das Gericht davon aus, dass dieser Bericht, aus welchen Gründen auch immer, nicht das tatsächliche Geschehen des Eingriffs wider gibt.

In dem undatierten OP-Bericht hingegen ist ganz klar beschrieben, dass es nicht gelang, einen Kirschner-Draht in den Dens einzubringen. Stattdessen sei er jeweils zu weit dorsal verlaufen. Der Sachverständige erklärt, dass dies bedeute, dass er somit im Spinalkanal und somit nahe des oberen Halsmarks und des unteren Hirnstamms zu liegen gekommen sei. Diese Beschreibung impliziere zudem, dass der Dens intraoperativ in den seitlichen Bildwandleraufnahmen zu erkennen gewesen sein musste (Bl. 172 d. GA). Dass ein Abschlussbild nach Durchführung der Densverschraubung gemacht wurde, ist auch im OP-Bericht beschrieben. Ein solches Bild befindet sich jedoch nicht in den Behandlungsunterlagen der Beklagten.

Der Versuch der Densverschraubung endete dem OP-Bericht zufolge sodann in einer „atypischen Trajektorie“. Diese sei nicht per se als fehlerhaft zu werten, wenn es dadurch gelungen wäre, das abgebrochene Dens-Fragment mit dem Draht zu fassen (Bl. 174 d. GA). Dies gelang jedoch nicht. Zwar beschreiben beide Versionen des OP-Berichts eine korrekte Lage der Drähte und Schrauben. Dies könne jedoch zu keinem Zeitpunkt der Fall gewesen sein, wie die CT-Bilder zeigten (Bl. 175 d. GA). Die postoperativ dokumentierte falsche Schraubenlage müsse auch intraoperativ schon vorgelegen haben. Der Operateur hätte diese Fehllage entweder erkennen müssen (Bl. 175 d. GA), oder zumindest merken, dass er das Fragment gar nicht (mehr) sieht. Die Beschreibung der korrekten Lage im OP-Bericht stelle daher eine schwerwiegende Fehlinterpretation dar. Das Eindrehen der Schrauben, ohne dass das zu fixierende Segment sicher erkannt wird, stelle einen schweren operativen Fehler dar (Bl. 175 d. GA). Dabei handele es sich auch nicht etwa um eine potentielle Komplikation dieser Operation, sondern um einen eindeutigen Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln (Bl. 177 d. GA). Der Fehler sei aus objektiver medizinischer Sicht nicht mehr verständlich.

Diesen Feststellungen schließt sich das Gericht an und wertet den Fehler als grob im Sinne des § 630 h Abs. 5 BGB, denn der Operateur hat eindeutig gegen bewährte medizinische Behandlungsregeln bzw. gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Behandelnden schlechterdings nicht unterlaufen darf (BGH NJW 12, 227, 16, 563).

Ein weiterer schwerwiegender Fehler liege in der Verwendung viel zu langer Schrauben (Bl. 175 f. d. GA). Denn die Schrauben, die verwendet wurden, seien so lang gewesen, dass sie durch das Foramen occipitale magnum ins Schädelinnere traten. Dies sei auf den postoperativ angefertigten CT-Bildern ersichtlich. Trotz erneuter Röntgenkontrolle habe der Operateur dies scheinbar nicht erkannt (Bl. 176 d. GA). Diese zu lang gewählten Schrauben führten mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu der Subarachnoidalblutung und der Verletzung des Hirnstamms mit seinen fatalen Folgen.

Gemäß § 630 h Abs. 5 BGB kommt der Klägerin für den Primärschaden eine Beweislastumkehr zugute. Primärschaden ist die durch den Behandlungsfehler im Sinne haftungsbegründender Kausalität hervorgerufene Gesundheitsbeeinträchtigung, nämlich die durch die fehlerhafte Schraubenlage eingetretene gesundheitliche Befindlichkeit (vgl. BGH Urt. v. 12.02.2008, Az. VI ZR 221/06 in NJW 2008, 1381.). Welche weiteren Schäden sich hieraus entwickelt haben, ist eine Frage der haftungsausfüllenden Kausalität.

Durch die Duraperforation und die Schraubenfehllage kam es zu einer Subarachnoidalblutung. Die Patientin entwickelte im Verlauf eine Liquorzirkulationsstörung, die durch die Anlage einer externen Ventrikel-Drainage behandelt wurde. Die eingebrachten Schrauben wurden am 07.06.2014 notfallmäßig entfernt. Die definitive Versorgung der Fraktur erfolgte dann am 12.06.2014.

Für Sekundärschäden nach grobem Behandlungsfehler gilt die Beweislastumkehr nur dann, wenn der eingetretene Sekundärschaden typischerweise eine Folge der Primärverletzung ist (vgl. BGH a.a.O.; Geiß/Greiner Arzthaftpflichtrecht 6. Aufl., Rz. B 229.). Der Sachverständige hat positiv festgestellt, dass die hochgradige, rechts betonte schlaffe Tetraparese, vollkommene Pflegebedürftigkeit und neurologische Symptomatik Folge der Hirnstammverletzung sei (Bl. 177 d. GA).

Damit steht der Klägerin für die genannten Gesundheitsschäden und Schmerzen ein Schmerzensgeld gemäß § 253 Abs. 2 BGB zu. Die Funktion des Schmerzensgeldes besteht darin, dem Verletzten einen Ausgleich für die erlittenen immateriellen Schäden und ferner Genugtuung für das ihm zugefügte Leid zu geben. Daher müssen diejenigen Umstände, die dem Schaden sein Gepräge geben, eigenständig bewertet werden. Aus deren Gesamtschau bestimmt sich die angemessene Entschädigung. Bemessungsgrundlagen sind das Ausmaß und die Schwere der psychischen und physischen Störungen, also das Maß der Lebensbeeinträchtigung, die erlittenen und andauernden Schmerzen, der Grad des Verschuldens des Schädigers und dessen Verhältnisse. Die Bemessung des Anspruchs bei einem nach der Verletzung alsbald eingetretenen Tod erfordert eine Gesamtbetrachtung aller Beeinträchtigungen unter besonderer Berücksichtigung von Art und Schwere der Verletzungen und des Zeitraums zwischen Verletzung und Tod (BGH NJW 98, 2741). Der baldige Tod kann das Schmerzensgeld mindern, vor allem, wenn der Verletzte bis zum Tod das Bewusstsein nicht wiedererlangt (Hamm VersR 96, 985, Schlesw NJW-RR 98,1404); entscheidend sind aber die Umstände des Einzelfalls (Palandt, 76. Aufl., 2017, § 253 BGB, Rn. 19).

Die zum streitgegenständlichen Zeitpunkt 76-jährige Patientin wurde zunächst fünf Wochen auf der Intensivstation der Beklagten intensivmedizinisch betreut. Die Patientin musste infolge des Behandlungsfehlers noch drei Mal operiert werden. Da sie keine Aufwachtendenz zeigte, war sie bis zum 23.06.2014 intubiert und beatmet. Um sie vom Respirator zu entwöhnen, wurde dann ein Tracheostoma angelegt, über das sie bis zu ihrem Tod überwiegend spontan atmete. Sie musste jedoch regelmäßig tracheal abgesaugt werden; der Einsatz einer Sprechkanüle war nicht möglich. Ab dem 12.06.2014 öffnete sie die Augen auf Stimulation, jedoch ohne Blickfixierung oder -folge. Im Verlauf gelang es ihr mit den Augen zu fixieren. Sie versuchte einzelne Worte zu verbalisieren, was ihr jedoch bis zum Tod nicht gelang. Die Kommunikation erfolgte lediglich über Kopfnicken bzw. -schütteln. Durch die fehlende Kontaktmöglichkeit war sie nicht in der Lage, ihren Willen zu erklären. Sie wurde über eine PEG-Sonde ernährt. Die persönliche Pflege und Toilettengänge waren aufgrund der hohen Tetraparese nicht eigenständig möglich. Sie hatte einen Dauerkatheter, der regelmäßig zu Blaseninfektionen führte. Im Verlauf konnte sie das rechte Bein, sowie den linken Arm ein wenig bewegen. Eine Mobilisation war jedoch nur an der Bettkante möglich. Es plagte sie ein Dekubitus am Steiß, der letztlich auch den Knochen betraf. Im Pflegeheim verschlechterte sich ihr Allgemeinzustand zusehends. Im Juli 2015 verstarb sie.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes hat das Gericht vor allem berücksichtigt, dass die Patientin ein Jahr lang wach und orientiert war, sich jedoch weder verständigen noch gezielt bewegen konnte. Sie war sozusagen gefangen im eigenen Körper. Die physischen und psychischen Beeinträchtigungen waren massiv. Dabei hat das Gericht auch nicht außer Acht gelassen, dass die Patientin sich bereits in einem fortgeschrittenen Alter befand und der Tod nach einem Jahr eingetreten ist. Insbesondere der letztgenannte Aspekt wirkt sich schmerzensgeldmindernd aus, da der alsbald eingetretene Tod das Leiden der Patientin jedenfalls zeitlich begrenzt hat. Insofern unterscheidet der Fall sich von anderen Fällen, in denen teilweise weit höhere Schmerzensgeldsummen ausgeurteilt wurden (beispielsweise OLG Köln, Urt. v. 06.06.2012 – I-5 U 28/10 -, juris; LG Bochum, Urt. v. 04.07.2012 – 6 O 217/10-, juris). Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände dieses Falles, erscheint ein Schmerzensgeld in Höhe von 140.000,00EUR erforderlich, aber auch ausreichend. Nach Abzug der bereits geleisteten 30.000,00EUR verbleibt ein Restanspruch in Höhe von 110.000,00EUR.

2.

Die Klägerin hat darüber hinaus keinen weiteren Anspruch auf Zahlung von materiellem Schadensersatz gemäß §§ 1922, 630a, 280 Abs. 1, 278, 249, 844 BGB, da der insoweit bestehende Anspruch bereits vorprozessual vollständig erfüllt wurde.

Für die Geltendmachung der materiellen Schäden sind die allgemeinen Grundsätze des Schadensausgleichs heranzuziehen. Gemäß § 843 Abs. 1 Alt. 2 BGB bzw. § 249 BGB hat der Geschädigte nur Anspruch auf Ersatz seiner durch die Gesundheitsverletzung vermehrten Bedürfnisse. Diese umfassen alle verletzungsbedingten Mehraufwendungen, die den Zweck haben, diejenigen Nachteile auszugleichen, die dem Verletzten infolge dauernder Beeinträchtigung seines körperlichen Wohlbefindens entstehen. Es kann sich dabei nur um solche Mehraufwendungen handeln, die dem Geschädigten im Vergleich zu einem gesunden Menschen erwachsen und sich daher von den allgemeinen Lebenshaltungskosten unterscheiden, welche in gleicher Weise vor und nach dem Schadensereignis anfallen (LG Berlin, Urteil vom 31.03.2014 – 33 O 342/13; OLG München, Urteil vom 18.12.2008, Az.  24 U 443/08 und Urteil vom 14.12.2006, Az. 24 U 103/06). Ersparte Aufwendungen sind wegen ihres engen Zusammenhangs mit dem entstandenen Nachteil nach der Differenzhypothese grundsätzlich anzurechnen, es sei denn, die Ersparnisse beruhen auf einem überpflichtmäßigen Verzicht des Geschädigten. In Abzug zu bringen sind daher bei dem Schadensersatzanspruch des verletzungsbedingt in einem Pflegeheim Untergebrachten die ersparten „normalen“ Unterhaltsaufwendungen (Palandt/Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, 76. Auflage, 2017, Vorb. v. § BGB § 249 BGB, Rn. 93, m. w. N.). Denn hinsichtlich der Kosten für die Verpflegung im Pflegeheim ist dem Geschädigten nur insoweit ein Schaden entstanden, als diese die Kosten übersteigen, die der Geschädigte ohnehin auch im häuslichen Bereich hätte aufwenden müssen (KG, Urt. v. 12. 3. 2003 – KG Aktenzeichen 22U3906 22 U 39/06).

Das Gericht schätzt die „normalen“ häuslichen Verpflegungskosten der Patientin gemäß § 287 ZPO unter Mitberücksichtigung der Geldentwertungsrate auf 10EUR pro Tag (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 27.07.2010 – 4 U 585/09). Die ersparten Aufwendungen addieren sich somit auf 2.400,00EUR: in 2014 (57 Tage): 570,00EUR, in 2015 (183 Tage): 1.830,00EUR. Die erstattungsfähigen Aufwendungen für das Pflegeheim in Höhe von 11.525,33EUR sind um die ersparten Verpflegungskosten zu vermindern, weshalb ein Betrag von 9.125,33EUR verbleibt.

Die Zuzahlungen zu ihrer gesetzlichen Krankenversicherung stellen nach diesen Grundsätzen überwiegend ebenfalls erstattungsfähige kausale Sekundärschäden des groben Behandlungsfehlers dar. Sowohl die Dekubiti-Versorgung, als auch die Sondenernährung und die Trachealkanülen sind auf den Behandlungsfehler zurückzuführen. Einzig die Handgelenksbandage ist offensichtlich auf den Unfall und nicht auf den Behandlungsfehler zurückzuführen, sodass der Betrag von 21,00EUR gemäß der Zuzahlungsrechnung vom 05.07.2014 von den geltend gemachten 534,51EUR in Abzug zu bringen ist. Es verbleibt somit ein Anspruch in Höhe von 513,51EUR.

Der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung der Fahrkosten besteht indes nicht.

Zwar gehören Fahrkosten naher Angehöriger für Krankenhausbesuche zu den Heilungskosten und damit zu den Kosten, die der Schädiger gemäß § 249 Abs. 2 BGB zu ersetzen hat (BGH NJW 85, 2757, 89, 766; Palandt, BGB, 76. Aufl., 2017, § 249, Rn. 9). Bei PKW-Fahrten können so regelmäßig 0,25EUR/km angesetzt werden (vgl. Palandt, BGB, 76. Aufl., 2017, § 249, Rn. 9). Für die entgangene Freizeit gibt es hingegen keinen Ersatz (BGH NJW 89, 766).

Ob die pauschale Berechnung der Klägerin zulässig ist und ob die Besuche für die Heilung zweckmäßig waren, kann aber letztlich dahinstehen, da die Beklagte den Vortrag der Klägerin substantiiert bestritten hat. Eine weitere Substantiierung und ggf. Beweisangebot der Klägerin ist unterblieben. Soweit sich die Klägerin auf die vorgerichtliche Zahlung des hinter der Beklagten stehenden Versicherers beruft, ist dies unschädlich, da dieser die (pauschale) Zahlung ausdrücklich ohne Anerkennung einer Rechtspflicht im Erledigungsinteresse geleistet hat.

Ein Anspruch auf Erstattung der Beerdigungskosten gemäß § 844 Abs. 1 BGB besteht ebenfalls nicht, da die Klägerin nicht beweisen konnte, dass die Patientin aufgrund des Behandlungsfehlers verstorben ist.

Ob die Patientin aufgrund des Behandlungsfehlers verstorben ist, ist völlig unklar.Dies ergibt sich weder aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. N , noch aus den Behandlungsunterlagen. Auch fehlt hier jeglicher substantiierter Vortrag der Klägerin. Die Beklagte hat die Kausalität substantiiert bestritten.

Für die Prüfung des Kausalzusammenhangs zwischen der Körperverletzung und dem Tod des Verletzten ist der Maßstab des § 287 ZPO zugrunde zu legen, sodass für die Bejahung der Ursächlichkeit nicht eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, die medizinisch-wissenschaftlichen Kriterien standhält, verlangt werden darf (BGH, Urteil vom 22-09-1992 – VI ZR 293/91; Palandt, BGB, 76. Aufl., 2017, § 844, Rn. 3). Über die Anwendung des § 287 ZPO hinaus könnte der Klägerin auch die Beweiserleichterung des § 630 h Abs. 5 S.1 BGB zugutekommen. Da es sich bei dem eingetretenen Tod nicht um die Primärverletzung, sondern um einen Sekundärschaden handelt, greift die Beweislastumkehr aber nur, soweit dieser typische Folge der Primärverletzung ist (BGH NJW 05, 427, 08, 1381, 13, 3094, 14, 688).

Der Tod ist jedoch nicht typische Folge der Subarachnoidalblutung, der Hirnstammverletzung oder der Tetraparese. Auch die Pflegebedürftigkeit führt nicht typischerweise zum Tod. Warum sich der Allgemeinzustand der Patientin im Jahr 2015 so rapide verschlechtert hat, ist unklar. Es ist daher auch nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Patientin aufgrund des Behandlungsfehlers gestorben ist.

Insgesamt ergibt sich somit ein Anspruch auf materiellen Schadensersatz in Höhe von 9.638,84EUR. Da der hinter der Beklagten stehende Versicherer bereits 10.000,00EUR auf die materiellen Schäden gezahlt hat, besteht darüber hinaus kein Restanspruch mehr.

II.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 3.600,94EUR. Diese berechnen sich nach einem Gegenstandswert von 110.000EUR und 2,0 Geschäftsgebühren.

III.

Die Zinsforderungen folgen aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB und §§ 291 BGB in Verbindung mit §§ 253 Abs. 1, 261 Abs. 1 ZPO.

IV.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 709 ZPO.

Der Streitwert wird auf 277.760,06 EUR festgesetzt.

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