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Berufung im Arzthaftungsprozess –  Substanziierungspflicht des klagenden Patienten

OLG Dresden – Az: 4 U 1388/19 – Beschluss vom 04.11.2019

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.

2. Der Kläger hat Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen. Er sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.

3. Der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 12.11.2019 wird aufgehoben.

4. Der Senat beabsichtigt, den Gegenstandswert des Berufungsverfahrens auf bis zu 40.000,00 € festzusetzen.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen behaupteter fehlerhafter ärztlicher Behandlung.

Bei dem am 25.07.1947 geborenen Kläger wurde Mitte Dezember 2014 ein Adenokarzinom der Prostata Gleason 7 durch seinen niedergelassenen Urologen H… diagnostiziert, nachdem er sich wegen Miktionsstörungen vorgestellt hatte. Der Kläger stellte sich im Dezember 2014 im Hause der Beklagten vor, und es fand ein Beratungsgespräch mit der Zeugin Dr. Hx… statt. Am 27.01.2015 wurde der Kläger stationär aufgenommen und führte ein Aufklärungsgespräch mit der Zeugin Dr. S… Der Inhalt der beiden Gespräche ist streitig. Am 28.01.2015 wurde eine radikale Prostatovesikulektomie durchgeführt. Am 7. postoperativen Tag erfolgte eine Zystographie (Röntgenuntersuchung der Harnblase), die kein Extravasat zeigte. Der Kläger wurde am 05.02.2015 entlassen. Am 06.02.2015 wurde er notfallmäßig stationär wegen eines Harnverhalts aufgenommen. Es wurde eine Harnblasentamponade (Verstopfung der Harnblase durch Blutgerinnsel) festgestellt und im Anschluss an eine Zystographie ausgespült. Nach Ziehen des Blasenkatheters kam es am 09.02.2015 erneut zu Harnverhalt und Fieber. Dem Kläger wurde erneut ein Katheter gelegt, der sich jedoch bei der sich anschließend am gleichen Tag durchgeführten Lagekontrolle als disloziert und außerhalb der Harnblase zeigte. Bei zystographisch nachgewiesenem Extravasat erfolgte die unmittelbare Lagekorrektur des Blasenkatheters. Der Harnwegsinfekt wurde behandelt und der Kläger am 17.02.2015 entlassen. In der Zeit vom 03.03. bis 05.03.2015 befand sich der Kläger erneut in stationärer Behandlung bei der Beklagten aufgrund von Beschwerden wegen eines Harnwegsinfektes. Es zeigte sich eine Belastungsinkontinenz 2. Grades.

Der Kläger hat behauptet, er sei von den Behandlern der Beklagten nicht ausreichend über alternative Behandlungsoptionen aufgeklärt worden. Neben der Operation hätten zahlreiche weitere Optionen, u. a. auch die Möglichkeit einer Strahlentherapie bestanden. Hinsichtlich der Darstellung der Wahrscheinlichkeiten für die Erfolgsaussichten und Risiken einer Behandlung hätte zur Illustration auf die Ausführungen in den Beipackzetteln zu Arzneimitteln verwiesen werden müssen. Nach seinem heutigen Wissensstand hätte er in die Operation nie eingewilligt. Nunmehr leide er unter erheblichen Miktionsstörungen (häufiges Wasserlassen in Verbindung mit stechendem Schmerz). Hinzu komme, dass die Zeugin Dr. S… zum Zeitpunkt der Aufklärung nicht über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt habe. Eine anderweitige Aufklärung sei auch nicht durch den niedergelassenen Urologen H… erfolgt. Keiner habe ihn über die vielfältigen Behandlungsmöglichkeiten aufgeklärt. Zudem sei der Eingriff nicht lege artis durchgeführt worden. Es sei fehlerhaft, dass intraoperativ die linke Samenblasenspitze belassen und auf eine Lymphadenektomie rechts verzichtet worden sei. Zudem sei auch das Legen des Dauerkatheters durch die Assistenzärztin am 09.02.2015 fehlerhaft erfolgt, weshalb der Kläger Schmerzen habe erleiden müssen sowie eine verlängerte Hospitalisierung und eine erneute Behandlung im März 2015 notwendig geworden seien.

Die Beklagte hat sich hilfsweise auf eine hypothetische Einwilligung des Klägers berufen. Der Eingriff sei überdies lege artis durchgeführt worden. Der histologische Befund belege, dass kein krankhaftes Gewebe zurückgelassen worden sei. Das Legen des Dauerkatheters am 09.02.2015 sei ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Fehllage sei schicksalhaft gewesen. Im Übrigen werde die Kausalität bestritten. Das begehrte Schmerzensgeld von 35.000,00 € sei übersetzt.

Das Landgericht hat den Kläger angehört, Zeugen vernommen und ein Sachverständigengutachten eingeholt und die Klage mit Urteil vom 20.05.2019 abgewiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er meint, das Landgericht sei zu Unrecht von einer ausreichenden Aufklärung über Behandlungsalternativen ausgegangen. Es habe seine Aussage nur unvollständig gewürdigt. Die Zeuginnen Dr. S… und Dr. Hx… hätten keine konkrete Erinnerung an das Gespräch gehabt. Auf die „immer so Aufklärung“ lasse sich das Urteil nicht stützen. Die Bestrahlung hätte in seinem Falle zu dem gleichen Ergebnis führen können. Diese sei ihm nicht als Alternative vorgestellt worden. Allein der Hinweis, dass gelegentlich Harninkontinenz auftreten könne, reiche bei Weitem zur Aufklärung nicht aus. Sein Leidensdruck sei präoperativ nicht so hoch gewesen, die jetzigen Beschwerden seien im Vergleich zur präoperativen Situation viel schlimmer. Auch die Behandlung sei fehlerhaft, denn eine zwingende Operationsindikation habe nicht bestanden. Auf keinen Fall hätte eine radikale Prostatektomie stattfinden dürfen. Das Landgericht habe auch nicht erkannt, dass die Anlage des Katheters beim Kläger am 09.02.2015 nicht in einer Notfallsituation erfolgt sei. Die Fehllage des Katheters wäre vermeidbar gewesen, wenn sie unter zystographischer Kontrolle erfolgt wäre. Des Weiteren seien das Belassen der linken Samenblasenspitze und der Verzicht auf eine Lymphadenektomie fehlerhaft, weil dies zu einem erhöhten unnötigen Rezidivrisiko führe.

Die Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil. Neu und damit zurückzuweisen sei der Vortrag des Klägers, soweit er sich im Berufungsverfahren erstmals auf ein Unterlassen einer Diagnoseaufklärung und einer Risikoaufklärung stütze. Ein Aufklärungsdefizit sei nicht anzunehmen. Im Übrigen sei die Bestrahlung des Tumors von innen beim Kläger im Jahr 2015 nicht Behandlungsstandard gewesen. Unabhängig davon, dass sich der Kläger vor dem Landgericht nicht auf eine unzureichende Risikoaufklärung berufen habe, sei eine entsprechende Aufklärung aber erfolgt. Behandlungsfehler seien vom Sachverständigen zutreffend verneint worden.

II.

Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch – einstimmig gefassten – Beschluss zurückzuweisen. Die zulässige Berufung des Klägers bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Zu Recht und mit zutreffender Begründung – auf die Bezug genommen wird – hat das Landgericht einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gemäß §§ 630a ff., 280, 249, 253 BGB verneint. Die Berufungsbegründung rechtfertigt keine andere Beurteilung.

1.

Dem Kläger ist der Beweis für einen Behandlungsfehler der Behandler der Beklagten nicht gelungen.

Nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. S… lag präoperativ ein lokal begrenztes Prostatakarzinom mit intermediärem Risiko vor. Anhand der Tumorparameter (T1C G2, Gleason 4+3=7, PSA 6,2 ng/ml) habe eine klare Indikation zu einer aktiven Therapie mit kurativer Zielstellung vorgelegen. Es kommt nicht darauf an, ob diese Operationsindikation „zwingend“ war. Ein operativer Eingriff ist nicht bereits dann fehlerhaft, wenn keine Notfallindikation oder vitale Indikation vorliegt, sondern erst dann, wenn er nicht einmal relativ indiziert ist. Vorliegend hat aber der Sachverständige mit überzeugenden Gründen die Indikation für die Operation bejaht. Der Kläger setzt sich in seiner Berufungsbegründung mit der Bewertung des Sachverständigen Prof. Dr. S… und der hierauf fußenden Beweiswürdigung des Landgerichts insoweit nicht auseinander. Für konkrete Anhaltspunkte, die in einem Arzthaftungsverfahren i.S.d. § 529 ZPO Zweifel an der erstinstanzlichen Beweiswürdigung wecken können, reicht es aber nicht aus, dass der Kläger – wie hier – der medizinisch begründeten Auffassung eines erstinstanzlich bestellten Gerichtssachverständigen lediglich seine eigene entgegenstellt (vgl. Senat, Beschluss vom 10.01.2018 – 4 U 750/19 – juris). Erforderlich ist vielmehr, dass er entweder ein Privatgutachten vorlegt, zumindest aber selbst medizinische Fundstellen oder Leitlinien benennt, die für seine Behauptung streiten. Wird ein solches Privatgutachten nicht vorgelegt und fehlt es auch im Übrigen an Anhaltspunkten dafür, dass das Gutachten in sich widersprüchlich oder der Sachverständige erkennbar nicht sachkundig ist, kommt eine Wiederholung der Beweisaufnahme nicht in Betracht (so Senat a.a.O.). Diesen Anforderungen genügt der Vortrag des Klägers nicht. Die von ihm vorgelegte englischsprachige Untersuchung über die radikale Prostatektomie und Brachytherapie (interne Strahlentherapie) stammt aus dem Zeitraum Juli/August 2016 und lässt schon aus diesem Grund keine Rückschlüsse auf den Behandlungsstandard im Januar 2015 zu. Der vom Kläger darüber hinaus vorgelegte evidenzbasierte Patientenratgeber zur S3 Leitlinie „Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms“ ist nicht datiert, so dass auch hier nicht festgestellt werden kann, ob dieser Patientenratgeber auf der im Jahr 2015 gültigen Leitlinie basiert oder auf einer der nachfolgenden Versionen aus April 2018 oder Mai 2019. Unabhängig davon stehen die im Patientenratgeber empfohlenen Behandlungen nicht im Widerspruch zu den Ausführungen des Sachverständigen. Als kurative Behandlungsmöglichkeiten werden dort die radikale Prostatektomie sowie die externe oder interne Bestrahlung aufgeführt. Die Hormontherapie, Chemotherapie, unterstützende Strahlentherapie und Schmerztherapie sind auch nach diesem Ratgeber nur indiziert, wenn Lymphknotenbefall oder Metastasen festgestellt werden und sich die Krankheit schon im Körper ausgebreitet hat. Dies war beim Kläger unstreitig nicht der Fall.

Eine fehlerhafte Durchführung der radikalen Prostatovesikulektomie hat das Landgericht nachvollziehbar verneint. Insbesondere hat der Sachverständige nicht beanstandet, dass rechts keine Lymphadenektomie durchgeführt wurde. Aufgrund einer im Jahr 2010 durchgeführten Herniotomie rechts mit Netzeinlage sei bei intraoperativ zur Darstellung gekommenen Verwachsungen des Netzmaterials mit Gefäßen und regionären Lymphknoten zu Recht darauf verzichtet worden. Die Lymphadenektomie links habe in der pathologischen Untersuchung keinen Tumorbefall gezeigt. Das Belassen von krankhaftem Gewebe könne zwar potenziell nicht ausgeschlossen werden, sei jedoch aufgrund der vorliegenden histologischen Tumordaten unwahrscheinlich. Damit setzt sich der Kläger an keiner Stelle auseinander.

Die Anlage eines Dauerkatheters auf der urologischen Station am 09.02.2015 war nach den Ausführungen des Sachverständigen gleichfalls nicht fehlerhaft. Der Sachverständige ist zwar bei seinen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht (irrtümlich) davon ausgegangen, dass diese in der Notaufnahme erfolgt sei. In seinem schriftlichen Gutachten hat er jedoch zutreffend ausgeführt, dass die Anlage durch ärztliches Personal auf der urologischen Station notfallmäßig erfolgt ist. Die Anlage eines Harnblasenkatheters gehöre zu den alltäglichen ärztlichen Tätigkeiten der Fachärzte und Weiterbildungsassistenten. Der Kläger hätte zwar von einer primären Katheteranlage unter zystographischer Kontrolle profitiert, und eine Fehllage wäre wahrscheinlich vermeidbar gewesen. Gleichwohl hat der Sachverständige einen Behandlungsfehler nicht erkannt. Nach Aktenlage habe eine Notfallsituation bestanden. Bei akutem Harnverhalten bestehe unter Umständen keine Möglichkeit, einer unmittelbaren Kathetereinlage unter zystographischer Kontrolle. Auch dieser Feststellung ist die Berufung nicht substantiiert entgegengetreten.

2.

Berufung im Arzthaftungsprozess -  Substanziierungspflicht des klagenden Patienten
(Symbolfoto: Von Yavdat/Shutterstock.com)

Ein Aufklärungsfehler liegt nicht vor. Der Kläger hat in die streitgegenständliche Operation wirksam eingewilligt.

Soweit der Kläger Ausführungen zur Diagnose- und Risikoaufklärung macht, handelt es sich um abstrakte Ausführungen, die einen Bezug zum vorliegenden Fall nicht erkennen lassen. Der Kläger hat im Rahmen seiner Anhörung eingeräumt, dass ihm die Diagnose im Dezember 2014 eröffnet worden ist und er auf für die Gefahr der Inkontinenz und des Verlustes der Erektionsfähigkeit hingewiesen wurde. Dr. S… habe ihm die gleichen Risiken und Probleme, die ihm auch schon Dr. Hx… erläutert habe, dargestellt. Es sei über den Verlust der Erektionsfähigkeit gesprochen worden. Das Gleiche sei auch in Bezug auf eine mögliche Inkontinenz gesagt worden. Die Zeuginnen Dr. Hx… und Dr. S… haben bestätigt, über das Risiko der Inkontinenz aufgeklärt zu haben.

Entgegen der Auffassung des Klägers musste hinsichtlich der Darstellung der Wahrscheinlichkeiten für die Erfolgsaussichten und Risiken einer Behandlung nicht ähnlich wie auf Beipackzetteln zu Arzneimitteln aufgeklärt werden. Wahrscheinlichkeiten im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung vor einer ärztlichen Behandlung haben sich grundsätzlich nicht an den in Beipackzetteln für Medikamente verwendeten Häufigkeitsdefinitionen des Medical Dictionary for Regulatory Activities zu orientieren (so BGH, Urteil vom 29.01.2019 – VI ZR 117/18 – juris). Die wirksame Einwilligung eines Patienten setzt dessen ordnungsgemäße Aufklärung voraus. Dabei müssen die in Betracht kommenden Risiken nicht exakt medizinisch beschrieben werden. Es genügt vielmehr, den Patienten „im Großen und Ganzen“ über Chancen und Risiken der Behandlung aufzuklären und ihm dadurch eine allgemeine Vorstellung von dem Ausmaß der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren zu vermitteln, ohne diese zu beschönigen oder zu verschlimmern (BGH a.a.O.). Dabei ist es nicht erforderlich, dem Patienten genaue oder annähernd genaue Prozentzahlen über die Möglichkeit der Verwirklichung eines Behandlungsrisikos mitzuteilen. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Zeuginnen Dr. Hx… und Dr. S… das Risiko der Inkontinenz verharmlost hätten. Die Zeugin Dr. S… hat vielmehr glaubhaft bekundet, dass die speziellen Operationsrisiken regelmäßig angesprochen würden, insbesondere die Inkontinenz als Hauptrisiko. Auch die Zeugin Dr. Hx… hat über die grundsätzlichen Risiken der Prostatektomie aufgeklärt, insbesondere den Verlust der Potenz und der Kontinenz. Im Aufklärungsbogen wird dieses Risiko als „gelegentlich“ bezeichnet und auch das Risiko der anhaltenden Harninkontinenz aufgeführt.

Ohne Erfolg rügt der Kläger, dass die Zeugin Dr. S… über keine ausreichende Fachkompetenz zur Aufklärung verfügt habe. Sie war damals nach ihren eigenen Angaben seit einem Dreivierteljahr Ärztin in Weiterbildung in der Urologie. Aufklärungspflichtig ist grundsätzlich jeder Arzt für diejenigen Eingriffs- und Behandlungsmaßnahmen, die er selbst durchführt, soweit sein Fachgebiet betroffen ist (vgl. BGH, Urteil vom 15.06.2010 – VI ZR 204/09 – juris). Eine abgeschlossene Facharztausbildung ist nicht erforderlich (vgl. Geiß/Greiner in Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl., Rn. C106). Unabhängig davon hat auch schon die Zeugin Dr. Hx… eine entsprechende Aufklärung durchgeführt.

Der Kläger wurde auch in ausreichendem Umfang über Behandlungsalternativen aufgeklärt. Einer Aufklärung bedurfte es allerdings nicht über die Möglichkeit einer aktiven Überwachung des Tumors. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. S… habe es für die aktive Überwachung eines Tumors mit der Gleason-Score 3+4 zum damaligen Zeitpunkt an einer zureichenden Datenbasis gefehlt. Sie sei dem Patienten damals nicht zu empfehlen gewesen, weil das Risiko dafür nicht habe abgeschätzt werden können. Dies gelte erst recht bei einem Gleason-Score von 4+3. Die Bestrahlung des Tumors von innen, wie sie prinzipiell möglich sei, sei zum damaligen Zeitpunkt mangels hinreichender Datenbasis nicht Behandlungsstandard gewesen. Eine kanadische Studie habe es im Jahr 2015 noch nicht gegeben. Zudem sei diese Studie nicht ohne weiteres auf deutsche Verhältnisse übertragbar, da es in Deutschland sehr viel weniger entsprechende Behandlungseinrichtungen gebe, die mit dieser Methode arbeiteten. Die Hormon- und die Chemotherapie stellen schon nach dem Inhalt des vom Kläger vorgelegten Patientenratgebers keine echte Behandlungsalternativen dar, über die er hätte informiert werden müssen. Diese Therapieoptionen kommen in Betracht, wenn der Patient wegen zusätzlicher Begleiterkrankungen nicht in der Lage ist, sich operieren oder bestrahlen zu lassen oder wenn ein fortgeschrittenes Stadium mit Metastasen vorliegt. Beide Therapien sind nicht darauf angelegt ist, den Patienten zu heilen, sondern nur die Beschwerden zu lindern und das Wachstum des Tumors zu verlangsamen. Sowohl Hormontherapie als auch Chemotherapie werden in dem vom Kläger vorgelegten Ratgeber für Patienten als palliativ bezeichnet. Ziel dieser Maßnahmen ist die Verzögerung des Krankheitsverlaufes und die Linderung der Beschwerden. Jedoch war nach den Angaben des Sachverständigen beim Kläger eine kurative Therapie indiziert.

Eine echte Behandlungsalternative war allerdings die Bestrahlung von außen. Darüber ist der Kläger aber auch aufgeklärt worden, wovon sich das Landgericht nach Anhörung des Klägers und Einvernahme der Zeuginnen überzeugt hat. Der Senat ist an diese Feststellungen des Landgerichtes gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden. Der Kläger hat bei seiner Anhörung vor dem Landgericht eingeräumt, dass bei Eröffnung der Diagnose sein Urologe Herr H… neben der Operation auch die Behandlungsalternativen der Bestrahlung angesprochen hat. Herr H… habe ihm gesagt, dass sie in Betracht käme, aber nach einem Vierteljahr ständig, praktisch jeden Tag, wiederholt werden müsse. Im Arztbrief des behandelnden Urologen vom 15.12.2014 wird die Besprechung der verschiedenen Behandlungsoptionen – wie die der Bestrahlung – erwähnt. Die Bestrahlung wird als Behandlungsalternative auch im Aufklärungsbogen genannt. Die Zeugin Dr. Hx… hat ausgesagt, dass sie neben der Operation als alternative Behandlungsmöglichkeiten auch die Möglichkeit der klassischen Bestrahlung des Tumors von außen erwähne. Sie könne zwar mangels Erinnerung an den Kläger nicht mehr mit 100%iger Sicherheit sagen, dass sie in dieser Weise aufgeklärt habe, sie verfahre jedoch bei Patienten mit einem Tumor in diesem Stadium eigentlich immer so und sehe auch keinen Grund, weshalb sie im vorliegenden Fall davon abgewichen sein sollte. Des Weiteren hat die Zeugin Dr. S… ebenfalls die Möglichkeit der Bestrahlung erläutert. Sie hatte zwar ebenfalls keine Erinnerung mehr an den Kläger. Es ist gleichwohl nicht zu beanstanden, dass das Landgericht den Zeuginnen Glauben geschenkt hat. Der Beweis ist nicht erst dann geführt, wenn sich der Arzt an das konkrete Aufklärungsgespräch erinnert (vgl. Senat, Beschluss vom 12.03.2018 – 4 U 1755/17 – juris). Angesichts der Vielzahl von Informations- und Aufklärungsgesprächen, die Ärzte täglich durchführen, kann dies nicht erwartet werden (Senat a.a.O.). An den Nachweis der ordnungsgemäßen Aufklärung sind auch im Übrigen keine unbilligen und übertriebenen Anforderungen zu stellen. Ist einiger Beweis für ein gewissenhaftes Aufklärungsgespräch erbracht worden, sollte dem Arzt im Zweifel geglaubt werden, dass die Aufklärung im Einzelfall in der gebotenen Weise geschehen ist (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 15.12.2017 – 26 U 3/14 – juris). Dies gilt auch mit Rücksicht darauf, dass aus vielerlei verständlichen Gründen Patienten sich im Nachhinein an den genauen Wortlaut solcher Gespräche, die für sie etwa vor allem von therapeutischer Bedeutung waren, nicht immer erinnern (vgl. BGH, Urteil vom 28.01.2014 – VI ZR 143/13 – juris).

Der Senat rät nach alledem zu einer Rücknahme der Berufung, die zwei Gerichtsgebühren spart.

 

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