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Beweiswert einer ärztlichen Dokumentation

OLG Dresden – Az.: 4 U 1663/17 – Beschluss vom 26.02.2018

1. Der Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens wird zurückgewiesen.

2. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

3. Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 2 Wochen.

4. Der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 24.04.2018 wird aufgehoben.

5. Der Senat beabsichtigt, den Gegenstandswert des Berufungsverfahrens auf 10.000,00 EUR festzusetzen.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt Schmerzensgeld wegen behaupteter fehlerhafter ärztlicher Behandlung.

Im Hause der Beklagten wurde am 22.10.2012 beim Kläger eine Bypassoperation durchgeführt und das Sternum mit Draht-Cerclagen geschlossen. Nach der Operation bestanden bei dem Kläger Schmerzen im Brustbereich. Der Röntgenbefund vom 29.10.2012 zeigte indes intakte Cerclagen. Im Entlassungsbrief der Beklagten vom 31.10.2012 wurden das Sternum als palpatorisch stabil und die Narbenverhältnisse als reizlos beschrieben. Am 07.02.2013 stellte sich der Kläger erneut bei der Beklagten wegen Brustschmerzen vor. Es wurden verschiedene Untersuchungen, u.a. auch eine Röntgenuntersuchung durchgeführt. Im Arztbrief vom 07.02.2013 wurde keine Dislokation und kein Cerclagebruch festgestellt und eine medikamentöse Schmerztherapie empfohlen.

Der Kläger hat behauptet, bei einer CT-Untersuchung des Thorax im Krankenhaus M… am 13.05.2013 seien ein Cerclagenbruch und ein Sternotomiespalt festgestellt worden. Dies sei am 07.06.2013 operativ behoben worden, und am 09.09.2013 sei wegen erneuter Instabilität des Sternums eine Resternotomie erfolgt. Dabei habe sich ein nahezu aufgebrauchter linker Sternumknochen gezeigt. Dies lasse nur den Rückschluss zu, dass die Behandler der Beklagten den Eingriff vom 22.10.2012 nicht fachgerecht durchgeführt und bei der Nachkontrolle am 07.02.2013 einen Cerclagebruch übersehen hätten. Während des stationären Aufenthaltes im Oktober 2012 habe er wiederbelebt werden müssen, was zu einer Sternuminstabilität geführt habe. Eindeutigen Anzeichen für diese Sternuminstabilität, insbesondere der ausgeprägten Schmerzsymptomatik sei indes nicht nachgegangen worden. Hätten die Ärzte der Beklagten die nach dem medizinischen Standard gebotenen Untersuchungen durchgeführt, wäre die notwendige Korrekturoperation früher und mit besseren Erfolgsaussichten erfolgt.

Das Landgericht hat Beweis erhoben und die Klage mit Urteil vom 16.10.2017 – auf das wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird – abgewiesen. Der Kläger ist der Auffassung, das Landgericht hätte die mündliche Verhandlung wiedereröffnen müssen, nachdem er einen Arztbrief der Gemeinschaftspraxis für Radiologie vom 30.05.2017 vorgelegt habe, aus dem sich ergebe, dass tatsächlich und in Widerspruch zu den Behandlungsunterlagen eine Reanimation stattgefunden habe. Diesen Umstand habe ihm auch eine – ihm namentlich nicht bekannte – Pflegekraft aus dem Hause der Beklagten bestätigt. Hierdurch sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Im Übrigen sei auch die Beweiswürdigung des Landgerichts fehlerhaft, weil weder die Diagnostik ab Dezember 2012 noch die zweite Behandlung am 07.02.2013 ordnungsgemäß erfolgt seien. Bereits am 07.02.2013 hätte wegen seiner starken Schmerzen eine Computertomographie durchgeführt werden müssen. Diese Schmerzsymptomatik weise eindeutig darauf hin, dass bereits vor dem 07.02.2013 eine Sternumdehiszenz bestand und hätte bemerkt werden können. Derartige Sternuminstabilitäten träten in fast allen Fällen zwischen dem siebten und 14. postoperativen Tag auf.

II.

Beweiswert einer ärztlichen Dokumentation
(Symbolfoto: Von S_L/Shutterstock.com)

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, da sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichtes nicht erfordert und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Hinreichende Erfolgsaussicht für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren (§ 114 ZPO) besteht nicht. Ein Anspruch auf Schmerzensgeld aus dem streitgegenständlichen Behandlungsvertrag in Verbindung mit §§ 280, 823, 831, 253 BGB besteht nicht.

a) Zutreffend hat das Landgericht Behandlungsfehler bei der Operation vom 22.10.2012 sowie während des stationären Aufenthaltes bei der Beklagten bis 31.10.2012 verneint. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat hierauf Bezug. Anders als die Berufung meint, ist eine ergänzende Anhörung des Sachverständigen Prof. A… zu dem Arztbrief vom 30.5.2017 (Anlage K 5) im Berufungsverfahren nach § 529 ZPO nicht geboten. Auch dem Landgericht kann insoweit nicht vorgeworfen werden, die mündliche Verhandlung nicht wiedereröffnet und von einer Anhörung zu diesem Arztbrief abgesehen zu haben. Den ihm obliegenden Beweis, dass er postoperativ reanimiert werden musste, kann der Kläger mit diesem Arztbrief nicht führen. Eine solche Reanimation ist in der Behandlungsdokumentation nicht erwähnt. Dieser formell und materiell ordnungsgemäßen ärztlichen Dokumentation ist bis zum Beweis des Gegenteils Glauben zu schenken (vgl. OLG des Landes Sachsen-Anhalt, Urt. v. 15.11.2011 – 1 U 31/11). Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit der Dokumentation der Beklagten sind nicht ersichtlich. Der Kläger hat keine Zeugen für die behauptete Reanimation benannt. Der von ihm vorgelegte Arztbrief vom 30.05.2017 einer Radiologischen Gemeinschaftspraxis (Anlage K 5) erbringt als Privaturkunde (§ 416 ZPO) weder den Beweis für eine Reanimation im Oktober 2012 noch ist er ein Indiz dafür. Es ist weder ersichtlich noch vorgetragen, woher der den Arztbrief fertigende Radiologe in R… viereinhalb Jahre nach der Operation im Oktober 2012 von einer in den Behandlungsunterlagen an keiner Stelle erwähnten Reanimation, die er in der Indikation für die CT-Untersuchung erwähnt hat, Kenntnis erlangt haben soll. Eigene Feststellungen hierzu enthält der Arztbrief nicht. Unabhängig hiervon zeigt die Berufung auch nicht auf, wieso eine – unterstellte – Reanimation des Klägers unmittelbar nach der Operation im Oktober 2012 zur Haftung der Beklagten wegen eines Behandlungsfehlers führt. Der Sachverständige Prof. A… hat in seiner Stellungnahme vom 26.7.2017 eine solche Reanimation unterstellt, ist jedoch auch auf dieser hypothetischen Grundlage nur zur Annahme eines „schwerwiegenden Dokumentationsversäumnisses“ gelangt. Ein Behandlungsfehler folgt aus einem solchen Dokumentationsfehler jedoch nicht; vielmehr wird lediglich vermutet, dass eine dokumentationspflichtige, jedoch nicht aufgezeichnete medizinische Maßnahme auch nicht getroffen wurde (vgl. § 630h Abs. 3 BGB). Darum geht es vorliegend jedoch nicht. Der Kläger macht nicht geltend, dass auf einen reanimationspflichtigen Zustand im Oktober 2012 nicht in der medizinisch gebotenen Weise reagiert worden wäre; sein Berufungsangriff zielt vielmehr darauf, zu behaupten, infolge der behaupteten Reanimation sei es zu einer Sternuminstabilität oder zu einem Bruch gekommen, die man mit einem früheren CT hätte aufdecken müssen. Hierauf erstreckt sich die Reichweite der aus einer Dokumentationsverletzung folgenden Beweiserleichterung indes gerade nicht. Auch der Sachverständige hat in der o.a. ergänzenden Stellungnahme ausgeführt, zu einer Sternumfraktur könne es selbst bei einer Reanimation nur dann kommen, wenn diese mittels Herz-Druck-Massage erfolgt sei, nicht hingegen bei Einsatz eines Defibrillators. Selbst wenn man zu seinen Gunsten auch eine Herz-Druck-Massage unterstellen würde, wofür allerdings weder die Behandlungsunterlagen noch der Arztbrief vom 30.5.2017 etwas hergeben, bliebe der Kläger für die Behauptung einer Sternumfraktur und eines daran anknüpfenden Behandlungsfehlers immer noch beweisfällig, weil der Sachverständige nachvollziehbar eingeschätzt hat, auch bei einem dann „sinnvollen“ CT hätte nicht sofort die Indikation zu einer Revisionsoperation bestanden. Ohnehin lässt der Kläger hier die bildgebenden Befunde vom 29.10.2012 außer Betracht, die keinen Anhalt für eine Instabilität des Sternums bieten.

b) Unbegründet ist auch der Vorwurf des Klägers, die Diagnostik und Therapie ab Dezember 2012 sei behandlungsfehlerhaft erfolgt. Da sich der Kläger nach seiner Entlassung am 31.10.2012 bis zum 07.02.2013 nicht bei der Beklagten vorgestellt hat, kann der Vorwurf einer fehlerhaften Behandlung in der Zeit vom 01.11.2012 bis 06.02.2013 nicht erhoben werden.

c) Ein Diagnosefehler liegt gleichfalls nicht vor. Die Wertung einer objektiv unrichtigen Diagnose als Behandlungsfehler setzt die vorwerfbare Fehlinterpretation erhobener Befunde oder die Unterlassung für die Diagnosestellung oder Überprüfung notwendiger Befunderhebungen voraus (BGH, Urt. v. 08.07.2003 – VII ZR 304/03). Diagnoseirrtümer, die objektiv auf eine Fehlinterpretation der Befunde zurückzuführen sind, können deshalb nur mit Zurückhaltung als Behandlungsfehler gewertet werden (BGH, a.a.O.). Im vorliegenden Fall ist dem Kläger der Beweis schon für eine objektiv fehlerhafte Diagnose am 07.02.2013 nicht gelungen. Es konnte nicht festgestellt werden, dass zu diesem Zeitpunkt bereits die Draht-Cerclagen gebrochen waren. Das am 07.02.2013 gefertigte Röntgenbild des Thorax erbrachte keine Änderung zum Vorbefund. Der Sachverständige hielt es für „denkbar“, dass sich die Sternumdehiszenz bereits Anfang 2013 angebahnt hat, aber nicht erkennbar gewesen sei. Daher war nach den Angaben des Sachverständigen eine Sternumdehiszenz am 07.02.2013 objektiv nicht feststellbar. Eine Fehlinterpretation der Befunde scheidet damit aus.

d) Einen Befunderhebungsfehler konnte der Sachverständige ebenfalls nicht feststellen. Ein solcher ist gegeben, wenn die Erhebung medizinisch gebotene Befunde unterlassen wird. Der Sachverständige hat die Behandlung am 07.02.2013 nicht beanstandet. Es fand eine körperliche Untersuchung statt, bei der die Sternumwunde als reizlos, jedoch palpatorisch als sehr schmerzhaft beschrieben wurde. Eine Röntgen-Thoraxaufnahme in zwei Ebenen wurde durchgeführt, und im Vergleich zum Vorbefund bei der Entlassung am 29.10.2012 wurde ein unveränderter und regelrechter Sitz der Draht-Cerclagen des Sternums festgestellt. Brüche oder Dislokationen einzelner Drähte, die einen Hinweis auf eine starke Sternumbeweglichkeit, mithin also eine Dehiszenz der Sternumhälften erbracht hätten, lagen nicht vor. Es lagen keine oberflächlich sichtbaren Wundheilungsstörungen vor, auch die Leukozyten als Parameter für eine akute Infektion lagen im Normbereich. Das Vorgehen der Behandler der Beklagten, auf eine weitere Diagnostik in Form eines CT des Thorax zu verzichten, war nach den Angaben des Sachverständigen nicht zu beanstanden.

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