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Brustaufbauoperation – nicht ausreichend über die verbundenen Risiken aufgeklärt

KG Berlin – Az.: 20 U 170/19 – Beschluss vom 14.05.2020

1. Die Berufung der Klägerin gegen das am 12. November 2019 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin – 13 O 341/17 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

3. Der Berufungsstreitwert wird auf 20.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils wird Bezug genommen.

Die Klägerin verlangt noch weitergehendes Schmerzensgeld, weil sie nach Mammaablation vor einer Brustaufbauoperation nicht ausreichend über die damit verbundenen Risiken aufgeklärt wurde.

Das Landgericht hatte, soweit in der Berufung noch von Interesse, ein Schmerzensgeld von 20.000 € zugesprochen.

Die Klägerin hält insgesamt mindestens 40.000 €, eigentlich nach der Berechnungsmethode taggenauen Schmerzensgeldes 470.886,50 € für angemessen. Sie ist der Ansicht, mittelschwere Gesundheitsschäden Erwachsener, die mit dauerhaften Einschränkungen verbunden seien, würden durch die bisherige Schmerzensgeldrechtsprechung nicht in angemessener Form entschädigt.

Die Beklagten beantragen Berufungszurückweisung und verteidigen das Urteil.

II.

Die Berufung war zurückzuweisen, da der Senat einstimmig davon überzeugt ist, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nach mündlicher Verhandlung nicht gebietet, § 522 Abs. 2 ZPO.

Zur Begründung wird zunächst auf den ausführlichen Hinweisbeschluss des Senats vom 27.4.2020 Bezug genommen. Dort hatte der Senat ausgeführt:

“Die Klägerin akzeptiert die Ausführungen des Landgerichts dazu, dass ihre Behandlung nicht von schadenskausalen Behandlungsfehlern getragen ist, jedoch sie vor der Erstoperation (Brustaufbauoperation nach vorangegangener Mammaablation wegen Brustkarzinoms) keine ausreichende Risikoaufklärung erhielt und von einer hypothetischen Einwilligung nicht ausgegangen werden kann. Sie ist allerdings der Ansicht, das ausgeworfene Schmerzensgeld sei zu gering, weil ihr nur 20.000 EUR statt der mindestens verlangten 40.000 EUR zugesprochen wurden; sie meint, ihr stünden unter Anwendung der Grundsätze der taggenauen Berechnung des Schmerzensgeldes eigentlich 470.886,50 € zu.

Der Senat teilt diese Ansicht der Klägerin nicht. Die Berechnung des Schmerzensgeldes durch das Landgericht begegnet keinen Bedenken; sie entspricht der st. Rspr. des BGH. Die Klägerin hat aufgrund der unzureichenden Aufklärung mehrere Operationen erdulden müssen, bleibende Narben und eine Bauchwandschwäche. Ihre Erwerbsfähigkeit und die Fähigkeit der Haushaltsführung sind jedoch nicht aufgrund dieser Operationen dauerhaft eingeschränkt. Auch die geringe Asymmetrie der Brüste kann nicht als schmerzensgeldbegründend berücksichtigt werden, weil sich die Klägerin ohne die Operation ja einer wesentlich unsymmetrischeren Situation aufgrund der karzinombedingten Mammaablation links gegenüber gesehen hätte. Für die zu berücksichtigenden Einschränkungen erscheint ein Schmerzensgeld von 20.000 € ausreichend.

Der Senat vertritt in st. Rspr. die Auffassung, dass Entscheidungen anderer Gerichte, wie sie in Schmerzensgeldtabellen veröffentlicht werden, nicht Entscheidungsgrundlage für die Bemessung des Schmerzensgeldes im konkret zu entscheidenden Fall sein können; sie können jedoch im Vorfeld als Entscheidungsgrundlage und grobe Orientierungshilfe herangezogen werden. Zu diesen Entscheidungen gehört selbstverständlich auch die von Seiten der Klägerin angesprochene Entscheidung des OLG Frankfurt vom 18.10.2018 – 22 U 97/16, auch wenn diese zum einen einen Verkehrsunfall und zum anderen eine Handfraktur zum Gegenstand hat. Allerdings darf der Senat darauf hinweisen, dass das OLG Frankfurt in dieser Entscheidung nur ausgesprochen hat, dass für die sog. “taggenaue” Berechnung des Schmerzensgeldes spreche, dass diese eine “gewisse schematische Herangehensweise” biete, die “die außergerichtliche [! sic] Schmerzensgeldregulierung etwas vereinheitlichen und auch eine bessere gemeinsame Basis für die Schätzung des adäquaten Schmerzensgeldes geben” dürfte. Anschließend kommt auch das OLG Frankfurt dazu, dass einzelfallgenau unter Berücksichtigung der vom dortigen Kläger selbst genannten Untergrenze als adäquater Betrag “bei Berücksichtigung einerseits vergleichbarer Entscheidungen und andererseits einer taggenauen Berechnung” ein gewisser Pauschalbetrag und keineswegs ein taggenau berechneter Betrag auszuwerfen ist. Dieses Urteil fügt sich daher durchaus in die hergebrachten Grundsätze der Schmerzensgeldberechnung ein und ist kein Grund dafür, eine Revision zum BGH zuzulassen, weil es keine voneinander abweichenden OLG-Entscheidungen gibt, die eine Vereinheitlichung der Rechtsprechungslinie durch den BGH erforderlich erscheinen ließe.

Brustaufbauoperation - nicht ausreichend über die verbundenen Risiken aufgeklärt
(Symbolfoto: Von Gorodenkoff/Shutterstock.com)

Nach den hergebrachten und weiterhin geltenden Grundsätzen der Schmerzensgeldberechnung durch den BGH (seit BGH – Großer Zivilsenat vom 6.7.1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149) ist der Anspruch auf Schmerzensgeld kein gewöhnlicher Schadenersatzanspruch, sondern ein Anspruch eigener Art mit einer doppelten Funktion: Er soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für diejenigen Schäden bieten, die nicht vermögensrechtlicher Art sind, und zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung schuldet für das, war er ihm angetan hat. Bei der Festsetzung dieser billigen Entschädigung dürfen grundsätzlich alle in Betracht kommenden Umstände des Falles berücksichtigt werden, darunter auch der Grad des Verschuldens des Verpflichteten und die wirtschaftlichen Verhältnisse beider Teile. Dabei hat die Rücksicht auf Höhe und Maß der Lebensbeeinträchtigung (Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen) durchaus im Vordergrund zu stehen, während das Rangverhältnis der übrigen Umstände den Besonderheiten des Einzelfalles zu entnehmen ist. (Leitsätze der Entscheidung des GZS).

Dies wendet der VI. Zivilsenat in st. Rspr. wie folgt an:

“Dabei steht die mit der Verletzung verbundene Lebensbeeinträchtigung im Verhältnis zu den anderen zu berücksichtigenden Umständen stets an der Spitze. Denn Heftigkeit und Dauer der Schmerzen und Leiden bilden das ausschlaggebende Moment für den angerichteten immateriellen Schaden. Im Übrigen läßt sich ein Rangverhältnis der zu berücksichtigenden Umstände nicht allgemein aufstellen, weil diese Umstände ihr Maß und Gewicht für die vorzunehmende Ausmessung der billigen Entschädigung erst durch ihr Zusammenwirken im Einzelfall erhalten. … der [Schmerzensgeld-] Anspruch [kann] weder in einen Betrag auf angemessenen Ausgleich und einen weiteren Betrag zur Genugtuung, noch in Teilbeträge zum Ausgleich bestimmter Verletzungen aufgespalten werden […]” (BGH, Urteil vom 20. Januar 2004 – VI ZR 70/03 –, NJW 2004, 1243).

Diese Grundsätze stehen nach Auffassung des Senats einer schematischen Anwendung iSv “Gliedertaxen” ebenso entgegen wie dem sog. taggenauen Schmerzensgeld. Es ist dem Schmerzensgeldanspruch immanent, ein sehr individueller Anspruch zu sein, der sich der Schematisierung entzieht; nach der jahrelangen Erfahrung des Senats in Arzthaftungssachen ist es gerade nicht so, dass “vor dem Schmerz alle Menschen gleich” sind. Vielmehr reagiert jeder Mensch auf Schmerzen sehr individuell, einige Menschen kommen mit Beeinträchtigungen zurecht, an denen andere Menschen zerbrechen. Auch dem muss das Schmerzensgeld individuell Rechnung tragen. Zudem dürfte es auf der Hand liegen, dass es zB einen Einäugigen grds. viel stärker beeinträchtigt, sein sehendes Auge zu verlieren, als einen zuvor auf beiden Augen Normalsichtigen. Diese sehr individuellen Eigenheiten sind im Rahmen von schematischen Erwägungen nur unzureichend abzubilden; das “taggenaue” Schmerzensgeld bietet nur eine Pseudogenauigkeit und ist nicht viel mehr als ein unverhohlener Appell an die Rechtsprechung, insgesamt die Schmerzensgeldraten zu erhöhen.”

Im Hinblick auf die Stellungnahme der Klägerin vom 5. Mai 2020 ist noch Folgendes auszuführen:

Der Senat nimmt zur Kenntnis, dass die Klägerin meint, geringe Schäden würden von der derzeitigen Schmerzensgeldrechtsprechung ebenso ausreichend entschädigt wie schwerste Schädigungen von Kindern, anders sei dies bei mittleren Dauerschäden von Erwachsenen, hier müssten die Beträge höher werden und man dürfe nicht “alte Entscheidungen hochrechnen”. Dazu kann der Senat anmerken, dass es seiner ständigen Rechtsprechung entspricht, gerade nicht “alte Entscheidungen hochzurechnen”, sondern eine Einzelfallentscheidung zu treffen, bei der Entscheidungen anderer Gerichte bestenfalls im Vorfeld eine grobe Orientierungshilfe bieten. Zudem würde eine Akzentverschiebung der von der Klägerin vorgestellten Art (470.886,50 €) dazu führen, dass ein Erwachsener mit mittelschwerem Dauerschaden ein ähnliches Schmerzensgeld erhält wie schwerst geschädigte Kinder, deren Schmerzensgelder die Klägerin ja für angemessen erachtet; dass dies den unterschiedlichen Gegebenheiten nicht Rechnung trägt, liegt für den Senat auf der Hand.

Die von der Klägerin so in den Vordergrund gestellte Genugtuungsfunktion ist im Übrigen gerade in Arzthaftungsfällen, in denen in den seltensten Fällen von Vorsatztaten auszugehen ist, und im Hinblick auf die Tatsache, dass Schmerzensgeld nunmehr überhaupt keine deliktische Ausgangssituation (wie § 847 a.F. BGB) verlangt, sondern auch aufgrund vertraglicher Pflichtverletzungen oder sogar bei Gefährdungshaftungstatbeständen völlig ohne schuldhaftes Handeln zugesprochen werden kann, von eher untergeordneter Bedeutung. Auch die Rechtsprechung des BGH betont den Vorrang der Ausgleichsfunktion.

Abschließend darf der Senat darauf hinweisen, dass die Beweisaufnahme ergeben hat, dass an zurechenbaren Dauerschäden der Klägerin verblieben sind: Narben und eine Bauchwandschwäche. Ob das bereits als “mittelschwerer Dauerschaden” nach der Terminologie der Klägerin einzustufen ist, wäre der Senat bereits im Zweifel. Die anderen von der Klägerin behaupteten Dauerschäden, die ein höheres Schmerzensgeld durchaus hätten rechtfertigen können, sind jedoch aus Rechtsgründen nicht zu berücksichtigen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Vollstreckbarkeitsentscheidung aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

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