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Diagnose- und Befunderhebungsfehler bei Nichterkennen einer Kahnbeinfraktur

OLG Koblenz – Az.: 5 U 381/12 – Urteil vom 21.11.2012

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Trier vom 29. Februar 2012 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen dem Kläger zur Last.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der seinerzeit 22jährige Kläger stellte sich am 30. Mai 2008 wegen Schmerzen und einer Schwellung im Bereich des rechten Handgelenks in der Notfall-Ambulanz des Krankenhauses der Beklagten zu 1) vor. Er hatte sich am Vortag berufsbedingt eine Verletzung zugezogen. und bat nun um eine durchgangsärztliche Untersuchung, die sodann von der Beklagten zu 2) durchgeführt wurde.

Diagnose- und Befunderhebungsfehler bei Nichterkennen einer Kahnbeinfraktur
Symbolfoto: Von Roy F Wylam /Shutterstock.com

Der Kläger war, auch wenn er grundsätzlich als Müllwagenfahrer arbeitete, zur Tonnenentleerung eingesetzt worden. Gemäß der Darstellung in der Klageschrift wurde seine Hand dabei – nach Einhängen eines Sammelbehälters in die Müllschüttanlage – von der hydraulischen Hebeautomatik „nach oben katapultiert“. Eben dies sei dann auch der Beklagten zu 2) mitgeteilt worden. Demgegenüber war nach dem Vorbringen der Beklagten lediglich allgemein von einem Unfall „bei der Müllentsorgung“ die Rede. Die vom Kläger behauptete Schilderung sei erst viel später – nämlich bei einer zweiten Vorstellung am 6. Februar 2009 – unterbreitet worden. Anlässlich seiner Untersuchung durch einen gerichtlichen Sachverständigen, den das Landgericht bestellt hatte, berichtete der Kläger, auf seine Hand gestürzt zu sein, nachdem er vorab nach oben gezogen worden sei.

Die Beklagte zu 2) diagnostizierte am 30. Mai 2008 nach einer klinischen Untersuchung und der Fertigung von Röntgenaufnahmen, dass es keine frischen knöchernen Verletzungen gebe, aber der Verdacht auf eine alte Kahnbeinfraktur bei einer beginnenden Arthrose an der distalen Speiche bestehe. In dem von ihr für die Berufsgenossenschaft gefertigten Durchgangsarztbericht ist das – dem Kläger bekannt gegebene – Erfordernis einer Nachschau vermerkt, die bei anhaltender Arbeitsunfähigkeit oder Behandlungsbedürftigkeit am 6. Juni 2008 und im Verschlimmerungsfall sofort erfolgen solle. Der Kläger hat bestritten, entsprechend informiert worden zu sein.

Er begab sich, nachdem ihm die Beklagte zu 2) einen Voltaren-Salbenverband angelegt hatte, im Weiteren in die Behandlung seines Hausarztes, der in einem Arztbrief von der Diagnose der Beklagten zu 2) unterrichtet wurde; in dem Brief hieß es auch, dass bei Schmerzpersistenz über eine Woche eine klinische, gegebenenfalls auch eine radiologische Kontrolle angeraten werde.

Trotz fortbestehender Schmerzen meldete sich der Kläger erst am 6. Februar 2009 wieder in der Krankenhausambulanz der Beklagten zu 1). Eine neue Röntgenaufnahme führte zum Befund einer etwa ein Jahr alten, nicht verheilten und sklerosierten Kahnbeinfraktur. Man legte dem Kläger eine operative Versorgung nahe, die nach einer ergänzenden radiologischen Abklärung am 27. April 2009 anderweit erfolgte.

Gemäß dem Vortrag des Klägers ist der Bruch auf den 29. Mai 2008 zu datieren und wurde am 30. Mai 2008 von der Beklagten zu 2), der die notwendige ärztliche Kompetenz gefehlt habe, trotz klarer röntgendiagnostischer Hinweise verkannt. Die gebotene Fertigung eines CT, das endgültige Klarheit hätte bringen können, sei versäumt worden. In der Folge habe man die Fraktur weder operativ noch konservativ therapiert, so dass er, statt geheilt worden zu sein, anhaltend unter Schmerzen, Kraftverlust und Bewegungseinschränkungen im rechten Handgelenk leide. Im Hinblick darauf hat er die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines mit 10.000 € bezifferten Schmerzensgelds und zum Ausgleich vorgerichtlicher Anwaltskosten von 837,52 € sowie die Feststellung einer weitergehender Haftung beantragt.

Das Landgericht hat die Klage, gestützt auf die Darlegungen des von ihm bestellten Sachverständigen, im Anschluss an die Anhörung des Klägers und der Beklagten zu 2) abgewiesen. Aus seiner Sicht ist den Beklagten weder ein Diagnose- noch ein Befunderhebungsfehler anzulasten, weil die Verhältnisse am 30. Mai 2008 nicht auf eine frische Fraktur des Kahnbeins hingedeutet hätten. Die Behauptung des Klägers, man habe unterlassen, das Erfordernis einer Wiedervorstellung anzusprechen, sei nicht bewiesen.

Das greift der Kläger in Erneuerung seines Verlangens mit der Berufung an. Er erhält den Vorwurf einer fehlerhaften Behandlung von Seiten der Beklagten aufrecht und zieht die Verlässlichkeiten der vom Landgericht verwerteten gutachterlichen Aussagen in Zweifel. Die Beweislast im Hinblick darauf, ob er am 30. Mai 2008 zu einer Wiedervorstellung aufgefordert worden sei, sieht er nicht bei sich, sondern bei den Beklagten.

II.

Damit vermag der Kläger nicht durchzudringen. Die angefochtene Entscheidung hält den Berufungsangriffen stand.

Nach der Auffassung des Kläger ist es am 30. Mai 2008 zu einem Diagnosefehler gekommen, weil die – wie dann bei der späteren Untersuchung vom 6. Februar 2009 rückblickend befundet wurde – seinerzeit frische Kahnbeinfraktur nicht als solche erkannt, sondern lediglich, der Dokumentation der Beklagten zu 2) entsprechend, als alte, nämlich „stattgehabte os scaphoideumfraktur“ eingeordnet wurde. Dem vermag der Senat ebenso wenig wie das Landgericht zu folgen.

Der vom Landgericht bestellte Sachverständige Prof. Dr. …[A] hat dargelegt, dass sich aus der damaligen Sicht ein frischer Bruch nicht feststellen ließ: Die Röntgenaufnahmen waren insoweit nicht eindeutig, und das klinische Bild sprach dagegen, weil ein Stauchungsschmerz des Daumens nicht ausgelöst werden konnte und auch die Tabatière ohne Schmerzen war. Überdies hatte das Unfallereignis den Kläger nicht daran gehindert, weiter zu arbeiten und dabei seine rechte Hand einzusetzen. Die Schilderung des Schadenshergangs war ebenfalls nicht indikativ für einen Bruch, weil es danach für die Beklagte zu 2) keinen Hinweis auf eine adäquate Verletzungsursache gab. Nach deren Aufzeichnungen hatte der Kläger lediglich von einem „Knacken bei der Müllentsorgung“ berichtet, ohne einen Sturz oder ein sonstiges, direkt die Hand treffendes Trauma zu erwähnen. Auch das schriftsätzliche Vorbringen des Klägers lässt nicht erkennen, dass das Geschehen dahingehend beschrieben worden wäre. Freilich hat der Kläger bei seiner Untersuchung durch den Sachverständigen Prof. Dr. …[A] entsprechende Angaben gemacht. Aber es fehlt an einem greifbaren Anhalt dafür, dass die Beklagte zu 2) am 30. Mai 2008 in einem solchen Sinne unterrichtet worden wäre.

Vor diesem Hintergrund reichte der Röntgenbefund nicht hin, auf eine frische Kahnbeinfraktur zu schließen. Dass ein derartiger Schluss dann später im Versicherungsgutachten Dr. …[B] vom 3. Mai 2010 und möglicherweise auch in der vom Kläger vorgelegten Stellungnahme Dr. …[C] vom 17. Dezember 2010 (in der sich freilich keinerlei Datierung des Bruchs befindet) gezogen wurde, ist ohne entscheidendes Gewicht, weil die – durch die klinische Situation mitbestimmte – Gesamtperspektive außer Betracht blieb und zudem ex post und damit in Kenntnis der weiteren Schadensentwicklung geurteilt wurde. Das führte naturgemäß zu einer Steuerung in der Sichtweise.

Nach alledem fehlt es an einem den Beklagten anzulastenden, haftungsbegründenden Diagnosefehler. Es ist anerkannt, dass Irrtümer in der Diagnosestellung nicht aus sich heraus den Schluss auf ein schuldhaftes ärztliches Verhalten rechtfertigen (BGH VersR 1981, 1033; BGH NJW 2003, 2827). Ein haftungsrechtlich erhebliches Verschulden ist erst dort gegeben, wo das diagnostisch gewonnene Ergebnis für einen gewissenhaften Arzt nicht mehr vertretbar erscheint. Davon kann hier keine Rede sein.

Eine Haftung der Beklagten lässt sich auch nicht aus einem Befunderhebungsfehler herleiten. Der Kläger vermisst insoweit für den 30. Mai 2008 die Erstellung eines CT, das seiner Meinung nach zusätzliche Erkenntnisse hätte vermitteln können. Dessen bedurfte es jedoch seinerzeit nicht. Prof. Dr. …[A] hat unter Berücksichtigung der mit einem CT verbundenen Strahlenbelastung und der letztlich nur geringen Aussicht, dadurch diagnostische Sicherheit zu gewinnen, überzeugend dargelegt, dass zunächst abgewartet werden durfte. Dem folgt der Senat ebenso wie das Landgericht.

Allerdings war es dabei notwendig, dem Kläger für den Fall, dass sich seine Beschwerden nicht nur als kurzfristig erwiesen und damit die zunächst nicht in den Vordergrund getretene Möglichkeit einer frischen Fraktur an Wahrscheinlichkeit gewann, aufzugeben, sich zur Kontrolle wieder vorzustellen. Eben dies ist jedoch nach den Feststellungen des Landgerichts geschehen, und der Senat hat keinen begründeten Anlass, davon abzurücken (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Die Dokumentation der Beklagten zu 2) bekundet: „Nachschau ist erforderlich, sofern dann noch Arbeitsunfähigkeit oder Behandlungsbedürftigkeit vorliegen sollte, am 6. Juni 2008, bei Verschlimmerung sofort. Der Termin wurde dem Versicherten bekannt gegeben.“ Eine entsprechende Unterrichtung des Klägers deckt sich mit dem Ergebnis der Anhörung der Beklagten zu 2).

Das hat der Kläger nicht entkräften können. Entgegen seiner Auffassung ist er insoweit darlegungs- und beweispflichtig, weil es um die Tatsachengrundlage für eine Inanspruchnahme der Beklagten aus einer ärztlichen Pflichtverletzung geht (BGHZ 171, 358; BGH NJW 1991, 1541). Dass es ihm dabei obliegt, den Nachweis für ein Negativum, nämlich nicht wieder einbestellt worden zu sein, zu erbringen, ist ohne Belang; denn die Beklagten haben ihrer – sekundären – Behauptungslast genügt (vgl. dazu Greger in Zöller, ZPO, 29. Aufl., § 138 Rdnr. 8 b). Für die vom Kläger unter dem Gesichtspunkt des „voll beherrschbaren Risikobereichs der Beklagten“ reklamierte Beweislastumkehr ist kein Raum. Davon sind Fälle betroffen, in denen ärztliche Handlungen oder Unterlassungen schadensauslösend gewesen sein können, die sich dem Einblick des geschädigten Patienten entziehen und sich in einem von der anderen Seite kontrollierten Bereich abgespielt haben (BGHZ 89, 263; BGHZ 171, 358; BGH VersR 1984, 386).

Die Beweislast würde sich lediglich dann wenden, wenn im Ausgangspunkt ein fehlerhaftes Verhalten feststünde und sich nachfolgend die Frage nach einem Mitverschulden des Klägers stellte, weil er einen behaupteten Wiedervorstellungstermin versäumte. Das liegt in der Konsequenz des § 254 BGB, der hier indessen – anders als in der vom Kläger in erster Instanz vorgelegten Entscheidung KGR 2006, 12 – nicht erörtert zu werden braucht.

Eine Einstandspflicht der Beklagten lässt sich ebenso wenig auf den Vorwurf des Klägers gründen, die Beklagte zu 2) habe am 30. Mai 2008 weder die Qualifikation als Durchgangsarzt gehabt noch über einen Facharztstatus verfügt, so dass es geboten gewesen sei, das damalige Untersuchungsergebnis anderweit verifizieren zu lassen. Es kann dahinstehen, inwieweit damit überhaupt die Verletzung von Pflichten angesprochen ist, in deren Schutzbereich der streitige Schaden fällt. Denn es steht weder fest, dass der Kläger, der den dokumentierten Wiedervorstellungstermin in der Ambulanz der Beklagten zu 1) nicht wahrnahm, der Vorgabe nachgekommen wäre, sich von dritter Seite erneut untersuchen zu lassen, noch kann als gesichert angenommen werden, dass auf diese Weise andere Erkenntnisse als bei der unter medizinischen Gesichtspunkten nicht zu beanstandenden Befunderhebung vom 30. Mai 2008 gewonnen worden wären.

Nach alledem ist das erstinstanzliche Urteil aufrechtzuerhalten. Die tatsächlichen Feststellungen, die ihm zugrunde liegen, erlauben keine rechtserheblichen Zweifel (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und geben insbesondere keine Veranlassung zur Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens (§ 412 Abs. 1 ZPO). Prof. Dr. …[A] verfügte als ein an einer Universitätsklinik beschäftigter Oberarzt mit reicher orthopädischer und unfallchirurgischer Erfahrung über eine genügende gutachterliche Kompetenz. Ob der Schwerpunkt seiner Tätigkeit gerade in der Untersuchung und Behandlung von Händen liegt, ist ohne entscheidende Bedeutung. Es besteht auch kein Grund zu der Mutmaßung, dass er seine Begutachtung anhand von nicht authentischen Röntgenaufnahmen durchgeführt hätte. In seinem Eingangsgutachten vom 23. Oktober 2010 sind die jeweiligen Aufnahmen nach Datum, Art und Gegenstand im Einzelnen beschrieben, ohne dass Anhaltspunkte für irgendwelche Verwechslungen bestünden. Das Berufungsvorbringen, Prof. Dr. …[A] könnten die einschlägigen Röntgenbilder nicht vorgelegen haben, weil es nur von vornherein digitalisierte Aufnahmen gebe, er aber seiner Mitteilung nach ein „Original-Röntgenbild“ begutachtet habe, geht fehl:

Prof. Dr. …[A] hat diese Mutmaßung durch seine nachfolgend vom Senat veranlasste Stellungnahme falsifiziert, indem er die verschiedenen Möglichkeiten, digitalisierte Aufnahmen sichtbar zu machen, dargestellt und aufgezeigt hat, dass ihm – als eine der insoweit zur Verfügung stehenden Alternativen – offensichtlich eine, dem konventionellen Speicherverfahren entsprechende Ablichtung auf einer Filmrolle vorlag, deren Detailgenauigkeit und Verlässlichkeit zu diagnostischen Zwecken nicht in Zweifel gezogen werden kann.

Die – mithin angezeigte – Zurückweisung der Berufung zieht die Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO nach sich. Der Vollstreckbarkeitsausspruch ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision fehlen.

Rechtsmittelstreitwert: 13.000 €

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