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Diagnosefehler bei völlig fernliegender Erkrankung und verspätete Krisenintervention

OLG Koblenz –  Az.: 5 U 1383/13 –  Beschluss vom 27.01.2014

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Trier vom 09.10.2013 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Dieses Urteil und der hiesige Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die gegen sie gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht von der Gegenseite Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags gestellt wird.

Gründe

I. Die Entscheidung ergeht gemäß §§ 522Abs. 2, 97 Abs. 1,708 Nr. 10,711 ZPO. Ihre sachlichen Grundlagen ergeben sich aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils und dem Senatsbeschluss vom 27.12.2013, durch den die maßgeblichen Erwägungen wie folgt niedergelegt wurden:

„1. Die Kläger sind die Söhne und Erben von Brigitta Elisabeth E. (im Folgenden: Die Patientin), die am 5.05.2008 an den Folgen eines Gasbrands verstarb. Sie war am 3.05.2008 nach einer geschlossenen rechtsseitigen Oberschenkelhalsfraktur im Krankenhaus der Beklagten zu 1. aufgenommen worden. Dort hatte man den Bruch mit einer dynamischen Hüftschraube operativ stabilisiert.

Am 4.05.2008 verschlechterte sich der Zustand der Patientin. Sie hatte Schmerzen im rechten Oberschenkel und erbrach. Nach der Darstellung der Kläger war in ihrem Bein, das angeschwollen sei, ein knisterndes Geräusch wahrzunehmen.

Diagnosefehler bei völlig fernliegender Erkrankung und verspätete Krisenintervention
Symbolfoto: Von ldutko/Shutterstock.com

Die ärztliche Verantwortung lag unterdessen in den Händen des im Krankenhaus tätigen Beklagten zu 2). Gemäß dem Vorbringen der Beklagten untersuchte er die Patientin am 4.05.2008 zweimal, indem er den Wundverband löste. Therapeutisch beschränkte er sich auf die Verordnung von Schmerzmitteln.

In den frühen Nachtstunden des 5.05.2008 spitzte sich die Lage zu. Die Patientin erbrach blutig und hatte blutigen Urin. Der Beklagte zu 2. diagnostizierte überdies nunmehr eine zunehmende Verdickung des Beins. Er nahm Blut ab; der Untersuchungsbefund war bis auf einen Anstieg der Leukozyten unauffällig. Nach der Vermutung des Beklagten zu 2. war es zu einer muskulären Einblutung gekommen.

Im weiteren Verlauf wurde die Patientin unter den Auswirkungen einer fortschreitenden Hämolyse bewusstlos und ateminsuffizient. Röntgenologisch wies man im Oberschenkel und retroperitoneal Emphyseme nach und gelangte zu der Diagnose eines Gasbrands. Der Versuch, dem antibiotisch und operativ zu begegnen, erfolgte zu spät, um den Todeseintritt zu verhindern.

Vor diesem Hintergrund haben die Kläger die Beklagten gesamtschuldnerisch auf die Zahlung eines mit mindestens 50.000 € zu beziffernden Schmerzensgeldes und die Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Anspruch genommen. Ihrem Vortrag nach wurde die Patientin im Krankenhaus mangelhaft ärztlich versorgt; bei einer pflichtgemäßen Diagnostik wären der Gasbrand, der sich in der Folge des Eingriffs vom 3.05.2008 entwickelt habe, frühzeitig erkannt und der letale Ausgang vermieden worden.

Das Landgericht hat den Kläger zu 1. und den Beklagten zu 2. angehört sowie Sachverständigenbeweis erhoben. Danach hat es die Klage abgewiesen. Aus seiner Sicht sind den Beklagten für den 4.05.2008 keine Behandlungsfehler anzulasten. Inwieweit am 5.05.2008 mangelhaft verfahren worden sei, könne dahinstehen, da der Kausalverlauf nun nicht mehr habe umgekehrt werden können. Auch der Eingriff vom 3.05.2008 begründe keine Haftung; denn Unzulänglichkeiten in der operativen Hygiene seien nicht zu ersehen.

Diese Entscheidung greifen die Kläger in Erneuerung ihres Verlangens mit der Berufung an. Ihrer Auffassung nach hätte der Gasbrand bereits am 4.05.2008 erkannt und therapiert werden müssen; das später festgestellte Oberschenkel – Emphysem sei schon damals diagnostizierbar gewesen.

2. Damit vermögen die Kläger nicht durchzudringen. Das angefochtene Urteil hat Bestand.

a) Aus der Operation vom 3.05.2008, in deren Zuge nach der Darstellung der Kläger der Gasbranderreger Eingang in den Körper fand, lässt sich eine Haftung der Beklagten nicht herleiten. Hygienemängel sind nicht zu Tage getreten. In diesem Zusammenhang gibt es zu Gunsten der Kläger keine Beweislastumkehr, weil nicht feststeht, dass die Infektion aus einem Bereich herrührt, der von Seiten des Krankenhauses voll beherrscht werden konnte (vgl. BGHZ 171, 358). Demgemäß wird in diesem Punkt auch kein Berufungsangriff geführt.

b) Ob den Beklagten am 5.05.2008 Fehler und Versäumnisse unterliefen, hat das Landgericht zu Recht offen gelassen. Denn daran kann eine Haftung ebenso wenig anknüpfen. Die Sachverständige Dr. H. hat dargetan, dass an diesem Tag die letale Entwicklung nicht mehr aufzuhalten war. Das entspricht den Erkenntnissen des Schlichtungsgutachters R..

c) Mithin kommt eine Inanspruchnahme der Beklagten allein wegen eines eventuellen Fehlverhaltens am 4. 05. 2008 in Betracht. Die Berufung rügt, dass der Beklagte zu 2. seinerzeit die Möglichkeit eines Gasbrands nicht in Erwägung gezogen habe und die Beschwerden der Patientin unkritisch mit einer Einblutung ins Weichgewebe oder auch einer Thrombose erklärt habe. Eine solche Sicht war zwar objektiv falsch. Aber sie war nach den Ausführungen der Sachverständigen Dr. H. zum damaligen Zeitpunkt nachvollziehbar. Wie von ihr in dem gemeinsam mit Prof. Dr. U. für die Staatsanwaltschaft erstellten Gutachten bemerkt worden war, erklären sich postoperative Schwellungen und Schmerzen und damit die Symptomatik, die am 4.05.2008 bei der Patientin im Vordergrund stand, regelmäßig aus Nachblutungen in die Tiefe des betroffenen Gewebes oder aus einem thrombotischen Geschehen. Das Auftreten von Gasbrand lag dagegen völlig fern. Für das Jahr 2000 wurde, wie die Sachverständige Dr. H. mitgeteilt hat, von insgesamt lediglich 66 Fällen berichtet. Das bedeutet, dass die Erkrankung im Alltag eines durchschnittlichen Krankenhauses praktisch nicht anzutreffen ist und nicht in das Gefahrbewusstsein eingeht.

Vor diesem Hintergrund kann die Fehldiagnose, die die Kläger auf der Beklagtenseite beanstanden, keine Schadensverantwortlichkeit begründen. Irrtümer in der Diagnosestellung rechtfertigen aus sich heraus nicht den Schluss auf ein schuldhaftes ärztliches Verhalten (BGH VersR 1981, 1033; BGH NJW 2003, 2827). Da pathologische Erscheinungsbilder oft mehrdeutig sind, sind derartige Fehleinschätzungen in der medizinischen Praxis nicht ungewöhnlich. Liegt die Ursache einer Symptomatik nahe, kann das den Blick auf andere Umstände verstellen, ohne dass damit Fahrlässigkeiten einhergehen müssen (Senat OLGR Koblenz 2006, 911). Ein haftungsrechtlich erhebliches Verschulden ist erst dort gegeben, wo das diagnostisch gewonnene Ergebnis für einen gewissenhaften Arzt nicht mehr vertretbar erscheinen kann (Senat OLGR Koblenz 2008, 100). So lagen die Dinge hier indessen nicht. Dass der Schlichtungsgutachter Prof. Dr. R. gemeint hat, eine Gasbrandinfektion hätte schon am 4. 05. 2008 erwogen werden müssen, reicht angesichts der gegenläufigen Beurteilung der Verhältnisse durch die Sachverständige Dr. H. nicht hin, um die von den Klägern kritisierte Einschätzung auf Beklagtenseite als unvertretbar zu qualifizieren und damit von der Würdigung des erstinstanzlichen Urteils abzuweichen.

Der – entschuldbare – Diagnoseirrtum, der den Beklagten unterlief, löst nicht etwa deshalb eine Haftung aus, weil er von dem Versäumnis begleitet war, Untersuchungen mit dem Blick auf mögliche Knistergeräusche im Oberschenkel oder ein etwaiges Emphysem in die Wege zu leiten und so – auch unter Einsatz labortechnischer und bildgebender Verfahren – einen Gasbrand aufzuspüren. Ein Fehler in der Diagnose wird nicht dadurch zu einem haftungsträchtigen Befunderhebungsfehler, dass bei einer abweichenden Diagnose bestimmte unterlassene Befunde zu erheben gewesen wären (BGH MDR 2011, 224).“

II. Mit Blick auf den Schriftsatz der Kläger vom 22.01.2014 ist anzufügen:

a) Man kann zu Gunsten der Kläger unterstellen, dass die Erreger des Gasbrands während der Operation vom 03.05.2008 in den Körper gelangten. Dabei handelt es sich indessen um ein allgemeines Risiko, für dessen Verwirklichung die Beklagte zu 1. nur dann haftbar gemacht werden kann, wenn Hygienegebote verletzt wurden und die Schadensursache damit einem Bereich zugeordnet werden kann, der voll beherrschbar war (BGHZ 171, 358). Das hätte zur gerichtlichen Überzeugung aufgezeigt werden müssen; erst auf dieser Grundlage wären den Klägern Beweisvorteile zugute gekommen (vgl. Senat in MedR 2006, 657).

b) Die Kläger verweisen auf die Aussage der Sachverständigen Dr. H., es sei wohl eher von einem Chirurgen als von ihrer Seite zu beantworten, „ob und in welchem Ausmaß man zu diesem Zeitpunkt bereits das Weichteilemphysem gesehen hätte“. Diese Äußerung bezieht sich auf die Lage am 05.05.2008, als die Dinge irreversibel geworden waren. Ein mögliches diagnostisches Defizit auf Seiten der Beklagten deshalb, weil das Emphysem nicht registriert wurde, kann also nicht mehr schadenskausal gewesen sein.

c) Auch die Forderung der Sachverständigen Dr. H. nach einer weiter gehenden Abklärung, die die Kläger zusätzlich anführen, bezieht sich auf die Entwicklung am 05.05.2008.

d) Dass am 04.05.2008 noch Rettungschancen bestanden, trägt eine Verurteilung der Beklagten nicht. Damit hat sich der Senat – auch unter Berücksichtigung des Monitums des Schlichtungsgutachters Prof. Dr. R. – in seinem Beschluss vom 27.12.2013 eingehend auseinandergesetzt. Auf die dortigen Ausführungen unter 2. c) ist vollumfänglich Bezug zu nehmen.

2. Rechtsmittelstreitwert: 50.000 €

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