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Diagnoseirrtum und Befunderhebungsfehler bei Kopfschmerzen

OLG Koblenz, Az.: 5 U 617/15, Beschluss vom 29.09.2015

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Mainz vom 28. April 2015 wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten der Streithelferin zu tragen.

3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Mainz ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 50.000,00 € festgesetzt.

Gründe

A. Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes sowie der erst- und zweitinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Landgerichts Mainz vom 28. April 2015 sowie den Beschluss des Senats vom 24. August 2015 Bezug genommen. Dort hat der Senat mitgeteilt:

„I. Die Klägerin verlangt Schmerzensgeld sowie die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten wegen fehlerhafter Behandlung.

Diagnoseirrtum und Befunderhebungsfehler bei Kopfschmerzen
Symbolfoto: Von Pormezz /Shutterstock.com

Wegen erheblicher Kopfschmerzen suchte die Klägerin am 9. Mai 2013 (Christi Himmelfahrt) die Notfallambulanz des Stadtkrankenhauses in R., in der die vertragsärztliche Bereitschaftsdienstzentrale R. organisiert ist, zur Behandlung auf. Dabei wurde sie von ihrer Tochter begleitet. Die als Allgemeinmedizinerin tätige Beklagte nahm an diesem Tag den Bereitschaftsdienst wahr. Die Klägerin schilderte ihr die Kopfschmerzen als rechtseitig in Auge und Hinterkopf ausstrahlend und bezeichnete diese als deutlich über ihre üblichen Migräneschmerzen hinausgehend. Die Beklagte kontrollierte die Pupillenreaktion und führte einen Steh-, Tret- und Meningismustest durch. Anschließend erfolgte die Infusion eines Schmerzmittels, die zu einer gewissen Linderung der Beschwerden führte. Unter Verschreibung eines weiteren Schmerzmittels wurde die Klägerin aus der Behandlung entlassen.

Nach weiteren Behandlungen durch die Streithelferin – die Hausärztin der Klägerin – am 13. und 16. Mai 2013 stellte sich die Klägerin am 18. Mai 2013 wegen erheblicher Kopfschmerzen und des Verschließens des rechten Auges in der Universitätsmedizin der Uniklinik X. vor. Dort wurden sechs Aneurysmen mit einer Aneurysmablutung in den Subarachnoidalraum festgestellt. Die Behandlung der Aneurysmen erfolgte in mehreren, zeitlich abgesetzten Eingriffen.

Die Klägerin hat erstinstanzlich behauptet, sie habe bei den neurologischen Tests der Beklagten am 9. Mai 2013 das Kinn nicht an die Brust legen können. Zudem habe ihre Tochter gesehen, dass sie geschwankt habe. Diese Anzeichen für eine Subarachnoidalblutung seien von der Beklagten nicht hinreichend beachtet und eine weitere neurologische Abklärung insbesondere durch Durchführung eines CT oder MRT unterlassen worden. Eine Wiedereinbestellung zur Kontrolle sei nicht erfolgt.

Die Beklagte hat behauptet, die neurologische Untersuchung habe einen unauffälligen Befund ergeben. Neurologische Ausfälle bzw. eine Gangunsicherheit oder Schwindel hätten nicht vorgelegen. Die Meningismusprüfung sei negativ ausgefallen. Die Infusion habe zu einer Linderung der Beschwerden geführt, was für eine Subarachnoidalblutung untypisch sei. Bei der Entlassung der Klägerin sei darauf hingewiesen worden, dass diese den Notdienst erneut in Anspruch nehmen solle, wenn sich die Kopfschmerzen nicht binnen der nächsten 24 Stunden einstellen würden.

Hinsichtlich des weiteren erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes sowie den erstinstanzlichen Anträgen wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

Das sachverständig beratene Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht darauf abgestellt, dass der Schilderung des Behandlungsverlaufs durch die Beklagte gegenüber den Angaben der angehörten Klägerin sowie der vernommenen Tochter der Klägerin der Vorzug zu geben sei. Danach sei die neurologische Untersuchung ohne Befund geblieben. Daher seien keine Anhaltspunkte für eine Subarachnoidalblutung feststellbar gewesen. Hiervon ausgehend sei die Behandlung durch die Beklagte nicht zu beanstanden. Deren Deutung der erhobenen Befunde als Migräneerscheinung sei medizinisch vertretbar. Insofern erweise sich das beobachtende Verhalten, das durch einen Hinweis auf Wiedervorstellung im Falle weiterer Kopfschmerzen begleitet worden sei, als korrekt. Im Übrigen wird wegen der näheren Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung auf das angefochtene Urteil verwiesen.

Hiergegen wendet sich die Klägerin unter Weiterverfolgung ihres erstinstanzlichen Begehrens mit der Berufung. Zur Begründung verweist sie darauf, das Landgericht habe fehlerhaft das Gutachten eines allgemeinmedizinischen Sachverständigen eingeholt und verwertet. Dies sei als verfahrensfehlerhaft anzusehen, da zwingend ein neurologisches Sachverständigengutachten habe eingeholt werden müssen. Zudem habe das Landgericht bei seinen Feststellungen die Bekundungen der Zeugin B. fehlerhaft nicht als überzeugend angesehen. Letztlich sei es – unter Zugrundelegung der Schilderung der Zeugin B. – erforderlich gewesen, weitergehende Befunde zu erheben. Insoweit beruft sich die Klägerin auf ein erst zweitinstanzlich vorgelegtes Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Hessen vom 21. April 2015. Aus diesem ergebe sich die Fehlerhaftigkeit des erstinstanzlich eingeholten Gutachtens. Sie beantragt daher die Einholung eines „Obergutachtens“. Zudem führt sie an, dass bei weiterer Befunderhebung die sechs Aneurysmen vermeidbar gewesen wären. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens wird auf die Berufungsbegründung vom 5. August 2015 verwiesen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landgericht Mainz vom 31. März 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000,00 € nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen; festzustellen, dass ihr die Beklagte alle etwaigen zukünftigen, nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden zu ersetzen hat, soweit diese auf der Fehlbehandlung der Beklagten vom 9. Mai 2013 beruhen und die Ansprüche nicht auf Dritte oder Sozialversicherungsträger übergegangen sind; die Beklagte zu verurteilen, sie von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.890,91 € nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.

Die Beklagte und die Streithelferin beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

II. Der Senat ist nach dem bisherigen Sach- und Streitstand einstimmig der Überzeugung, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Eine Entscheidung durch Urteil nach mündlicher Verhandlung ist nach § 522 Abs. 2 ZPO nicht geboten. Von einer mündlichen Verhandlung sind keine neuen Erkenntnisse zu erwarten.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Ein vertraglicher bzw. deliktischer Anspruch der Klägerin besteht nicht, da der Beklagten kein Behandlungsfehler vorgeworfen werden kann. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Die dagegen erhobenen Angriffe rechtfertigen keine abweichende Entscheidung.

1. Das Landgericht hat zum Behandlungsverlauf – insbesondere den vorgenommenen Untersuchungen und hieran anknüpfenden Ergebnissen – überzeugende Feststellungen getroffen. Es ist davon ausgegangen, dass die Beklagte in Kenntnis der Schilderung erheblicher, vom üblichen Migräneschmerz abweichender Kopfschmerzen neurologische Untersuchungen angestellt hat. Danach hat die Beklagte die Reaktion der Pupillen der Klägerin mit dem Finger und einer Lampe kontrolliert. Zudem ließ sie die Klägerin mit geschlossenen Augen und vorgestreckten Armen stehen (Stehtest bzw. Romberg-Versuch). Zudem führte sie den sog. Unterberger-Test durch, bei der die Klägerin auf der Stelle treten musste. Auf der Liege hat die Beklagte schließlich einen Meningismustest vorgenommen, bei dem die Klägerin das Kinn auf die Brust legen musste. Bei all diesen Untersuchungen ergaben sich keine Krankheitsanzeichen. Vielmehr stellte sich ein unauffälliger Befund. Insoweit waren keine näher zu deutenden Befundanzeichen gegeben. Insbesondere fehlte es an Schwankungen oder Meningismusanzeichen. Im Anschluss an diese Untersuchungen erfolgte eine Schmerzmittelgabe (Novalgin®) über einen Tropf. Dies führte zu einer Besserung der Beschwerden. Daher entließ die Beklagte die Klägerin aus der Behandlung unter Hinweis auf die Erforderlichkeit einer Wiedervorstellung bei ausbleibender weiterer Besserung.

Zu diesen Feststellungen ist das Landgericht unter Würdigung der Aussage der Zeugin B. sowie des Ergebnisses der Anhörung der Parteien gelangt. Dabei hat das Landgericht aufgrund der konsistenten, auch „ungünstige“ Details nicht aussparenden Angaben der Beklagten und der hiermit in Einklang stehenden Dokumentation auf dem Notfallschein einerseits und der im Verlauf der Auseinandersetzung sich ändernden bzw. anpassenden Vorwürfe der Klägerin einschließlich der partiellen Detailerinnerung/Erinnerungslücken der Zeugin B. andererseits der Schilderung durch die Beklagte den Vorrang gegeben. Diese umfängliche Würdigung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, teilt der Senat vollumfänglich. Mit der Berufung werden keine Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit der Feststellungen aufgezeigt (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Vielmehr beschränkt sich die Klägerin darauf, pauschal darauf zu verweisen, dass den Angaben der Zeugin B. der Vorzug zu geben sei. Dies genügt angesichts der ausführlichen und alle Aspekte des Falles einbeziehenden Würdigung des Landgerichts nicht, um Zweifel an den getroffenen Feststellungen zu begründen.

2. Ausgehend von diesen tatsächlichen Feststellungen ist ein Befunderhebungsfehler der Beklagten nicht gegeben.

Soweit die Klägerin die Erforderlichkeit der Erhebung weiterer Befunde einfordert, hält sie die Kategorien des Diagnose- und des Befunderhebungsfehlers als zu differenzierende Erscheinungsform des Behandlungsfehlers nicht auseinander. Ein Diagnosefehler knüpft an die fehlerhafte Interpretation eines Befundes an. Hingegen liegt ein Befunderhebungsfehler vor, wenn der Arzt die für die Diagnoseerstellung oder für die Überprüfung, Kontrolle oder weitere Abklärung der Anfangsdiagnose erforderlichen Befunde nicht erhebt und deshalb als Ergebnis eine unrichtige Diagnose verbleibt (vgl. etwa BGH, NJW 2011, 1672). Ein Diagnosefehler wird hingegen nicht dadurch zu einem Befunderhebungsfehler, dass bei objektiv zutreffender Diagnose noch weitere Befunde zu erheben gewesen wären (vgl. nur BGH, a.a.O.).

Vorliegend hat die Beklagte eine Diagnose gestellt, indem sie die von der Klägerin geschilderten Beschwerden (schwere Kopfschmerzen) in Anknüpfung an die von ihr durchgeführten Untersuchungen als Migräneanfall eingeordnet hat. Insofern kann sich der Angriff der Klägerin nur dahin richten, dass die Deutung der erhobenen Befunde als Migräneerscheinung fehlerhaft gewesen sei. Dabei ist indes zu berücksichtigen, dass Diagnoseirrtümer, die auf die Fehlinterpretation von Befunden zurückzuführen sind, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur mit Zurückhaltung als behandlungsfehlerhaft zu werten sind (vgl. nur BGH, NJW 2003, 2827 sowie Senat in GesR 2012, 346). Eine Einstandspflicht ist daher nicht gegeben, wenn sich die fehlerhafte Diagnose als in der gegebenen Situation vertretbare Deutung der Befunde darstellt, wobei auf die Sicht des Arztes zum Zeitpunkt der Diagnosestellung abzustellen ist. Hingegen liegt ein vorwerfbarer Diagnosefehler vor, wenn Symptome oder Befunde gegeben sind, die für eine bestimmte Erkrankung kennzeichnend sind, vom Arzt aber nicht ausreichend berücksichtigt oder falsch gedeutet werden (vgl. BGH, NJW 2003, 2827).

a) Nach Maßgabe dieser Grundsätze kann nicht von einem vorwerfbaren Diagnosefehler der Beklagten ausgegangen werden. Vielmehr hat diese eine vertretbare Diagnose und hieran anknüpfend eine folgerichtige Entscheidung hinsichtlich der Behandlung und Entlassung der Klägerin unter Hinweis auf ein Wiedervorstellungserfordernis bei Nichtanschlagen der Therapie getroffen.

Der Sachverständige Prof. Dr. J. hat ausgeführt, dass ein Kopfschmerz natürlich ein Anzeichen für eine Subarachnoidalblutung sein kann. Folgerichtig hat die Beklagte eine ausführliche neurologische Untersuchung vorgenommen. Dabei ergaben sich keine pathologischen Befunde. Auch ein Meningismus konnte nicht diagnostiziert werden. Übelkeit mit Erbrechen oder Bewusstseinsstörungen waren nicht nachweisbar. Lagen insofern außer den Kopfschmerzen keine weiteren Anzeichen für eine Subarachnoidalblutung vor, ergibt sich bei fehlenden neurologischen Ausfallerscheinungen die Vertretbarkeit der Deutung der Kopfschmerzen als Migräneerscheinung durch die Beklagte aus der Reaktion auf die erfolgte Schmerzmittelgabe über einen Tropf. Der Sachverständige hat insoweit darauf verwiesen, dass es sich bei dem verabreichten Novalgin um ein peripher wirkendes Schmerzmittel handelt, das nicht auf das zentrale Nervensystem einwirkt. Erfolgt bei einem relativ schwachen Schmerzmittel eine Besserung, dann ist – so der Sachverständige – kein Anhaltspunkt für eine Subarachnoidalblutung gegeben. Insofern erachtet der Sachverständige die Deutung des Krankheitsbildes als Migräneerscheinung, die keiner stationären Behandlung bedarf, als vertretbar. Teilweise verstärkt der Sachverständige seine Einschätzung sogar, indem er die Vorgehensweise als „korrekt“ bezeichnet.

b) Das Landgericht durfte die gut nachvollziehbar und auch für den Senat voll überzeugende Begutachtung durch den Sachverständigen Prof. Dr. J. seiner Entscheidung zugrunde legen. Entgegen der Auffassung der Klägerin war die gerichtliche Auswahl des Sachverständigen nach § 404 Abs. 1 ZPO nicht zu beanstanden. Insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Vorsitzenden der 2. Zivilkammer des Landgerichts Mainz in der Verfügung vom 22. Januar 2015 Bezug. Zu Recht wird darin darauf verwiesen, dass der Sachverständige aus dem Fachgebiet zu ernennen ist, in das der Eingriff bzw. die Behandlung fällt (vgl. nur BGH, NJW 2009, 1209). Überschreitet der Behandelnde – wie vorliegend – die Grenzen seines Fachgebiets nicht, ist der Sachverständige folglich aus dem Fachgebiet zu ernennen, dem die Beklagtenseite angehört (vgl. auch OLG Hamm, AHRS 7010/359; Rensen, MDR 2012, 497, 498). Es kommt also nicht darauf an, ob vorliegend (auch) neurologische Zusammenhänge zu bewerten ist, sondern darauf, ob die Beklagte sich an den medizinischen Standard ihres Fachgebietes gehalten hat. Der an einen Allgemeinmediziner zu stellende Standard ist nicht durch die Einholung eines neurologischen Sachverständigengutachtens, sondern dasjenige eines Allgemeinmediziners zu klären. Das Landgericht hat daher zutreffend einen Sachverständigen aus diesem Fachgebiet ausgewählt. Soweit die Klägerin erstinstanzlich (auch) das Alter des Sachverständigen moniert hat, fehlt es an Anhaltspunkten, hieraus einen Ermessensfehler bei der Auswahl herzuleiten.

c) Auch das von der Klägerin vorgelegte Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Hessen (MDK) vom 21. April 2015 gibt keinen Anlass zur weiteren Sachaufklärung. Die für die Vertretbarkeit der Diagnosestellung durch die Beklagte herangezogenen medizinischen Aspekte werden durch das Gutachten nicht in Zweifel gerückt. Die Stellungnahme des MDK enthält im Ergebnis lediglich drei Ansatzpunkte, die sich auf die medizinische Beurteilung der Behandlung durch die Beklagte beziehen.

aa) Soweit der Gutachter des MDK ausführt, die Beklagte hätte weitere Aufklärungsmaßnahmen hinsichtlich der Prüfung auf einen Meningismus vornehmen müssen, vernachlässigt dies den Umstand, dass die Beklagte eine Meningismusprüfung vorgenommen hat. Zudem tragen die Ausführungen in dem Gutachten des MDK den medizinischen Wertungen des Sachverständigen Prof. Dr. J. nicht Rechnung bzw. setzen sich mit diesen nicht auseinander. Denn selbst wenn die Beklagte über ihre Prüfung auf Meningismus hinausgehende Maßnahmen zur Abklärung meningitischer Erscheinungen hätte vornehmen müssen, bliebe es aufgrund der Besonderheit des vorliegenden Sachverhalts dabei, dass hierbei nicht mit einem Befund zu rechnen gewesen wäre. Denn der Sachverständige hat klargestellt, dass selbst in der Universitätsklinik X am 18. Mai 2013 bei Diagnostizierung des tatsächlichen Krankheitsbildes weder neurologische Befunde noch Anzeichen auf eine meningitische Reizung gegeben waren. Insofern muss nach dem Sachverständigen davon ausgegangen werden, dass entsprechende Befunde auch am 9. Mai 2013 nur zu negativen Ergebnissen führen konnten. Diese Sachlage blendet der abstrakte Einwand des Gutachtens des MDK, die Meningismusprüfung sei unvollständig, aus.

bb) Der weitere Ansatz in dem Gutachten des MDK läuft darauf hinaus, dass sich aus der Schilderung der Klägerin durchaus Anhaltspunkte für eine meningitische Reizung ergeben. Diesen Gesichtspunkt stellt der Gutachter der MDK indes ausdrücklich zur Disposition, indem er zutreffend darauf hinweist, dass das Vorliegen dieser von der Klägerin behaupteten Erscheinungen letztlich im Prozess nachgewiesen werden müsse. Diesen Beweis hat die Klägerin indes – wie ausgeführt – nicht geführt.

cc) Soweit in dem Gutachten des MDK schließlich auf eine Fundstelle in dem Werk „Neurologie“ von Poeck/Hacke aus dem Jahr 2001 verwiesen wird, legt das Zitat – bei perakuten Kopfschmerzen sei an die Warnblutung vor einer Subarachnoidalblutung zu denken – in dieser Abstraktheit lediglich die Sensibilität dar, die auch der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. J. von der allgemeinärztlichen Behandlung einfordert. Denn auch der gerichtliche Sachverständige hat diesen Deutungshinweis klar angesprochen, diesen vorliegend aber aufgrund der Unergiebigkeit der neurologischen Untersuchungen und des Ansprechens auf das nicht auf das Zentralnervensystem einwirkende relativ schwache Schmerzmittel in eine vertretbare Diagnose der Beklagten aufgelöst. Insofern ergibt sich aus dem Gutachten des MDK kein medizinischer Gesichtspunkt, der Zweifel an den medizinischen Wertungen des gerichtlichen Sachverständigen hervorrufen würde.

Hinzu tritt, dass völlig im Dunkeln bleibt, ob das Gutachten des MDK, das aus einem Lehrbuch zur Neurologie zitiert, überhaupt den anzulegenden Standard eines Facharztes für Allgemeinmedizin zugrunde legt. Wie Gutachten aus anderen Rechtsgebieten, die vom Zivilrecht abweichende Kausalitäts- und Verschuldensmaßstäbe heranziehen, kann auch ein Gutachten, dessen Haftungsmaßstab unzutreffend gewählt ist, keine sachliche Entscheidungsgrundlage bilden.

d) Die Einholung eines weiteren Gutachtens nach § 412 Abs. 1 ZPO ist nicht veranlasst, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.“

B. Die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 28. September 2015 vorgebrachten Einwände rechtfertigen keine abweichende Beurteilung.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, der Beklagten sei ein Befunderhebungsfehler vorzuwerfen. Zum Beleg verweist sie auf Entscheidungen des OLG Frankfurt (Urt. v. 11. Februar 2014 – 8 U 201/11) und OLG Naumburg (NJW-RR 2002, 312). Allerdings weichen die diesen Entscheidungen zugrunde liegenden tatsächlichen Geschehensabläufe vom vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt ab. Die Behauptung der Klägerin, es sei keine Anamnese erfolgt, widerspricht der Behandlungsdokumentation auf dem Notfallschein und auch ihrem eigenen Vorbringen. Denn dem Notfallschein ist zu entnehmen, dass die Klägerin über „starke Kopfschmerzen rechtsseitig“, die in Auge und Kopf ausstrahlen, geklagt hat. Auch die Klägerin hat angeführt, sie habe stechende Kopfschmerzen, die über den üblichen Migräneschmerz hinausgingen, geschildert, was auch vom Sachverständigen berücksichtigt wurde.

Die Beklagte hat ihre Diagnose auch nicht ohne nähere Behandlung gestellt, sondern weitere Befunde erhoben. Diese Behandlungsvorgänge sind auch auf dem Notfallschein dokumentiert, wobei der Sachverständige die Dokumentation bei der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens als „sehr ausführlich“ bezeichnet hat. Die niedergelegten Untersuchungsbefunde hat der Sachverständige unter Berücksichtigung der ihm vom Landgericht in nicht zu beanstandender Weise vorgegebenen Anknüpfungstatsachen ausgewertet und ist aufgrund der Besonderheiten der von ihm auch als „atypisches Krankheitsbild“ bezeichneten Gegebenheiten zu dem Ergebnis gelangt, dass die auf der Einordnung als Migräneschmerz getroffene Entscheidung, von einer stationären Einweisung abzusehen, vertretbar war. Hierfür hat der Sachverständige insbesondere das Fehlen neurologischer Ausfallerscheinungen (keine Meningismusanzeichen) und das für eine Subarachnoidalblutung untypische Ansprechen auf eine Novalgingabe angeführt. Die Würdigung des Ergebnisses der Anhörung der Parteien sowie der Vernehmung der Zeugin B. durch das Landgericht hat die Klägerin – wie bereits im Hinweisbeschluss des Senats vom 24. August 2015 ausgeführt – mit der Berufung nicht hin reichend angegriffen, sondern lediglich pauschal durch Vorhalt eines unbegründeten eigenen Beweisergebnisses beanstandet.

Bei dieser Sachlage ist nicht von einer unmittelbar abklärungspflichtigen Verdachtsdiagnose auf unzureichender Tatsachenbasis auszugehen. Die Beklagte hat auf die angegebenen Schmerzen keine ungenügende Befunderhebung vorgenommen, sondern Untersuchungen durchgeführt, die aufgrund ihrer Ergebnisse gegen das Vorliegen einer Subarachnoidalblutung sprachen. Dies hat der Sachverständige bei der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens klar verdeutlicht. Insoweit weicht der zu entscheidende Sachverhalt signifikant von demjenigen ab, den das OLG Frankfurt in der von der Klägerin zitierten Entscheidung zu beurteilen hatte. Der Senat hält die Ausführungen des Sachverständigen für überzeugend und sieht keinen weiteren Aufklärungsbedarf. Insoweit wird auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 24. August 2015 Bezug genommen. Soweit die Klägerin anführt, der Sachverständige hätte zu einer Befunderhebung durch bildgebende Verfahren keine Aussage getroffen, missinterpretiert sie dessen Gutachten. Der Sachverständige hat seine Ausführungen klar an der Abwägung zwischen der Gebotenheit weiterer Befunderhebungen bzw. einer stationären Einweisung und einer auf der Grundlage der selbst erhobenen Befunde vertretbaren eigenen Diagnose orientiert und letztlich aufgrund der Untersuchungsergebnisse eine vertretbare Diagnoseentscheidung der Beklagten bejaht. Klar ist, dass die Frage der Erforderlichkeit einer stationären Einweisung unter dem Blickwinkel der Gebotenheit einer Kontrolle durch bildgebende Verfahren erörtert wurde, was sich auch aus den dem Sachverständigen vorgelegten und in seinem Gutachten wiedergegebenen Beweisfragen ergibt.

Insoweit bleibt es dabei, dass ein Diagnosefehler nicht dadurch zu einem Befunderhebungsfehler wird, dass bei objektiv zutreffender Diagnose noch weitere Befunde zu erheben gewesen wären (vgl. nur BGH, NJW 2011, 1672). Wenn die Klägerin nunmehr anführt, die Beklagte sei sich selbst nicht sicher gewesen, ob ein Migräneanfall oder eine schwerwiegende neurologische Erkrankung vorlag, findet dies im Ergebnis der Anhörung der Beklagten keine Grundlage und widerspricht zudem ihrem eigenen Vorbringen. Denn die Klägerin hat bereits mit der Klageschrift vorgetragen, die Beklagte habe ihr mitgeteilt, es handele sich um Migräne.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung des § 3 ZPO bestimmt.

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