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Gastrointestinale Endoskopie ohne Schmerzmittel – Schmerzensgeld

OLG Dresden – Az.: 4 U 1258/22 – Beschluss vom 26.10.2022

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.

2. Der Kläger hat Gelegenheit, innerhalb von drei Wochen Stellung zu nehmen. Er sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.

3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren soll auf 30.000,- EUR festgesetzt werden

4. Der Verhandlungstermin vom 15.11.2022 wird aufgehoben.

Zusammenfassung

Ein 19-jähriger deutscher Kläger hat seinen Prozess gegen eine Klinik verloren, in der er sich 2018 einer Magen-Darm-Untersuchung unterzogen hatte. Der junge Mann behauptete, die Klinik habe gegen eine mit seiner Mutter, die ihn begleitete, getroffene Vereinbarung verstoßen, ihn während des Eingriffs mit Schmerzmitteln zu versorgen. Außerdem beschuldigte er die Klinik, ihn unzureichend zu sedieren, den Eingriff zu spät zu beginnen und wichtige Aspekte der Untersuchung nicht zu dokumentieren, etwa den Zeitpunkt des Einführens und Herausziehens des Endoskops. Das Bezirksgericht wies die Klage mit der Begründung ab, es sei keine Vereinbarung getroffen worden und die Untersuchung sei nach medizinischen Standards durchgeführt worden. Der Kläger legte Berufung ein und argumentierte, das Gericht habe Beweismaterial ignoriert und sein subjektives Schmerzempfinden sei nicht berücksichtigt worden. Das Berufungsgericht wies diese Argumente zurück und stellte fest, dass die Beweise darauf hinwiesen, dass die Klinik Standardverfahren angewandt hatte und dass etwaige Beschwerden des Klägers eine geringfügige Verletzung darstellten, die keine Entschädigung rechtfertigte.

Gründe

I.

Gastrointestinale Endoskopie
(Symbolfoto: sfam_photo/Shutterstock.com)

Der am …2004 geborene Kläger nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner wegen einer am 12.6.2018 vorgenommenen Ösophago-Gastro-Duodenoskopie (ÖGD) in Kombination mit einer Koloskopie auf Schmerzensgeld in Höhe von 30.000,- € mit der Behauptung in Anspruch, eine vereinbarte Schmerzmittelgabe während der Untersuchungen sei absprachewidrig unterblieben, die vorgenommene Sedierung zu spät begonnen und überdies unzureichend geführt worden. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Weder sei eine Vereinbarung über eine Vollnarkose und Schmerzmittelgabe zwischen der Mutter des damals noch minderjährigen Klägers und den Beklagten getroffen worden noch sei die Sedierung fehlerhaft gewesen. Nach der Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen Prof. S… sei vielmehr davon auszugehen, dass dem medizinischen Standard durch die in den Behandlungsunterlagen vermerkte Gabe von Midazolam genügt worden sei und der Kläger während der Untersuchung nicht an erheblichen Schmerzen gelitten habe. Auch die Aufklärung über die Risiken und die Vorgehensweise bei der Untersuchung sei „in üblicher Weise“ erfolgt.

Mit der Berufung behauptet der Kläger, mit seiner Mutter sei am 11.6.2018 „klar vereinbart“ worden, dass eine Schmerzmittelgabe in jedem Fall erfolgen solle, damit er keine Schmerzen erleide; den insoweit auch in den Aufklärungsbögen klar dokumentierten Patientenwillen habe das Landgericht verkannt. Entgegen der Annahme des Landgerichts habe die Beweisaufnahme auch nicht ergeben, dass die vorgenommene Sedierung ausreichend gewesen sei. Es stehe vielmehr fest, dass die Behandlung am 12.6.2018 bereits um 10:37 Uhr begonnen, die erste Midazolam-Gabe jedoch um 10:52 Uhr erfolgt sei, so dass schon deshalb keine ausreichende Sedierung erreicht worden sei. Unter eklatanter Missachtung der Beweisregeln habe das Landgericht überdies angenommen, dass zunächst die ÖGD erfolgt sei; tatsächlich sei nach den Erinnerungen des Klägers aber mit der Koloskopie begonnen worden, womit sich das Landgericht aber nicht auseinandergesetzt habe. Ferner sei der genaue Zeitpunkt der Einführung des Endoskops und die Rückzugszeit entgegen der Leitlinie „Qualitätsanforderungen in der gastrointestinalen Endoskopie“ nicht dokumentiert, was auch der Sachverständige verkannt habe; hierzu hätte das Landgericht ein gastroenterologisches Ergänzungsgutachten einholen müssen. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sei schließlich unberücksichtigt geblieben, dass der Kläger durch den Eindruck, seine Schmerzäußerung werde ihm nicht geglaubt, zusätzlich belastet sei und nunmehr vor bevorstehenden endoskopischen Untersuchungen Angst habe.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.

Das Landgericht hat die Klage mit zutreffenden Erwägungen, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, abgewiesen. Die hiergegen mit der Berufungsbegründung erhobenen Einwendungen greifen nicht durch.

1. Entgegen der dort vertretenen Auffassung kann ein Behandlungsfehlervorwurf nicht darauf gestützt werden, die streitgegenständliche Ösophago-Gastro-Duodenoskopie/Koloskopie sei entgegen dem ausdrücklichen Wunsch der Mutter des seinerzeit noch minderjährigen Klägers ohne die Gabe von Schmerzmitteln durchgeführt worden. Der vom Landgericht beauftragte Sachverständige Prof. S… hat vielmehr unter Bezug auf die maßgebliche S3-Leitlinie „Sedierung in der gastrointestinalen Endoskopie“ und die ergänzenden Empfehlungen für Kinder und Jugendliche ausgeführt, die Durchführung dieser Untersuchungen ohne Schmerzmittelgabe entspreche dem allseits vertretenen medizinischen Standard. Eine zusätzlich zur tiefen Sedierung verabreichte Schmerzmittelgabe werde allenfalls bedarfsadaptiert und bei Patienten mit Risikofaktoren wie Analfissuren oder vorausgegangenen Enddarmoperationen empfohlen, zu denen der Kläger nicht gezählt habe. Hierbei sei auch zu berücksichtigten, dass bereits die Sedierung für sich genommen „potentiell lebensbedrohlich“ sei, weshalb Schmerzmittel nur zurückhaltend mit einer Sedierung kombiniert werden sollten. Dass diese Einschätzung in medizinischer Sicht unzutreffend ist, behauptet auch die Berufung nicht, ein Privatgutachten, das dem entgegenträte, legt sie nicht vor. Allein aus dem behaupteten Wunsch der Mutter nach dem Einsatz von Schmerzmitteln kann ein Behandlungsfehler indes nicht hergeleitet werden. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob dieser Wunsch gegenüber dem Beklagten zu 2) oder den übrigen Ärzten der Beklagten zu 1) überhaupt deutlich zum Ausdruck gebracht wurde, was die Berufung aus dem handschriftlichen Eintrag „Analgosedierung“ herleiten will, der sich allerdings nicht auf dem Einwilligungsbogen „Sedierung/Analgosedierung bei Erwachsenen/Jugendlichen“, sondern auf dem Bogen „Koloskopie“ befindet und daher bei verständiger Würdigung eher für einen lediglich bedarfsbezogenen Einsatz spricht. Ein unbedingter Wunsch des Patienten nach einer Analgosedierung, der – wie der Sachverständige in der mündlichen Anhörung vor dem Landgericht angegeben hat – die „Kernkompetenz des Anästhesisten“ berührt und ihn daher im Zweifelsfall dazu verpflichten würde, dem Patienten auch dann Schmerzmittel zu verabreichen, wenn dies in der konkreten Situation in medizinischer Sicht nicht geboten oder sogar kontraindiziert wäre, kann einen Behandlungsfehler nicht begründen. Eine medizinisch fehlerhafte Therapie darf der Arzt nämlich auch dann nicht verabreichen, wenn der Patient diese ausdrücklich wünscht (Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 8. Aufl. B Rn 34 m.w.N.). Ausgangspunkt für die Feststellung eines Behandlungsfehlers kann daher nicht die Vereinbarung mit dem Patienten, sondern allein die Einhaltung des medizinischen Standards sein. Dieser ist hier – wie ausgeführt – gewahrt.

2. Der weitere Vorwurf, die Sedierung des Klägers sei nicht ausreichend gewesen, weil sich aus den Behandlungsunterlagen ergebe, dass die Untersuchung bereits um 10:37 Uhr begonnen habe, die Sedierung jedoch erstmals um 10:52 Uhr vorgenommen worden sei, ist durch die vom Landgericht durchgeführte Beweisaufnahme, insbesondere die Aussage der Zeugin Rönsch, die sich glaubhaft daran erinnern konnte, dass wie auf den von der Beklagten als Anlage B3 zu den Akten gereichten Bildern um 10:52 Uhr mit der Gabe von 2 x 2,5mg Midazolam begonnen wurde, die eigentliche Untersuchung aber regelmäßig erst begonnen werde, wenn die Sedierung wirke, widerlegt. Letzteres hat auch die Zeugin Neumann bestätigt. Auch die Anlage B3 spricht letztlich gegen einen Beginn der Untersuchung um 10:37 Uhr, weil die dort auf der linken Bildseite aufgebrachten Zeitangaben zum Teil offensichtlich nicht mit den Untersuchungszeiten in Übereinstimmung stehen, während der Zeitstempel im Feld „Bildeigenschaften“ einen Untersuchungsbeginn erst ab 10:53 Uhr belegt. In Verbindung mit den Eintragungen in der Dokumentation wonach der Kläger „tief und fest“ geschlafen habe und den vom Sachverständigen ausgewerteten Vitalwerten, die jedenfalls nicht für eine schmerzinduzierte Stressreaktion des Klägers sprechen, hat das Landgericht sich die Überzeugung verschafft, dass vorliegend eine ausreichende Sedierungstiefe vorlag. An diese Beweisaufnahme, die keine Fehler in der Beweiswürdigung erkennen lässt, ist der Senat gem. § 529 ZPO gebunden. Auch wenn der Kläger ex post ausweislich des Entlassungsbriefs vom 30.7.2018 die Untersuchung subjektiv als „extrem unangenehm“ empfunden haben mag, ändert sich hieran nichts. Auch der Kläger selbst hat bei seiner Einvernahme vor dem Landgericht im Übrigen keine Schmerzen während der ÖGD, sondern lediglich ein „Brennen und Würgen“ empfunden; auch nach dem Aufwachen habe er keine Schmerzen, sondern lediglich ein „Kratzen im Hals“ gehabt.

Dass er daneben behauptet hat, während der Darmspiegelung „stechende Schmerzen im Bauchbereich“ erlitten zu haben, kann zu seinen Gunsten unterstellt werden. Da die Sedierung mit Midazolam unstreitig um 10:52 Uhr begonnen worden war, die Koloskopie ausweislich der Behandlungsunterlagen jedoch erst um 11:03 Uhr begonnen hat, lag bei einer Einwirkzeit von 1-3 Minuten auch unabhängig von der Aussage der Zeuginnen, wonach jedenfalls mit dem Beginn der Untersuchung gewartet werde, bis die Wirkung der Sedierung einsetze, jedenfalls eine ausreichende Sedierung vor, die durch die erneute Gabe von 2mg Midazolam um 11:14 Uhr noch unterstützt wurde. Die Behauptung des Klägers, die Koloskopie sei vor der ÖGD begonnen worden, mit der er eine fehlende oder unzureichende Sedierung bei deren Beginn belegen will, steht im Widerspruch zu den Behandlungsunterlagen, für deren Verfälschung nichts ersichtlich ist und zu den auch insoweit glaubhaften Angaben der Zeuginnen vor dem Landgericht. Zweifel, die eine Wiederholung der Beweisaufnahme geböten, vermag der Senat auch insofern nicht zu erkennen. Derartige Zweifel sind auch nicht mit Blick auf die vom Kläger angeführte Leitlinie „Qualitätsanforderungen in der gastrointestinalen Endoskopie“ gerechtfertigt. Selbst wenn diese Leitlinie weitergehende Anforderungen an die Dokumentation des Behandlungsbeginns aufstellen sollte und selbst wenn – was der Sachverständige Prof. S… in der mündlichen Anhörung in Abrede gestellt hat – eine solche Dokumentation medizinisch geboten gewesen wäre, könnte hieraus nach § 630h Abs. 3 BGB allein gefolgert werden, dass die Endoskopie nicht stattgefunden hat, was jedoch zwischen den Parteien unstreitig ist. Ein Schluss auf einen Behandlungsfehler könnte aus einem solchen Dokumentationsversäumnis hingegen nicht gezogen werden.

3. Letztlich kann dies aber auch dahinstehen. Die vom Kläger geschilderten „stechenden und drückenden Schmerzen im Bauchbereich“ während der lediglich höchstens zwanzig Minuten andauernden Koloskopie rechtfertigen ein Schmerzensgeld selbst dann nicht, wenn man entgegen den zutreffenden Annahmen des Landgerichts einen Behandlungsfehler unterstellen würde. Sie stellen sich vielmehr als Bagatellverletzungen dar, die nach dem die Vorschrift des § 253 Abs. 2 BGB bestimmenden Billigkeitsgrundsatz keinen ein Schmerzensgeld rechtfertigenden Schaden darstellen. Zwar kann grundsätzlich bei jeder Verletzung des Körpers oder der Gesundheit eine billige Entschädigung in Geld für den erlittenen immateriellen Schaden verlangt werden. Dabei ist jedoch stets der in § 253 Abs. 2 BGB enthaltene Billigkeitsgrundsatz zu berücksichtigen, der dem Umstand Rechnung trägt, dass für die Bemessung des Schmerzensgeldes auch dort, wo seine Ausgleichsfunktion gegenüber einer Genugtuung ganz im Vordergrund steht, ein Maßstab zur Bewertung des Ausgleichsbedürfnisses in Geld fehlt. Der Richter hat sich deshalb in erster Linie an der Bedeutung der konkreten Gesundheitsverletzung für die Lebensführung des Verletzten auszurichten. Danach kann es im Einzelfall gerechtfertigt sein, ein Schmerzensgeld zu versagen, wenn die erlittene Beeinträchtigung derart geringfügig ist, dass ein Ausgleich des sich aus ihr ergebenden immateriellen Schadens in Geld nicht mehr billig erscheint. Deshalb ist es nach § 287 ZPO geboten, bei geringfügigen Verletzungen ohne wesentliche Beeinträchtigung der Lebensführung und ohne Dauerfolgen zu prüfen, ob es sich nur um vorübergehende, im Alltagsleben typische und häufig auch aus anderen Gründen als einem besonderen Schadensfall entstehende Beeinträchtigungen des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens handelt, die im Einzelfall weder unter dem Blickpunkt der Ausgleichs- noch der Genugtuungsfunktion ein Schmerzensgeld als billig erscheinen lassen (BGH, Urteil vom 14. Januar 1992, VI ZR 120/91 – juris; Senat, Beschluss vom 5. Januar 2017 – 4 U 1385/16 -, Rn. 4, juris). Davon ist auch im vorliegenden Fall auszugehen, auch wenn man die infolge der Untersuchung behaupteten Ängste vor zukünftigen endoskopischen Untersuchungen miteinbezieht. Dass diese Ängste Krankheitswert aufweisen und deshalb eine psychologische Behandlung begonnen wurde, behauptet auch der Kläger nicht. In dem geschilderten Ausmaß sind Unwohlsein und Ängste vor anstehenden ärztlichen Untersuchungen indes alltagstypische Erscheinungen, die in der Gesamtbevölkerung weit verbreitet sind (vgl. etwa https://www.aerzteblatt.de/archiv/78353/Angst-im-Krankenhaus-Das-unliebsame-Gefuehl).

Der Senat rät nach alledem zu einer Rücknahme der Berufung, die zwei Gerichtsgebühren spart.

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