LG Koblenz – Az.: 1 O 359/16 – Urteil vom 25.01.2018
1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 07.01.2017 zu zahlen.
2. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 492,54 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 07.01.2017 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 76 % und der Beklagte zu 24 %. Die Kosten der Nebenintervention tragen der Kläger zu 76 % und die Streithelferin zu 24 %.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger zog sich im September 2014 einen Oberschenkelhalsbruch links zu. Die Fraktur wurde am 29.09.2014 im D. Krankenhaus in N., dessen Trägerin die Streithelferin ist, mittels einer Schraubenosteosynthese versorgt. Der Entlassungsbericht der Streithelferin vom 07.10.2014 sieht die Fortsetzung der Mobilisation mit 20 kg Teilbelastung für 6-8 Wochen vor. Am 12.01.2015 wurden die drei am 29.09.2014 eingebrachten Schrauben wieder entfernt. Im betreffenden Operationsbericht heißt es unter „OP-Indikation“ auszugsweise:
„(…) Der Patient gibt Schmerzen durch die Schraubenköpfe an.“
Nach erfolgter Metallentfernung wurde der Kläger beim Beklagten am 06.02.2015 vorstellig, welcher noch am selben Tag Röntgenaufnahmen veranlasste. Nach Befundung dieser Aufnahmen empfahl der Beklagte die stufenweise Wiedereingliederung des Beklagten in dessen Tätigkeit als Lagerist. Der hierfür vom Beklagten erstellte Wiedereingliederungsplan hat auszugsweise folgenden Inhalt:
„02.03.15 bis 15.03.15, 4 Stunden täglich, keine Lasten über 40 kg,
16.03.15 bis 22.03.15, 4 Stunden täglich,
23.03.15 bis 05.04.15, 6 Stunden täglich“
Die Wiedereingliederungsmaßnahmen brach der Kläger nach kurzer Zeit aufgrund erheblicher Schmerzen in der Frakturregion ab. Während eines stationären Klinikaufenthalts im B. Krankenhaus vom 14.04.2015 bis 25.04.2015 wurde die Diagnose „Coxarthrose links bei posttraumatischer Hüftkopfnekrose links bei Zustand nach Schenkelhalsfraktur“ gestellt. Dem Kläger wurde am 15.04.2015 eine Hüftendoprothese implantiert.
Der Kläger behauptet, die Verschiebung der Bruchfragmente sowie die eingetretene Nekrose seien darauf zurückzuführen, dass er aufgrund des vom Beklagten erstellten Wiedereingliederungsplanes zu früh eine zu hohe Belastung der Hüfte vorgenommen habe. Der Wiedereingliederungsplan sei daher fehlerhaft gewesen. Infolge der fehlerhaften Behandlung durch den Beklagten habe bei ihm eine Hüftprothese implantiert werden müssen.
Der Kläger beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, dessen Höhe einen Betrag von 16.000 € zzgl. 5 Prozentpunkte Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit 18.03.2015 nicht unterschreiten sollte, zu zahlen,
2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, welche aus dem Wiedereingliederungsplan vom 18.03.2015 resultieren, soweit Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind und
3. den Beklagten zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 514,68 € zzgl. 5 Prozentpunkte Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 07.01.2017 zu zahlen.
Der Beklagte und die Streithelferin beantragen, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte behauptet, die durch ihn vorgenommene Behandlung des Klägers sei in jeder Phase und Hinsicht lege artis erfolgt. Er habe nach der Metallentfernung die therapeutischen Empfehlungen des D. Krankenhauses in N. beachtet. Auch der Wiedereingliederungsplan sei nicht zu beanstanden. Auf Basis der vollständigen röntgenologischen Diagnostik und der zuvor komplikationslosen Teilbelastung sei es behandlungsfehlerfrei gewesen, die Belastung ab dem 02.03.2015 für einen Zeitraum von zwei Wochen auf maximal 40 kg anzuheben. Eine stärkere Belastung sei auch angesichts der etwa fünf Monate zurückliegenden Fraktur erlaubt gewesen. Binnen eines solchen Zeitraums sei eine solche Fraktur in der Regel verheilt. Im Übrigen sei die Verschiebung des Bruchs nicht auf die Belastung, sondern vielmehr auf die nicht eingetretene Frakturkonsolidierung und die entstandene Pseudarthrose zurückzuführen. Als Ursache für die im März 2015 entstanden Beschwerden des Klägers sei die im Januar 2015 nicht indizierte Metallentfernung durch die Streithelferin anzusehen.
Die Streithelferin behauptet, auch wenn die Entfernung des Osteosynthesematerials sehr früh erfolgt sei, so seien ihre Ärzte dennoch von einem ausreichenden Durchbauungsgrad ausgegangen. Die Entscheidung zur Metallentfernung sei anhand der bildgebenden Diagnostik und der Klinik fachmedizinisch als vertretbar anzusehen. Die Pseudarthrose sowie die Hüftnekrose gehörten zu den typischen Komplikationen und seien dem Kläger im Vorfeld mitgeteilt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Verhandlungsprotokoll Bezug genommen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Professor Dr. Dr. J. vom 11.05.2017 sowie wegen dessen Anhörung auf das Verhandlungsprotokoll vom 16.11.2017 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
Dem Kläger steht gegen den Beklagten ein vertraglicher Anspruch aus §§ 280, 611, 630 b, 249, 253 BGB auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 5.000,00 € sowie Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 492,54 € zu.
1.
Der Kläger hat den ihm obliegenden Beweis erbracht, dass die bei ihm durchgeführte ärztliche Behandlung fehlerhaft erfolgt ist. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist dem Beklagten ein vermeidbarer Diagnoseirrtum vorzuwerfen. Soweit ein Diagnoseirrtum lediglich auf eine Fehlinterpretation der Befunde zurückzuführen ist, ist eine Einstandspflicht nur dann gegeben, wenn sich die Fehldiagnose in der gegebenen Situation als unvertretbare Deutung der Befunde darstellt (vgl. Frahm/Nixdorf/Walter, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. 2013, Rn 111). Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
Der Sachverständige Prof. Dr. Dr. J. hat in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt, dass auf den vom Beklagten am 06.02.2015 gefertigten Röntgenbildern eine fehlende Knochenbruchheilung zu erkennen gewesen sei. Auf der Basis eines solchen Befundes sei die Erstellung eines Wiedereingliederungsplans nicht indiziert und die Empfehlung, Lasten bis zu 40 kg zu heben, behandlungsfehlerhaft gewesen. Zwar gebe es Fälle, bei denen eine vergleichbare Fraktur schon nach fünf Monaten durchbaut sei. Im konkret vorliegenden Fall habe es jedoch deutliche radiologische Hinweise gegeben, dass keine Durchbauung stattgefunden habe. In Anbetracht der Röntgendiagnostik sei es daher indiziert gewesen, den Kläger wieder an die behandelnden Krankenhausärzte der Streithelferin zurückzuverweisen. Die dortigen Operateure hätten dann anhand von weitergehenden Untersuchungen (z. B. CT oder Kernspintomographie) die Pseudarthrose erkannt und es wären weitere operative Schritte indiziert gewesen.
An seiner Einschätzung, dass die postoperative Versorgung des Klägers durch den Beklagten nach der Metallentfernung am 12.01.2015 fehlerhaft erfolgt ist, hat der Sachverständige auch im Rahmen seiner Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung festgehalten. Hier hat er ausgeführt, die seitens des Beklagten am 06.02.2015 durchgeführte Röntgenkontrolle habe dem Zweck gedient, festzustellen, ob eine Frakturheilung eingetreten sei und ob mit einer Wiedereingliederungsmaßnahme habe begonnen werden dürfen. Da auf dem gefertigten Röntgenbild die Frakturlinie zu erkennen gewesen sei, habe eine Wiedereingliederung mangels knöcherner Durchbauung nicht erfolgen dürfen. Bei einem derartigen Röntgenbefund müsse der Patient sofort zurück zum Krankenhaus geschickt werden. Eine andere Bewertung dieser Behandlungssituation sei nicht vertretbar. Wenn der Kläger mit einem solchen Röntgenbefund zurück zum Operateur geschickt worden wäre, hätte dieser eine CT-Untersuchung durchführen müssen. Eine unterlassene Reaktion auf das Ergebnis der CT-Untersuchung und des Röntgenbildes vom 06.02.2015 wäre aus Sachverständigensicht schlechterdings nicht vertretbar gewesen. In diesem Fall hätte mit dem Kläger über den erneuten Versuch einer Osteosynthese oder über eine sofortige Implantation einer Prothese gesprochen werden müssen. Ein weiteres Zuwarten die Knochendurchbauung betreffend wäre nicht nachvollziehbar gewesen.
Die Kammer folgt den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen und hat keine Bedenken sie ihrer Entscheidung zugrunde zu legen. Der Sachverständige hat in einer auch für einen medizinischen Laien verständlichen Weise erklärt, dass der Beklagte die von ihm erhobenen Befunde in Form der am 06.02.2015 gefertigten Röntgenaufnahmen dahingehend falsch interpretiert hat, als er von einer für die Wiedereingliederung ausreichenden Knochendurchbauung ausgegangen ist. Dass die Frakturlinie auf den vom Beklagten am 06.02.2015 gefertigten Röntgenbildern für einen Chirurgen und Unfallorthopäden eindeutig zu erkennen gewesen ist, hat der Sachverständige im Termin zur mündlichen Verhandlung für die Kammer in nachvollziehbarer Weise erläutert, indem er auf den betreffenden Röntgenaufnahmen die besagte Frakturlinie gezeigt und eingezeichnet hat. Dabei hat der Sachverständige der Kammer deutlich gemacht, dass eine andere Diagnose unter Zugrundelegung der vorliegenden Röntgenbilder zum Zeitpunkt der Diagnosestellung nicht vertretbar gewesen und nicht die Wiedereingliederung, sondern allein die sofortige Wiedervorstellung bei der Streithelferin indiziert gewesen ist. Vor diesem Hintergrund steht für die Kammer zweifelsfrei fest, dass trotz der bei Diagnosefehlern stets gebotenen Zurückhaltung bei der Annahme eines Behandlungsfehlers ein vorwerfbarer Diagnoseirrtum im konkret vorliegenden Fall gegeben ist.
Ein über den Diagnosefehler hinausgehender Befunderhebungsfehler ist indes nicht anzunehmen. Zwar hat der Sachverständige erläutert, dass sich im Falle einer Zurückverweisung des Klägers weitere Behandlungsmaßnahmen in Form einer CT-Untersuchung etc. angeschlossen hätten, mit denen die fehlende Knochendurchbauung nochmals hätte überprüft und erkannt werden können. Führt aber eine falsche Diagnose dazu, dass weitere erforderliche Befunde nicht erhoben werden, so wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung dennoch überwiegend von einem bloßen Diagnosefehler ausgegangen (Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts 4. Aufl. 2010, § 110, Rn 17; OLG Köln NJW 2006, 69 (70); OLG München, Urt. v. 12.04.2007 ‒ 1 U 2267/04). Hiervon im konkret vorliegenden Fall abzuweichen, sieht die Kammer keine Veranlassung.
2.
Der dem Beklagten vorwerfbare Diagnoseirrtum hat beim Kläger auch zu einem Schaden geführt. Der Sachverständige hat in seinem schriftlichen Gutachten zur Frage der Kausalität des Behandlungsfehlers ausgeführt, dass aus dem Krankheitsverlauf des Klägers geschlossen werden könne, dass bereits zum Zeitpunkt der Materialentfernung am 12.01.2015 eine fehlende Knochenbruchheilung vorhanden gewesen sei. Soweit am 12.01.2015 von den behandelnden Ärzten der Streithelferin der Hinweis erfolgt sei, dass eine nicht ganz vollständige Durchbauung im Röntgenbild zu erkennen sei, habe Veranlassung für die Streithelferin bestanden, eine weitere Abklärung mittels Computertomografie herbeizuführen. Dabei hätte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bereits zu diesem Zeitpunkt die nicht verheilte Fraktur erkannt werden können. Die verfrühte Materialentfernung durch die Streithelferin ohne weitere Abklärung oder Stabilisation der Fraktur mittels erneuter Osteosynthese sei aus Sachverständigensicht nicht zu erklären. Eine Materialentfernung nach so kurzer Zeit sei extrem ungewöhnlich, da das eingebrachte Material üblicherweise erst nach über einem Jahr oder gar nicht mehr entfernt werde. Vor diesem Hintergrund wäre es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch unabhängig von der Art der Wiedereingliederung zu einer Verschiebung und zu einem Abrutschen der Fraktur gekommen. Kausal für die Verschiebung der Bruchfragmente sowie für die Entstehung der Nekrose sei daher nicht die seitens des Beklagten veranlasste Wiedereingliederung, sondern die bei fehlender Knochenbruchheilung vorzeitig erfolgte Metallentfernung durch die Streithelferin gewesen.
Von seiner Einschätzung, dass der Diagnoseirrtum des Beklagten und in seiner Folge die Wiedereingliederung weder für die Frakturverschiebung noch für die Hüftkopfnekrose ursächlich geworden ist, ist der Sachverständige auch im Rahmen seiner Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht abgerückt. Hier hat er bestätigt, dass die Frakturverschiebung und die Hüftkopfnekrose auf die fehlende Frakturdurchbauung und die zu frühe Metallentfernung zurückzuführen seien. Es habe beim Kläger eine biologisch ungünstige Fraktur vorgelegen, da die Frakturebenen sehr schräg zueinander angeordnet seien. Aus diesem Befund folge, dass es ohne jegliche Fixierung zu einem unvermeidbaren Abrutschen der Fraktur kommen werde. Darüber hinaus hat der Sachverständige ausgeführt, dass für den Fall, dass der Kläger vom Beklagten am 06.02.2015 zum Operateur zurückgeschickt worden wäre und dass dort eine erneute Verschraubung vorgenommen worden wäre, die Wahrscheinlichkeit, dass das Implantat hätte vermieden werden können, bei 20 bis 30 % gelegen hätte. Jedenfalls wäre der Zeitraum bis zur Durchführung der Revisionsoperation im Falle einer unmittelbaren Zurückverweisung des Klägers am 06.02.2015 wesentlich kürzer gewesen. Dabei könne davon ausgegangen werden, dass die Operation spätestens am Folgetag durchgeführt worden wäre. Mangels sofortiger Zurückverweisung durch den Beklagten habe der Kläger daher in der Zeit vom 06.02.2015 bis zur Revisionsoperation am 14.04.2015 unter zunehmenden Schmerzen gelitten.
Die Kammer folgt, auch was die Frage der Kausalität betrifft, den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen und hat auch in diesem Punkt keine Bedenken, sie ihrer Entscheidung zugrunde zu legen. Demnach steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass lediglich die infolge der verspäteten Zurückverweisung des Klägers an die Operateure aufgetretenen Schmerzen in der Zeit vom 06.02.2015 bis zum 14.04.2015 auf den Diagnoseirrtum des Beklagten zurückgeführt werden können. Der Sachverständige hat in verständlicher Weise erläutert, dass weder die Frakturverschiebung, noch die Hüftkopfnekrose auf den Diagnosefehler und die Wiedereingliederung, sondern vielmehr auf die verfrühte Schraubenentfernung durch die Streithelferin zurückzuführen sind. Für die Kammer ist es in Anbetracht der Tatsache, dass eingebrachte Schrauben in der Regel mindestens ein Jahr in der Hüfte des Patienten verbleiben und dass es sich vorliegend um eine biologisch ungünstige Fraktur gehandelt hat, unter lebensnaher Betrachtung gut nachvollziehbar, dass die Schraubenentfernung nach nur rund dreieinhalb Monaten und ohne jegliche Implementierung einer weiteren Fixation zu einer erheblichen Instabilität und zu den vorgenannten Folgen geführt hat. Was die Vermeidbarkeit des Implantats angeht, so ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und nach den Grundsätzen des § 286 ZPO, wonach der Verletzungserfolg mit einem so hohen Grad an Wahrscheinlichkeit festzustellen ist, dass vernünftige Zweifel nicht aufrechterhalten werden können, nicht davon auszugehen, dass eine richtige Diagnose die Implantation hätte verhindern können. Der Sachverständige hat im Ergebnis eindeutig die Vermeidbarkeit des Implantats im Falle der Zurückverweisung des Klägers am 06.02.2015 für überwiegend unwahrscheinlich bewertet und ist dabei von einer Wahrscheinlichkeit von lediglich 20 bis 30 % ausgegangen. Dies ist als für das praktische Leben zu fordernde Sicherheit im Sinne von § 286 ZPO nicht ausreichend.
Auch gibt es vorstehend keinen Anlass für Beweiserleichterungen. Da Diagnosen oft mit Unsicherheiten belastet sind, muss die Schwelle, von der ab ein Diagnoseirrtum als schwerer Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst zu beurteilen ist, der dann zu einer Belastung mit dem Risiko der Unaufklärbarkeit des weiteren Ursachenverlaufs führen kann, hoch angesetzt werden (BGH, Urt. v. 19.07.1981 ‒ VI ZR 35/79; Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts 4. Aufl. 2010, § 110, Rn 14). Ein Diagnoseirrtum im Sinne einer Fehlinterpretation erhobener Befunde gilt nur dann als grober Behandlungsfehler, wenn es sich um ein fundamentales Missverständnis handelt (Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts 4. Aufl. 2010, § 110, Rn 14). Zwar hat der Sachverständige ausgeführt, dass die Frakturlinie auf den Röntgenaufnahmen vom 06.02.2015 eindeutig erkennbar war, sodass die vom Beklagten vorgenommene Interpretation der Röntgenbilder hinsichtlich der Durchbauung des Knochens als unvertretbar anzusehen ist. Dies führt aber unter Beachtung der in der Rechtsprechung herrschenden Zurückhaltung Diagnosefehler betreffend lediglich zur Überwindung der Hürde zur Annahme eines Behandlungsfehlers. Dass die weitaus höhere Schwelle eines groben Diagnoseirrtums im vorliegenden Fall überwunden worden ist, so dass das Verhalten des Beklagten als fundamentales Missverständnis zu bewerten wäre, ist für die Kammer mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht ersichtlich. So hat der Sachverständige lediglich eine unterlassene Reaktion auf die zutreffende Interpretation des Röntgenbildes für schlechterdings unvertretbar gehalten. Dass die Interpretation der Röntgenaufnahme durch den Beklagten für sich betrachtet im Sinne eines groben Diagnosefehlers schlechterdings nicht vertretbar gewesen ist, hat er hingegen gerade nicht festgestellt. Weiterhin hat die Kammer bei der Gewichtung des dem Beklagten vorzuwerfenden Diagnosefehlers berücksichtigt, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen aus ärztlicher Sicht zwar eindeutige Frakturhinweise vorhanden sind, diese für die Kammer selbst aber erst erkennbar wurden, nachdem der Sachverständige sie in dem vorgelegten Röntgenbild eingezeichnet hatte. Auch dieser Umstand spricht gegen die Annahme eines groben Diagnosefehlers.
3.
Der Beklagte ist dem Kläger daher zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 5.000,00 € für die vom Kläger in der Zeit vom 06.02.2015 bis zur Revisionsoperation am 14.04.2015 aufgetretenen Schmerzen und Beeinträchtigungen verpflichtet.
Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist von seiner Doppelfunktion auszugehen (vgl. BGHZ 18, 149; KG, VRS 72, 331, 333). Es soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für diejenigen Schäden bieten, die nicht vermögensrechtlicher Art sind und zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung dafür schuldet, was er ihm angetan hat. Der Entschädigungs- und Ausgleichsgedanke steht dabei im Vordergrund. Die wesentliche Grundlage für die Höhe der Bemessung des Schmerzensgeldes bilden das Maß und die Dauer der Lebensbeeinträchtigung, die Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen und Leiden sowie die Dauer der Behandlung und der Arbeitsunfähigkeit, die Übersehbarkeit des weiteren Krankheitsverlaufs, die Fraglichkeit der endgültigen Heilung sowie ferner der Grad des Verschuldens und die Gesamtumstände des Falls.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hält die Kammer ein Schmerzensgeld von 5.000,00 € für angemessen. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist die Feststellung des Sachverständigen berücksichtigt worden, wonach das Schmerzlevel des Klägers im betreffenden Zeitraum vom 06.02.2015 bis zum 14.04.2015 auf einer von 0 bis 10 reichenden Skala auf 7 bis 8 zu schätzen ist. Er hat damit deutlich gemacht, dass der Kläger etwa zwei Monate lang unter ganz erheblichen Schmerzen zu leiden hatte. Weiterhin hat der Sachverständige die Ausführungen des Klägers, wonach die von ihm auszuhaltenden Schmerzen schlimmer und die entsprechende Schmerzmitteldosierung höher als vor Beginn der Wiedereingliederungsmaßnahmen gewesen seien, bestätigt. Dies gilt auch für die Schilderung des Klägers, er habe sich nach Beginn der Wiedereingliederungsmaßnahmen bis zur Revisionsoperation am 14.04.2015 mangels Belastbarkeit des Beines nur an Gehhilfen fortbewegen können. Dabei war allerdings zu bedenken, dass der Kläger auch vor der Wiedereingliederung bereits Schmerzen im Frakturbereich beklagt hat und auf entsprechende Schmerzmittel, wenn auch in geringerer Dosierung, und jedenfalls zeitweise auf die Verwendung von Gehhilfen angewiesen war. Demgegenüber konnte ‒ wie dargelegt ‒ bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nicht berücksichtigt werden, dass die Streithelferin die Metallentfernung zu früh durchgeführt hat. Da die Hüftkopfnekrose und die Notwendigkeit der Implantation der Hüftprothese ebenfalls nicht auf den Diagnosefehler des Beklagten rückführbar sind, konnten diese Umstände ebenso wenig wie die Möglichkeit, dass die Prothese evtl. in 10 bis 15 Jahre operativ erneuert werden muss, bei der Bemessung des Schmerzensgeldes einbezogen werden. Nach alledem war ein Schmerzensgeld in vorstehender Höhe gerechtfertigt, aber auch ausreichend.
4.
Der Beklagte hat die dem Kläger im Rahmen seiner Rechtsverfolgung entstandenen erforderlichen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 492,54 € (1,3-fache Gebühr aus 5.000,00 € Auslagenpauschale von 20,00 € und 19 % Mehrwertsteuer hieraus) zu erstatten.
5.
Die Feststellungsklage ist unbegründet. Unter Zugrundelegung der Ausführungen des Sachverständigen sind nach Auffassung der Kammer keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass dem Kläger aufgrund der durchgeführten Wiedereingliederungsmaßnahmen als Folge des Diagnoseirrtums zukünftig weitere Schäden drohen. Insbesondere die Frakturverschiebung, die eingetretene Hüftnekrose sowie die Implantation der Hüftprothese waren nicht auf den Diagnosefehler und die fehlerhaft erfolgte Wiedereingliederung zurückzuführen.
6.
Der Zinsanspruch ergibt sich sowohl im Hinblick auf die Hauptforderung, als auch im Hinblick auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus §§ 291, 288 BGB. In Bezug auf die Hauptforderung hat der Kläger weder vorgetragen, noch ist sonst ersichtlich, weshalb Zinsen ab dem 18.03.2015 geschuldet sind. Es waren daher lediglich Prozesszinsen zuzusprechen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 101 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.
Der Streitwert wird auf 21.000,00 € festgesetzt (Antrag zu 1: 16.000,00 €; Antrag zu 2: 5.000,00 €).