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Fehler während Geburtsvorgang – Schadenersatz- und Schmerzensgeldanspruch

LG Bochum – Az.: 6 O 336/17 – Urteil vom 12.02.2020

1. Die Beklagten zu 1) und 2) werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin 400.480,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.02.2018 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin alle weiteren materiellen und alle weiteren, jedoch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung noch nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihr aus Anlass der fehlerhaft durchgeführten Geburt vom 03.06.2014 entstanden sind oder zukünftig entstehen werden, soweit die diesbezüglichen Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

3. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

4. Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen die Klägerin 4/9 und die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner 5/9.

Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) tragen die Klägerin zu 1/6 und die Beklagte zu 1) zu 5/6

Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2) tragen die Klägerin zu 1/6 und der Beklagte zu 2) zu 5/6

Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 3) trägt die Klägerin.

5. Das Urteil ist für sämtliche Parteien jeweils gegen Sicherheitsleistung von 120 % des für sie jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes sowie Feststellung der Ersatzpflicht aller weiteren Schäden anlässlich der Behandlung ihrer Mutter und ihrer eigenen Behandlung während ihres gesamten Geburtsvorgangs sowie danach in Anspruch.

Die Klägerin wurde am 03.06.2014 als 5. Kind ihrer Mutter, der damals 41-jährigen Frau J im Q-Hospital S, dessen Rechtsträgerin die Beklagte zu 1) ist, per Kaiserschnitt geboren. Die Kindesmutter war am 02.06.2014 in der 40+6 Schwangerschaftswoche abends gegen ca. 22.25 Uhr in die Frauenklinik des S-Krankenhauses S1 mit einer beginnenden Wehentätigkeit eingeliefert worden.

Bei der Aufnahme wurde ein CTG angefertigt, letzteres zeigte regelmäßige Wehen alle 2 bis 3 Minuten. Eine vaginale Untersuchung durch den diensthabenden Arzt, den Beklagten zu 2) fand um 23.45 Uhr statt, hier stellte er noch eine unauffällige Plazenta und einen unauffälligen Schwangerschaftsverlauf bei einer nach seiner Einschätzung ‘‘High-Risk-Schwangerschaft‘‘ bei mütterlichem Alter von 41 Jahren fest. Es erfolgte eine stationäre Aufnahme, wobei eine natürliche Geburt angestrebt werden sollte.

Um ca. 01.20 Uhr am 03.06.2014 meldete sich die Kindesmutter mit zunehmender Wehentätigkeit und dem Wunsch nach einer Peridualanästhesie. Nach dem vaginalen Befund war hier der Muttermund ca. 3 cm geöffnet, es lagen regelmäßige Wehen alle 2 bis 3 Minuten vor. Insoweit erfolgte ein CTG, welches DIP II zeigte. Insoweit wurde wunschgemäß eine PDA angelegt.

Um 02.55 Uhr wurde eine erneute vaginale Untersuchung durchgeführt, hier war der Muttermund ca. 6 bis 7 cm eröffnet und der Kindeskopf lag im Beckeneingang. Während der vaginalen Untersuchung um ca. 03.00 Uhr kam es zu einem spontanen Blasensprung mit dem Abgang von grünem Fruchtwasser. Nach diesem Blasensprung war im CTG eine nachlassende Wehentätigkeit feststellbar.

Um 03.17 Uhr kam es zu einem deutlichen und andauernden Abfall der fetalen Herzfrequenz, zugleich war der Muttermund vollständig geöffnet. Insoweit wurde um 03.19 Uhr der Beklagte zu 2) als diensthabender Kreißsaalarzt informiert und ein Lagewechsel bei der Kindesmutter vorgenommen sowie ihr 2 ml Partusisten i.v. verabreicht.

Schadenersatz- und Schmerzensgeldanspruch aufgrund Fehler während Geburtsvorgang
(Symbolfoto: Von Gorodenkoff/Shutterstock.com)

Der Beklagte zu 2) traf dann um 03.24 Uhr im Kreißsaal ein. Vorgenommene Pressversuche endeten frustran. Zudem war in den weiteren CTG ab 03.26 Uhr neben der kontinuierlichen mütterlichen Herzfrequenz zunächst weiter eine anhaltende fetale Bradykardie feststellbar, die nur intermittierend aufgezeichnet wurde. Um 03.28 Uhr wurde nochmals eine vaginale Untersuchung durch den Beklagten zu 2) durchgeführt. Auch die vorgenommenen Pressversuche waren weiterhin frustran.

Um 03.37 Uhr informierte der Beklagte zu 2) den zuständigen Oberarzt Dr. D, wobei zu diesem Zeitpunkt das CTG neben der mütterlichen Herzfrequenz nunmehr eine schlecht aufgezeichnete, schwere fetale Bradykardie zeigte. Auch um 03.40 Uhr waren die von der Kindesmutter vorgenommenen Pressversuche weiterhin frustran.

Letztlich wurde dann um 03.49 Uhr doch die endgültige Entscheidung getroffen, eine Notsectio durchzuführen. Diese wurde unmittelbar eingeleitet und die Klägerin nachfolgend am 03.06.2014 um 03.58 Uhr entwickelt, wobei die Klägerin zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr atmete. Der APGAR-Wert lag jedenfalls nach den unmittelbaren Eintragungen in der Geburtsdokumentation bei 0/0/5 – im späteren Operationsbericht vom 24.07.2014 ist ein Wert von 1/5/5 angegeben –, eine wohl abgenommene – der genaue Zeitpunkt ist in den Unterlagen nicht dokumentiert – Blutgasanalyse ergab nach den Unterlagen einen Status des pH-Wertes von 6,73 sowie einen Base-Excess-Wert von – 31mmol/l. Als Ursache dafür wurde nachfolgend eine vollständige Plazentaablösung diagnostiziert.

Die Klägerin wurde nach ihrer Entwicklung an den anwesenden Anästhesisten, den Beklagten zu 3) übergeben, der nachfolgend eine Reanimation bei der Klägerin vornahm, die im Ergebnis erfolgreich durchgeführt werden konnte, zudem wurde die Klägerin dann von dem Beklagten zu 3) intubiert und weiter stabilisiert.

Letztlich wurde die Klägerin an die herbeigerufenen und um 04.32 Uhr eintreffenden Pädiater der Kinderklinik E übergeben, die die Klägerin übernahmen. Die weitere Behandlung der Klägerin fand zunächst in der Kinderklinik E statt, wo die stationäre Aufnahme nach einer schweren Asphyxie bei Zustand nach Reanimation erfolgte. Dort wurde die Klägerin bis zum 04.07.2014 betreut und versorgt. Hier wurde im Rahmen der neuropädiatrischen Untersuchungen eine bilaterale Cerebralparese diagnostiziert.

Während des Aufenthaltes in der Kinderklinik lag in der ersten Zeit eine initiale arterielle Hypotonie vor. Zudem wurde über 27 Stunden eine Hypothermiebehandlung unter Analgosedierung durchgeführt. Regelmäßige Schädelsonographien zeigten Hinweise auf eine hypoxisch-ischämische Enzephalopathie. Die neurologische Entwicklung zeigte eine rumpfbetonte Muskelhypotonie.

Vor der Einreichung der Klage wurde zunächst ein Verfahren vor der Gutachterkommission der Ärztekammer X durchgeführt, hier wurde nach einem eingeholten Gutachten, welches ein fehlerhaftes Vorgehen bejahte, nach entsprechender Zustimmung des ärztlichen Mitgliedes ein Behandlungsfehler bejaht. Nachfolgend wurde von der Haftpflichtversicherung der Beklagten ein pauschaler Betrag von 50.000,- EUR an die Klägerin gezahlt.

Die Klägerin macht geltend, dass die Kindesmutter während ihrer Geburt von dem Beklagten zu 2) sowie den weiteren Ärzten und der Hebamme der Beklagten zu 1) fehlerhaft behandelt und insbes. der Notkaiserschnitt viel zu spät durchgeführt worden sei; zudem sei auch ihre Behandlung nach der Entwicklung fehlerhaft gewesen. Diese Fehler und Versäumnisse seien für ihren jetzigen Gesundheits- und Entwicklungszustand verantwortlich.

Es sei bereits fehlerhaft gewesen, dass bei der Untersuchung gegen 03.00 Uhr und dem Abgang von grünem Fruchtwasser nach dem Blasensprung von der diensthabenden Hebamme nicht sofort der zuständige Kreißsaalarzt – der Beklagte zu 2) – hinzugezogen worden sei. Zudem sei unverständlich, warum in dieser Gefahrensituation nicht sofort der zuständige Oberarzt informiert und hinzugezogen worden sei. Bereits hier hätte nämlich bei entsprechender Hinzuziehung und einem ordnungsgemäßen Vorgehen die Entscheidung zum Abbruch des natürlichen Geburtsvorgangs und zur kurzfristigen Einleitung einer Sectio getroffen werden müssen. Zumindest hätten hier weitergehende diagnostische Maßnahmen wie eine fetale Blutgasanalyse durchgeführt werden müssen. Insoweit sei jedoch auf eine erkennbare fetale Gefährdung (Abgang grünes Fruchtwasser, pathologische CTG-Veränderungen) überhaupt nicht reagiert worden.

Weiter sei gegen und ab 03.17 Uhr eine akute Notsituation mit dem dauerhaft massiven Abfall der kindlichen Herztöne und einer erfolgten Notfalltokolyse aufgetreten, die eine sofortige Notsectio erfordert hätte. Dies gelte umso mehr, weil sie sich während des Geburtsvorgangs nicht mehr erholt habe. Hier sei nicht sofort reagiert worden, weil der Beklagten zu 2) nicht anwesend gewesen sei und erst hier noch habe hinzugezogen werden müssen. Eigentlich hätte bei ordnungsgemäßer Organisation und Kommunikation und bei der gebotenen Anwesenheit des Kreißsaalarztes bereits zu diesem Zeitpunkt und damit ca. 30 Minuten früher die Notsectio eingeleitet werden müssen. Auch nach dem Eintreffen des Beklagten zu 2) habe dieser nicht sofort eine Notsectio eingeleitet, obwohl dies dringend und zwingend geboten gewesen sei, vielmehr seien auch nach seinem bereits verspäteten Eintreffen gegen 03.24 Uhr unverständlicherweise nochmals 25 Minuten vergangen, bis nachfolgend erst gegen 03.49 Uhr die Entscheidung zur Notsectio getroffen worden sei. Insgesamt hätte hier eigentlich sofort und spätestens jetzt und damit in jedem Fall 25 Minuten früher reagiert werden müssen. In diesem Rahmen sei es auch völlig unverständlich gewesen, dass um 03.32 Uhr nochmals ein vaginaler Entbindungsversuch vorgenommen worden sei, der frustran ausgegangen sei und nicht zu einem Tiefertreten des Kopfes geführt habe.

Weiter sei den Ärzten der Beklagten und hier insbes. dem Beklagten zu 3) nach ihrer Geburt und ihrem leblosen Zustand mit fehlender Atmung vorzuwerfen, dass es dann ca. 6 Minuten gedauert habe, bis dieser eine Intubation vorgenommen habe. Dies hätte sofort erfolgen müssen. Auch hier sei es also zu entsprechenden Versäumnissen gekommen

Damit sei es im Rahmen ihres gesamten Geburtsvorganges zu massiven Fehlern und Versäumnissen aufgrund unzureichender Kommunikation, unzureichender Organisation und unverständlicher Fehlentscheidungen gekommen, die dazu geführt hätten, dass sie massive Hirnschädigungen erlitten habe, durch die sie in ihrer gesamten Motorik erheblich gestört sei bzw. eine solche gar nicht vorhanden sei. Es sei eine schwere Asphyxie nach vollständiger Plazentaablösung bei der Kindesmutter aufgetreten, die bei ihr zu schwersten Hirnschädigungen mit erheblichen Folgen und Auswirkungen geführt hätten. So könne sie nicht frei sitzen oder stehen und werde dies in ihrem Leben auch nicht können. Im Liegen könne sie sich wiederum nicht umdrehen. Ein Greifen sei nur unkontrolliert möglich, deshalb werde sie sich in ihrem Leben nie selbst anziehen oder kämmen können. Da die Mundmotorik betroffen sei, müsse sie weiterhin mit der Flasche oder dem Löffel gefüttert werden und könne nicht normal essen, wobei allerdings auch die Schluckmotorik beeinträchtigt sei. Weiterhin könne sie nicht sprechen. Sie gebe zwar Laute von sich, eine aktive Sprache könne aber nicht in Gang kommen. Sie sei und werde dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen sei. Im Ergebnis sei sie in allen Bereichen des täglichen Lebens auf umfassende Hilfe und Unterstützung angewiesen, wie z Bsp. beim Aufstehen, Anziehen, Waschen, Essen, der Fortbewegung und der gesamten Kommunikation. Dies werde auch ihr gesamtes Leben so der Fall sein, so dass sie zukünftig zu keinem Zeitpunkt ein selbstständiges und eigenständiges Leben werde führen können. Insoweit würden die Auswirkungen mit zunehmendem Alter sogar noch gravierender, da sie auf dem jetzigen Stand auch bei zunehmendem Alter verbleibe.

Für alle Beeinträchtigungen und ihre umfassenden Behinderungen hält die Klägerin ein Schmerzensgeld von 550.000,- EUR abzüglich der bereits geleisteten Zahlung von 50.000,- EUR für angemessen. Dazu würden natürlich noch erhebliche materielle Schäden kommen, wobei 480,50 EUR für Behandlungen, die die Krankenkasse nicht übernommen habe, bereits geltend gemacht würden.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagten zu verurteilen, an sie als Gesamtschuldner aufgrund des Schadensfalles vom 03.06.2014 ein angemessenes Schmerzensgeld, das mit 550.000,- EUR beziffert werde, abzüglich geleisteter 50.000 ,- EUR, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen

2. die Beklagten zu verurteilen, an sie als Gesamtschuldner 480,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.09.2016 zu zahlen.

3. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr alle weiteren materielle und immaterielle Schäden zu ersetzen, die ihr aus Anlass der Geburt am 03.06.2014 entstanden sind oder zukünftig entstehen, soweit die diesbezüglichen Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten machen geltend, dass die Kindesmutter und nachfolgend auch die Klägerin während des gesamten Geburtsverlaufes ordnungsgemäß und fachgerecht behandelt worden sei. Hier seien während des Geburtsverlaufes plötzlich und unvorhersehbar schicksalhaft Probleme aufgetreten, ohne dass entsprechende Fehler oder Versäumnisse im Rahmen der Organisation und des Behandlungsregime vorgelegen hätten.

Insoweit sei es nicht zu beanstanden und damit zumindest vertretbar gewesen, dass erst ca. gegen 03.49 Uhr die Entscheidung zur Notsectio getroffen und diese bereits auch sofort eingeleitet worden sei, so dass die Klägerin dann nach nur ca. 9 Minuten geboren worden sei. Es habe zunächst ein weitgehend normaler Geburtsverlauf vorgelegen, bei dem sich der Muttermund sogar bereits bis auf 6 cm geöffnet habe. Auch der Blasensprung gegen 03.00 Uhr bei einer vaginalen Untersuchung sei – gerade im Rahmen eines Geburtsvorgangs – nichts Ungewöhnliches, was die Einleitung einer Sectio erfordert hätte, zumal dies eher als positives Ergebnis zu bewerten sei und durch das abfließende Fruchtwasser eine Geburt auf natürlichem Weg schneller voranschreiten würde. Dabei sei zu berücksichtigen, dass das Köpfchen des Kindes zu diesem Zeitpunkt bereits in das Becken eingetreten gewesen sei, so dass ein Blasensprung unter diesen Umständen nicht als besonderes Geburtsrisiko zu bewerten sei. Nach Erkennen der Probleme ab ca. 03.17 Uhr sei ebenfalls angemessen und sachgerecht reagiert worden. Es sei nicht zu beanstanden, dass hier noch an dem normalen Geburtsverlauf festgehalten worden sei, da keine Gründe vorgelegen hätten, die zwingend einen sofortigen Abbruch und eine Notsectio bereits zu diesem Zeitpunkt erfordert hätten. Als erstmals erkennbar dann eine Gefahrensituation bestanden habe, sei gegen ca. 03.49 Uhr auch sofort reagiert worden. Das gesamte Vorgehen und die Betreuung während der Geburt seien also nicht zu beanstanden, insbesondere sei hier nicht vorwerfbar zu spät vom normalen Geburtsvorgang zur Sectio gewechselt worden.

Auch das Vorgehen des Beklagten zu 3) nach der Entwicklung der zu diesem Zeitpunkt dann leblosen Klägerin mit der entsprechenden Reanimation und mit der zeitnah erfolgten Intubation bis zur Übernahme durch die informierten Pädiater der Kinderklinik E sei angemessen, leitliniengerecht und im Ergebnis damit nicht zu beanstanden gewesen. Zu Fehlern oder Versäumnissen sei es hier ebenfalls nicht gekommen. Insgesamt sei also die gesamte Behandlung der Kindesmutter und der Klägerin selbst im Rahmen der gesamten Geburt nicht zu beanstanden und im Ergebnis lege artis erfolgt.

Die Beklagten bestreiten alle eingetretenen Folgen, Beeinträchtigungen und Einschränkungen bei der Klägerin sowie die dadurch behaupteten Auswirkungen und weiteren Folgen. Selbst wenn diese jedoch vorliegen würden, seien sie nicht auf die Behandlung der Kindesmutter und der Klägerin während der Geburt zurückzuführen, sondern als Folge der schicksalhaft aufgetretenen Plazentaablösung als eine nicht vorhersehbare Komplikation eingetreten. Der gesamte nachträgliche Verlauf und der Zustand der Klägerin wären nicht anders gewesen, wenn die Notsectio eine gewisse Zeit früher eingeleitet worden wäre.

Zudem halten die Beklagten das geltend gemachte Schmerzensgeld für weit überhöht und bestreiten weiter auch alle geltend gemachten materiellen Schäden bzw. den Zusammenhang zur hiesigen Behandlung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung von medizinischen Sachverständigengutachten von Prof. Dr. T und Prof. Dr. X, zudem wurden diese in der mündlichen Verhandlung vom 12.02.2020 angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf die schriftlichen Gutachten der Sachverständigen sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 12.02.2020 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist gegen die Beklagten zu 1) und 2) ganz überwiegend begründet, gegen den Beklagten zu 3) ist die Klage dagegen unbegründet.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte zu 1) und 2) ein Zahlungsanspruch gemäß den §§ 280 Abs. 1, 278, 823 Abs. 1, 831, 611, 249, 253 Abs. 2 BGB in Höhe von insgesamt 400.480,50 EUR zu. Dieser setzt sich aus einem Schmerzensgeldanspruch unter Berücksichtigung einer bereits geleisteten Zahlung von 50.000,- EUR in Höhe von weiteren 400.000,00 EUR und einem Schadensersatzanspruch in Höhe der geltend gemachten 480,50 EUR zusammen. Diese Ansprüche ergeben sich zum einen gegen die Beklagte zu 1) aufgrund der §§ 280 Abs. 1, 278 BGB wegen der Verletzung der Pflichten aus dem Behandlungsvertrag der Kindesmutter mit der Beklagten zu 1) im Zusammenhang mit ihrer Geburt, in dessen Schutzbereich die Klägerin als Dritte einbezogen worden ist, sowie zum anderen bezogen auf die Beklagten zu 1) und 2) aufgrund der §§ 823 Abs. 1, 831 BGB ergeben. Insoweit entspricht es nämlich der ständigen Rechtsprechung, dass bei einem Behandlungsvertrag im Zusammenhang mit einer Entbindung ein Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter vorliegt und das Kind damit als Dritter in den Schutzbereich dieses Behandlungsvertrages mit einbezogen ist, so dass dem Kind wegen bei ihm eingetretener Gesundheitsverletzungen aufgrund von Pflichtverletzungen bei der Entbindung beim Vorliegen der weiteren Haftungsvoraussetzungen Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche nunmehr auch auf vertraglicher Grundlage zustehen (vgl. dazu allgemein: BGH NJW 1983,1371; BGHZ 89,263(266) = BGH NJW 1984,1499; BGHZ 106,153(162) = BGH NJW 1989,1538(1539); BGH NJW 2005,888(890)).

Zudem kann die Klägerin bezogen auf die Beklagten zu 1) und 2) aufgrund der genannten Grundlagen auch die Feststellung der Ersatzpflicht aller weiteren materiellen Schäden sowie der zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vorhersehbaren und bei der Schmerzensgeldbemessung trotz der umfassenden Würdigung noch nicht berücksichtigten künftigen immateriellen Schäden verlangen, wenn diese im Zusammenhang mit ihrer fehlerhaft durchgeführten Geburt und den dadurch eingetretenen Folgen und Auswirkungen stehen. Der weiter geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch gegen die Beklagten zu 1) und 2) sowie die Ansprüche gegen den Beklagten zu 3) sind dagegen insgesamt nicht begründet.

Insoweit ist auf der Grundlage der nachvollziehbaren, detaillierten und in jeder Hinsicht überzeugenden Ausführungen des der Kammer aus unzähligen Verfahren und seit vielen Jahren bekannt äußerst fachkompetenten gynäkologischen Sachverständigen Prof. Dr. T, dessen hohe Sachkunde ohne Zweifel zu bejahen ist, aus gynäkologisch/geburtshilflicher Sicht davon auszugehen, dass dem Beklagten zu 2) sowie den weiteren Ärzten und der Hebamme der Beklagten zu 1) mehrere Fehler im Zusammenhang mit der Geburt der Klägerin unterlaufen sind, insbesondere lag der besonders gravierende und schwerwiegende Fehler darin, dass die Entscheidung zur Notsectio erst am 03.06.2013 um 3.49 Uhr und damit in jedem Fall 24 Minuten zu spät getroffen und dann eingeleitet wurde; hier hätte diese Entscheidung zwingend und spätestens um 03.25 Uhr getroffen und unmittelbar die Einleitung erfolgen müssen.

Dieser Fehler und die verspätete Einleitung der Notsectio waren im Ergebnis für die bei der Klägerin insgesamt eingetretenen Schäden und die weiteren Folgen verantwortlich. Nach den ebenso überzeugenden und ausführlichen Ausführungen des der Kammer aus mehreren Verfahren ebenfalls als äußerst fachkompetent bekannten Sachverständigen Prof. Dr. X, dessen hohe Fachkompetenz auch außer Zweifel steht, waren letztlich der schwerwiegende Fehler des verspätet vorgenommene Notkaiserschnitts für die bei der Klägerin eingetretene schwere hypoxisch-ischämische Enzephalopathie bei peripartaler Asphyxie mit seinen Folgen und Auswirkungen verantwortlich. Demgegenüber wären bei einer rechtzeitigen Entscheidung zur Vollendung der Geburt mittels Kaiserschnitt zu dem Zeitpunkt, als spätestens die Entscheidung zur Sectio hätte getroffen werden müssen, die gesamten Gesundheitsschäden samt allen Folgen bei der Klägerin nicht eingetreten, insoweit ist also davon auszugehen, dass die Klägerin dann ohne Schädigung mit der Möglichkeit zur normalen Entwicklung geboren worden wäre.

Insoweit folgt die Kammer den in jeder Hinsicht überzeugenden Ausführungen beider für ihr jeweiliges Fachgebiet äußerst fachkompetenten Sachverständigen zu den medizinisch relevanten Tatsachen und legt diese ihrer Entscheidung zugrunde. Auf dieser Grundlage und nach den Ausführungen der Sachverständigen ergibt sich für die Bewertung folgendes:

I.  Haftung der Beklagten zu 1) und 2) dem Grunde nach

Auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. T sowie der weiteren Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. X liegen die Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten zu 1) und 2) aufgrund der eingangs genannten Normen vor. Es sind nämlich im Zusammenhang mit der Geburt der Klägerin mehrere – zum Teil schwerwiegende – Versäumnisse wie insbes. das Unterlassen der Einleitung eines Notkaiserschnitts spätestens am 03.06.2014 um 03.25 Uhr aufgetreten, die für die bei der Klägerin eingetretenen Gesundheitsschädigungen mit den entsprechenden Folgen und Auswirkungen ursächlich waren.

1.

Nach den Ausführungen des gynäkologischen Sachverständigen Prof. Dr. T wurde die Kindesmutter im Zusammenhang mit der Geburt des Klägers fehlerhaft behandelt bzw. sind beim Geburtsvorgang mehrere Versäumnisse aufgetreten, insbesondere wurde der aufgrund einer ab 03.17 Uhr für das Kind eingetretenen Notsituation (aller-) spätestens zum 03.25 Uhr zwingend gebotene Kaiserschnitt grob fehlerhaft versäumt und aus nicht nachvollziehbaren Gründen hier immer noch nicht eingeleitet und durchgeführt.

a.

Ein vorwerfbares Versäumnis der Hebamme der Beklagten zu 1) lag hier bereits um ca. 3.00 Uhr vor, weil sie den diensthabenden Kreißsaalarzt nicht bereits kurz nach den Dezelerationen ab 02:47 Uhr in den Kreißsaal gerufen hat, sondern ihn erst um 03:19 Uhr mit der terminalen Bradykardie informiert hat.

Insoweit hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass die Fruchtblase im Rahmen einer vaginalen Untersuchung gegen 03:00 Uhr gesprungen und grünes Fruchtwasser abgegangen sei, so dass es bereits zu diesem Zeitpunkt geboten gewesen sei, zumindest den zuständigen Kreißsaalarzt hinzuzuziehen und in den Kreißsaal zu rufen. Hier seien nämlich um 03:00 Uhr bereits 2 tiefe Dezelerationen vorangegangen, so dass das Kardiotokogramm in der Rückwärtsbetrachtung von 03:00 Uhr als zumindest suspekt zu bewerten gewesen sei. Vor diesem Hintergrund hätte zumindest ab diesem Zeitpunkt die weitere Geburtsleitung ärztlich geführt werden müssen.

Demnach hat der Sachverständige hier bereits einen Organisationsfehler bejaht, weil die Hebamme der Beklagten zu 1) nicht bereits zu diesem Zeitpunkt den Beklagten zu 2) als Kreißsaalarzt hinzu gerufen hat, obwohl sie dafür hätte Sorge tragen müssen, dass der Kreißsaalarzt die gesteigerte Risikokonstellation und eine möglichen Gefährdung für die Gesundheit der Klägerin bereits ab diesem Zeitpunkt ärztlich kontrolliert und den weiteren Geburtsfortgang begleitet hätte.

Demgegenüber hat der Sachverständige klargestellt, dass zumindest zu diesem Zeitpunkt noch kein zwingender Anlass und keine Indikation bestand, bereits gegen 03:00 Uhr eine notfallmäßige Geburtsbeendigung mittels Sectio zu veranlassen. Es habe zwar um etwa 03:00 Uhr eine gewisse Risikokonstellation vorgelegen, aber es habe jedenfalls nach dem vorliegenden Kardiotokogramm zu diesem Zeitpunkt noch keine für das Kind erkennbare konkrete Gefährdung bestanden, so dass zu diesem Zeitpunkt ein Abbruch des natürlichen Geburtsvorgangs noch nicht erforderlich gewesen sei.

Insgesamt lag also in der Zeit zwischen 03.00 Uhr und 03.17 Uhr nur ein Organisationfehler vor, weil der Beklagte zu 2) als Kreißsaalarzt hier noch nicht hinzu gerufen wurde.

b.

Nachfolgend ist aber ab 03.17 Uhr dann eine Notsituation eingetreten, die eine Entscheidung zur Notsectio erfordert hätte, die unter Berücksichtigung einer gewissen weiteren Zeitspanne aber aller spätestens um 03.25 Uhr hätte eingeleitet werden müssen. Trotz des zuvor bereits dargestellten Organisationsversäumnisses mit der fehlenden Anwesenheit des Kreißsaalarztes bei Entstehen der Notsituation um 03.17 Uhr und dessen Information erst um 03.19 Uhr hätte der Beklagte zu 2) mit seinem Eintreffen um 03.24 Uhr und nach einer retrospektiven Betrachtung und kurzen Überprüfung des Kardiotokogramms selbst dann immer noch unmittelbar um 03.25 Uhr eine Notsectio auslösen können und müssen. Demgegenüber war es nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. T durch nichts zu rechtfertigen, dass nach 03.25 Uhr nochmals bis 03:49 Uhr weitere 24 Minuten vergangen sind, bis der Notkaiserschnitt dann endlich ausgelöst wurde.

aa.

Der Sachverständige hat zunächst bestätigt, dass um bzw. ab 03:17 Uhr jedenfalls definitiv eine Notsituation vorgelegen hat, weil sich das CTG ab diesem Zeitpunkt als hochpathologisch dargestellt und sich dieses hochpathologische Kardiotokogramm jedenfalls in der Folge bis 03.25 Uhr auch nicht mehr erholt hat. Insoweit war nämlich aus den CTG ab 03.17 Uhr zu erkennen, dass eine hochgradige Bradykardie aufgetreten war.

Dazu hat der Sachverständige klargestellt, dass die Hebamme und die Ärzte der Beklagten zu 1) aufgrund dieser Bradykardie zwingend an eine Plazentaablösung hätten denken müssen. Auf eine solche Plazentaablösung, die in der Regel nicht abrupt, sondern im Laufe eines Prozesses eintreten würde, reagiere das Kind, wenn der kritische Bereich der Ablösung erreicht oder überschritten sei, in der Anfangsphase mit einem Herztonabfall, um die Unterversorgung mit Sauerstoff zu kompensieren.

Ausgehend davon hat der Sachverständige bei dem durchgehend pathologischen Kardiotokogramm und der insoweit grundsätzlich immer gebotenen rückwärts betrachteten Auswertung festgestellt, dass man die Notsectio zwar nicht bereits um 03.17 Uhr, aber eigentlich ab 03.20 Uhr, spätestens jedoch gegen 03:25 Uhr hätte auslösen und veranlassen müssen. Selbst bei bereits längerer Anwesenheit des Kreißsaalarztes im Kreißsaal, wenn dieser also von der Hebamme bei ordnungsgemäßem Vorgehen frühzeitig informiert worden und damit frühzeitig erschienen wäre, hätte auf das ab 03.17 Uhr ununterbrochen und ohne Besserung pathologische Kardiotokogramm zwar erst mit einer gewissen Latenz reagiert werden müssen, wobei eigentlich aber 03.20 Uhr schon die Entscheidung zur Notsectio hätte getroffen werden müssen, aber spätestens um 03:25 Uhr in jedem die Entscheidung zum Notkaiserschnitt zwingend notwendig und alternativlos war.

Hier kann von den Beklagten nicht eingewandt werden, dass der Sachverständige bezogen auf die Ausführungen zur gebotenen rückwärts betrachteten Auswertung eine ex-post-Bewertung vorgenommen hat. Hier werden die Ausführungen des Sachverständigen von den Beklagten offensichtlich bewusst missgedeutet. Mit der rückwärtsbetrachteten Auswertung meint der Sachverständige, wie er auch im Termin auf Nachfrage bestätigt hat, selbst wenn dies nicht protokolliert wurde, dass bei einer Betrachtung und Auswertung des CTG um 03.25 Uhr die gesamte Entwicklung und der gesamte Verlauf rückwärtsbetrachtet seit 03.17 und damit nicht die allein aktuelle Bewertung um genau 03.25 Uhr maßgebend war. Dies hat dann nichts mit einer unzulässigen Beurteilung aus der ex-post-Sicht zu tun, sondern dies stellt eine ex-ante-Betrachtung dar, nur eben wird beim CTG bei der Bewertung auf einen zeitlich zurückliegende Zeitraum und den diesbezüglich gesamten Verlauf abgestellt.

Weiter kann von Seiten der Beklagten auch nicht eingewandt werden, dass sich irgendwann später um 03.34 Uhr die Herztöne kurzfristig noch einmal verbessert waren. Insoweit hat der Sachverständige bei der mündlichen Anhörung klargestellt, dass sich daraus keine andere Betrachtungsweise ergibt, weil diese kurzfristige Verbesserung und eine Erhöhung der Herztöne eher als letzter Versuch des damals noch ungeborenen Kindes zu werten waren, sich mit allen Mitteln gegen die andauernde Sauerstoffunterversorgung zu wehren. Daraus kann dann also nicht hergeleitet werden, dass um 03.25 Uhr die Situation eigentlich doch nicht so gravierend war, dass bereits hier zwingend hätte reagiert werden müssen.

Letztlich kommt hinzu, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen aus der Sicht ex-ante spätestens um 03.25 Uhr die Entscheidung zum Notkaiserschnitt hätte getroffen werden müssen. Aus der gebotenen ex-ante-Sicht waren damit spätere Umstände nicht mehr relevant, wenn hier nach der zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen Situation zwingend eine bestimmte Entscheidung geboten war und bereits hier getroffen werden musste.

bb.

Auch die Tatsache, dass der Beklagte zu 2) als zuständiger Kreißsaalarzt erst mit und nach Erkennen der Bradykardie und damit nach Eintritt der Notsituation ab 03.17 Uhr um 3.19 Uhr informiert wurde und dann kurze Zeit später – um 03.24 Uhr – im Kreißsaal erschien, kann auch zumindest ihn nicht entlasten.

Selbst wenn man das Organisationsversäumnis mit der bereits fehlenden Anwesenheit des Kreißsaalarztes bei Entstehen der Notsituation für einen Moment unberücksichtigt lässt, hätte nach den weiteren Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. T jedenfalls der Beklagte zu 2) dann mit seinem Eintreffen und nach einer kurzen Überprüfung mit der gebotenen retrospektiven Bewertung des Kardiotokogramms seit 03.17 Uhr ebenfalls unmittelbar und sofort einen Notkaiserschnitt auslösen müssen, was selbst dann bis spätestens um 03.25 Uhr möglich gewesen wäre. Nach dem Eintreffen des Beklagten zu 2) gegen 03:24 Uhr sei es dagegen durch nichts zu rechtfertigen gewesen, dass danach nochmals bis 03:49 Uhr weitere 24 Minuten vergangen seien, bis die Notsectio letztlich ausgelöst worden sei. Dieses Zeitintervall des tatsächlichen Vorgehens bis zum Auslösen des Notkaiserschnitts sei extrem zu lang gewesen. Hier sei vielmehr um 03:25 Uhr eindeutig und klar gewesen, dass es sich um eine terminale Bradykardie handeln würde, so dass spätestens zu diesem Zeitpunkt sofort mittels einer Entscheidung zur Einleitung der Notsectio hätte gehandelt werden müssen.

Entgegen der Meinung der Beklagten war es in dieser Situation nach dem Eintreffen auch nicht etwa noch vertretbar, sondern schlicht fehlerhaft und unverständlich, mit der Sectio zu warten und sogar nochmals einen natürlichen Entbindungsversuch zu unternehmen. Dazu hat der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten und nochmals bei der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass der Kopf um 03.19 Uhr hoch auf dem Beckeneingang gestanden habe. Insoweit hätte der Beklagte zu 2) also keinesfalls davon ausgehen können, dass eine Vollendung der Geburt auf natürlichem Geburtsweg unmittelbar bevorstand und diese damit auch so hätte kurzfristig abgeschlossen werden können. Dazu hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung nochmals unmissverständlich klargestellt, dass in dieser konkreten Situation beim Eintreffen des Beklagten zu 2) um 03.24 Uhr bis 03.25 Uhr das zwingend gebotene Vorgehen die Entscheidung zur Einleitung sofortigen Notsectio war, dies war hier insgesamt alternativlos, weil spätestens hier eindeutig klar gewesen sei, dass sich das Kind in einer akuten Situation einer Sauerstoffunterversorgung befinden würde.

cc.

Insgesamt lag hier also nach der Bewertung der dokumentierten Vorgänge und Abläufe durch den Sachverständigen Prof. Dr. T der entscheidende Fehler im völlig unverständlichen und nicht nachvollziehbaren Zeitmanagement und Handeln nach Eintreten der terminalen Bradykardie in der Zeit nach 03.17 Uhr und insbesondere ab 03:20 Uhr. Dieser weitere zeitliche Verzug und damit das Auslösen der Notsectio erst um 03:49 Uhr sei durch nichts zu rechtfertigen gewesen. Demnach sind hier also ab 03.17 Uhr weitere gravierende Fehler gemacht und Versäumnisse aufgetreten, weil nicht frühzeitig und nicht spätestens um 03.25 Uhr die Entscheidung zur Notsectio getroffen und diese unverzüglich eingeleitet wurde, sondern diese Notsectio erst um 03.49 Uhr eingeleitet wurde, mithin 24 Minuten zu spät.

Damit kommt der Sachverständige Prof. Dr. T in der Gesamtbeurteilung in den entscheidenden Punkten zu demselben Ergebnis wie der von der Gutachterkommission beauftragte Gutachter Dr. B sowie das ärztliche Mitglied der Kommission.

c.

Bezogen auf das vorwerfbare Organisationsversäumnis der Hebamme, den diensthabenden Kreißsaalarzt nicht bereits kurz nach den Dezelerationen ab 02:47 Uhr und damit um ca. 03.00 Uhr in den Kreißsaal zu rufen, sondern ihn erst um 03:19 Uhr mit der terminalen Bradykardie zu informieren, hat der Sachverständige dieses Versäumnis noch als einfachen Fehler qualifiziert, weil es sich noch um eine Fehleinschätzung handele, wie sie in Kreißsälen zwar immer wieder einmal zu beobachten sei, auch wenn dies so nicht auftreten dürfe.

Die dann nachfolgend aufgetretenen Versäumnisse nach Eintreten der Notsituation ab 03.17 Uhr und insbesondere der Fehler der unterlassenen Entscheidung zur Sectio sowie damit das gesamte Vorgehen ab 03.25 Uhr waren für den Sachverständigen Prof. Dr. T dagegen absolut unverständlich und nach seiner Bewertung ein Elementarverstoß gegen jede sachgerechte Geburtsleitung, mithin war dieses Vorgehen ab 03.17 Uhr grob fehlerhaft. In der mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige dies nochmals eindeutig und unmissverständlich bestätigt und auch den Einwand der Beklagten entkräftet, ob man nicht das Abwarten im Rahmen einer natürlichen Geburt zumindest milder bewerten könne.

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist ein Fehler aber gerade dann als grob zu bewerten, wenn ein Arzt bei seinem Vorgehen eindeutig gegen ärztliche Behandlungsregeln oder gegen gesicherte medizinische Standards verstoßen und damit einen Fehler begangen hat, der so nicht mehr verständlich erscheint und schlechterdings nicht auftreten darf (st. Rspr., BGH NJW 2001, 2794 = VersR 2001,1115; BGHZ 138,1(6) = NJW 1998,1780; BGH NJW 1997,798 = VersR 1997,315(316); BGH NJW 1999,862 = VersR 1999,231(232); BGH NJW 2001,2792; BGHZ 158,48(53) = BGH NJW 2004,2011 = VersR 2004,909(911); BGHZ 172,1 = BGH NJW 2007,2767 = VersR 2007,995; BGH NJW 2009,2820 = VersR 1267(1268) MedR 2010,101; BGH NJW-RR 2010,711 = VersR 2010,72; BGH NJW 2011,3442 = MDR 2011,1285; BGH NJW 2012,227(228) = VersR 2012,362; BGH NJW 2016,563(564) = VersR 2016,260; BGH NJW 2018,3382(3384)).

Ausgehend davon hält die Kammer, die letztlich die Entscheidung über die Bewertung der Fehlerhaftigkeit selbst zu treffen hat, sich dabei aber stets auf die medizinische Bewertung der Fakten und des Behandlungsgeschehens durch den Sachverständigen stützen muss ( vgl. dazu z. Bsp. BGH NJW 2012,227 = VersR 2012,362; BGH NJW 2016,563 = VersR 2016,260; BGH NJW 2018,3382(3384)), die von dem Sachverständigen vorgenommene Bewertung in jeder Hinsicht für zutreffend, denn es erscheint der Kammer auch absolut unverständlich, wenn in einer ab 03.17 Uhr beginnenden Gefahren- und Notlagensituation für das Kind unter Berücksichtigung des von dem Sachverständigen noch angenommenen Beurteilungszeitraums und der Latenzzeit bis maximal 03.25 Uhr dann zu diesem spätesten Zeitpunkt immer noch nicht die Entscheidung zur Notsectio getroffen wurde, sondern weitere 24 Minuten abgewartet wird.

Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass in einer solchen Situation die Prognose des Kindes mit jedem weiteren Abwarten deutlich verschlechtert wird. Gerade wenn man in diesem Zusammenhang die Devise „time saves brain“ und die Tatsache berücksichtigt, dass bei einer Hypoxie auch beim ungeborenen Kind die Situation nach dem Hinweis des Sachverständigen extrem zeitkritisch, zu sehen ist, hält es auch die Kammer für schlechterdings unverständlich, warum bei einer bestehenden Gefahrensituation und einer erkennbaren Sauerstoffunterversorgung dann so lange gewartet wird, bis die Entscheidung zur Sectio getroffen wurde. Ein so langes und durch nichts zu rechtfertigendes Zeitversäumnis hätte schlechterdings nicht auftreten dürfen. Damit war das Handeln ab 03.25 Uhr grob fehlerhaft.

2.

Diese festgestellten Behandlungsfehler gerade ab 03.17 Uhr und das das grob fehlerhafte weitere Vorgehen mit dem entscheidenden Versäumnis der unterlassenen Einleitung der Notsectio bereits um 03.25 waren kausal für die bei der Klägerin eingetretene Gesundheitsschädigungen mit ihren Folgen.

a.

Insoweit hat der weitere Sachverständige Prof. Dr. X klargestellt, dass bei der Klägerin eine schwere hypoxisch-ischämische Enzephalopathie bei peripartaler Asphyxie aufgetreten ist. Diese schwere Schädigung habe sich auch unmittelbar nach der Geburt gezeigt und sei durch einen pH-Wert von deutlich unter 6,8, einen ausgeprägten negativen Basenüberschuss, ein APGAR-Wert, der nach der unmittelbaren Geburtsdokumentation mit 0/0/5 nach 1, nach 5 und nach 10 Minuten gekennzeichnet gewesen.

Weiter hat die Klägerin nach den Ausführungen des Sachverständigen bereits am ersten Lebenstag Krampfanfälle und eine ausgesprochen schwere neurologische Schädigung mit langsam zunehmender Muskelhypertonie, deutlicher Trinkschwäche und gehäuften Unruhephasen in der Folgezeit während des ersten stationären Aufenthalts gezeigt. Zudem seien auch die EEG-Untersuchungen auffällig gewesen und die Ultraschalluntersuchung des zentralen Nervensystems habe ebenfalls bereits einen eindeutigen Hinweis auf eine hypoxisch-ischämische Enzephalopathie in den Basalganglien gezeigt. Insoweit habe diese hypoxisch-ischämische Enzephalopathie dann zu einer spastischen Tetraparese geführt.

Zwar hat der Sachverständige in diesem Zusammenhang auch auf Unzulänglichkeiten in der Dokumentation hingewiesen. Dazu hat er klargestellt, dass sich in den Unterlagen der Beklagten zu 1) kein Eintrag einer Uhrzeit für die durchgeführte Blutgasanalyse beim Kind postpartal finden lasse, lediglich im Arztbrief der Kinderklinik E sei vermerkt, dass der erste pH-Wert aus der Nabelschnurarterie stammen würde. Dies sei aber nirgendwo dokumentiert, den Krankenunterlagen sei eine Originalblutgasanalyse ebenfalls nicht zu entnehmen. Zwar würden sich die genannten pH-Werte aus diesem Zeitpunkt nur marginal im Hinblick auf die Schwere unterscheiden (6,73 handschriftlich in der Geburtsdokumentation, 6,75 im OP- Bericht, 6,70 im Arztbrief der Kinderklinik E), es sei jedoch auffällig, dass dieser Wert variieren würde und im Originaldokument nicht zu finden sei.

Folge man zudem der Dokumentation des Geburtsverlaufs, so sei der pH-Wert von 6,73 bei der Uhrzeit von 4:41 eingetragen. Dazu hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass dann, wenn er erst zu diesem Zeitpunkt gemessen worden sein sollte – also erst 43 Minuten nach der Geburt -, so wäre die Situation bei der Geburt sogar eher noch katastrophaler zu bewerten gewesen.

Auch unter Berücksichtigung dieser Dokumentationsunregelmäßigkeiten geht die Kammer aber schon davon aus, dass unmittelbar nach der Geburt aus der Nabelschnurarterie die Blutgansanalyse erfolgt ist und diese dann den zu diesem Zeitpunkt sehr niedrigen Wert von 6,73 ergeben hat, wie er handschriftlich in der Geburtsdokumentation – wenn auch bei einer falschen Uhrzeit – eingetragen wurde. Ebenso geht die Kammer von dem in der Geburtsdokumentation eingetragenen APGAR-Wert von 0/0/5 aus.

Selbst auf dieser Grundlage ist aber nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. X diese hypoxisch-ischämische Enzephalopathie mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit peripartal aufgetreten. Dafür spreche eben die Kombination des aus der Geburtsdokumentation zu entnehmenden deutlich erniedrigtem pH-Wertes, dem negativen Baseüberschuss, dem ebenfalls aus der Geburtsdokumentation zu entnehmenden APGAR-Wert und dem klinischen Bild nach der Geburt mit der Demarkierung einer schweren neurologischen Schädigung in den Folgetagen.

Insgesamt liegt nach der weiteren Bewertung des Sachverständigen Prof. Dr. X bei der Klägerin ein schwerwiegendes Krankheitsbild vor, bei dem die Arme und Beine durch einschießende Spasmen immer wieder krampfhaft gehalten würden, demgegenüber bestehe eine ausgesprochene Tonusschwäche im Bereich des Kopfes und des Rumpfes. Damit verbunden sei eine ausgesprochene Haltungsschwäche, die Unfähigkeit zum freien Sitzen, die eingeschränkte Fähigkeit zur selbständigen Fortbewegung und zur sprachlichen Kommunikation. Die Klägerin sei damit grundsätzlich an den Rollstuhl gebunden.

Diese gegebenen gesamten Einschränkungen werden nach den Feststellungen des Sachverständigen auch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fortbestehen, die Klägerin wird danach also nicht zu einer eigenständigen Lebensführung in der Lage sein, sondern dauerhaft auf Hilfe angewiesen sein.

b.

Unter Berücksichtigung der Ausführungen beider Sachverständigen geht die Kammer davon aus, dass bei einer nach den vorherigen Ausführungen spätestens um 03.25 Uhr rechtzeitig eingeleiteten Notsectio die hypoxisch-ischämische Enzephalopathie nicht eingetreten und die Klägerin ohne entsprechende Schädigungen geboren worden wäre, mithin diese ohne durch bzw. im Rahmen des Geburtsvorgangs verursachte Gesundheitsschäden eine normale Entwicklung ohne negative Folgen hätte nehmen können. Davon ist unter Berücksichtigung der Grundsätze zur Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem bei der Klägerin eingetretenen Primärschaden einer hypoxisch-ischämischen Enzephalopathie auszugehen, wenn man die bei ordnungsgemäßem Vorgehen dadurch gewonnene Zeitersparnis bezogen auf die Beendigung der Geburt berücksichtigt.

Geht man für die Beurteilung der Kausalität unter Berücksichtigung der Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. T von dem zu bejahenden groben Behandlungsfehler bezogen auf das Handeln ab 03.25 Uhr aus, so müssen sich die Beklagten zu 1) und 2) hinsichtlich der bei der Klägerin tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschädigung entlasten. Eine Umkehr der Beweislast ist nämlich schon dann anzunehmen, wenn der grobe Behandlungsfehler überhaupt nur geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen; nahe legen oder wahrscheinlich machen muss der Fehler oder das grobe Versäumnis den Schaden dagegen nicht (vgl. z Bsp.: BGH NJW 2005,427(428); BGHZ 159,48(54) = BGH NJW 2004,2011(2013) = VersR 2004,909 (911); BGHZ 85,212(216f.) = NJW 1983,333; BGH NJW 1997,794 = VersR 1996,1535(1537); BGH NJW 1997,796 = VersR 1997,362(363)). Eine Verlagerung der Beweislast auf die Seite der handelnden Ärzte ist ausnahmsweise nur dann ausgeschlossen, wenn ein haftungsbegründender Ursachenzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem eingetretenen Primärschaden äußerst unwahrscheinlich ist (vgl. z Bsp.: BGH NJW-RR 2010,833 = VersR 2010,115 = MedR 2010,494; BGH NJW 2005,427(428) = VersR 2005,228 ff; BGHZ 159,48(54) = BGH NJW 2004,2011(2013) = VersR 2004,909(911); BGHZ 129,6(12) = NJW 1995,1611; BGHZ 138,1(8) = NJW 1998,1780; BGH NJW 1997, 796; BGH NJW 1998,1782 = VersR 1998,585(586); BGH NJW 2000,3423).

Letzteres und damit eine zu bejahende äußerste Unwahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs liegt aber nach der überwiegenden Rechtsprechung nur dann vor, wenn eine nur deutlich unter 5 % liegende Wahrscheinlichkeit bestanden hätte, dass auch bei rechtzeitigem Handeln und damit der rechtzeitigen Einleitung des Kaiserschnitts zu dem relevanten Zeitpunkt der gesamte Schaden nicht mehr zu vermeiden war- Demgegenüber ist dann, wenn eine gewisse Chance – also eine Chance von zumindest ca. 5 % oder sogar mehr – bestanden hätte, den gesamten Schaden bei ordnungsgemäßem Handeln zu vermeiden, die Kausalität hinsichtlich aller eingetretenen Schäden bei der Klägerin zu bejahen.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze und der Ausführungen beider Sachverständigen ist damit die Kausalität im Ergebnis – sogar nach allen denkbaren Alternativen – zu bejahen.

 

aa.

In diesem Rahmen hat der Sachverständige Prof. Dr. T darauf hingewiesen, dass nach den im Jahr 2014 und auch heute noch gültigen Empfehlungen zu der Zeit zwischen der Entscheidung zur Notsectio und der Entwicklung des Kindes aller längstens und maximal 20 Minuten hätten verstreichen dürfen, so dass das Kind danach also aller spätestens um 03:45 Uhr hätte geboren werden müssen. Demnach würde sich unter Zugrundelegung dieses Maßstabes bereits ein Zeitgewinn von mindestens 13 Minuten ergeben.

Insoweit neigt die Kammer jedoch eindeutig der Auffassung zu, dass auf diese maximale E-E-Zeit von 20 Minuten in Krankenhäusern der Regel- oder erst Recht der Maximalversorgung mit gesonderten geburtshilflichen Stationen so nicht mehr abgestellt werden kann, sondern diese maximale Frist nur noch in Ausnahmefällen wie in kleineren Krankenhäusern ohne eine solche Station oder bei sonstigen Besonderheiten Geltung haben kann. Der Sachverständige Prof. Dr. T hat dazu bereits in seinem schriftlichen Gutachten und nochmals bei der mündlichen Erläuterung klargestellt, dass die Vorgabe von 20 Minuten für E-E-Zeiten auf alten historischen Daten zu Anfang der 90er Jahre und entsprechenden damaligen Untersuchungen von Prof. Dr. S beruhen würden. Diese Zeitvorgaben seien von der Fachgesellschaft zwar bis heute nicht angepasst worden, diese würden jedoch gerade in besonderen Risikosituationen ein letztlich zu langes Intervall zwischen der Entscheidung zum Notkaiserschnitt und der Entwicklung des Kindes darstellen. Zudem hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass sich die geburtshilfliche Struktur seit den Untersuchungen Anfang der 90er Jahre grundlegend geändert hat.

Demnach stimmt die Kammer mit dem Sachverständigen bezogen auf den Maßstab des Jahres 2014 und bezogen auf die heutige Zeit grundsätzlich dahingehend überein, dass in einem gut funktionierenden Krankenhaus der Regelversorgung mit einer besonderen geburtshilflichen Hauptabteilung – also bei guten räumlichen und organisatorischen Gegebenheiten – eine E-E-Zeit von 15 Minuten realisiert werden muss. Insoweit kann der Maßstab und die Anforderungen an den Standard gerade in einer Notsituation nicht mehr eine Zeitvorgabe sein, die durch die Besonderheiten und durch die Gegebenheiten vor mehr als 20 Jahren bestimmt wurde und die insbesondere auch dem Schutz kleinerer Krankenhäuser ohne geburtshilfliche Hauptabteilung dienen oder Sondersituationen mitumfassen soll. Gerade wenn man berücksichtigt, dass dem Kind in einer Notlage erhebliche Gefahren drohen und zudem oberstes Gebot und Richtschnur ärztlichen Handelns das Wohl des Patienten ist und sein muss (vgl. dazu: BGH NJW 2011,1672), müssen auch solche Entwicklungen und der heute eigentlich übliche Standard in geburtshilflichen Kliniken bei der Bestimmung der relevanten E-E-Zeit berücksichtigt werden, hier kann nicht mehr auf eine E-E-Zeit von 20 Minuten abgestellt werden, die in einer Notlage für das Kind viel zu lang und bezogen auf die heutige Praxis in Krankenhäusern der Regel- oder gar Maximalversorgung mit geburtshilflichen Hauptabteilungen nicht mehr zeitgemäß ist (ebenso z. Bsp: LG Köln – Urteil vom 08.01.2020 – Az. 25 O 324/15 – für ein Krankenhaus der Maximalversorgung und dort das Jahr 2007). Demnach hätte die Kammer mit dem Sachverständigen Prof. Dr. T dazu tendiert, dass bezogen auf ein Krankenhaus der Regelversorgung mit einer geburtshilflichen Hauptabteilung – wie dies bei dem Krankenhaus der Beklagten zu 1) zumindest der Fall sein dürfte – von einer E-E-Zeit von 15 Minuten auszugehen gewesen wäre. Damit hätte bei Zugrundelegung dieses Maßstabes die Notsectio mit einer Entwicklung der Klägerin um 03:40 Uhr beendet sein können, was hier zu einer Zeitersparnis von 18 Minuten geführt hätte.

Letztlich ist für die Beurteilung der Kausalität nach Meinung der Kammer aber ohnehin entscheidend, dass die Kammer von einer tatsächlichen Zeitersparnis von 23 bis 24 Minuten ausgeht. Insoweit hat der Sachverständigen Prof. Dr. T klargestellt, dass nach der Entscheidung zur Sectio und der Auslösung des Kaiserschnitts um 03.49 Uhr die Klägerin tatsächlich dann um 03.58 Uhr entwickelt war, so dass die tatsächliche E-E-Zeit in der Klinik der Beklagten zu 1) nur 9 Minuten betragen hat. Damit haben der Beklagten zu 2) sowie die weiteren Ärzte und Mitarbeiter der Klinik der Beklagten zu 1) also eindeutig gezeigt, welches Handeln in einer Notsituation unter den Gegebenheiten in der Klinik der Beklagten zu 1) tatsächlich möglich war und wie schnell die diesbezügliche Entscheidung in einer Notlage für das Kind tatsächlich umgesetzt worden ist. Insoweit mangelt es also bezogen auf die Klinik der Beklagten zu 1) nicht an der E-E-Zeit, sondern der Entschluss zum Notkaiserschnitt wurde fehlerhaft zu spät gefasst.

Bezogen auf die Beurteilung der Kausalität unter Zugrundelegung eines ordnungsgemäßen Handelns im Rahmen der Entschlussfassung zur Sectio ist dann jedoch dieser tatsächliche Zeitverlauf, wie er sich in der Notsituation in der Klinik der Beklagten zu 1) gezeigt hat, und die tatsächliche Schnelligkeit der Umsetzung der Bewertung zugrunde zu legen, insoweit muss für diese fiktive Beurteilung der Vorgänge bei ordnungsgemäßem Verhalten im Rahmen der Kausalität dieses tatsächlich gezeigte Vorgehen und Verhalten als Sorgfaltsmaßstab herangezogen werden( ebenso: LG Köln – Urteil vom 08.01.2020 – Az. 25 O 324/15 ).

Hier kann von Seiten der Beklagten, wie es die Beklagten-Vertreterin im Termin gemacht hat, auch nicht eingewandt werden, dass es nicht auf den individuellen Maßstab oder individuelle Vorgänge ankommen würde, sondern dieser Maßstab allein und ausschließlich objektiv zu bestimmen ist. Dies ist vom Grundsatz her zwar zutreffend, gleichwohl ist jedoch dann, wenn individuelle oder subjektive Fähigkeiten oder Kenntnisse tatsächlich vorliegen oder konkret gezeigt werden, maßgeblich darauf abzustellen. Dies zeigt ein Vergleich bezogen auf den Maßstab bei entsprechenden über den objektiven Rahmen hinausgehenden Kenntnissen und darüber hinausgehendem spezifischen Fachwissen.

Zwar ist der Sorgfaltsmaßstab ärztlichen Handelns grundsätzlich objektiv typisierend bestimmt und nicht subjektiv individuell, so dass ausgehend von einem objektiven Maßstab nicht auf dahinter zurückbleibende subjektive Kenntnisse und Fähigkeiten im konkreten Einzelfall abgestellt werden darf (vgl. dazu Greiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Auflage, Kapt. B, Rdnr. 2 m.w.Nw. ). Verfügt jedoch ein Arzt über spezielle Fähigkeiten und Kenntnisse bei einer konkreten Behandlung oder dem konkreten Vorgehen, die über den objektiven Maßstab hinausgehen, so muss er diese Kenntnisse und Fähigkeiten auch umfassend tatsächlich einsetzen, so dass dies dann den konkreten Sorgfaltsmaßstab für die Beurteilung seines Handelns in diesem konkreten Einzelfall bildet, weil das Wohl des Patienten oberste Richtschnur jeden ärztlichen Handelns bildet und damit auch spezielle oder besondere Kenntnisse und Fähigkeit beim Sorgfaltsmaßstab in solchen Fällen mitberücksichtigt werden (vgl. dazu z Bsp. BGHZ 188,29(34) = BGH NJW 2011,1672 = VersR 2011,400; BGH NJW 1997,3090; Greiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Auflage, Kapt. B, Rdnr. 4 m.w.Nw.; Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 5. Auflage, Kapt. B Rdnr. 25e)

Überträgt man diese dargestellten Grundsätze auf den vorliegenden Fall, so ist bei der Beurteilung der Kausalität und des fiktiven Verlaufes bei ordnungsgemäßem Handeln im Rahmen der Entscheidung zur Sectio dann der maßgebliche tatsächlich gezeigte Zeitverlauf, wie er sich nach der Entscheidung zum Kaiserschnitt gerade in der Klinik der Beklagten zu 1) gezeigt hat, und das hier gezeigte Verhalten für die Beurteilung der Schnelligkeit der Umsetzung heranzuziehen.

Wenn man ausgehend davon richtigerweise bereits um 03:25 Uhr den Notkaiserschnitt alarmiert und eingeleitet hätte, so wäre bei dem tatsächlich in der Klinik der Beklagten zu 1) möglich gewesenen und damit zugrunde zu legenden Zeitintervall von 9 Minuten ( Auslösung der Notsectio um 03:49 Uhr, Entwicklung des Kindes bereits um 03:58 Uhr) die Klägerin bei Zugrundelegung dieses gleichen zeitlichen Vorgehens ab 03.25 Uhr dann um 03:34 Uhr geboren worden, was zu einer Zeitersparnis von 24 Minuten geführt hätte.

bb.

Für die weitere Beurteilung im Rahmen der Kausalität kann und muss hier nicht auf die Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen des Sachverständigen Prof. Dr. X bezogen auf eine Entscheidung zur Sectio bereits um 03.00 Uhr oder 03.17 Uhr abgestellt werden, sondern entscheidend sind – wie ausgeführt – die Verläufe bei ordnungsgemäßem Handeln ab 03.25 Uhr, wenn spätestens hier die Entscheidung zur Sectio gefallen wäre.

Zwar hat der Sachverständige Prof. Dr. X sowohl in seinem schriftlichen Gutachten als auch nochmals bei der mündlichen Erläuterung klargestellt, dass die Frage der Einschätzung des Verlaufes nach 03.17 Uhr und zu späteren Zeitpunkte sehr viel schwieriger als für die Zeit um 03.17 Uhr und davor sei, da man davon ausgehen müsse, dass der wesentliche Zeitraum der Schädigung nach 03:17 Uhr aufgrund der Dauer der Bradykardie, die letztlich Ausdruck der Hypoxie des Kindes sei, gelegen habe.

Gleichwohl hat der Sachverständige bereits in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt, dass auch bei der Entscheidung zum Kaiserschnitt um 03.24 Uhr – also möglicherweise die hypoxisch-ischämische Enzephalopathie mit seinen Folgen und Auswirkungen noch vollständig hätte verhindert werden können. Denkbar und wahrscheinlich hätte bezogen auf diesen Zeitpunkt aber auch sein können, dass das Kind eine milde Hypoxie erlitten hätte und auch dann entweder nur einen geringen Residualschaden oder selbst hier keinen Residualschaden erlitten hätte. Ein mögliches Szenario einer um 03:24 Uhr eingeleitete Notsectio wäre denkbar gewesen, dass das Kind aber auch eine milde Spastik und damit verbundene Bewegungsstörung bei erhaltener Kognition und weitgehend selbständiger Lebensführung gezeigt hätte.

Bei der mündlichen Erläuterung hat der Sachverständige Prof. Dr. X dazu klargestellt, dass er bei den diesbezüglichen Ausführungen, wie sie zuvor dargestellt wurden, eine E-E-Zeit von 15 Minuten zugrunde gelegt habe und demnach von einer Vollendung der Geburt um 03.39 Uhr ausgegangen sei, mithin sei er von einer Zeitersparnis von 19 Minuten ausgegangen.

In der mündlichen Verhandlung hat er dazu die Wahrscheinlichkeitseinschätzung zudem dahingehend weiter präzisiert, dass bei dieser Variante und einer Zeitersparnis von 19 Minuten noch eine Chance von ca. 30 bis 35 % bestanden hätte, dass die Klägerin ohne jede Schädigung zur Welt gekommen wäre oder sie sich vollständig erholt hätte. Auch wenn man mit dem Sachverständigen davon ausgeht, dass dies nur eine grobe Einschätzung darstellt, wäre jedenfalls bei Zugrundelegung einer solchen ‘‘normalen E-E-Zeit‘‘ ( s.o.) und einem ordnungsgemäßen Handeln unter Berücksichtigung der Grundsätze zur Umkehr der Beweislast die haftungsbegründende Kausalität hinsichtlich des eingetretenen Primärschadens mit allen Folgen und Auswirkungen eindeutig zu bejahen.

Stellt man nach Meinung der Kammer bezogen auf die Kausalitätsbetrachtung entsprechend den zuvor nach dargestellten Grundsätzen hinsichtlich des fiktiven Verlaufes bei ordnungsgemäßem Vorgehen und bei rechtzeitiger Entscheidung zur Sectio auf die Zugrundelegung der bei der tatsächlichen Umsetzung dann eingehaltenen E-E-Zeit von 9 Minuten ab, so wäre die Vollendung der Geburt und eine vollständige Entwicklung der Klägerin sogar bereits um 3.34 Uhr eingetreten, so dass sich daraus ein Zeitgewinn von 24 Minuten ergibt. Ausgehend davon ist erst Recht die haftungsbegründende Kausalität hinsichtlich der eingetretenen Primärschädigung zu bejahen. Insoweit hat der Sachverständige Prof. Dr. X bei der mündlichen Anhörung ausgeführt, dass nach seiner Einschätzung in diesem Fall eine gute Chance, die er ausgehend von seiner vorherigen Bewertung ( Beendigung um 03.39 Uhr ) sogar mit über 30 bis 35 % beziffert hat, bestanden hätte, dass die Klägerin noch ohne jede Schädigung zur Welt gekommen wäre bzw. sich bei ihr noch keine Schädigungen entwickelt haben. Dies reicht unter Berücksichtigung der dargestellten Grundsätze zur Umkehr der Beweislast bei einem groben Behandlungsfehler dann erst Recht aus, um die haftungsbegründende Kausalität in diesem Fall zu bejahen.

Lediglich klarstellend möchte die Kammer ergänzend noch darauf hinweisen, dass die Kausalität selbst dann zu bejahen wäre, wenn man – entgegen der Meinung der Kammer – hier bezogen auf den fiktiven Verlauf sogar eine E-E-Zeit von 20 Minuten – also 11 Minuten mehr ( ! ), als die Ärzte der Beklagten zu 1) im Notfall tatsächlich erreicht haben – zugrunde legen würde. Bezogen auf eine dann relevante Zeitersparnis von nur noch 13 Minuten hat der Sachverständige Prof. Dr. X klargestellt, dass sich in diesem Fall dann die Chancen für die Klägerin deutlich verschlechtert hätten. Auch dann hätte noch eine gewisse Chance bestanden, dass die Klägerin ohne Schäden geboren worden wäre; diese hat er aber grob nur noch mit ca. 5 – 10 % beziffert. Auch dies wäre unter Berücksichtigung der dargestellten Grundsätzen u.a. zur Frage, wann von der Rechtsprechung eine äußerste Unwahrscheinlichkeit angenommen wird, immer noch ausreichend gewesen, denn selbst unter Berücksichtigung von Unsicherheiten bei der Schätzung hätte noch eine ausreichende Chance bestanden, so dass es auch dann danach eben noch nicht äußerst unwahrscheinlich gewesen wäre, dass bei der Klägerin tatsächlich keine Schäden bei der Klägerin eingetreten wären.

Damit ist nach allen in Betracht kommenden Möglichkeiten hier die haftungsbegründende Kausalität zu bejahen.

3.

Im Ergebnis ist also eine Haftung der Beklagten zu 1) und 2) für sämtliche bei der Klägerin eingetretenen Gesundheitsschäden mit ihren Folgen aufgrund der bejahten Behandlungsfehler und der aufgetretenen Versäumnisse bei der Geburt der Klägerin gerade ab 03.25 Uhr zu bejahen.

II.  Haftung des Beklagten zu 3)

Eine Haftung des Beklagten zu 3), die sich nur aus § 823 Abs. 1 BGB hätte ergeben können, ist dagegen nicht gegeben, weil insoweit die Voraussetzungen nicht feststellbar sind. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte zu 3) als Anästhesist an dem Geburtsvorgang nur insoweit beteiligt war, als dass er nach Vollendung der Geburt der Klägerin an deren Reanimation beteiligt war. Diesbezüglich kann die Kammer jedoch nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, dass hier relevante Versäumnisse und Fehler im Rahmen der Reanimation aufgetreten sind, die für die bei der Klägerin aufgetretenen Folgen tatsächlich überhaupt noch oder jedenfalls noch in nennenswertem Umfang mitursächlich geworden sind.

1.

Insoweit erscheint bereits fraglich, ob diesbezüglich ein fehlerhaftes Vorgehen im Rahmen der Reanimation durch den Beklagten zu 3) tatsächlich festgestellt werden kann, dies könnte man nur unter Berücksichtigung etwaiger Beweiserleichterungen.

Dazu hat der Sachverständige Prof. Dr. T darauf hingewiesen, dass nach seiner Meinung die postpartale Reanimation und auch die Intubation grundsätzlich noch sachgerecht durchgeführt worden sein dürften, jedenfalls lasse sich ein fehlerhaftes Vorgehen konkret nicht feststellen. Allein die Tatsache, dass über 6 Minuten keine Intubation erfolgt sei, würde nicht zwangsläufig auf ein fehlerhaftes Vorgehen oder auf diesbezügliche Versäumnisse hindeuten, da offensichtlich das Kind zumindest suffizient mit der Maske beatmet worden sei und sich bei Eintreffen des Kinderarztes jedenfalls in stabilisiertem Zustand befunden habe.

Auch der Sachverständige Prof. Dr. X hat diesbezüglich keine konkreten Versäumnisse im Rahmen der Wiederbelebung der Klägerin feststellen können. Auch er hat darauf hingewiesen, dass es nach der Geburt durch den Beklagten zu 3) zu einer Reanimation und einer Maskenbeatmung gekommen sei, wobei hier allerdings zu berücksichtigen sei, dass es unter der Maskenbeatmung jedenfalls nicht sofort oder zeitnah zu einer Erholung der Sauerstoffsättigung gekommen sei. Weiter hat er darauf hingewiesen, dass aus einer zunächst noch unzureichenden Sauerstoffsättigung auch nicht per se auf eine fehlerhafte Reanimation geschlossen werden könne, da die Klägerin möglicherweise durch die vorherigen Versäumnisse vor der Vollendung der Geburt bereits oder noch so kompromittiert gewesen sei, dass eine bessere Sättigung selbst bei ordnungsgemäßem Vorgehen im Rahmen der Maskenbeatmung nicht zu erreichen gewesen sein könne.

Andererseits hat der Sachverständige Prof. Dr. X immerhin aber auf die deutliche Dokumentationsversäumnisse im Rahmen der Wiederbelebung der Klägerin hingewiesen, so gebe es z Bsp. kein Protokoll über die Reanimation, was schon sehr ungewöhnlich sei. Darüber hinaus hat er auch in seinem schriftlichen Gutachten auf die diesbezügliche weitere Lücken und Mängel in der Dokumentation hingewiesen, was zu der Schlussfolgerung geführt hat, dass auf der Grundlage der Dokumentation letztlich keine sichere und abschließende Beurteilung möglich sei, ob hier nicht doch auch im Rahmen der Reanimation noch weitere mögliche Fehler und Versäumnisse aufgetreten sind.

Die diesbezüglichen Mängel in der Dokumentation und eine Verletzung der Dokumentationspflicht ist für sich genommen jedoch kein schadensersatzpflichtiger Behandlungsfehler und ein Dokumentationsmangel bildet für sich genommen keine eigenständige Grundlage, um einen Behandlungsfehler anzunehmen (vgl. dazu BGH VersR 1989,80(81); BGH NJW 1993,2375 = VersR 1993,836; BGH NJW 1995,1611). Die wesentliche Bedeutung von Dokumentationsmängeln besteht letztlich aber zumindest in beweisrechtlichen Folgen, da die diesbezüglichen Dokumentationsmängel zu einer Umkehr der Beweislast führen können.

Geht man mit dem Sachverständigen Prof. Dr. X von den relevanten Dokumentationsmängeln aus, so besteht insoweit jedoch die Besonderheit, dass die Beklagten ihrerseits dann im Rahmen der für sie dadurch begründeten Beweispflicht keinen konkreten Beweis für Umstände und Tatsachen angetreten haben, die die diesbezüglichen Dokumentationsmängel im Rahmen der Reanimation heilen könnten und für ein vollständig ordnungsgemäßes Vorgehen im Rahmen der Wiederbelebung der Klägerin sprechen würden.

Damit könnte es also auch im Rahmen der Reanimation zu gewissen Mängeln und Fehlern gekommen sein.

2.

Selbst wenn man jedoch auf dieser Grundlage davon ausgeht, dass auch im Rahmen der Reanimation gewisse Mängel oder Versäumnisse aufgetreten sind, führt dies gleichwohl nicht dazu, dass eine Haftung des Beklagten zu 3) gegeben ist. Insoweit müsste nämlich festgestellt werden, dass die diesbezüglichen Fehler oder Versäumnisse im Rahmen der Reanimation für die bei der Klägerin eingetretene Schädigung mit ihren diesbezüglichen Folgen in irgendeinem Umfang mitursächlich gewesen ist. Davon kann im Ergebnis jedoch nicht ausgegangen werden, jedenfalls lässt sich dies nicht feststellen.

In diesem Rahmen ist zu berücksichtigen, dass anders als bei den Beklagten zu 1) und 2) hinsichtlich der Frage der Haftung des Beklagten zu 3) bezogen auf die Kausalität möglicher Fehler oder Versäumnisse im Rahmen der Reanimation für die bei der Klägerin vorliegende Gesundheitsschädigung mit ihren Folgen keine diesbezügliche Beweislastumkehr eingreift.

Eine Beweislastumkehr im Bereich der Kausalität kann bei einer Dokumentationslücke nur dann angenommen werden, wenn die diesbezüglichen Fehler oder Versäumnisse als grober Behandlungsfehler zu werten wären, der schlechterdings nicht vorkommen kann. Dafür ist auf der Grundlage der Ausführungen beider Sachverständigen Prof. Dr. X und Prof. Dr. T jedoch nichts ersichtlich, selbst wenn man hier gewisse Mängel oder Versäumnisse annehmen würde. Es ist auch nicht so, dass die Mängel der Dokumentation bzw. die Nichtdokumentation von Maßnahmen im Rahmen der Reanimation neben der möglichen Beweislastumkehr hinsichtlich eines Pflichtenverstoß zusätzlich auch dazu führen würde, dass gleichzeitig auch eine Beweislastumkehr hinsichtlich des Ursachenzusammenhangs anzunehmen wäre (vgl. dazu auch: BGH NJW 1999, 3408; BGH – Urteil vom 22.10.2019 – Az. VI ZR 71/17 -; Geiß/Greiner Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl., Kap. B III Rn. 206).

Zudem hat der Sachverständige Prof. Dr. X sowohl in seinem schriftlichen Gutachten als auch nochmals im Rahmen der Erörterungen im Rahmen der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass es selbst dann, wenn man hier von möglichen Versäumnissen oder Mängel im Rahmen der Reanimation ausgehen würde, sehr fraglich ist, ob diese dann angesichts des Schädigungsbildes bei der Klägerin unmittelbar nach der Geburt und ihres Zustandes nach Vollendung der Geburt überhaupt oder bejahendenfalls noch in nennenswertem Umfang für die tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschäden mit ihren Folgen mitverantwortlich waren.

Damit lässt sich selbst dann, wenn man von möglichen Versäumnissen oder einem Mangel bei der Reanimation durch den Beklagten zu 3) ausgehen würde, insgesamt nicht mit der notwendigen Sicherheit gem. § 286 ZPO feststellen, dass diesbezügliche Fehler oder Versäumnisse für die bei der Klägerin tatsächlich eingetretenen Schäden mit ihren Auswirkungen kausal beigetragen haben, so dass bezogen auf den Beklagten zu 3) die notwendige Kausalität zwischen der möglichen Pflichtverletzung des Beklagten zu 3) und den bei der Klägerin eingetretenen Primärschaden nicht festgestellt werden kann. Den diesbezüglichen Beweis hätte die Klägerin jedoch bezogen auf eine mögliche Haftung und Inanspruchnahme auch des Beklagten zu 3) erbringen müssen.

Aus diesem Grunde scheiden entsprechende Ansprüche gegen den Beklagten zu 3) aus.

III. Ansprüche der Klägerin auf der bejahten Haftungsgrundlage

Im Hinblick auf die geltend gemachten Ansprüche geht die Kammer von einem Zahlungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagten zu 1) und 2) in Höhe von insgesamt 400.480,50 Euro aus, wobei sich dieser Betrag aus einem weiteren Schmerzensgeld in Höhe von 400.000,- Euro sowie aus einem materiellen Schadensersatzanspruch in Höhe von 480,50 Euro bezogen auf den insoweit allein geltend gemachten Betrag zusammensetzt.

Darüber hinaus ist auch der Feststellungsantrag im tenorierten Umfang gegen die Beklagten zu 1) und 2) begründet.

1.

Bezüglich des Schmerzensgeldes ist bei der Klägerin nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. X eine schwere hypoxisch–ischämische Enzephalopathie eingetreten, bei der sich in der Folgezeit die typischen Schädigungen und das volle Schadensbild dieses Gesundheitsschadens bei der Klägerin entwickelt hat. So sind bereit in den ersten Lebenstagen Krampfanfälle und eine schwere neurologische Schädigung aufgetreten. Weiterhin hat sich im weiteren Verlauf aufgrund dieser schweren Hirnschädigung erwartungsgemäß dann eine vollständige spastische Tetraparese verbunden mit einer Rumpfhypotonie gezeigt. Es liegen also keine atypischen Schädigungen bei der Klägerin vor. Demnach sind also der gesamte Gesundheitsschaden sowie die damit verbundenen Einschränkungen und das gesamte schwere Krankheitsbild für die Schmerzensgeldbemessung in vollem Umfang heranzuziehen.

Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. X leidet die Klägerin im Rahmen dieses Krankheitsbildes daran, dass die Arme und Beine durch einschießende Spasmen immer wieder krampfhaft gehalten würden und zudem eine ausgesprochene Tonusschwäche im Bereich des Kopfes und Rumpfes bestehen würde. Damit liegt also zwangsläufig bei der Klägerin eine ausgesprochene Haltungsschwäche, eine Unfähigkeit zum freien Sitzen, eine eingeschränkte Fähigkeit zur Fortbewegung und auch zur sprachlichen Kommunikation vor. Insoweit ist also bei der Klägerin eine Störung ihres gesamten Bewegungsablaufes sowie ihres gesamten Körpers gegeben, welche das Greifen, das Sitzen, das Stehen, das Gehen und insbesondere auch die Feinmotorik betrifft. Auch eine Fähigkeit zur sprachlichen Kommunikation ist bei der Klägerin nicht gegeben und wird sich entsprechend den Ausführungen des Sachverständigen auch nicht entwickeln.

Insoweit hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass die Klägerin zwar 1 oder 2 Worte sprechen kann, ihre sprachliche Fähigkeit wird sich jedoch nicht wesentlich weiter entwickeln, so dass die Klägerin Zeit ihres Lebens in der sprachlichen Kommunikation deutlich und nachhaltig eingeschränkt ist. Zudem werden zeitlebens die von dem Sachverständigen aufgezeigten motorischen Defizite bestehen. Weiterhin hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung zusätzlich noch klargestellt, dass bei der Klägerin auch die kognitive Entwicklung nachhaltig eingeschränkt ist und diese ist letztlich auf dem Stand eines 2-jährigen Kindes stehengeblieben. Auch insoweit sei nicht zu erwarten, dass sich dieser kognitive Zustand in der Zukunft noch wesentlich verbessern wird. Demnach liegt auch im Bereich des Denkens und damit der kognitiven Fähigkeiten eine schwerwiegende Behinderung und im Ergebnis eine dauerhafte Beeinträchtigung vor.

Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass bei der Klägerin erhebliche Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme und beim Trinken bestehen, wie insbesondere die Mutter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung anschaulich geschildert hat. Auch dies hat der Sachverständige als nachvollziehbar und glaubhaft bestätigt, so dass die diesbezügliche Einschränkung ebenfalls zu berücksichtigen ist.

Insgesamt hat der Sachverständige klargestellt, dass aufgrund der bei der Klägerin gegebenen motorischen Defizite sowie der kognitiven Einschränkungen weder jetzt noch in Zukunft die Fähigkeit zu einer eigenständigen Lebensführung gegeben sein wird, insgesamt wird die Klägerin also Zeit ihres Lebens auf eine dauerhafte Pflege und Hilfe angewiesen sein. Demnach wird sie dauerhaft und damit ihr gesamtes Leben eine Betreuung bedürfen und aufgrund ihrer Behinderungen sowie der bei ihr gegebenen Einschränkungen in ihrem Leben nie eine eigene Selbständigkeit entwickeln können.

Geht man von den dargestellten erheblichen Einschränkungen sowie der diesbezüglichen gravierenden Behinderung bei der Klägerin aus und berücksichtigt, dass diese Zeit ihres Lebens nicht zu einer eigenständigen und selbständigen Lebensführung in der Lage und dauerhaft auf Hilfe angewiesen sein wird, so hält die Kammer ein ganz erhebliches Schmerzensgeld für gerechtfertigt. Insoweit orientiert sich die Kammer aber daran, dass zum Beispiel von den Arzthaftungssenaten des OLG Hamm Schmerzensgelder in einer Größenordnung von 500.000,- oder gar 550.000,- Euro, wie es der grundsätzlichen Vorstellung der Klägerin entspricht, zur Zeit noch nur bei allerschwersten Beeinträchtigungen jeglicher Art, insbesondere sowohl bei erheblichsten motorischen und geistigen Einschränkungen zuerkannt werden, bei denen es im Prinzip zu einer vollständigen Zerstörung der gesamten Persönlichkeit gekommen ist, die dem Betroffenen jegliche Möglichkeit körperlicher und geistiger Entwicklung genommen und damit die gesamte Wurzel seiner Persönlichkeit zerstört hat (vgl. dazu z.B. OLG Hamm VersR 2004, 386 ff. und OLG Hamm NJW-RR 2002, 1604 = VersR 2002 1136).

An diese Bewertung hat das OLG Hamm auch im Urteil vom 29.03.2018 (OLG Hamm VersR 2019, 34 ff. = MedR 2019, 220 ff.) festgehalten und eine Abgrenzung dahingehend vorgenommen, dass dann, wenn noch eine gewisse, wenn auch sehr eingeschränkte Teilnahmemöglichkeit am Leben möglich ist, nur ein etwas geringerer Betrag in Betracht kommt, wobei im konkreten Fall ein Schmerzensgeld von insgesamt 400.000,00 Euro zuerkannt wurde.

Nimmt man insbesondere die letzte Entscheidung des OLG Hamm vom 29.03.2018 als ungefähren Maßstab, so sind in diesem Fall die bei der Klägerin aufgetretenen Beeinträchtigungen und Einschränkungen noch etwas gravierender, als sie in dem dortigen Fall jedenfalls in den Gründen dargestellt wurden. Gleichwohl kann auch hier eine vollständige Zerstörung der Persönlichkeit der Klägerin, die jegliche Teilhabefähigkeit am Leben verneint, nicht festgestellt werden. So hatte auch der Sachverständige Prof. Dr. X bereits in seinem schriftlichen Gutachten darauf hingewiesen, dass die Klägerin zwar, wie ausgeführt, zu einer eigenständigen Lebensführung nicht in der Lage sei, andererseits aber zu berücksichtigen sei, dass sie in der Lage sei, einfachen Aufforderungen zumindest noch zu folgen und zum Beispiel ihrer Freude auch durch Lachen Ausdruck zu verleihen, so dass sie in gewissem Umfang an ihrer Umgebung teilnehme. Dies kann auch den Angaben der Mutter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung so entnommen werden, zumal die Klägerin auch einen heilpädagogischen Kindergarten besucht.

Unter Berücksichtigung der bei der Klägerin tatsächlichen gegebenen motorischen Einschränkungen sowie der kognitiven Defizite sowie den damit verbundenen Behinderungen und Berücksichtigung von Vergleichserwägungen mit ähnlichen Fällen von schwerwiegenden Geburtsschäden gerade auch in der Beurteilung und Bewertung von Schmerzensgeldern, die das OLG Hamm zuerkannt hat, hält die Kammer in diesem individuellen Fall der Klägerin ein Schmerzensgeld aufgrund der bei ihr eingetretenen Beeinträchtigungen und Behinderungen sowie der Prognose für die Zukunft in Höhe von insgesamt 450.000,00 Euro für angemessen und gerechtfertigt.

Da auch dieses angemessene Schmerzensgeld von Seiten der Beklagten bereits ein Betrag von 50.000,00 Euro gezahlt wurde, ergibt sich also ein zuzuerkennendes Schmerzensgeld von weiteren 400.000,00 Euro.

2.

Darüber hinaus kann die Klägerin für durchgeführte Behandlungen den geltend gemachten Betrag von 480,50 Euro verlangen.

Dabei handelt es sich offensichtlich um Rechnungen für bei der Klägerin durchgeführte Behandlungsmaßnahmen zur Steigerung der Bewegungsfähigkeit bei einem Osteopathen. Es mag sein, dass die gesetzliche Krankenkasse die diesbezüglichen Kosten nicht übernommen hat. Gleichwohl hält die Kammer diese Kosten für erstattungsfähig, wenn durch die diesbezüglichen Behandlungsmaßnahmen eine gewisse Bewegungsfähigkeit der Klägerin auch nur gesteigert werden kann. Insoweit hat die Mutter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung auch bestätigt, dass ihr die diesbezüglichen Behandlungen sehr geholfen haben.

Ausgehend davon hält die Kammer demnach die diesbezüglichen Kosten, die durch die vorgelegten Rechnungen auch nachgewiesen sind, für erstattungsfähig, da es insoweit ausreicht, dass die Maßnahmen geeignet waren, mögliche Verbesserungen für die Klägerin herbeizuführen.

Demnach kann die Klägerin also im Wege des Schadensersatzes die Erstattung der Kosten der Rechnungen der Gemeinschaftspraxis Sacher für dortige Behandlungen in Höhe von insgesamt 480,50 Euro ersetzt verlangen.

3.

Auch der Feststellungsantrag ist im tenorierten Umfang zulässig und begründet.

Der Antrag auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz aller (weiteren) materiellen Schäden ist allein deshalb begründet, weil hier nach den Ausführungen des Sachverständigen sicher davon auszugehen sein wird, dass zukünftig erhebliche materielle Folgen und Kosten noch entstehen werden, da die Klägerin lebenslang der Pflege und der Betreuung bedarf, wodurch zwangsläufig Kosten entstehen werden. Darüber hinaus sind angesichts des umfassenden und schweren Krankheitsbildes bei der Klägerin auch weitere Schäden und Kosten in Zukunft sehr wahrscheinlich und naheliegend.

Auch dem Anspruch auf Feststellung der Erstattung immaterieller Zukunftsschäden war im tenorierten Umfang stattzugeben. Insoweit ist allerdings zu berücksichtigen, dass nicht sämtliche immaterielle Zukunftsschäden berücksichtigt werden können, da alle vorhersehbaren immateriellen Schäden bereits durch das zuerkannte Schmerzensgeld abgegolten sind und damit lediglich ein Vorbehalt für zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vorhersehbare weitere immaterielle Zukunftsschäden in den Feststellungstenor aufgenommen werden kann. Da auch der Eintritt solcher nicht vorhersehbarer immaterieller Zukunftsschäden der Klägerin, die bei der jetzigen Schmerzensgeldbemessung trotz der umfassenden Würdigung noch nicht berücksichtigt werden können, aufgrund des umfassenden Schadensbildes möglich sind und dies für die Bejahung des diesbezüglichen Feststellungsantrages ausreicht, war demnach auch der Feststellungsantrag bezüglich der immateriellen, nicht vorhersehbaren Zukunftsschäden im tenorierten Umfang zulässig und begründet.

IV. Nebenforderungen und Nebenentscheidungen

Der Zinsanspruch ergibt sich im tenorierten Umfang aus den §§ 286, 288 BGB. Ein früherer Verzugseintritt lässt sich nicht feststellen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1, 100, 709 ZPO.

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