LG Arnsberg, Az.: 5 O 31/14, Urteil vom 15.03.2016
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger ein Schmerzensgeld i.H.v. 60.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.03.2013 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger allen materiellen Schaden und den weiteren nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden aus der Behandlung vom 20.05.2010 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 2028,36 EUR für vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.11.2014 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen nach einem Gegenstandswert von 101.000 EUR der Kläger zu 40 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 60 %.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % der jeweils beizutreibenden Beträge vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von den Beklagten Schmerzensgeld und Feststellung der weiteren Eintrittspflicht aus Anlass einer ärztlichen Behandlung vom 20. – 27. 5.2010.
Der am 10.1.1998 geborene Kläger erlitt am 19.5.2010 auf dem Schulhof während der Pause beim Spielen eine Verletzung des rechten Ellenbogens.
Aus diesem Grunde begab er sich am 20.5.2010 zu dem als Durchgangsarzt tätigen Beklagten zu 1) in das X-Krankenhaus O1, deren Trägerin die Beklagte zu 2) ist. Der Beklagte zu 1) fertigte Röntgenbilder beider Ellenbogen in zwei Ebenen mit dem Ergebnis, dass kein sicherer Frakturhinweis bestehe. Darüber hinaus untersuchte er den Kläger klinisch und sonographisch. Auf der Grundlage seiner Untersuchungen stellte er die Diagnose einer Verstauchung bzw. einer Zerrung des rechten Ellenbogens. Es wurde dem Kläger ein Heparin-Salbenverband mit elastischer Wickelung angelegt; darüber hinaus wurden ihm zur Schmerzlinderung vier Tabletten Paracetamol mitgegeben. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Durchgangsarztbericht vom 20.5.2010 Bezug genommen.
Für den 27.05.2010 dokumentierte der Beklagte zu 1), dass keine Schwellung und eine freie Funktion des Ellenbogens beim Kläger bestehe. Der Kläger wurde aus der ambulanten Behandlung entlassen und das berufsgenossenschaftliche Verfahren wurde abgeschlossen.
Am 10.8.2011 stellten die Eltern den Kläger in der Orthopädischen Klinik O2 vor, weil er seinen rechten Arm nicht vollständig Durchstrecken konnte. Bei der dortigen ärztlichen Untersuchung wurde eine in Fehlstellung verheilte Ellenbogenfraktur mit Deformierung des Radiuskopfes diagnostiziert. Es wurden ein Wachstumsfugenverschluss, eine Korrekturosteotomie und Radiusverkürzung mit anschließender Osteosynthese angeraten, alternativ wurde eine Radiusköpfchenresektion empfohlen.
Daraufhin stellten die Eltern des Klägers ihr Kind in der Abteilung für Kinderorthopädie der Y-Klinik O3 am 31.8.2011 und in der orthopädischen Abteilung der Y-Klinik O4 am 8.9.2011 vor.
In der Zeit vom 27. bis 29.3.2012 ließ sich der Kläger stationär im Z-Kinderkrankenhaus O5 behandeln, wo am 28.3.2012 eine Ulnaverkürzungsosteotomie mit Plattenosteosynthese am rechten Ellenbogen durchgeführt wurde.
Ein Jahr später am 27.3.2013 fand in dem vorgenannten Kinderkrankenhaus die Metallentfernung im Rahmen eines dreitägigen stationären Aufenthaltes statt.
Vom 15. bis 18.4.2014 wurde der Kläger erneut im Z-Kinderkrankenhaus stationär behandelt, wo er sich einer Radiusköpfchenresektion mit Kapsel-Bandplastik und Epiphysiodese der distalen Ulna rechts unterzog.
Am 17.11.2014 fand im vorgenannten Krankenhaus eine Funktionskontrolle des rechten Ellenbogengelenkes beim Kläger statt. Eine Abschlusskontrolle im 18. Lebensjahr wurde vereinbart.
Die Prozessbevollmächtigten des Klägers haben die hinter den Beklagten stehende Haftpflichtversicherung vergeblich schriftlich zur Anerkennung ihrer Einstandspflicht bis zum 28.2.2013 aufgefordert.
Der Kläger hat der A den Streit verkündet mit der Aufforderung auf seiner Seite dem Rechtsstreit beizutreten. Ein Beitritt ist nicht erfolgt.
Der Kläger nimmt die Beklagten mit dem Vorwurf in Anspruch, der Beklagte zu 1) habe bei der Erstuntersuchung die Fraktur des Radiusköpfchens mit Beteiligung der Wachstumsfuge fehlerhaft auf dem Röntgenbild vom 20.5.2010 nicht erkannt. Er habe es zudem unterlassen, auf die eindeutigen Anzeichen einer Fraktur zu reagieren und den Kläger fehlerhaft nur mit einem Salbenverband behandelt. Zumindest aber sei der Beklagte zu 1) verpflichtet gewesen, ihn (den Kläger) zur Durchführung von Kontrolluntersuchungen bzw. einer Nachuntersuchung einzubestellen, was der Beklagte zu 1) jedoch ebenfalls pflichtwidrig unterlassen habe. Eine Wiedervorstellung habe nicht stattgefunden, auch nicht am 27.5.2010.
Der Kläger vertritt zudem die Ansicht, die Beklagten seien passivlegitimiert, da ein D- Arzt bei der ärztlichen Erstversorgung eines Unfallverletzten nicht in Ausübung eines öffentlichen Amtes handele.
Weiter behauptet der Kläger, durch das Übersehen der Fraktur sei diese in Fehlstellung verheilt. Aufgrund der fehlerhaften ärztlichen Behandlung habe er sich bisher drei Korrekturoperationen unterziehen müssen. Die Bewegung seines rechten Armes sei auf Dauer eingeschränkt; eine Minderung der Erwerbsfähigkeit auf Dauer sei i.H.v. 20 % festgestellt worden. Bis heute leide er unter massiven funktionellen Bewegungseinschränkungen des rechten Ellenbogengelenkes, insbesondere einer deutlichen Einschränkung der Umwendbewegung des rechten Unterarmes sowie mäßiger Einschränkung der Beuge- und Streckfähigkeit des rechten Armes, Kraft-und Belastungsminderung sowie Verschleißschäden. Am rechten Handgelenk seien Operationsnarben verblieben. Zudem stehe noch nicht fest ob verbliebene Schrauben im rechten Handgelenk operativ entfernt werden müssten.
Durch die Folgen der Fehlbehandlung sei er in seinem Berufswunsch stark eingeschränkt. Seinen ursprünglichen Berufswunsch Polizist habe er verwerfen müssen. Auch die Ausübung eines handwerklichen Berufes scheide für ihn aufgrund der eingetretenen Gesundheitsbeeinträchtigungen aus. Darüber hinaus sei er im Bereich Sport und Freizeit erheblich eingeschränkt und dadurch von gemeinsamen Aktivitäten mit Gleichaltrigen teilweise ausgeschlossen.
Angesichts seiner Beeinträchtigungen hält der Kläger ein Schmerzensgeld von 100.000 EUR für angemessen.
Ferner behauptet der Kläger, die Behandlung und die Entwicklung der Schäden seien nicht abgeschlossen, weshalb er ein Interesse an der Feststellung der grundsätzlichen Eintrittspflicht der Beklagten habe. Zur Einziehung der verauslagten vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren sei er durch die Rechtsschutzversicherung ermächtigt.
Der Kläger beantragt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch i.H.v. 100.000 EUR, nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 1.3.2013 zu zahlen;
2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm allen materiellen Schaden und den weiteren nicht vorhersehbaren immateriellen Schaden aus der Behandlung vom 20.5.2010 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden;
3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 2924,07 EUR für vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Sie bestreiten zunächst ihre Passivlegitimation und vertreten in diesem Zusammenhang die Ansicht, dass es sich bei der Diagnostik eines Unfallverletzten durch den Durchgangsarzt um eine ausschließlich originär öffentlich-rechtliche Tätigkeit handele. Die durch den Beklagten zu 1) vorgenommene Diagnostik sei untrennbar mit der Frage der Notwendigkeit einer berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung verknüpft gewesen. Sie sei der Frage im Hinblick auf das „Ob“ einer berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung zwingend vorgeschaltet und stelle einen wesentlichen Bestandteil der berufsgenossenschaftlichen Aufgabenzuweisung dar. Der Kläger rüge ausdrücklich ein diagnostisches Versäumnis innerhalb dieses öffentlich-rechtlichen Pflichtenkreises des Durchgangsarztes. Eine vertragliche oder deliktische Haftung der Beklagten zu 2) komme insoweit ebenfalls nicht in Betracht. Selbst im Falle der Annahme eines zivilrechtlichen Behandlungsverhältnisses mit dem Beklagten zu 1) scheide eine Passivlegitimation der Beklagten zu 2) aus, weil im Durchgangsarztbericht als nachbehandelnder Arzt ausschließlich der Beklagte zu 1) aufgeführt sei.
Darüber hinaus behaupten die Beklagten, die ärztliche Diagnostik durch den Beklagten zu 1) sei lege artis erfolgt. Zu Recht habe dieser anhand der Röntgenbildgebung keinen sicheren Frakturhinweis gesehen und insoweit die Verdachtsdiagnose einer Verstauchung bzw. Zerrung des rechten Ellenbogens gestellt. Diese Diagnose sei in jedem Fall vertretbar gewesen.
Auch das Vorgehen des Beklagten zu 1) im Rahmen der klinischen Kontrolle am 27.5.2010 weise keine Fehler auf, weil sich im Rahmen der Untersuchung keine Funktionsbeeinträchtigung mehr gezeigt habe.
Die Beklagten bestreiten darüber hinaus die vom Kläger behaupteten körperlichen Beeinträchtigungen ebenso wie einen bestehenden Zusammenhang mit der Diagnostik des Beklagten zu 1). Etwaige bestehende Einschränkungen des rechten Ellenbogens seien dem Primärtrauma geschuldet. Dieses habe auch die späteren operativen Eingriffe erforderlich gemacht.
Mit Nichtwissen bestreiten die Beklagten die vom Kläger behaupteten Berufswünsche.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen fachorthopädisch-unfallchirurgischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. P1. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten vom 19.5.2015 (Bl. 91 ff. der Akten) Bezug genommen. Ferner hat der Sachverständige sein Gutachten mündlich erläutert. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift vom 23.02.2016 (Bl. 181 ff. der Akten) verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
Die zulässige Klage ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme teilweise begründet.
Dem Kläger steht gegen die Beklagten ein Anspruch auf Schmerzensgeld und Feststellung der Schadensersatzpflicht aus Vertrag nach §§ 611, 630 a, 280 Abs. 1 BGB oder aus deliktischer Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB jeweils i.V.m. § 253 Abs. 2 BGB zu.
1. Die Beklagten sind passivlegitimiert.
Nach ganz einhelliger Meinung in Rechtsprechung und Literatur handelt der Durchgangsarzt bei der ihm gemäß § 34 Absatz ein SGB VII obliegenden Entscheidung, ob es erforderlich ist, eine besondere unfallmedizinische oder Berufskrankheiten-Versorgung einzuleiten, öffentlich-rechtlich. Insoweit erfüllt er nämlich eine der Berufsgenossenschaft obliegende Pflicht.
Zwar ist den Beklagten zuzubilligen, dass die am 20.5.2010 vom Beklagten zu 1) betriebene Röntgendiagnostik der öffentlich-rechtlichen Durchgangsarzttätigkeit zuzuordnen ist. Nach Ansicht der Kammer unterfiel sie jedoch zugleich aufgrund ihrer „doppelten Zielrichtung“ mit Blick auf die daraus abgeleitete und vom Kläger beanstandete ärztliche Erstversorgung auch dem Privatrecht. Diese Rechtsauffassung der Kammer steht im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung. So hat auch das Oberlandesgericht Hamm in einem vergleichbaren Fall die Auffassung vertreten, dass ein Durchgangsarzt für das Nichtbehandeln einer im Rahmen der D- Arzt- Untersuchung verkannten Fraktur privatrechtlich einzustehen habe (vergleiche OLG Hamm, Urteil vom 9.11.2009, 3 U 103/09, AHRS 0465/319). Dies entspricht im Übrigen auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (NJW 75, 589), der darauf hingewiesen hat, dass der Amtspflichtbereich für den nicht der Durchgangsarzt, sondern der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung haftet, eng sei und dass demgemäß der Durchgangsarzt auch für Fehler bei der Erstversorgung hafte.
Soweit sich die Beklagten auf die u.a. vom OLG Schleswig vertretene Auffassung, die durchgangsärztliche (unzutreffende) Erstversorgung und eine Fehldiagnose mit der Folge einer hierauf beruhenden unsachgemäßen Behandlung sei dem öffentlich-rechtlichen Bereich zuzuordnen und die frühere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sei überholt, bezogen haben, kann diese Ansicht nicht geteilt werden. Auch der Bundesgerichtshof ist in der Revisionsentscheidung vom 4.3.2008 (BGH VI ZR 101/07-juris) dem OLG Schleswig insoweit ausdrücklich nicht gefolgt.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist auch die Beklagte zu 2) neben dem Beklagten zu 1) passivlegitimiert. Hieran ändert der Umstand nichts, dass der Beklagte zu 1) als nachbehandelnden Arzt unter Zeile 16 des Durchgangsarztberichtes sich selbst eingetragen hat. Denn die Eintragung des Beklagten zu 1) in dem vorgenannten Bericht ist dahingehend zu verstehen, dass er zwar als Ansprechpartner des Klägers fungieren, aber ihn in seiner Tätigkeit als Angestellter der Beklagten zu 2) behandeln wollte.
2. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist die Klage teilweise begründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagten ein Anspruch auf Schmerzensgeld von 60.000,00 Euro aus Vertrag nach §§ 611, 630 a, 280 Abs. 1 BGB und aus Delikt gemäß §§ 823 Abs. 1, 831 BGB jeweils i.V.m. §§ 253 Abs. 2, 249 BGB zu.
a) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Behandlung des Klägers durch den Beklagten zu 1) fehlerhaft war.
Nach der Bewertung des Sachverständigen Dr. P1 in einem Gutachten vom 19.05.2015 ist dem Beklagten zu 1) am 20.05.2010 ein fundamentaler Diagnoseirrtum unterlaufen. Denn es hätten sich im Rahmen der klinischen und sonographischen Untersuchung des Klägers durch den Beklagten zu 1) am 20.5.2010 erhebliche Weichteilverletzungen mit Schwellung und Hämatomverfärbung gezeigt. Zudem hätten sich auf den Röntgenbildern deutliche Zeichen der knöchernen Verletzung des Radiusköpfchens und eine Verletzung im Bereich des Capitulum humeri mit Beteiligung der Wachstumsfuge erkennen lassen. Zusätzlich sei als Hinweis für die erhebliche Schwere der Verletzung ein typisches FAT-PAD-Sign (Fettpolsterzeichen) sichtbar gewesen.
Diese Schwere der Verletzung habe der Beklagte zu 1) in eklatanter Weise nicht erkannt und lediglich eine Verstauchung oder Zerrung des Ellenbogengelenkes diagnostiziert.
Bei dieser Einschätzung eines groben Diagnosefehlers ist der Sachverständige auch im Rahmen der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens geblieben. Nachvollziehbar hat er dargelegt, dass sich bereits aufgrund der klinischen und sonographischen Untersuchung eine derartige Schwere der Weichteilverletzungen gezeigt habe, dass mit einer weitergehenden knöchernen Verletzung zu rechnen gewesen sei. Diese knöcherne Verletzung sei ganz eindeutig auch auf den Röntgenbildern erkennbar gewesen. Dass der Beklagte zu 1) gleichwohl lediglich von einer Verstauchung oder Zerrung des Ellenbogengelenkes ausgegangen sei, hat der Sachverständige als nicht nachvollziehbar gewertet. In der Gesamtschau der erhobenen Befunde, die Dr. P1 für primär ausreichend erachtet hat, hat der Sachverständige die Diagnose des Beklagten zu 1) als fundamentalen Diagnoseirrtum qualifiziert. Denn der Beklagte zu 1) habe sämtliche Anzeichen für die Schwere der stattgehabten Verletzung in eklatanter Weise verkannt.
Dieser Bewertung schließt sich die Kammer nach eigener Überprüfung auch aus juristischer Sicht an. Gerade der Umstand, dass verschiedene Untersuchungen Befunde unterschiedlicher Art erbracht haben, die sämtlich die Schwere der Ellenbogenverletzung beim Kläger gezeigt haben, und der Beklagte zu 1) alle Anzeichen übersehen bzw. verkannt hat, lassen seinen Diagnoseirrtum besonders schwer erscheinen. Das Gutachten des Sachverständigen Dr. P1 ist plausibel und widerspruchsfrei.
b) Der Beklagte zu 1) kann sich auch nicht dadurch entlasten, dass die falsche Diagnostik – nach seiner Behauptung – auf einer Fehlinterpretation der Röntgenbilder in der radiologischen Abteilung beruht habe.
Denn zum einen steht bereits nicht fest, dass eine Befundung der Röntgenbilder durch einen Radiologen überhaupt erfolgt ist, weil sich ein derartiger radiologischer Befund nicht bei den Behandlungsunterlagen befindet. Zum anderen hat der Sachverständige im Rahmen der mündlichen Gutachtenerläuterung unmissverständlich darauf hingewiesen, dass der Diagnoseirrtum des Beklagten zu 1) nicht nur auf einer Fehlinterpretation der Röntgenbilder beruhe, sondern auch die in der klinischen und sonographischen Untersuchung erkennbaren erheblichen Weichteilverletzungen falsch eingeschätzt worden seien. Darüber hinaus hätte der Beklagte zu 1) nach den Ausführungen des Sachverständigen die Röntgenbilder ohnehin selbst ansehen und bewerten müssen, selbst wenn tatsächlich eine Befundung durch die radiologische Abteilung erfolgt sein sollte.
Dieser gut nachvollziehbaren medizinischen Auffassung des Sachverständigen, an dessen Fachkunde keine Zweifel bestehen, schließt sich auch die Kammer aufgrund eigener Überzeugungsbildung an. Denn es lag kein Fall der horizontalen Arbeitsteilung vor, in welchem der Beklagte zu 1) auf die Bewertung der Röntgenbilder durch die Radiologen hätte vertrauen können und dürfen. Vielmehr musste der Beklagte zu 1) – wie Dr. P1 festgestellt hat – im Rahmen der fachgebundenen Röntgendiagnostik die angefertigten Aufnahmen in eigener Verantwortung und unter Berücksichtigung der sonstigen klinischen und sonographischen Befunde bewerten.
c) Aufgrund seiner Fehldiagnose hat der Beklagte zu 1) den Kläger lediglich mit einem Heparin-Salbenverband und Schmerzmitteln behandelt, obwohl diese Behandlung angesichts der Schwere der Verletzung nach den Ausführungen des Sachverständigen aus medizinischer Sicht völlig unzureichend war. Nachvollziehbar hat Dr. P1 der Kammer erläutert, dass der rechte Arm des Klägers am 20.05.2010 in einem Oberarmgips mit Einschluss des Handgelenkes zwingend hätte ruhig gestellt werden müssen. Desweiteren hätten in den folgenden Tagen eine weitergehende bildgebende Diagnostik in Form einer MRT- Untersuchung veranlasst und gegebenenfalls eine Reposition und Stabilisierung durchgeführt werden müssen. Wäre die Behandlung des Klägers in dieser fachgerechten Weise durchgeführt worden, so wäre die Ellenbogenverletzung nach Einschätzung des Sachverständigen vermutlich dauerhaft und ohne Folgen ausgeheilt. Dadurch, dass der Beklagte zu 1) die notwendigen Ruhigstellungsmaßnahmen aufgrund seiner Fehldiagnose nicht ergriffen habe, habe sich die Fraktur weiter verschoben und sei in Fehlstellung verheilt.
Dieser Bewertung des Sachverständigen steht auch nicht entgegen, dass der Beklagte zu 1) für den 27.05.2010 „keine Schwellung und freie Funktion“ des rechten Ellenbogens in der Ambulanzkarte dokumentiert hat. Denn Dr. P1 hat auf Nachfrage der Kammer die dokumentierte freie Funktion des Gelenkes angesichts der Schwere der Ellenbogenverletzung für sehr unwahrscheinlich gehalten und sogar selbst die Frage aufgeworfen, ob der Beklagte zu 1) den Kläger an diesem Tag tatsächlich selbst gesehen und untersucht hat.
Sämtliche konservativen und operativen Maßnahmen, die der Kläger in der Folgezeit an seinem rechten Arm hat durchführen lassen, sowie der eingetretene Dauerschaden beruhen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auf der mit der Fehldiagnose des Beklagten zu 1) einhergehenden unterbliebenen notwendigen Ruhigstellung der Fraktur. Die Behandlungsmaßnahmen waren notwendig, um die eingetretene Fehlstellung des Ellenbogengelenkes zu korrigieren.
Denn der Sachverständige hat bei der Erläuterung seines Gutachtens mitgeteilt, dass die schwere Ellenbogenverletzung beim Kläger bei richtiger Diagnose und entsprechender fachgerechter Behandlung vermutlich dauerhaft und ohne Folgen ausgeheilt wäre. Durch die fehlende Ruhigstellung der Fraktur habe diese sich weiter verschoben. Hierdurch sei es zu einer Fehlstellung im Ellenbogengelenk mit sekundärer Instabilität und sekundärem Fehlwachstum und Dysfunktion im Bereich des Handgelenkes gekommen. Trotz der erstmaligen gelenkerhaltenden operativen Maßnahmen vom März 2012 habe die Zerstörung des Ellenbogengelenkes mit der daraus resultierenden „Fehlmechanik“ nicht aufgehalten werden können, so dass schließlich im April 2014 eine Entfernung des Radiusköpfchens habe durchgeführt werden müssen, die letztendlich zu einer dauerhaften Funktionseinschränkung und besonders einer Einschränkung der Belastbarkeit des rechten Ellenbogens mit auch entsprechender Arthroseentwicklung geführt habe. Auch wenn durch diesen operativen Eingriff eine Verbesserung der Fehlfunktion und zur Zeit verbesserten Belastbarkeit habe erzielt werden können, sei mit erheblichen Folgeschäden, insbesondere einer dauerhaften Minderbelastbarkeit für die Kraftentwicklung und auch die Umwendbewegung dauerhaft zu rechnen. Darüber hinaus seien entsprechende Narbenbildungen im Bereich des Ellenbogens und des Handgelenkes durch die mehrfachen operativen Eingriffe beim Kläger verblieben. Mit einer Verschlimmerung sei für die Zukunft zu rechnen.
d) Angesichts des vom Kläger erlittenen Schadens hält die Kammer ein Schmerzensgeld i.H.v. 60.000 EUR für angemessen, aber auch ausreichend.
Dabei war sowohl das junge Alter des Klägers zu berücksichtigen, welches dazu führt, dass er unter dem Dauerschaden seines rechten Armes lange zu leiden haben wird, als auch der Umfang der von ihm erlittenen Beeinträchtigungen. So hat sich der Kläger in den Jahren 2012, 2013 und 2014 drei operativen Eingriffen zur Verbesserung der Funktion des rechten Ellenbogens nebst Nachbehandlungen unterzogen. Gleichwohl leidet er auch heute noch unter einer dauerhaften Funktionseinschränkung des rechten Ellenbogens und Einschränkung der Belastbarkeit seines rechten Armes, einschließlich der Hand. Ihm sind zudem Narben im Bereich des Ellenbogens und des Handgelenkes verblieben, die deutlich sichtbar sind. Nach den Ausführungen des Sachverständigen besteht eine dauerhafte Minderbelastbarkeit für die Kraftentwicklung und auch die Umwendbewegung, von der sich die Kammer im Rahmen der Anhörung des Klägers einen eigenen Eindruck verschafft hat. Diese Dauerfolgen bedeuten für den Kläger als Rechtshänder eine erhebliche Einschränkung in seinem Alltag, der Freizeitgestaltung, seiner Berufswahl sowie der Berufsausübung. Zudem ist mit einer künftigen Verschlechterung und entsprechender Arthrosebildung zu rechnen.
Bei der Schmerzensgeldbemessung hat die Kammer ebenfalls die Schwere des ärztlichen Fehlers berücksichtigt.
Insgesamt erscheint daher ein Betrag von 60.000 EUR für notwendig, aber auch ausreichend, um die vom Kläger erlittenen Beeinträchtigungen zu kompensieren. Dabei hat sich die Kammer auch an dem orientiert, was in vergleichbaren Fällen seitens der Rechtsprechung an Schmerzensgeld zuerkannt wurde (vergleiche Hacks/Wellner/Häcker, Schmerzensgeldbeträge, 33. Aufl. 2015, lfd.Nr. 33.86,33.87,33.89).
Der Zinsanspruch rechtfertigt sich unter dem Gesichtspunkt des Verzuges nach §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.
2. Da die Schadensentwicklung am rechten Arm des Klägers noch nicht abgeschlossen ist, und eine Eintrittspflicht der Beklagten für die Schäden des Klägers dem Grunde nach besteht, ist auch der Feststellungsantrag zulässig und begründet nach §§ 630 a, 611, 280 Abs. 1 BGB sowie gemäß §§ 823 Abs. 1, 831, jeweils i.V.m. §§ 253 Abs. 2, 249 BGB.
3. Schließlich sind die Beklagten auch zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verpflichtet. Dass der Kläger zur Einziehung der verauslagten Gebühren im Namen seiner Rechtsschutzversicherung, welche die Rechtsanwaltskosten gezahlt hat, ermächtigt ist, haben die Beklagten nicht bestritten.
Allerdings sind die vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren nur hinsichtlich der berechtigten Klageforderung, d.h. nach einem Streitwert von insgesamt 61.000 EUR für den Schmerzensgeld- und den Feststellungsantrag gerechtfertigt. Die Kammer hält im Hinblick auf die Schwierigkeit der vorliegenden Arzthaftungssache eine 1,5 Geschäftsgebühr nach §§ 2, 13 RVG, Nr.2300 VV für angemessen.
Danach errechnen sich vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren bezogen auf den Rechtsstand bis zum 31.07.2013 von insgesamt 2028,36 EUR.
Die hierauf bezogenen Prozesszinsen ergeben sich aus § 291 BGB.
II.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 709 ZPO.