OLG Celle – Az.: 1 U 32/20 – Urteil vom 20.09.2021
Die Berufung der Beklagten gegen das am 2. März 2020 verkündete Grundurteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagten zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die durch ihre Eltern vertretene minderjährige Klägerin macht gegen die Beklagten Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche wegen behaupteter geburtshilflicher Behandlungsfehler im Zusammenhang mit ihrer Geburt am xx.xx.xxxx im Hause der Beklagten zu 1 geltend.
Hinsichtlich der erstinstanzlichen tatsächlichen Feststellungen wird Bezug genommen auf das angefochtene Grundurteil des Landgerichts Hannover vom 02.03.2020 (Bl. 287 ff. d. A.), § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO.
Das Landgericht hat nach Einholung schriftlicher Gutachten und mündlicher Anhörung des geburtshilflichen Sachverständigen Prof. Dr. S. und des neonatologischen Sachverständigen Prof. Dr. A. sowie informatorischer Anhörung der Mutter der Klägerin und der Beklagten zu 2 die Klage gegen die Beklagten zu 1 und 2, die hiesigen Berufungsklägerinnen, durch Grundurteil dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Gegen die erstinstanzlich wegen behaupteter ärztlicher Behandlungsfehler im Anschluss an die Reanimation der Klägerin am Tag ihrer Geburt verklagten weiteren Beklagten hat es die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat das Landgericht, soweit im Berufungsverfahren von Interesse, ausgeführt, dass die Mutter der Klägerin (im Folgenden auch als Kindsmutter bezeichnet) im Hause der Beklagten zu 1 fehlerhaft versorgt worden sei, indem ihr weniger als zwei Stunden nach der Geburt ihres Kindes nicht die Möglichkeit gegeben worden sei, vom Bett aus mit einer Klingel ärztliche oder pflegerische Hilfe herbeizurufen. Zur Standardversorgung einer Mutter und des Kindes nach der Geburt durch eine Hebamme zähle es wegen der Komplikationsdichte nach dem Geburtsvorgang und der mit dieser regelmäßig einhergehenden Schwächung, dass die Mutter rasch, ohne körperliche Anstrengungen entfalten zu müssen, Hilfe herbeirufen könne. Der Gerichtssachverständige Prof. Dr. S. habe angegeben, dass eine offene bzw. angelehnte Tür eines Kreißsaalzimmers keinen bzw. nur in Ausnahmefällen einen Ersatz für eine fehlende Klingelvorrichtung darstelle. Es sei schlicht nicht vertretbar, wenn eine Klingel fehle oder sich außer Reichweite befinde. Es sei zwingend, dass eine junge Mutter die unbeeinträchtigte Möglichkeit habe, sich bemerkbar zu machen. Soweit der Gerichtssachverständige Prof. Dr. A. zunächst ausgeführt hätte, dass die geschilderten Abläufe und Vorgehensweise typisch und standardgemäß seien, habe er sich von diesen Angaben in der mündlichen Erläuterung nachvollziehbar distanziert. Das Versäumnis sei der Beklagten zu 2 anzulasten, weil die Organisation in diesem Bereich in die Zuständigkeit der Hebamme falle. Die Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. S. stehe im Einklang mit den Äußerungen sämtlicher vorgerichtlich befasster Privatgutachter. Dass er auf entsprechende Nachfrage des von den Beklagten eingebundenen Privatsachverständigen Prof. Dr. von …. eingeräumt habe, dass seine Einschätzung zur Erforderlichkeit einer Bettklingel nicht auf gezielten Forschungen beruhe und ihm keine entsprechenden Studien bekannt seien, begründe keine Zweifel an der Zuverlässigkeit des Gerichtssachverständigen und der Richtigkeit seiner Darlegungen zur Erforderlichkeit der Klingel. Der Sachverständige habe nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass es auch in anderen medizinischen Bereichen ohne Forschungsgrundlage eine allgemeine Einschätzung zu richtig oder falsch gebe. Der Behandlungsfehler sei auch kausal für den von der Klägerin erlittenen schwerwiegenden Gesundheitsschaden. Die fehlende Klingel habe dazu geführt, dass die Kindsmutter nicht bereits beim ersten Anzeichen eines pathologischen Zustands der Klägerin die Beklagte zu 2 alarmiert habe. Die Behauptung der Beklagten, die Kindsmutter habe den Übergang vom kindlichen Schlaf zu einem pathologischen Zustand nicht wahrgenommen, sei widerlegt. Die Kindsmutter habe im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung überzeugend dargetan, bemerkt zu haben, dass die Klägerin ungewöhnlich ruhig gewesen sei und glaubhaft geschildert, dass sie bereits zu diesem Zeitpunkt nach einer Hebamme gerufen hätte, wenn eine Klingel verfügbar gewesen wäre. Die fehlende Alarmmöglichkeit sei für den Eintritt des Primärschadens kausal geworden. Dafür streite die tatsächliche Vermutung des § 630 h Abs. 5 BGB. Die Kammer würdige den Behandlungsfehler auf der Grundlage ihrer sachverständigen Beratung als grob. Zu den gesicherten medizinischen Erkenntnissen, deren Missachtung einen Behandlungsfehler als grob erscheinen lassen können, zählten auch die elementaren medizinischen Grundregeln, die im jeweiligen Fachgebiet vorausgesetzt würden. Dazu zähle der Grundsatz, dass eine Patientin im unmittelbaren zeitlichen Umfeld eines derart belastenden Ereignisses wie einer Geburt mit einer Klingel in unmittelbarer Reichweite ausgestattet werde. Unterbleibe dies, liege ein eindeutiger fundamentaler Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln vor. Im Klinikalltag könne eine „Rund um die Uhr“-Bewachung von Patienten nicht standardmäßig erfolgen. Um jedoch eine angemessene Versorgung der Patienten zu gewährleisten, sei es unabdingbar, diese mit adäquaten Hilfsmitteln auszustatten, um ihren Hilfebedarf zu äußern. Bei einem belastenden Ereignis wie einer Geburt bestehe ein gesteigerter Kontroll- und Überwachungsbedarf. Der Annahme eines groben Behandlungsfehlers stehe nicht entgegen, dass die Beklagten vorgetragen hätten, die Tür zum Geburtsraum sei angelehnt gewesen. Dies stelle keinen adäquaten Ersatz dar, wenn nicht die Klingel defekt sei. Jedenfalls habe aber die Kindsmutter im Rahmen ihrer Anhörung glaubhaft bestätigt, dass die Tür verschlossen gewesen sei. Die Klägerin habe infolge einer Asphyxie im Zusammenhang mit einem Sudden Unexpected Postnatal Collapse (SUPC) eine hypoxisch-ischämische Enzephalopathie erlitten. Es lasse sich zwar nicht positiv feststellen, dass die schwere Hirnschädigung darauf zurückzuführen sei, dass die Kindsmutter nicht bereits 15 Minuten früher die Notrufklingel betätigt habe. Hierfür spreche jedoch nach Anhörung der Gerichtssachverständigen eine für die Haftung letztlich hinreichende Wahrscheinlichkeit. Der Behandlungsfehler sei grundsätzlich geeignet, den konkreten Primärschaden herbeizuführen. Eine durch die Klingelvorrichtung mögliche frühere Alarmierung hätte zumindest zu einer Verringerung des eingetretenen Schadens führen können. Nach den Ausführungen des Gerichtssachverständigen Prof. Dr. A. sei davon auszugehen, dass die Hirnschädigung (in Form einer hypoxisch-ischämischen Enzephalopathie) bei dem SUPC eingetreten sei, auch wenn ihn der Ablauf habe staunen lassen. Die Beklagten hafteten als Gesamtschuldner. Ansprüche der Klägerin seien nicht aufgrund eines Mitverschuldens der Kindsmutter beschränkt.
Wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes, der erstinstanzlichen Anträge und der Entscheidungsgründe wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten zu 1 und 2, die ihren Antrag auf Klagabweisung weiterverfolgen. Die zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigten die Entscheidung nicht. Das Landgericht habe ohne tragfähige Begründung die bestrittenen Behauptungen der Kindsmutter hinsichtlich des Ablaufs der Geschehnisse nach Lagerung in das weiche Bett im Kreißsaal als wahr unterstellt. In der Dokumentation sei festgehalten, dass die Lagerung und Anlage des Kindes im weichen Bett um 3:55 Uhr und der Alarm sodann um 4:20 Uhr erfolgt sei. Die Angaben der Kindsmutter seien nicht plausibel, wenn sie einerseits angebe, sie habe das Gefühl entwickelt, ihr Kind sei zu ruhig und andererseits nicht einmal den Versuch unternommen habe, sich bemerkbar zu machen. Ihr wäre ohne Weiteres möglich gewesen, das Bett zu verlassen und durch Klingeln oder Rufen Unterstützung herbeizurufen. Die Beklagten bestreiten, dass es überhaupt zu einer Situation gekommen sei, die zu Zweifeln am Zustand der Klägerin und Sorge der Kindsmutter geführt habe, bevor es zur Alarmierung gekommen sei. Sie meinen, der Sachverständige Prof. Dr. S. habe aus medizinischer Sicht keinen allgemeingültigen Standard beschrieben, der vorliegend unterschritten worden sei. Seine Auffassung werde von keinen Leitlinien oder Lehrbüchern gestützt. Dass es allgemein üblich sein möge, Müttern in der postpartalen Phase während des Bondings eine Klingel unmittelbar zur Verfügung zu stellen, bedeute nicht, dass der Verzicht hierauf als Behandlungsfehler zu werten sei. Das Verhalten der Beklagten sei zumindest vertretbar. Die Bejahung eines groben Behandlungsfehlers sei in keiner Weise nachvollziehbar. Der Sachverständige S. habe bekundet, dass jede Mutter über eine Klingel verfügen müsse. Inzwischen thematisiere er dies im Ausbildungsbereich gegenüber Studenten und jüngeren Ärzten, weil es dafür offenbar einen gewissen Bedarf gebe. Daraus schließen die Beklagten, dass dies nicht fester Bestandteil der Arztausbildung sei, so dass es sich nicht um einen fundamental wichtigen Standard handele. Aus den allgemein gehaltenen Feststellungen des Sachverständigen, der das Fehlen einer ausgehändigten Klingel als Missstand erachte, könne kein Verstoß hergeleitet werden, der eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoße und aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheine, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen dürfe.
Die Beklagten legen hierzu ein nach der angefochtenen Entscheidung von ihnen eingeholtes gynäkologisches Privatgutachten des Prof. Dr. B. vom 15.06.2020 vor. Dieser werte den Verzicht auf die Aushändigung der Klingel in der konkreten Situation als Behandlungsfehler, führe jedoch aus, dass es sich keinesfalls um einen Fehler handele, der aus objektiver Sicht schlechterdings nicht mehr verständlich erscheine. Die Aushändigung einer Klingel sei insbesondere dann von unbestrittenem Wert, wenn konkrete Hinweise auf Komplikationen vorlägen oder ein erhöhtes Sturzrisiko bestehe. Hingegen habe der Sachverständige S. nicht berücksichtigt, dass die Geburt und die postpartale Überwachung unauffällig verlaufen seien. Die Mutter der Klägerin habe keine Peridualanästhesie gehabt, sei nicht adipös gewesen und habe keinen übermäßigen Blutverlust gehabt. Durch den Verzicht der Aushändigung einer Klingel sei in der konkreten Situation keine gesonderte Risikoerhöhung ausgelöst worden.
Auch die Überlegungen des Gerichts zur Kausalität seien fehlerhaft. Es sei unklar, zu welchem Zeitpunkt es überhaupt zu einer kritischen Situation gekommen sei. Seitens des Gerichts werde unterstellt, dass nach dem Vortrag der Kindsmutter ihre leichten Bedenken das erste Anzeichen für das S-ALTE gewesen sei. Der neonatologische Sachverständige Prof. Dr. A. habe sich insoweit nicht festzulegen vermocht. Fest stehe allein, dass zum Zeitpunkt der Alarmierung ein solcher Zustand gegeben war. Die Beklagten bestreiten, dass bei unterstellt notwendigem frühzeitigeren Hinzutreten ein pathologischer Befund hätte erhoben werden können. Aufgrund des Verlaufs erscheine es wesentlich wahrscheinlicher, dass die dramatische Situation erst zu einem deutlich späteren Zeitpunkt aufgetreten sei, da ansonsten mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen wäre, dass die Klägerin das Ereignis nicht überlebt hätte. Es sei völlig unklar, ob ein frühzeitigeres Eingreifen überhaupt möglich gewesen wäre. Die Beklagten wiederholen zudem ihren Antrag, ein weiteres Sachverständigengutachten gemäß § 412 ZPO einzuholen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründungsschrift Bezug genommen.
Die Beklagten und Berufungsklägerinnen beantragen, die Klage auch gegenüber den Beklagten zu 1) und 2) insgesamt abzuweisen.
Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie weist darauf hin, dass die Beklagte zu 2 sich in der mündlichen Verhandlung nicht mehr habe erinnern können, die Mutter der Klägerin über Verhaltensmaßregeln aufgeklärt zu haben. Wäre es so gewesen, hätte sie auf die Klingel hinweisen müssen und dann wäre ihr aufgefallen, dass sich diese nicht bei der Mutter der Klägerin befunden habe. Die Dokumentation der Beklagten bezüglich der zeitlichen Abläufe sei in sich widersprüchlic…. Dies habe der Sachverständige Prof. Dr. S. in seinem Gutachten vom 19.05.2019 dargestellt. Danach sei die Dokumentation in der Geburtsakte, dass die Patientin um 4:20 Uhr gemeldet habe, dass das Kind nicht reagiere, infrage zu stellen. Wäre die Klingel um 4:20 Uhr betätigt worden, ergäbe sich nach Eintreffen und kurzer Begutachtung durch die Hebamme eine Diskrepanz von ca. sechs Minuten bis zum Anruf der Frauenklinik um 4:29 Uhr. Daher sei anzunehmen, dass die Zeitangabe 4:20 Uhr nicht zutreffe. Hinsichtlich der Plausibilität der Schilderung der Mutter der Klägerin liege kein Fehler in der Beweiswürdigung des Landgerichts vor. Dass ein grober Behandlungsfehler vorliege, habe das Landgericht ausführlich und gut nachvollziehbar auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. S. begründet.
Der Privatgutachter stelle darauf ab, dass keine besondere Gefahrensituation vorgelegen habe. Die Frage, ob Komplikationen auftreten, könne im Vorfeld aber niemand beantworten. Umso wichtiger sei nach einer kurz zuvor erfolgten Geburt das Vorhandensein einer erreichbaren Klingel am Patientenbett, ohne aufstehen zu müssen. Wenn keine Komplikationen zu erwarten seien, stelle sich die Frage, weshalb Mutter und Kind nicht direkt nach der Entbindung auf die Wöchnerinnenstation verlegt würden. Das Aushändigen einer Klingel sei alltäglicher Standard in Kliniken. Der Sachverständige Prof. Dr. S. sei ein erfahrener Mediziner, der die geburtshilfliche Szene über viele Jahrzehnte kennengelernt habe und dem nicht bekannt sei, dass es Geburtskliniken gebe, in denen sich dies anders verhalte. Es sei richtig, wie der Gerichtssachverständige nicht nach dem Risikograd zu differenzieren. Nur so sei der Schutz von Mutter und Kind gewährleistet. Zudem habe es sich bei der Klägerin um eine „späte Frühgeburt“ gehandelt. Entbindungen vor der 39. Woche seien in der Regel mit dem erhöhten Risiko einer Atemstörung versehen. Der Sachverständige weise auch auf einen medikamentösen Faktor hin, der die Gefahr einer Atemdepression nahelege und führe weitere Risikofaktoren speziell für den Fall der Klägerin auf. Dies zeige, dass nicht nur unerhebliche Risiken für ein Neugeborenes bestünden, selbst wenn dieses zunächst normale Werte aufweise. Durch die grob behandlungsfehlerhaft nicht vorhandene Benachrichtigungsmöglichkeit sei es hier zu einer maßgeblichen Behandlungsverzögerung gekommen, die eine Reanimation erfordert habe. Es gehe nicht darum, dass ein SALT-Syndrom verhindert werde, sondern darum, dass – wenn es passiert – schnellstmöglich reagiert werde, um die Folgen zu minimieren bzw. zu verhindern. Alle sechs Gutachter gingen übereinstimmend davon aus, dass der hypoxische Hirnschaden ca. zwei Stunden nach der Geburt eingetreten sei. Auch Prof. A. gehe davon aus, dass die Hirnschädigung in der Zeit, als die Klägerin bei der Mutter lag, eingetreten sei.
Der Senat hat Beweis erhoben durch ergänzende Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. S.. Wegen des Ergebnisses wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12.07.2021, Bl. 415 ff. d.A., verwiesen.
Mit Schriftsatz vom 23.08.2021 wiederholen und vertiefen die Beklagten ihre Auffassung, dass die Annahme eines groben Behandlungsfehlers auch nach der ergänzenden Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. S. nicht gerechtfertigt sei, und beantragen nochmals, ein weiteres Gutachten gemäß § 412 ZPO einzuholen.
II.
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
Das Landgericht hat fehlerfrei entschieden, dass der Klägerin gegenüber den Beklagten zu 1 und 2 die geltend gemachten Ansprüche auf Schmerzensgeld und Schadensersatz gemäß §§ 630a, 280 Abs. 1, 278 BGB bzw. §§ 823 Abs. 1, 31, 89 BGB, jeweils in Verbindung mit §§ 249, 253 Abs. 2 BGB, dem Grunde nach zustehen. Die Feststellung eines Behandlungsfehlers (nachfolgend Ziff. 1) sowie der Kausalität (nachfolgend Ziff. 2) ist auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens einschließlich des vorgelegten Privatgutachtens des Prof. Dr. B. nicht zu beanstanden. Zudem liegt weder ein Mitverschulden der Klägerin vor (nachfolgend Ziff. 3), noch ist ein neues Sachverständigengutachten einzuholen (nachfolgend Ziff. 4).
1.
Zu Recht hat das Landgericht einen Behandlungs- bzw. Versorgungsfehler festgestellt.
a) Behandlungsfehler während der Geburt und bei der Nachbehandlung der Klägerin vor dem Umbetten der Kindsmutter im Kreißsaal sind nicht ersichtlich und werden auch nicht geltend gemacht. Der geburtshilfliche Sachverständige Prof. Dr. S. hat die fachliche Betreuung bei der Geburt als sachgerecht betrachtet (Gutachten vom 30.04.2018 Seite 22).
b) Das Landgericht hat zu Recht einen der Beklagten zu 1 zuzurechnenden Behandlungs- bzw. Versorgungsfehler der Beklagten zu 2 festgestellt, weil diese innerhalb der zweiten Lebensstunde der Klägerin den Kreißsaal verlassen hat, ohne der Kindsmutter die Möglichkeit zu verschaffen, mittels einer in Reichweite befindlichen Klingel oder ähnlichen Vorrichtung eine Hebamme zu alarmieren, ohne aus ihrem Bett aufstehen zu müssen.
aa) Die Behandlung hat nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen, § 630a Abs. 2 BGB.
Diesen Standard hat der gerichtlich bestellte geburtshilfliche Sachverständige Prof. Dr. S. anhand seiner Qualifikation und praktischen Erfahrung dargelegt und seiner Beurteilung zugrunde gelegt. Dabei war auf das Verhalten der Beklagten zu 2 als im Kreißsaal für die Nachsorge zuständigen Hebamme abzustellen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten kann der Verzicht auf das unmittelbare Zur-Verfügung-Stellen einer Klingel während des „Bondings“ nicht als ein vertretbares Verhalten angesehen werden. Insoweit hat der Sachverständige es vielmehr als fehlerhaft angesehen, dass in der postpartalen Überwachungsphase zwei Stunden nach der Geburt der Klägerin die Mutter nicht die Möglichkeit hatte, durch eine vom Bett erreichbare Klingelvorrichtung kurzfristig eine Hilfestellung anzufordern (Gutachten Prof. Dr. S. vom 30.04.2018 Seite 21). Dass es sich um eine Verletzung des geburtshilflichen Standards handelte, hat er sehr gut nachvollziehbar und überzeugend begründet. Eine Mutter in einer neuen Mutter-Kind-Beziehung, die durch die Geburt erschöpft sei, müsse zu jedem Zeitpunkt mit dem geringsten möglichen Aufwand in der Lage sein, ihren Anspruch auf Hilfestellung erkennbar zu machen. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Mutter in dieser postpartalen Zeit stets in der Lage sei, selbstständig das Bett zu verlassen, um eine in weiterer Entfernung vorhandene Klingel zu betätigen (Gutachten vom 30.04.2018 Seite 18). Ihm sei nicht bekannt, dass es Geburtskliniken geben soll, in denen sich das anders verhalte (Sitzungsprotokoll vom 16.01.2020 Seite 5, Bl. 251d.A.).
Auf den konkreten Fall bezogen hat der Sachverständige es als fehlerhaft und aus fachlicher Sicht nicht mehr verständlich bewertet, dass die Mutter der Klägerin nach der Umlagerung in das weiche Bett keine Klingel zur Verfügung hatte, um gegebenenfalls eine kurzfristige Hilfestellung anfordern zu können (Gutachten vom 30.04.2018 Seite 23). Soweit er ausgeführt hat, dass nur in Ausnahmefällen, z.B. wenn die Klingel defekt sei, eine offene Tür des Kreißsaalzimmers einen Ersatz für die Klingelvorrichtung darstellen könne (Gutachten vom 30.04.2018 Seite 21, 23), kommt es hierauf – abgesehen davon, dass das Landgericht die Behauptung der Kindsmutter, dass die Tür verschlossen war, als glaubhaft angesehen hat – nicht an, weil ein derartiger Ausnahmefall nicht vorlag.
bb) Das Vorbringen der Beklagten, dass der Sachverständige Prof. Dr. S. aus medizinischer Sicht keinen allgemeingültigen Standard beschreibe, der vorliegend unterschritten worden sei, und weder Leitlinien noch sonstige in Lehrbüchern niedergelegte Grundsätze seine Auffassung stützten, begründet keine vernünftigen Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses der erstinstanzlichen Beweiswürdigung. Mithin ist der Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die entsprechenden Feststellungen des Landgerichts gebunden.
(1) Der medizinische Standard repräsentiert, wovon auch die Beklagten ausgehen, den jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der ärztlichen Erfahrung, der zur Erreichung des ärztlichen Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat (vgl. BGH, Urteil vom 15. April 2014 – VI ZR 382/12 –, juris Rn. 11). Leitlinien können dabei den Standard beschreiben, sind aber nicht unbesehen mit dem medizinischen Standard gleichzusetzen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 15. April 2014 – VI ZR 382/12 –, juris Rn. 17; siehe auch Stoll, Die Bedeutung von Leitlinien für den gerichtlichen Sachverständigen im Arzthaftungsprozess, Der Anaesthesist 2019, 633). Gibt es – wie hier – keine Leitlinien zur Sicherstellung der postpartalen Erreichbarkeit von Hebammen und keine wissenschaftlichen Studien über den Nutzen einer Bettklingel, ist der geburtshilfliche Standard danach zu ermitteln, was von einem gewissenhaften und aufmerksamen Geburtshelfer in der konkreten Behandlungssituation aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs im Zeitpunkt der Behandlung erwartet werden kann (vgl. hierzu Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 6. Aufl., Rn. B 24a m.w.N.; siehe auch BGH, Beschluss vom 23. Februar 2021 – VI ZR 44/20 –, juris Rn. 13 m.w.N. zum ärztlichen Standard). Die Ermittlung des Standards ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, der sich dabei auf die medizinische Bewertung des Behandlungsgeschehens durch einen Sachverständigen aus dem betroffenen medizinischen Fachgebiet stützen muss (vgl. BGH, Urteil vom 15. April 2014 – VI ZR 382/12 –, juris Rn. 13). Dies hat das Landgericht fehlerfrei und überzeugend getan. Das Ergebnis dieser tatrichterlichen Würdigung ist nicht zu beanstanden. Ein Verstoß gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze liegt nicht vor, das Landgericht hat den Begriff des medizinischen Standards auch weder verkannt noch den ihm unterbreiteten Sachverhalt nicht erschöpfend gewürdigt.
(2) Der Sachverständige Prof. Dr. S. hat in seiner erstinstanzlichen mündlichen Anhörung auf Nachfrage des von den Beklagten hinzugezogenen Prof. Dr. von …. erklärt, dass es zur Erforderlichkeit einer in Reichweite vorhandenen Klingel keine wissenschaftlichen Untersuchungen oder Leitlinien gebe, aber zugleich überzeugend und anschaulich erläutert, dass eine fehlende Studie schwerlich eine Begründung dafür sein könne, von dem aufgezeigten Standard abzuweichen (Sitzungsprotokoll vom 16.01.2020 Seite 6, Bl. 251 R d.A.). Insoweit wird auf die zutreffenden ausführlichen Ausführungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen. In seiner ergänzenden Anhörung vor dem Senat hat der Sachverständige erneut bekräftigt, dass aus seiner fachärztlichen Sicht ein Behandlungsfehler vorliegt (Sitzungsprotokoll vom 12.07.2021 Seite 2, Bl. 417 d.A.). Zur Veranschaulichung, dass eine Klingel in Reichweite zum Standard im Kreißsaal gehört, hat er exemplarisch Literatur und Standards of Operation (SOPs) überreicht und erörtert (Sitzungsprotokoll vom 12.07.2021 Seite 3, 6 f., 8 f. Bl. 417 ff. d.A., Anlagen Bl. 431 ff. d.A.). Aus diesen Schriftstücken ergibt sich, dass z.B. bei der Übergabe einer Patientin auf der Station eine funktionsfähige Klingel in Reichweite zu überprüfen ist, also vorhanden sein muss. Auch wenn die vorgelegten Anweisungen nicht konkret den Kreißsaal betreffen und teilweise erst nach dem streitgegenständlichen Ereignis verschriftlicht worden sind, hat der Senat keine Zweifel an der Richtigkeit der überzeugenden Angaben des gerichtlichen Sachverständigen, dass eine Klingelanlage in Reichweite dann im Kreißsaal erst Recht zur Verfügung stehen muss und dies bereits im Jahr 2013 der Standard war. Sehr gut nachvollziehbar hat der Sachverständige den Anspruch an die Pflege im Kreißsaal als sehr viel höher als auf einer Wochenbettstation bezeichnet (Sitzungsprotokoll vom 12.07.2021 Seite 9, Bl. 423 d.A.). Auch dass die im Kreißsaal gebotene Kontrolle im 15- bis 30-Minuten-Abstand das Zurverfügungstellen einer Klingel in Reichweite nicht ersetzt, wie der Sachverständige mit der Begründung, dass in der Geburtshilfe in 15 Minuten viel passieren könne, erklärt hat (Sitzungsprotokoll vom 12.07.2021 Seite 9, Bl. 423 d.A.), ist einleuchtend. Dementsprechend war schließlich auch eine Klingel am Geburtsbett vorhanden, die nach Umbettung der Kindsmutter an das weiche Bett hätte verbunden werden können (so der Sachverständige, Sitzungsprotokoll vom 12.07.2021 Seite 14, Bl. 428 d.A.) – und müssen.
Die Auffassung der Beklagten, ein Standard könne nur angenommen werden, wenn eine wissenschaftliche Erkenntnis auf der Grundlage von Studien gegeben sei, wird vom Senat nicht geteilt. Ein haftungsrelevanter Behandlungsfehler liegt aus juristischer Sicht nicht etwa nur dann vor, wenn, worauf die Beklagten abstellen, ein evidenzbasierter medizinischer Standard unterschritten wird. Entgegen der Auffassung der Beklagten bedeutet die Annahme eines medizinischen Standards auch ohne evidenzbasierte Leitlinien oder wissenschaftliche Studien nicht, dass dann auf eine subjektive Einzelmeinung des hinzugezogenen Sachverständigen abzustellen sei. Vielmehr hat der gerichtlich bestellte Sachverständige Prof. Dr. S. entsprechend seines Gutachtenauftrags ausführlich und gut begründet den geburtshilflichen Standard aufgrund seiner fachlichen Kenntnisse und Erfahrungen dargelegt. Dafür dass er lediglich seine eigene – vom Standard abweichende – subjektive Meinung dargelegt hätte, wie die Beklagten ihm vorwerfen, fehlen jegliche Anhaltspunkte. Vielmehr hat der Sachverständige in der Berufungsverhandlung erläutert, dass Geburtshilfe eine Menge an Erfahrungen und Empfehlungen beinhalte, die nicht evidenzbasiert seien. Dennoch würden Standards aufgestellt. Es gebe Elemente einer Sicherheit, die sich bewährt hätten und wie im vorliegenden Fall gerade in einem Kreißsaal berücksichtigt werden müssten (Sitzungsprotokoll vom 12.07.2021 Seite 12, Bl. 426 d.A.). Die Klingel sei die effizienteste Art, Beistand zu holen. Dass die Patientin in erreichbarer Nähe eine Klingel habe, werde auch so gehandhabt (Sitzungsprotokoll vom 12.07.2021 Seite 14, Bl. 428 d.A.).
Dass es bei der Frage, wann eine Standardunterschreitung i.S.v. § 630a Abs. 2 BGB anzunehmen ist, nicht allein auf einen evidenzbasierten Standard ankommt, entspricht auch der Rechtsprechung und juristischen Literatur. Andernfalls könnten – was nicht der Fall ist – auch z.B. Abweichungen von nicht evidenzbasierten S1- oder S2- Leitlinien nicht als Behandlungsfehler angesehen werden. Dem steht klar entgegen, dass der Bundesgerichtshof in einem Fall, in dem der dortige Sachverständige ausdrücklich erklärt hat, dass er weder Leitlinien noch wissenschaftliche Veröffentlichungen kenne, die Handlungsrichtlinien für den dort zu beurteilenden Sachverhalt enthielten, es dennoch als Fehler des Berufungsgerichts angesehen hat, aufgrund dessen lediglich einen einfachen Behandlungsfehler anzunehmen und das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers zu verneinen (BGH, Urteil vom 20. September 2011 – VI ZR 55/09 –, juris Rn. 12). Ein Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse komme nicht nur in Betracht, wenn es für den konkreten Einzelfall klare und feststehende Vorgaben bzw. Handlungsanweisungen gebe, die Eingang in Leitlinien, Richtlinien oder anderweitige ausdrückliche Handlungsanweisungen gefunden hätten (vgl. BGH, Urteil vom 20. September 2011 – VI ZR 55/09 –, juris Rn. 11). Maßgeblich ist also, was von einem sorgfältigen Behandler erwartet werden kann (vgl. Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 6. Aufl., Rn. B 24a). Dies können auch nicht evidenzbasierte Maßnahmen sein wie hier das Zurverfügungstellen einer Bettklingel in Reichweite einer Mutter innerhalb von zwei Stunden nach der Geburt. Soweit sich die Beklagten auf die Auffassung berufen, dass erst die Kombination von wissenschaftlicher Erkenntnis, ärztlicher Erfahrung und professioneller Akzeptanz zur Annahme eines Standards führe (so Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 7. Aufl, Rn. X 7), und meinen, dass es hier an der wissenschaftlichen Erkenntnis fehle, entfiele auch nach dieser Auffassung im vorliegenden Fall nicht die Haftung der Beklagten. Denn dann wäre ein Behandlungsfehler, wenn ein derartiger, wissenschaftlich begründeter Standard nicht existiert, dennoch anzunehmen, wenn – wie hier – die verkehrserforderliche Sorgfalt anhand der konkreten Behandlungssituation nach den gegebenen Möglichkeiten eines Eingriffs unter möglichster Schonung der körperlichen Integrität des Patienten verletzt war (siehe Laufs/Katzenmeier/Lipp, a.a.O. Rn. 9, der in diesem Zusammenhang ausdrücklich das Bestehen eines Standards nicht als unabdingbare Voraussetzung für eine Haftung des Arztes ansieht und in Fn. 35 zudem auf die Gesetzesbegründung zu § 630a Abs. 2 BGB Bezug nimmt, wonach in einem Bereich, in dem sich noch kein Standard entwickelt hat, die Sorgfalt eines vorsichtig Behandelnden einzuhalten ist).
Im Übrigen hat auch der von den Beklagten hinzugezogene Privatgutachter Prof. Dr. B. das Nichtaushändigen einer Klingel als nicht dem gängigen bzw. üblichen Standard entsprechend angesehen und als fehlerhaft bewertet. Hierzu hat er ausgeführt, dass eine frisch entbundene Patientin im Kreißsaal die Möglichkeit haben sollte, einfach Hilfe hinzuzuziehen. Dies erfolge üblicherweise mittels einer Klingel am Bett (Gutachten vom 15.06.2020 Seite 11, Bl. 356 d.A., sowie Seite 14, Bl. 359 d.A.).
cc) Schließlich heißt es in der S2k-AWMF-Leitlinie aus dem Jahr 2012 (Nr. 024/005) unter Ziff. 2.3: „Mutter und Kind sollten mindestens die ersten 2 Stunden nach der Geburt im Kreißsaal verbringen, damit eine Überwachung von Mutter und Kind durch die für diese Zeit verantwortliche Hebamme (und/oder Geburtshelfer) gewährleistet ist.“ Auf diese Leitlinie wird im fachärztlich gynäkologisch-geburtshilflichen MDK-Gutachten von Dr. …. vom 14.12.2015 auf Seite 6 sowie in den von der Klägerin eingeholten Privatgutachten von Prof. Dr. …. und Prof. Dr. D. Bezug genommen. Dem Senat leuchtet ein, dass aufgrund einer derartigen Überwachungsempfehlung – wenn wie hier eine „Rund-um-die-Uhr-Versorgung“ und engmaschigere Kontrolle nicht erfolgt ist und auch nicht geboten war – die Verpflichtung besteht, zu gewährleisten, dass die Mutter ohne körperliche Anstrengung durch eine Klingel direkt am Bett sofort bei Bedarf die Hebamme herbeirufen kann. Der Sinn und Zweck des zweistündigen postpartalen Aufenthalts im Kreißsaal ist gerade die bessere Überwachung als auf der normalen Wöchnerinnenstation, was nachvollziehbar durch die in den ersten zwei Lebensstunden bestehenden besonderen gesundheitlichen Risiken für Mutter und Kind begründet ist.
dd) Eine in Reichweite des Bettes im Kreißsaal befindliche Klingel dient ebenso wie die regelmäßige Kontrolle nicht etwa nur der Gesundheit der Mutter, sondern ist auch im Hinblick auf Schwierigkeiten des Kindes erforderlich, so der Sachverständige Prof. Dr. S. in seiner mündlichen Anhörung (Sitzungsprotokoll vom 16.01.2020 Seite 5, Bl. 251 d.A., ebenso in der Berufungsverhandlung, Sitzungsprotokoll vom 12.07.2021 Seite 4 oben, Bl. 418 d.A.). Die Klingel soll also auch für den Fall der hier eingetretenen Komplikationen das Risiko von Gesundheitsschäden des – hier an der Grenze zur Frühgeburtlichkeit – Neugeborenen verringern. Dafür spricht zudem, dass es in der S2k-AWMF-Leitlinie aus dem Jahr 2012 (Nr. 024/005) unter Ziff. 2.3 heißt: „Da in vereinzelten Fällen auch bereits im Kreißsaal über Fälle von plötzlichem Kindstod berichtet wurde, sind die Grundsätze der SIDS-Prophylaxe auch hier zu beachten. Auch im Arm der Mutter muss der Zustand des Kindes wiederholt klinisch kontrolliert werden.“
ee) Soweit der MDK-Gutachter Dr. T., Kinderarzt, Neonatologe und pädiatrischer Intensivmediziner, die hier erfolgten Maßnahmen nach der Geburt (Umlagern, Bonding, Anlegen) als dem üblichen Vorgehen im Kreißsaal entsprechend bezeichnet und aus Sicht des Neonatologen die Behandlung des Kindes als den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend angesehen hat (MDK-Gutachten Dr. …. vom 16.03.2015 Seite 8 bzw. 14), ist dieser zum einen nach dem Grundsatz der fachgleichen Begutachtung als Neonatologe nicht der richtige Sachverständige zur Beurteilung der Behandlung von Mutter und Kind im Kreißsaal durch die Beklagte zu 2 als im Rahmen der Geburtshilfe tätigen Hebamme. Zum anderen hat er sich mit der Nichtverfügbarkeit einer Klingel gar nicht auseinandergesetzt. Der gerichtlich bestellte geburtshilfliche Sachverständige Prof. Dr. S. hat dagegen das Gutachten Dr. T. im Rahmen seiner Begutachtung berücksichtigt (siehe Gutachten vom 30.04.2018 Seite 2; Ergänzungsgutachten vom 19.05.2019, Seite 1) und dennoch mit überzeugender Begründung einen Behandlungsfehler bejaht.
c) Da eine behandlungsfehlerhafte Versorgung aufgrund der fehlenden aus dem Bett erreichbaren Klingel zu bejahen ist, kommt es auf die Frage, ob die Klägerin und ihre Mutter innerhalb der ersten zwei Lebensstunden im Kreißsaal auch deshalb unzureichend überwacht wurden, weil sie über einen zwischen den Parteien streitigen Zeitraum von zumindest ca. 15 Minuten bis zu ca. 35 Minuten bzw. ca. 26 Minuten (so der Sachverständige Prof. Dr. S. in seinem Ergänzungsgutachten vom 19.05.2019 Seite 8) nicht von der Beklagten zu 2 kontrolliert wurde, nicht mehr an. Mithin spielt die – zwischen den Parteien streitige – genaue Uhrzeit des Verlassens des Kreißsaals durch die Beklagte zu 2 und des Betätigens der Klingel durch die Kindsmutter für das vorliegende Verfahren ebenso wenig eine Rolle wie der konkrete Inhalt der angeordneten Überwachung nach dem Frühgeborenenstandard in der Klinik der Beklagten zu 1.
d) Behandlungsfehler in der Zeit nach dem Eintreffen der durch das Klingeln der Kindsmutter herbeigerufenen Beklagten zu 2 im Kreißsaal können nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme nicht festgestellt werden. Sie sind auch nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens.
2.
Der Senat geht nach der ergänzenden Beweisaufnahme wie das Landgericht davon aus, dass der von der Klägerin erlittene Gesundheitsschaden zumindest mitursächlich auf dem als grob zu wertenden Behandlungsfehler beruht.
a) Das Landgericht hat auf der Grundlage der Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. S. einen groben Behandlungsfehler zu Recht und mit überzeugender Begründung bejaht. Die Einwendungen der Beklagten und das von ihnen vorgelegte Privatgutachten des Prof. Dr. B. rechtfertigen keine andere Beurteilung. Die ergänzende Beweisaufnahme durch den Senat hat die Annahme eines groben Behandlungsfehlers bestätigt.
aa) Ein Behandlungsfehler ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur dann als grob zu bewerten, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 2015 – VI ZR 476/14 –, juris Rn. 14; BGH, Urteil vom 25. Oktober 2011 – VI ZR 139/10 –, juris Rn. 8 m.w.N.). Hier hat das Landgericht den festgestellten Behandlungsfehler fehlerfrei juristisch dahingehend gewertet, dass ein eindeutiger Verstoß gegen bewährte Behandlungsregeln vorlag, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einer Geburtshelferin schlechterdings nicht unterlaufen darf.
bb) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt es sich bei der Einstufung eines ärztlichen Fehlverhaltens als grob um eine juristische Wertung, die dem Tatrichter und nicht dem Sachverständigen obliegt. Dabei muss diese wertende Entscheidung des Tatrichters jedoch in vollem Umfang durch die vom ärztlichen Sachverständigen mitgeteilten Fakten getragen werden und sich auf die medizinische Bewertung des Behandlungsgeschehens durch den Sachverständigen stützen können (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2018 – VI ZR 285/17 –, juris Rn. 18). Diese Bewertung durch das Landgericht ist im angefochtenen Urteil ausführlich und fehlerfrei erfolgt und dargelegt. Der Senat schließt sich dieser Wertung an.
(1) Der gerichtlich bestellte Sachverständige Prof. Dr. S. hat ausgeführt, es sei als fehlerhaft und aus fachlicher Sicht als nicht mehr verständlich zu bewerten, dass Frau E. nach der Umlagerung für den Zeitraum von 4:00 Uhr bzw. 4:05 Uhr bis 4:20 (bzw. 4:26) Uhr keine Klingel zur Verfügung hatte, um gegebenenfalls eine kurzfristige Hilfestellung anfordern zu können (Gutachten vom 30.04.2018 Seite 23). Für ihn stehe außer Frage, dass jede Mutter auf einer Station im Kreißsaal in ihrem jeweiligen Zimmer und Bett über eine Klingel verfügen müsse. Er halte es schlicht für nicht vertretbar, wenn eine Klingel fehle. Für ihn mache es keinen entscheidenden Unterschied, ob die Klingel fehle oder lediglich in Reichweite einiger Schritte entfernt angebracht sei. Es sei schlicht zwingend, dass eine junge Mutter jederzeit die unbeeinträchtigte Möglichkeit haben muss, sich bemerkbar zu machen (Sitzungsprotokoll vom 16.01.2020 Seite 5, Bl. 251 d.A.). Aufgrund dieser Einschätzung aus medizinischer Sicht hat das Landgericht überzeugend und fehlerfrei auch aus juristischer Sicht einen groben Behandlungsfehler festgestellt. Dabei hat der Sachverständige Prof. Dr. S. auch nicht etwa, wie die Beklagten ihm vorwerfen, lediglich allgemein gehaltene Feststellungen getroffen, sondern seine Bewertung gut nachvollziehbar auf den konkreten Fall bezogen dargelegt und begründet.
(2) Der Vorwurf der Beklagten, dass der Begründung des Landgerichts nicht zu entnehmen sei, ob sich das Gericht tatsächlich über die Definition eines Behandlungsfehlers im Klaren war, geht fehl. Vielmehr hat das Landgericht seiner Entscheidung die Definition des groben Behandlungsfehlers gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zugrunde gelegt, wie sich klar aus der Wiedergabe dieser Definition im angefochtenen Urteil unter Ziffer 6 ergibt.
(3) Der Einwand der Beklagten, dass es sich nicht um fundamental wichtige Standards handeln könne, weil sie nicht fester Bestandteil der Ärzteausbildung seien, ist nicht gerechtfertigt. So kann aus dem Umstand, dass der Sachverständige Prof. Dr. S. erklärt hat, inzwischen auch im Ausbildungsbereich gegenüber Studenten und jüngeren Ärzten die Missstände zu thematisieren, weil es offenbar dafür einen gewissen Bedarf gebe (Sitzungsprotokoll vom 16.01.2020 Seite 5, Bl. 251 d.A.), nicht etwa hergeleitet werden, dass dies nicht Bestandteil der Fachärzteausbildung sei. In seiner ergänzenden Anhörung vor dem Senat hat der geburtshilfliche Sachverständige klargestellt, dass es sich bei seiner Tätigkeit im Rahmen der Ausbildung um einen Intensivkurs „Kreißsaal Führerschein“ für Assistenzärzte handelt, der Informationen beinhalte, die diese auch in ihrem Medizinstudium erhalten hätten, von ihm aber noch einmal hervorgehoben würden (Sitzungsprotokoll vom 12.07.2021 Seite 3 unten, Bl. 417 d.A.). Dass es bei jüngeren Ärzten einen entsprechenden Ausbildungsbedarf geben mag, bedeutet also nicht, dass es sich nicht um einen für die im Kreißsaal tätigen Hebammen und die für die Organisation im Kreißsaal zuständigen Ärzten geltenden Standard handelt, dessen Missachtung nicht einen groben Behandlungsfehler begründen kann.
(4) Der Umstand, dass das Erfordernis einer unmittelbaren Möglichkeit, im Kreißsaal die Hebamme herbeizurufen, nicht Eingang in Leitlinien, Richtlinien oder anderweitige ausdrückliche Handlungsanweisungen gefunden hat, steht einer Einordnung der Missachtung dieses – aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen als elementar anzusehenden – geburtshilflichen Standards als grober Behandlungsfehler nicht entgegen. Denn gesicherte medizinische Erkenntnisse, deren Missachtung einen Behandlungsfehler als grob erscheinen lassen kann, sind – wie bereits ausgeführt – nicht nur die Erkenntnisse, die Eingang in Leitlinien, Richtlinien oder anderweitige ausdrückliche Handlungsanweisungen gefunden haben. Hierzu zählen vielmehr auch die elementaren medizinischen Grundregeln, die im jeweiligen Fachgebiet vorausgesetzt werden (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 20. September 2011 – VI ZR 55/09 –, juris Rn. 11 m.w.N.; BGH, Beschluss vom 07. November 2017 – VI ZR 173/17 –, juris Rn. 13; Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 6. Aufl., Rn. G 173b). Dementsprechend hat der Tatrichter darauf zu achten, ob der Sachverständige in seiner Würdigung einen Verstoß gegen elementare medizinische Erkenntnisse oder elementare Behandlungsstandards oder lediglich eine Fehlentscheidung in mehr oder weniger schwieriger Lage erkennt (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2011 – VI ZR 139/10 –, juris Rn. 9). Letzteres war hier nicht der Fall.
cc) Der Senat folgt den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. S. auch unter Berücksichtigung des von den Beklagten nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens eingeholten Privatgutachtens von Prof. Dr. B.. Dieser sieht das Nichtaushändigen der Klingel ebenfalls als fehlerhaft, da nicht dem üblichen Standard entsprechend, an, bezeichnet diesen Fehler aber unter Berücksichtigung der Gesamtsituation (u.a. kein Vorliegen von Risiken) nicht als schlechterdings unverständlich (Privatgutachten vom 15.06.2020 Seite 14). Nach kritischer Auseinandersetzung mit sämtlichen im vorliegenden Prozess eingeholten und vorgelegten Gutachten schließt sich der Senat aus den folgenden Gründen der Einschätzung des Gerichtsgutachters an:
(1) In Arzthaftungsprozessen hat der Tatrichter nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung die Pflicht, Widersprüchen zwischen Äußerungen mehrerer Sachverständiger von Amts wegen nachzugehen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, auch wenn es sich um Privatgutachten handelt (vgl. BGH, Urteil vom 11. November 2014 – VI ZR 76/13 –, juris Rn. 15; siehe auch BGH, Urteil vom 14. Dezember 1993 – VI ZR 67/93 –, juris Rn. 13; BGH, Beschluss vom 09. Juni 2009 – VI ZR 261/08 –, juris Rn. 5). Dem ist der Senat durch ergänzende Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen zum vorgelegten Privatgutachten nachgekommen. Da die Äußerungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. S. auch nach eingehender Auseinandersetzung mit den entgegenstehenden Ausführungen des Privatgutachters Prof. Dr. B. überzeugen, hat der Senat nach umfassender Würdigung der Einschätzung des Gerichtsgutachters den Vorzug gegeben und aus juristischer Sicht den festgestellten Behandlungsfehler als grob gewertet.
(2) Der Privatgutachter stellt bei seiner Bewertung, ob ein grober oder nur einfacher Fehler im Fall einer nicht zur Verfügung stehenden Klingel anzunehmen ist, auf die Risiken für Komplikationen, die die Mutter daran hindern könnten, Hilfe zu holen, im konkreten Einzelfall ab. So sieht er z.B. ein Nichtzurverfügungstellen einer Klingel dann als unverständlich an, wenn es Hinweise für Komplikationen wie eine postpartale Blutung gebe oder das Risiko für einen Sturz (z.B. liegende Peridualanästhesie, Kreislaufschwäche…) erhöht sei (Privatgutachten vom 15.06.2020 Seite 12). Sodann hat er im konkreten Fall aufgezeigt, dass die Kindsmutter keine Risikofaktoren für eine Blutung, Kreislaufschwäche oder postpartale Immobilität aufwies und letztlich die Klingel am Kreißbett erreichen konnte (Privatgutachten vom 15.06.2020 Seite 13). Zugleich hat er aber die Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. S. geteilt, dass nicht a priori davon ausgegangen werden könne, dass eine Mutter in den zwei Stunden nach der Geburt selbstständig ohne Hilfe aus dem Bett aufstehen könne und hat es zudem als unklar angesehen, wie mobil oder immobil die Kindsmutter gewesen ist (Privatgutachten Prof. Dr. B. vom 15.06.2020 Seite 12). Auch wenn er weiter ausgeführt hat, dass es bei einer (hier dokumentierten) Austreibungsphase von 28 Minuten und einer Presszeit von 10 Minuten nicht ungewöhnlich wäre, wenn eine frisch Entbundene zwar erschöpft, aber dennoch ausreichend mobil sei (Privatgutachten Prof. Dr. B. vom 15.06.2020 Seite 12), war für ihn also nicht klar, ob die Kindsmutter ausreichend mobil war. Abgesehen davon, dass der Privatgutachter nicht berücksichtigt hat, dass die Kindsmutter aufgrund einer Geburtsverletzung (Dammriss) genäht worden war, ist daher nicht plausibel, wenn er seine Auffassung u.a. darauf stützt, dass hier eine Immobilität der Kindsmutter nicht vorgelegen habe. Da es bei der Frage der Schwere einer Pflichtverletzung auf die ex ante-Sicht ankommt, kann auch nicht darauf abgestellt werden, dass die Kindsmutter schließlich in der Lage war, aufzustehen und die Klingel zu betätigen.
(3) Der Einwand der Beklagten, der Sachverständige Prof. Dr. S. verhalte sich in Allgemeinplätzen und lasse die konkrete Situation außer Blick, ist nicht gerechtfertigt. Der Gerichtsgutachter Prof. Dr. S. hat, wie sich aus seinem schriftlichen Gutachten ergibt, die konkrete Situation von Mutter und Kind im vorliegenden Fall berücksichtigt. Er hat seinem Gutachten sehr sorgfältig die Dokumentation u.a. über Alter, Gewicht und Größe der Kindsmutter, den Geburtsverlauf einschließlich Dauer der jeweiligen Geburtsperiode, Blutverlust und Geburtsverletzung mit Naht der Mutter sowie den dokumentierten Zustand des Kindes zugrunde gelegt (siehe Gutachten vom 30.04.2018 Seite 3 ff.). Anamnestisch seien bei der Kindsmutter keine Besonderheiten hervorzuheben. Den Geburtsverlauf hat der Sachverständige als recht zügig und komplikationslos bezeichnet (Gutachten vom 30.04.2018 Seite 22), diesen also berücksichtigt.
(4) Zudem geht der Senat davon aus, dass, wie der Sachverständige Prof. Dr. S. in seiner Anhörung in der Berufungsverhandlung bestätigt hat, es nicht auf die konkrete Situation der Kindsmutter im Einzelfall ankommt, sondern entscheidend ist, dass allein die Möglichkeit eines nicht vorhersehbaren komplikationsbehafteten Geschehens innerhalb von zwei Stunden nach der Geburt es erfordert, dass die Mutter unproblematisch in der Lage sein muss, Hilfe – in Form einer Bettklingel – herbeizuholen (siehe hierzu Sitzungsprotokoll vom 12.07.2021 Seite 5 unten/6 oben und Mitte, Bl. 419 f. d.A.). Da innerhalb von zwei Stunden nach der Geburt auch ohne Risikofaktoren Komplikationen auftreten können, wie vom gerichtlichen Sachverständigen mit Beispielen erläutert (Sitzungsprotokoll vom 12.07.2021 Seite 6, Bl. 420 d.A.) und deshalb Mutter und Kind erst nach dieser Zeit vom Kreißsaal auf die normale Station verlegt werden, kommt es auch nicht darauf an, ob die Mutter der Klägerin, wie sie selbst in ihrer Anhörung berichtet hat, tatsächlich nach der Geburt erschöpft war (was die Beklagten bestreiten).
(5) Soweit der Privatgutachter erklärt hat, dass es für einen Nutzen einer Klingel unabhängig von Indikationen keine Evidenz gebe und diese im Gesamtkollektiv sehr wahrscheinlich auch keinen signifikanten klinischen Nutzen haben würde, weil es viele Frauen gebe, die nach einer Geburt nicht über Kreislaufbeschwerden klagen und sich zwar müde, aber gut fühlen (Privatgutachten Prof. Dr. B. vom 15.06.2020 Seite 11), stellt diese Argumentation die Bewertung der Nichtaushändigung der Klingel als Behandlungsfehler überhaupt im konkreten Fall in Frage. Nach diesen Ausführungen könnte eine Klingel nur bei bestimmten konkret festgestellten Risiken ausgehändigt werden müssen, die hier nach Einschätzung des Privatgutachters nicht vorgelegen hätten. Diesen Schluss zieht der Gutachter aber selbst nicht, sondern bejaht hier einen einfachen Behandlungsfehler. Wie dargelegt, ist das Landgericht zutreffend und fehlerfrei zu der Annahme eines Behandlungsfehlers gelangt. Dem schließt sich der Senat auch unter Berücksichtigung der konkreten Risikosituation der Kindsmutter an. Dass es keine wissenschaftliche Evidenz auf der Grundlage von Studien gibt, haben der gerichtlich bestellte Sachverständige Prof. Dr. S. und das Gericht – wie ausgeführt – berücksichtigt.
(6) Weiter führt der Privatgutachter an, dass die betreuende Hebamme die klinische Situation nicht als kritisch angesehen haben könnte und nach dem Umlagern in das weiche Bett vergessen habe, die Klingel ans weiche Bett zu hängen. Seine Einschätzung, dass dies nicht als unverständlich bezeichnet werden könnte, hat er damit begründet, dass man im klinischen Alltag viel zu oft erlebe, dass beispielsweise bei noch anwesendem Partner oder unauffälligen frisch Entbundenen vergessen werde, die Klingel umzuhängen (Privatgutachten vom 15.06.2020 Seite 13).
Maßgeblich ist aber nicht die verkehrsübliche Sorgfalt, die von einem gewissen Schlendrian geprägt sein kann. Abzustellen ist vielmehr auf die verkehrserforderliche Sorgfalt (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 08. Juni 2000 – 5 U 2032/98 –, juris Rn. 33). Die Anerkennung eines Standards ist nicht mit einer allgemeinen Anwendung dieses Standards gleichzusetzen (Herberger/Martinek u.a.-Lafontaine, jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 630a Rn. 214, zitiert nach juris). Der Bundesgerichthof hat es als fehlerhaft angesehen, bei der juristischen Beurteilung zugrunde zu legen, dass ein grober Behandlungsfehler ausscheide, wenn ein solcher Fehler unter den gegebenen Umständen im alltäglichen Ablauf passieren könne. Auf diese Umstände komme es bei der Frage, ob ein Behandlungsfehler als grob zu bewerten sei, nicht an. Dass Fehler vorkommen (können), sage nichts darüber aus, ob sie objektiv nicht mehr verständlich seien (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2018 – VI ZR 285/17 –, juris Rn. 22).
Bei der Beurteilung eines Behandlungsfehlers als „grob“ ist also nicht auf den Grad der subjektiven Vorwerfbarkeit abzustellen. Die Annahme einer Beweislastumkehr nach einem groben Behandlungsfehler ist keine Sanktion für ein besonders schweres Verschulden, sondern knüpft daran an, dass die Aufklärung des Behandlungsgeschehens wegen des Gewichts des Behandlungsfehlers und seiner Bedeutung für die Behandlung in besonderer Weise erschwert worden ist, sodass dem Patienten der Kausalitätsbeweis nicht zugemutet werden kann. Erforderlich, aber auch genügend ist deshalb ein Fehlverhalten, das nicht aus subjektiver, sondern aus objektiver medizinischer Sicht nicht mehr verständlich erscheint (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2011 – VI ZR 139/10 –, juris Rn. 11). Daher kann bei der Bewertung der Schwere eines Behandlungsfehlers nicht, wie der Privatgutachter dies getan hat, auf die allgemeine Üblichkeit bzw. ein im Klinikalltag häufiges Vergessen der Aushändigung einer Klingel abgestellt werden. Der Behandlungsfehler wiegt hier auch so schwer, dass er die Folgen einer Beweislastumkehr rechtfertigt.
(7) Der Sachverständige Prof. Dr. S. hat sich mit dem Privatgutachten des Prof. Dr. B. ausführlich auseinandergesetzt. Dennoch ist er bei seiner Bewertung des Behandlungsfehlers als aus fachärztlicher Sicht nicht mehr verständlich geblieben (Sitzungsprotokoll vom 12.07.2021 Seite 2, Bl. 416 d.A.). Insbesondere hat er auf Vorhalt der auf Seite 12 und 13 des Privatgutachtens aufgelisteten Punkte erklärt, dass diese nicht gegen seine Wertung sprächen, und einen groben Behandlungsfehler ausdrücklich bejaht, obwohl der Geburtsverlauf schnell war, das Ereignis kurz vor der Verlegung auf die normale Station stattfand, der Blutverlust gering war, die Mutter nicht adipös und keine Peridualanästhesie (PDA) erhalten hatte (Sitzungsprotokoll vom 12.07.2021 Seite 4 ff. Bl. 418 ff. d.A.).
b) Die Feststellung eines groben Behandlungsfehlers führt zu einer Beweislastumkehr der haftungsbegründenden Kausalität zugunsten der Klägerin.
aa) Gemäß § 630h Abs. 5 S. 1 BGB wird vermutet, dass ein grober Behandlungsfehler, der grundsätzlich geeignet ist, eine Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, für diese Verletzung ursächlich war. Dies war hier der Fall. Durch die nicht in Reichweite befindliche Klingel ist nach den berufungsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Landgerichts eine Verzögerung der Reanimation der Klägerin erfolgt. Hätte die Kindsmutter die Klingel (um ca. 15 Minuten) früher betätigt, wovon das Landgericht für den Fall einer Klingel in Reichweite nach fehlerfreier Beweiswürdigung zutreffend ausgeht, wäre die Beklagte zu 2 früher hinzugekommen. Ein früheres Eingreifen wäre geeignet gewesen, dass der Gesundheitsschaden der Klägerin nicht oder nur in geringerer Ausprägung eingetreten wäre. Dies ergibt sich aus den Angaben des neonatologischen Sachverständigen Prof. Dr. A. in seiner mündlichen Anhörung, wonach sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit „etwas“ gebessert hätte (Sitzungsprotokoll vom 16.01.2020 Seite 3, Bl. 252 d.A.).
Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. A. in seinem schriftlichen Gutachten wäre, wenn die schleichende postnatale Atemdepression früher bemerkt worden wäre, die hypoxiebedingte Schädigung möglicherweise geringer ausgefallen (Gutachten vom 18.05.2018 Seite 19). In seiner mündlichen Anhörung hat er der allgemeinen Regel zugestimmt, nach der je früher man eingreift, desto höher in der Regel der therapeutische Erfolg ist. Dies könne er für das hier in Rede stehende Ereignis nicht ausschließen. Das bedeute nicht zwingend, dass man die positive Aussage treffen kann, dass sich in jedem Fall etwas gebessert hätte. Nach seiner Einschätzung hätte sich aber mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit – also einer, die jenseits der 50 % liegt – „etwas“ gebessert – wobei er dieses „etwas“ nicht näher bestimmen könne (Sitzungsprotokoll vom 16.01.2020 Seite 7, Bl. 252 d.A.). Dies genügt, um eine Geeignetheit i.S.v. § 630h Abs. 5 S. 1 BGB feststellen zu können.
bb) Aus vorgenannten Ausführungen des Sachverständigen ergibt sich auch, dass die Beklagten nicht nachgewiesen haben, dass jeglicher haftungsbegründende Ursachenzusammenhang, auch eine Mitursächlichkeit, im konkreten Fall äußerst unwahrscheinlich ist, sodass eine Beweislastumkehr nicht ausgeschlossen ist.
cc) Das Landgericht ist zudem fehlerfrei davon ausgegangen, dass das schädigende Ereignis in dem Zeitraum stattgefunden hat, in dem sich die Kindsmutter mit der Klägerin allein im Kreißsaal befand, und zwar nicht erst, als die Mutter der Klägerin die Beklagte zu 2 tatsächlich alarmiert hat. Dies ist nicht zu beanstanden. Die Beklagten können sich nicht durch den Nachweis entlasten, dass das schädigende Ereignis erst im Zeitpunkt der Alarmierung aufgetreten ist bzw. ein früherer Zeitpunkt äußerst unwahrscheinlich wäre.
(1) Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. A. war das SUPC-Ereignis [Fast-Kindstod bei Neugeborenen] für das neurologische Krankheitsbild der Klägerin kausal oder zumindest in wesentlichem Maße mitverantwortlich (Gutachten vom 18.05.2018 Seite 15, 26, Seite 32). Zwar konnte das schicksalhaft eingetretene schädigende Ereignis (S-ALTE oder SUPC) nicht präventiv verhindert werden. „Wenn ein entsprechendes Ereignis stattgefunden habe, könne man versuchen, es aufzufangen, es aber nicht gezielt verhindern“ (Sitzungsprotokoll vom 16.01.2020 Seite 3, Bl. 250 d.A.).
Das Fehlen einer Klingel in Bettnähe sollte (und konnte) aber auch gar nicht das SUPC verhindern, sondern im Fall von Auffälligkeiten dazu dienen, möglichst schnell Hilfe herbeizuholen, also auch im Fall eines S-ALTE [severe apparent life-threatening event] oder SUPC-Ereignisses. Insofern kommt es auch nicht darauf an, dass in der Leitlinie zur Prävention des plötzlichen Säuglingstods eine Bettklingel nicht erwähnt ist oder in den von den Beklagten zitierten Arbeiten von Poets et al. zu dieser Thematik ein frustraner Alarmversuch nicht berichtet wird und es keine wissenschaftliche Evidenz dafür gibt, dass die Klingel geeignet sei, einen plötzlichen Kindstod abzuwenden, worauf sich die Beklagten berufen. In seiner Anhörung vor dem Senat hat der Sachverständige Prof. Dr. S. auf Vorhalt des von den Beklagten hinzugezogenen Prof. Dr. von …. nochmals bestätigt, dass es nicht um das Abwenden des Geschehens gehe, sondern darum, dass bei einer Auffälligkeit des Kindes die Mutter sofortige Hilfe herbeiführen könne, um entsprechend der neonatologischen Stellungnahme des Prof. Dr. A. die Prognose möglicherweise zu verbessern (Sitzungsprotokoll vom 12.07.2021 Seite 11, Bl. 425 d.A.). Dadurch, dass die Kindsmutter aufgrund der nicht in Reichweite befindlichen Klingel nicht sofort bei den ersten Anzeichen einer Schädigung die Beklagte zu 2 alarmiert hat, kann also eine Verzögerung der folgenden Behandlung der Klägerin verursacht worden sein, die zu (schwereren) Gesundheitsschäden geführt hat.
Aufgrund der sachverständigen Begutachtungen ist davon auszugehen, dass die Klägerin eine hypoxisch-ischämische Enzephalopathie (HIE) infolge einer schweren postpartalen Asphyxie erlitten hat. Dies hat der neonatologische Sachverständige Prof. Dr. A. zwar als für ihn überraschend angesehen, er hat aber eindeutig erklärt, dass an dieser Bewertung keine vernünftigen Zweifel beständen – auch wenn nicht gänzlich ausgeschlossen werden könne, dass das in Rede stehende Ereignis in Wirklichkeit das erste Symptom einer Schädigung war, welche bereits zu einem früheren Zeitpunkt stattgefunden hatte. Der bestehende klare Kriterienkatalog sei jedoch erfüllt, so dass aus gutachterlicher Sicht davon auszugehen sei, dass die Hirnschädigung (HIE) bei einem Sudden Unexpected Postnatal Collapse (SUPC) eingetreten sei (Gutachten vom 18.05.2019 Seite 11). Insoweit besteht auch Übereinstimmung mit dem vorgerichtlich von der Klägerin eingeholten Privatgutachten Dr. D. (Gutachten vom 11.04.2016 Seite 9). Dies wird von den Beklagten in der Berufungsbegründung nicht in Frage gestellt.
(2) Entgegen dem Bestreiten der Beklagten in der Berufungsbegründung, dass es überhaupt zu einer Situation gekommen sei, welche Grund zu Zweifeln am Zustand der Klägerin und Sorge der Kindsmutter geführt habe, bevor es zu der Alarmierung mittels der Klingel gekommen sei, hat das Landgericht eine solche Situation nach umfassender Würdigung der Angaben der Kindsmutter fehlerfrei und überzeugend festgestellt. Insofern hat das Landgericht nicht etwa lediglich „unterstellt“, wie die Beklagten meinen, dass die leichten Bedenken der Kindsmutter, nachdem die Beklagte zu 2 den Kreißsaal verlassen hatte, erste Anzeichen für das dann diagnostizierte S-ALTE gewesen seien. Das Landgericht hat vielmehr die Kindsmutter informatorisch angehört und die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben sowie ihre Glaubwürdigkeit umfassend gewürdigt. Gut nachvollziehbar hat die Kammer es als überzeugend erachtet, dass die Kindsmutter bereits zu einem früheren Zeitpunkt als der tatsächlichen Alarmierung der Hebamme bemerkt habe, dass die Klägerin ungewöhnlich ruhig gewesen sei.
Berufungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass das Landgericht aufgrund dieser Angaben sodann festgestellt hat, dass die fehlende Klingel dazu geführt habe, dass die Kindsmutter nicht bereits beim ersten Anzeichen eines pathologischen Zustands der Klägerin die Beklagte zu 2 alarmiert habe. An diese Feststellungen ist der Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden. Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründeten, sind nicht vorhanden.
Dem Einwand der Beklagten, es sei nicht plausibel und ein gravierender Fehler der Beweiswürdigung, wenn einerseits von der Kindsmutter angegeben werde, sie habe das Gefühl entwickelt, ihr Kind sei zu ruhig, und andererseits nicht einmal den Versuch unternehme, sich bemerkbar zu machen, obwohl der weitere Verlauf gezeigt habe, dass es ohne weiteres möglich gewesen wäre, eine der beiden Klingeln im Raum zu betätigen oder aber durch Rufen Unterstützung herbeizurufen, vermag der Senat nicht zu folgen. Vielmehr erscheint die Reaktion der im Umgang mit einem Neugeborenen unerfahrenen Kindsmutter nach der Anstrengung der Geburt in der konkreten Situation, in der sie unsicher war, ob der Zustand ihres Kindes ungewöhnlich war oder nicht, gut nachvollziehbar. So hat sie in ihrer Anhörung geschildert, dass ihr irgendwann Z. „zu ruhig“ erschienen sei. Anfangs habe sie noch gedacht, dass sie vielleicht schlafe und sich dann doch gewundert, dass sie sich so gar nicht rege. Sie habe klingeln wollen, damit jemand nach Z. schaue und habe festgestellt, dass sich die Klingel noch in dem Geburtsbett befand. Sie sei vollkommen erschöpft gewesen und habe schlicht nicht die Energie aufgebracht zu klingeln. Als ihre Bedenken aber dann doch, nachdem sie kurz eingedöst war, zugenommen hätten, habe sie sich, um aufstehen zu können, zunächst zur Bettkante vorgearbeitet. Dies sei, auch weil sie genäht worden sei, nicht so einfach gewesen. Anderweitige Versuche, sich bemerkbar zu machen, hätte sie nicht unternommen. Sie habe auch so eine Möglichkeit nicht gesehen, zumal die Tür geschlossen gewesen sei. Auch hätte sie nicht ernstlich die Erwartung gehabt, dass ein Ruf auf der ohnedies lauten Geburtsstation durch die Tür wahrgenommen worden wäre (Sitzungsprotokoll vom 16.01.2020 Seite 8 f., Bl. 252 R f. d.A.).
Die Dokumentation des zeitlichen Ablaufs steht der Glaubhaftigkeit der Angaben der Kindsmutter nicht entgegen. Auf den minutengenauen Zeitablauf kommt es vorliegend nicht an. Die Kindsmutter war in einem Zeitraum allein im Kreißsaal, in dem das kritische Ereignis eintrat und der lang genug war, dass die Verzögerung der Verständigung der Beklagten zu 2 geeignet war, den Gesundheitszustand der Klägerin zu verschlechtern. Dies hat das Landgericht fehlerfrei festgestellt. Dass die erstinstanzlich informatorisch angehörte Mutter der Klägerin möglicherweise die genaue Minutenzahl zwischen dem Hinausgehen der Beklagten zu 2, dem Auftreten ihrer Bedenken und der tatsächlichen Betätigung der außerhalb des Betts befindlichen Klingel nicht korrekt eingeschätzt hat, worauf sich die Beklagten berufen, begründet keine Zweifel an der Glaubhaftigkeit ihrer Schilderung. In der Situation der Kindsmutter ist es vielmehr verständlich, dass sie nicht auf die genaue Uhrzeit geachtet hat; dafür bestand für sie kein Anlass. Dass eine bloße subjektive grobe Schätzung, wieviel Zeit vergangen war, zumal in der Ausnahmesituation nach einer Geburt, ungenau ist, liegt auf der Hand. Dagegen ist die in den Behandlungsunterlagen der Beklagten dokumentierte Uhrzeit hinsichtlich der Alarmierung der Beklagten zu 2 ausweislich der Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. S. nicht plausibel. Danach wäre eine nicht erklärbare zu lange Zeit bis zum Anruf in der Notaufnahme vergangen (siehe ausführlich ergänzende Stellungnahme vom 19.05.2019 Seite 6). Zweifel an der Beweiswürdigung bestehen aber selbst dann nicht, wenn die Kindsmutter nur 25 Minuten und nicht 35 Minuten allein im Kreißsaal war. Eine weitergehende Aufklärung hinsichtlich des genaueren Zeitablaufs war mithin nicht erforderlic….
Dafür, dass bereits die vor der Alarmierung aufkommenden Bedenken der Kindsmutter erste Anzeichen einer kritischen Situation waren, spricht auch, dass sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. A. ergibt, dass sich der Zustand der Klägerin – innerhalb eines nicht unverhältnismäßig langen Zeitraums – schleichend verschlechtert haben kann und nicht etwa als ganz plötzliches Ereignis erst im Zeitpunkt der Alarmierung aufgetreten sein muss. So hat der Sachverständige ausgeführt, dass sich ein SUPC-Ereignis innerhalb eines viertelstündigen Intervalls abspielen könne sowie auch von einer schleichenden postnatalen Atemdepression gesprochen (Gutachten vom 18.05.2018 Seite 18, 19). Mithin bestehen keine vernünftigen Zweifel an der Feststellung des Landgerichts, dass das SUPC-Ereignis bereits vor der tatsächlichen Alarmierung aufgetreten ist.
Wenn sich die Beklagten nunmehr darauf berufen, dass es wesentlich wahrscheinlicher gewesen sei, dass die dramatische Situation erst zu einem deutlich späteren Zeitpunkt aufgetreten sei, weil ansonsten mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen wäre, dass die Klägerin das Ereignis nicht überlebt hätte, wird diese rein spekulative Einschätzung durch keinen der mit dem Fall befassten Sachverständigen gestützt. Der Sachverständige Prof. Dr. A. hat in seinem Ergänzungsgutachten aus neonatologischer Sicht die Hürde bei der Herbeiholung sofortiger Hilfe sogar als einen möglichen begünstigenden Faktor des Entstehens des SUPC angesehen (Gutachten vom 24.06.2019 Seite 6), was bedeutet, dass er seiner Beurteilung zugrundelegt, dass das SUPC-Ereignis nicht erst zeitlich mit der Alarmierung der Hebamme zusammenfiel, sondern bereits zuvor begonnen hatte. Nach dem neonatologischen Privatgutachten Dr. D. hätte ein frühzeitigeres Erkennen einer unzureichenden Atmung des Kindes bei adäquater Überwachung von Mutter und Kind das Eintreten einer neurologischen Schädigung vollständig verhindern können (Privatgutachten vom 11.04.2016 Seite 15) Daraus ergibt sich ebenfalls, dass sich die kritische Situation der Atemdepression bereits vor der tatsächlichen Alarmierung der Beklagten zu 2 entwickelt haben muss. Im Übrigen hat, ohne dass es noch darauf ankäme, auch der geburtshilfliche Sachverständige Prof. Dr. S. es aus seiner fachärztlichen Sicht als nachvollziehbar bezeichnet, dass es hier in der Zeit zwischen 4:00 Uhr bzw. 4:05 Uhr und 4:20 Uhr zu einem S-ALTE bzw. SUPC gekommen sei (Gutachten Prof. Dr. S. vom 30.04.2018 Seite 19).
3.
Der erstinstanzlich erhobene Vorwurf eines Mitverschuldens der Kindsmutter, die ausgebildete Krankenschwester sei, ist vom Landgericht zu Recht und mit der zutreffenden Begründung zurückgewiesen worden, dass bei der Entstehung des Geburtsschadens kein Verursachungsanteil mitgewirkt habe, der auch nur im Entferntesten als schuldhaft gewürdigt werden könne.
4.
Das Landgericht und der Senat durften ihre Feststellungen auf die Ausführungen der gerichtlich bestellten Sachverständigen Prof. Dr. S. und Prof. Dr. A. stützen. Ein neues Gutachten ist auch nach Vorlage des Privatgutachtens des Prof. Dr. B. nicht einzuholen, nachdem sich der Sachverständige Prof. Dr. S. in der Berufungsverhandlung mit dessen Ausführungen ausführlich auseinandergesetzt hat.
a) Dem Antrag der Beklagten auf Einholung eines neuen Gutachtens nach § 412 ZPO war nicht nachzukommen. Ein Obergutachten kommt nur in Betracht, wenn das erste Gutachten ungenügend (unvollständig, widersprüchlich, nicht überzeugend) ist, von falschen tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, der Sachverständige erkennbar oder erklärtermaßen nicht die notwendige Sachkenntnis hat, die Anknüpfungstatsachen sich durch neuen Sachvortrag ändern oder ein anderer Sachverständiger über überlegene Forschungsmittel oder Erfahrung verfügt (Zöller-Greger, ZPO, 29. Aufl., § 412 Rn. 1 f.). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
b) Auch war nicht etwa zusätzlich ein Gutachten einer Hebamme einzuholen. Zwar hat der geburtshilfliche Sachverständige Prof. Dr. S. erklärt, dass die Organisation der Klingel am Bett im Kreißsaal in den Zuständigkeitsbereich der Hebammen fällt. Er hat aber klargestellt, dass der für die Organisation der Geburtsstation zuständige Oberarzt die Verantwortung habe (Sitzungsprotokoll vom 16.01.2020 Seite 5, Bl. 251 d.A.). Damit genügt eine ärztliche geburtshilfliche Begutachtung (vgl. auch OLG Karlsruhe, Urteil vom 03.02.2021 – 7 U 2/19, GesR 2021, 397, wonach Tätigkeiten einer Hebamme durch einen Gynäkologen als Sachverständigen begutachtet werden können).
c) Zweifel an der Kompetenz, Qualifikation und Sachkunde der gerichtlich bestellten Sachverständigen Prof. Dr. S. (Geburtshilfe) und Prof. Dr. A. (Neonatologe) bestehen nicht.
Der Sachverständige Prof. Dr. S. verfügt als Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe sowie Dozent der Klinik für Geburtshilfe und Pränatalmedizin, Universitätsklinikum X., über die erforderlichen Fachkenntnisse und Erfahrungen betreffend den hier zu begutachtenden Sachverhalt aus der maßgeblichen ärztlichen Sicht der Behandelnden in der Klinik der Beklagten zu 1.
Der Sachverständige Prof. Dr. A. ist als Facharzt für Kinderheilkunde und Leiter der Sektion Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Zentrum für Geburtshilfe, Kinder- und Jugendmedizin, des Universitätsklinikum X. für die Beurteilung der Kausalitätsfragen des vorliegenden Falles kompetent und qualifiziert.
Die Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen sind weder mit Mängeln behaftet noch sind die Sachverständigen von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen. Sie haben jeweils die sich aus der Behandlungsdokumentation ergebenden Befunde und die Gerichtsakten ausgewertet und das Behandlungsgeschehen zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Behandlungen und Untersuchungen aus der maßgeblichen ex ante-Sicht ihres Fachgebiets beurteilt. Ihre Bewertungen gründen auf den objektiven Ergebnissen, die sie anhand der Dokumentation der Beklagten und den Gerichtsakten über die Situation gewonnen haben. Die Gutachten sind auch für einen medizinischen Laien sehr gut nachvollziehbar, in sich widerspruchsfrei und verständlich erläutert. Auf Nachfragen und Einwände sind die Sachverständigen eingegangen und haben auch diese jeweils sachgerecht und umfassend beantwortet. Der Einholung weiterer Gutachten, wie von den Beklagten beantragt, bedarf es mithin nicht.
d) Die gerichtlichen Sachverständigen haben sich mit den vier vorgerichtlich eingeholten Gutachten beider Parteien ausreichend auseinandergesetzt. In der Berufungsverhandlung hat sich der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. S. ausführlich mit dem erst im Berufungsverfahren von den Beklagten eingeholten Privatgutachten des Prof. Dr. B. befasst. Insoweit wird auf obige Ausführungen verwiesen.
5.
Im Übrigen wird das angefochtene Urteil mit der Berufung nicht angegriffen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.