LG Köln – Az.: 25 O 290/16 – Urteil vom 11.07.2018
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld von 120.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.4.2013 zu zahlen.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 3.063,06 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.4.2017 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche künftigen, unvorhersehbaren immateriellen sowie alle weiteren vergangenen und künftigen materiellen Schäden, die ihm aus den fehlerhaften Behandlungen zwischen dem 1.8. und 8.8.2012 entstanden sind bzw. noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.
Die Beklagten tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des beizutreibenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der zum Behandlungszeitpunkt 70-jährige Kläger wurde nach am 31.07.2012 auswärtig durchgeführter Kontrollkoloskopie wegen zunehmender abdomineller Schmerzen und einer Verschlechterung des Allgemeinzustands am 01.08.2012 gegen 6 Uhr mit dem Rettungswagen im Haus der Beklagten zu 1) vorgestellt. Das Abdomen zeigte sich gebläht und diffus druckschmerzhaft. Radiologisch konnte freie Luft nachgewiesen werden. Es wurde die Indikation zur explorativen Laparotomie gestellt unter dem Verdacht einer iatrogenen Kolonverletzung durch die Koloskopie. Um 12.40 Uhr wurde die Laparotomie durchgeführt. Intraoperativ wurde eine Perforation im Bereich der rechten Flexur festgestellt. Der Kläger wurde nach der Operation auf der Intensivstation aufgenommen zur Beobachtung. Am 06.08.2012 wurde er auf die Normalstation zurück verlegt. Am 08.08.2012 wurde um 13.22 Uhr eine Revisionsoperation durchgeführt, dies wiederum – wie auch schon bei der 1. Operation – von dem Beklagten zu 2). Nachfolgend wurde der Kläger in beatmetem Zustand auf die Intensivstation verlegt, wo sich sein Zustand weiter verschlechterte. Es kam zu einem akuten Nierenversagen und septischen Schock. Am 09.08.2012 wurde der Kläger in die Universitätsklinik Köln verlegt. Dort wurden weitere Lavage-Operationen vorgenommen. Die Ileotransversostomie musste reseziert werden. Schließlich musste in mehreren Eingriffen das rechte Bein amputiert werden. Nach der Entlassung aus der stationären Behandlung befand sich der Kläger vom 09.02.2013 bis zum 18.03.2013 in stationärer Rehabilitationsbehandlung im S.-Hospital in Köln, anschließend im Reha-Zentrum S. in Bergisch-Gladbach.
Der Kläger behauptet, im Haus der Beklagten zu 1) fehlerhaft behandelt worden zu sein. Die Erstoperation sei verspätet durchgeführt worden. Postoperativ seien nicht die notwendigen Befunde erhoben worden (etwa CT-Untersuchung) und dadurch auch der Revisionseingriff verspätet durchgeführt worden. Folge der fehlerhaften Behandlung sei der gesamte weitere Verlauf mit der Notwendigkeit zahlreicher Operationen. Er sei inzwischen in die Pflegestufe 1 eingestuft und könne seiner vorher noch ausgeübten Tätigkeit in einem Minijob nicht mehr nachgehen. Er könne auch im Haushalt nicht nennenswert mithelfen. Er leide nach wie vor an Schmerzen. Ein Nerv sei geschädigt. Er sei in der Mobilität beeinträchtigt. In Anbetracht dieser Beeinträchtigungen hält der Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 70.000 EUR für angemessen.
Der Kläger beantragt:
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld aus den fehlerhaften Behandlungen zwischen dem 01.08. und 08.08.2012 zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 70.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf %-punkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.4.2013.
2. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger aus der o.g. fehlerhaften Behandlung 3.063,06 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche künftigen, unvorhersehbaren immateriellen sowie alle weiteren vergangenen und künftigen materiellen Schäden, die ihm aus den o.g. fehlerhaften Behandlungen entstanden sind bzw. noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Die Beklagten bestreiten einen Behandlungsfehler in ihrem Hause. Sie behaupten, die Behandlung des Klägers sei vollumfänglich lege artis erfolgt. Eine verzögerte Erstversorgung sei nicht gegeben, der Großteil der Behandlungsverzögerung vielmehr in den Zeitraum vor der Aufnahme des Klägers in ihrem Haus gefallen. Eine frühere Operation sei mangels freien OP-Saals nicht in Betracht gekommen. Sämtliche gebotenen Befunderhebungen seien durchgeführt worden. Auch die Revisionsoperation sei zeitgerecht erfolgt. Die Beklagten bestreiten die klägerseits behaupteten Beschwerden sowie die Kausalität. Sie halten das geltend gemachte Schmerzensgeld für übersetzt.
Die Kammer hat durch Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. P Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 28.07.2017 (Bl. 160 ff.GA) und auf das Sitzungsprotokoll vom 30.5.2018 (Bl.222 ff. GA) Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die von den Parteien zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist vollumfänglich begründet. Der Kläger kann von den gesamtschuldnerisch haftenden Beklagten gemäß §§ 611, 823, 253, 280 BGB Zahlung eines Schmerzensgelds verlangen, das die Kammer in Höhe von 120.000 EUR für angemessen erachtet. Des weiteren ist festzustellen, dass die Beklagten dem Kläger als Gesamtschuldner im Umfang des Feststellungsantrags haften.
Bei der Behandlung des Klägers im Krankenhaus der Beklagten zu 1) durch den Beklagten zu 2) als operierenden Arzt ist es zu Behandlungsfehlern gekommen, wie sie einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen dürfen und die die Kammer mithin als grobe Fehler beurteilt. Das ergibt sich mit Deutlichkeit aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme, nämlich den überzeugenden und nachvollziehbaren Feststellungen des Sachverständigen Prof.Dr.P. Dieser ist ohne eigene Untersuchung des Klägers, jedoch unter sorgfältiger Auswertung der Behandlungsunterlagen eindeutig zu dem Ergebnis gelangt, dass das Vorgehen im Haus der Beklagten zu 1) fehlerhaft war. Die abdominale Beschwerdesymptomatik, die sich bereits bei der Einlieferung des Klägers in das Haus der Beklagten zu 1) dargestellt habe, habe anamnestisch mit der Koloskopie und Polypektomie am Vortag in Einklang gebracht werden müssen. Das gut geführte Einsatzprotokoll des Notarztes, der den Kläger um 6.05 Uhr in der Klinik übergeben habe, spiegele diesen Verdacht bei akutem Abdomen bereits wider. Auch dem Aufnahmebefund aus dem Haus der Beklagten zu 1) sei eine Abwehrspannung bei geblähtem Abdomen sowie ein deutlich reduzierter Allgemeinzustand mit beginnender Zentralisierung zu entnehmen. In einer Abdomenübersichtsaufnahme in Linksseitenlage sei bereits freie Luft nachgewiesen, die Abdomen-Sonografie habe einen Verdacht auf freie Flüssigkeit gezeigt. Ein kurz vor 8 Uhr angefertigtes CT des Abdomens habe sowohl freie Flüssigkeit als auch freie Luft bestätigt, welches die Verdachtsdiagnose Perforation im Zusammenhang mit der am Vortag durchgeführten Koloskopie bestätigt habe. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sei eine notfallmäßige Operation geboten und indiziert gewesen, wobei bereits die CT-Untersuchung bei den sich darstellenden Befunden nicht erforderlich gewesen wäre, um die OP-Indikation zu stellen. Die notwendige Notfalloperation sei jedoch erst 4 Stunden später begonnen worden, was als fehlerhaft anzusehen sei. In einer gut funktionierenden Klinik müsse es möglich sein, eine Notfall-OP innerhalb von 2 Stunden zu organisieren. Spätestens um 8 Uhr habe die OP durchgeführt werden müssen. Denn es sei wichtig gewesen, die Colonperforation möglichst schnell operativ zu beheben, um das Ausmaß der aufflammenden Peritonitis einzudämmen. Insoweit vermutet der Sachverständige, dass der Schichtwechsel von der Nachtschicht zur Frühschicht vielleicht mitgewirkt hat bei diesem Versäumnis. Im Rahmen der um 12.15 Uhr mit der Narkoseeinleitung begonnenen OP sei es fehlerhaft versäumt worden, einen intraoperativen Abstrich zur bakteriologischen Untersuchung zu entnehmen. Von daher sei die blind eingeleitete Antibiose wirkungslos gewesen bzw. habe eine bakteriologische Lücke aufgewiesen. Angesichts des sich dem Operateur darstellenden intraoperativen Situs mit einer eitrigen Peritonitis mit trüber Flüssigkeit im Unterbauch sowie an der Perforationsstelle sei die vorliegend durchgeführte direkte Naht mit dem hohen Risiko einer Nahtinsuffizienz verbunden gewesen. Frische Colonperforationen könnten nur dann mit einer direkten Naht versorgt werden, wenn noch keine perifokale Gewebsreaktion vorliege. Dies sei vorliegend jedoch nicht der Fall gewesen, so dass eine direkte Stoma-Ausleitung der Perforationsstelle oder aber die Naht der Perforationsstelle mit Vorschalten eines Schutz-Ileostomas das gebotene operative Vorgehen gewesen sei. Das Vorgehen des Operateurs zeige eine Unkenntnis des Pathomechanismus der Anastomosenheilung. In seiner Anhörung im Termin vom 30.5.2018 hat der Sachverständige in auch für medizinische Laien gut nachvollziehbaren Weise erläutert, dass man eine primäre Darmnaht nur vornehmen darf, wenn seit der Verletzung maximal zwei Stunden vergangen sind; hier hat er beispielhaft auf ein Unfallopfer verwiesen. Hier aber war bereits auf Grund der Anamnese klar, dass viel mehr Zeit verstrichen war und darüber hinaus hat man im Haus der Beklagten zu 1) nochmals über vier Stunden zugewartet, bis man den Eingriff begonnen hat. Anlässlich seiner Anhörung hat der Sachverständige deutlich gemacht, dass der Beklagte zu 2) die von ihm gesehene Vier-Quadranten-Peritonitis ignoriert und gleichwohl eine primäre Darmnaht gesetzt hat.
Auch die Relaparotomie am 08.08.2012 ist nach den Feststellungen des Sachverständigen einerseits verspätet, andererseits erneut fehlerhaft durchgeführt worden. Am 07.08.2012 sei eine CT-Untersuchung des Abdomens oder eine sofortige Second look Operation erforderlich gewesen in Anbetracht der klinischen Verschlechterung. Eine CT-Untersuchung am 07.08.2012 hätte die OP-Indikation bestätigt. Auch eine um 24 Stunden frühere Operation hätte indes bei gleichem Vorgehen wie am 08.08.2012 keinen anderen Verlauf gezeitigt als tatsächlich erfolgt. Bei der Relaparotomie am 08.08.2012 habe sich bereits beim Öffnen des Abdomens ein subkutaner Flüssigkeitsverhalt gezeigt, dilatierte Dünndarmschlingen sowie fibrinöse und kotige Beläge bei einer Vierquadrantenperitonitis. Die Übernähung der alten Colon-Perforationsstelle habe sich insuffizient mit einer deutlichen Vulnerabilität des gesamten Dickdarms gezeigt. Es sei indes wiederum eine Colon-Darmnaht erfolgt, dies ohne Darmschutz, was erneut als fehlerhaft zu bewerten sei. Hier sei unbedingt eine Stoma-Ausleitung geboten gewesen. Der Sachverständige spricht insoweit von einem groben chirurgischen Fehler. Bei dieser Einordnung ist er bei seiner Anhörung dezidiert geblieben.
Diese Behandlungsfehler hatten nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. P für den Kläger weitreichende gesundheitliche Folgen. Die geplante Second Look Operation ist dann in einer anderen Klinik durchgeführt worden, außerdem eine weitere Operation wegen einer erneuten ausgedehnten Anastomoseninsuffizienz mit kotiger Peritonitis am 7. postoperativen Tag. Bei dieser Operation wurde eine ausgedehnte Darmresektion durchgeführt. Es kam auch zu zahlreichen Wiederholungseingriffen. Im Vordergrund der weiteren Behandlung stand eine lebensbedrohliche Sepsis, welche letztendlich habe beherrscht werden können. In Folge der langanhaltenden Sepsis ist eine partielle Niereninsuffizienz und eine Critical illness Polyneuropathie entstanden. Aufgrund der hohen Katecholamin-Gaben müsse eine Addison-Krise und zumindest ein partieller Zusammenhang mit der ischämischen Nekrose des rechten Vorfußes angenommen werden, welche über eine Grenzzonenamputation, Unterschenkel-Amputation letztlich in einer Amputation des Oberschenkels geendet habe. Anlässlich seiner Anhörung hat der Sachverständige diesen Kausalzusammenhang nochmals klar herausgearbeitet und der Kammer dargestellt. Vor diesem Hintergrund besteht kein vernünftiger Zweifel daran, dass nicht lediglich der Verlust eines Großteils des Darms, sondern letztlich auch die Amputation des rechten Oberschenkels eine direkte Folge der Behandlungsfehler war.
Das rechtfertigt nach dem Ermessen der Kammer, dem Kläger ein Schmerzensgeld von 120.000 EUR zuzuerkennen. Die Auffassung der Kammer, wie sie in dem Prozesskostenhilfe bewilligenden Beschluss vom 22.3.2017 zum Ausdruck gekommen ist, lässt sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere der Anhörung des Sachverständigen, nicht mehr aufrecht erhalten. Dabei hat das Gericht berücksichtigt, dass in früheren Jahren für Oberschenkelamputationen deutlich geringere Schmerzensgelder ausgeurteilt worden sind. Einerseits ist schon wegen des Zeitablaufs seit diesen Urteilen in den neunziger Jahren eine Anhebung gerechtfertigt, andererseits hat der Kläger nicht isoliert sein Bein eingebüßt, sondern darüber hinaus noch gravierende internistische Schäden davon getragen, nämlich unter anderem den Verlust eines Großteils des Darms. Soweit die Beklagten mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 4.7.2018 darauf verweisen, dass es sich bei dem Kläger um einen Mann fortgeschrittenen Alters handele, trifft das selbstverständlich zu, das hat die Kammer indes in ihre Erwägungen einbezogen. Dass der Kläger sich außerdem einer palliativen Operation eines Speiseröhrenkrebses unterzogen hat, ist für die Bemessung des Schmerzensgeldes eher nicht von Bedeutung.
Der Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Anwaltskosten ist ebenfalls aus §§ 611, 280 BGB begründet und der Höhe nach durch den gestellten Antrag begrenzt.
Der Feststellungsantrag ist ebenfalls begründet, weil ohne weiteres nachvollziehbar und damit hinreichend wahrscheinlich ist, dass noch weitere materielle und möglicherweise noch nicht vorhersehbare immaterielle Schäden aufgrund der fehlerhaften Behandlung eintreten.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO.
Der Streitwert wird auf 150.000 EUR festgesetzt, davon entfallen 30.000 EUR auf den Antrag zu 3).