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Krankenhaushaftung für angestellte Ärzte und Hebammen

LG Osnabrück, Az.: 2 O 3935/04, Urteil vom 24.02.2010

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Feststellung der Ersatzverpflichtung materieller Schäden aus Anlass einer (angeblich) fehlerhaften geburtshilflichen Behandlung.

Die Klägerin zu 1) ist der Krankenversicherer und die Klägerin zu 2) der Pflegeversicherer der am … geborenen … ( im nachfolgenden: Versicherte ).

Krankenhaushaftung für angestellte Ärzte und Hebammen
Foto: viperagp/Bigstock

Die Mutter der Versicherten … wurde in der Zeit vom 03.05. bis 26.05.1984 wegen einer drohenden Frühgeburt im Stadtkrankenhaus B (jetzt : J-Krankenhaus) auf der gynäkologischen Abteilung stationär behandelt. Die Behandlung erfolgte zu diesem Zeitpunkt durch …, die Beklagte befand sich bis zur Entlassung der Mutter der Versicherten in Urlaub. Wegen der vorzeitig eingetretenen Wehen wurde die Versicherte bis einschließlich 22.05.1984 mit dem wehenhemmenden Mittel Partusisten behandelt; ferner wurde der Mutter zur Förderung der Lungereife bei dem ungeborenen Kind Celestangaben verabreicht. Des Weiteren waren durch … auch Ultraschalluntersuchungen vorgenommen worden.

Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus (am 26.05.1984) platzte am 28.05.1984 (gegen 15.00 Uhr) bei der Mutter die Fruchtblase und daraufhin erfolgte die erneute stationäre Aufnahme zur Entbindung im Stadtkrankenhaus gegen 16.25 Uhr. Die Beklagte hatte nach ihrem Urlaub am 27.05.1984 die gynäkologische Station von Dr. … übernommen.

Die Aufnahmeuntersuchung der Mutter der Versicherten erfolgte (am 28.05.1984) durch die angestellte (damals etwa 70 Jahre alte) Hebamme …, die die Beklagte sofort von der Aufnahme informierte und mitteilte, dass das Fruchtwasser klar sei, der Muttermund geöffnet und der Kopf des Kindes (= Versicherte) sich am Beckenboden befinde. Die Patientin … wurde sodann sofort an ein CTG angeschlossen und zunächst von der Hebamme betreut. Am 28.05.1984 gegen 17.30 Uhr untersuchte die Beklagte persönlich die Patientin. Da sich für die Beklagte keine Anzeichen für eine bereits eingetretene oder bevorstehende Notsituation ergaben, verließ sie (entsprechend ihrer arbeitsrechtlichen Verpflichtung als Angestellte) das Krankenhaus, war aber in Abrufbereitschaft erreichbar.

Ab etwa 19.15 Uhr am 28.05.1984 ergab sich eine Notsituation bei der Patientin … Die Beklagte wurde durch die Hebamme davon gegen 20.30 Uhr verständigt und traf wenige Minuten später im Krankenhaus ein. Nach ihrem Eintreffen leitete die Beklagte im Hinblick auf die schwankende und herabgesetzte Herzfrequenz des ungeborenen Kindes sofort eine Zangengeburt ein. Die Geburt erfolgte um 20.55 Uhr. Postnatal wurde die Versicherte angemessen versorgt. Bei der Versicherten kam es zu einer perinatalen Ashyxie (Atemstillstand), wodurch geistige und körperliche Schäden hervorgerufen wurden. Die Versicherte litt an einer Hypoxie (Sauerstoffunterversorgung) und wurde in das Kinderhospital O verlegt, wo sie in der Zeit vom 28.05. bis 28.06.1984 behandelt und medizinisch versorgt wurde.

In dem Arztbrief des Kinderhospitals O vom 01.08.1984 … an das Stadtkrankenhaus B, auf dessen Inhalt im einzelnen verwiesen wird, heißt es unter anderem ( Anlage K 6 ):

Aufnahmebefund: Großes, reifes weibliches Neugeborenes, völlig rosig. Erhebliche Muskelhypertonie, verkrampfte Fäuste. Immer wieder langanhaltende Kloni am gesamten Körper. Unregelmäßige Spontanatmung. Weiterer Untersuchungsbefund unauffällig.

Beurteilung: Bei … handelt es sich um ein Kind, das eine schwerste perinatale Asphyxie erlitten hatte. Hierdurch bedingt kam es zu einem schweren hypoxämischen Hirnschaden. Zeichen hierfür sind im Computer – Tomogramm (…) zu finden.

Hinsichtlich der Direktansprüche der Versicherten schlossen deren Eltern als gesetzliche Vertreter mit der A – Versicherung unter dem 04.11.1988 einen Vergleich.

Die B Ersatzkasse H hat über den Medizinischen Dienst der Krankenkassen ein fachgeburtshilfliches Gutachten durch die Frauenärztin … unter dem 3.05.2002 erstellen lassen, welche die Diagnose „spastische Cerebralparese mit schwerer Mehrfachbehinderung“ stellte.

Ferner wurde in einem Strafverfahren gegen die Beklagte, welches mit einem Freispruch für die Beklagte endete, ein Sachverständigengutachten durch Prof. Dr. … erstellt; die Strafakten sind nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft Osnabrück vom 20.01.2005 inzwischen vernichtet (vgl. Bl. 55 d. A. ).

Die Versicherte erhält Leistungen der Pflegestufe III. Sie ist nicht in der Lage, sich selbständig gezielt fortzubewegen; Stehen und Gehen seien ihr nicht möglich und zur Fortbewegung sei sie auf einen Rollstuhl angewiesen. Ferner ist die Versicherte nicht in der Lage zu greifen bzw. die Arme anzuheben. Es besteht ferner eine komplette Harn – und Stuhlinkontinenz, ein Sprechen sei der Versicherten nicht möglich und ferner liegt eine starke Spastik in Armen und Beinen vor. Zur Aufrechterhaltung vitaler Funktionen ist sie auf ständige personelle Hilfe angewiesen; zudem sei eine vollständige Übernahme der Körperpflege, Ernährung und Mobilität erforderlich.

Die Klägerinnen behaupten , die Beklagte habe es als Geburtshelferin am 28.05.1984 (pflichtwidrig) unterlassen, die Geburt der Versicherten ordnungsgemäß zu überwachen und frühzeitig durch Kaiserschnitt zu beenden. Die Versicherte sei nicht den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend behandelt worden. Dabei stützen sich die Klägerinnen auf die Gutachten der Sachverständigen Dr. med. … und Prof. Dr. …, wonach die CTG – Überwachung über einen nicht näher bekannten Zeitraum unterbrochen worden sei und nach der erneuten Überwachung ab ca. 19.15 Uhr eine ausgeprägte CTG – Pathologie vorgelegen habe. Das CTG zeige ab etwa 19.15 Uhr ein desolates Muster; gegen 20.05 Uhr sei es zu einem Abfall der Herzfrequenz bis auf etwa 90 Schläge/Minute gekommen. Der Rest des CTG bis zur Geburt sei praktisch nicht mehr auswertbar. Bei einer ordnungsgemäßen CTG – Überwachung hätten die schweren Folgen der Asphyxie verhindert werden können. Bei einer Vorverlagerung der Geburt um ca. 1 Stunde wäre nach Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. … die schwere Schädigung der Versicherten nicht entstanden. Es sei aus objektiver ärztlicher Sicht auch völlig unverständlich, dass eine ausreichende Überwachung (der Mutter) als Risikopatientin durch die Beklagte nicht gewährleistet worden und deshalb eine Reaktion auf die ausgeprägte CTG – Pathologie viel zu spät erfolgt sei. Die Auswertung des CTG habe bereits um 19.15 Uhr massive Hinweise auf eine intrauterine fetale Notsituation ergeben. Gleichwohl sei zu diesem Zeitpunkt eine konsequente Reaktion unterblieben. Ferner behaupten sie, die Dokumentation der konkreten Abläufe sei völlig unzureichend.

Schließlich führen die Klägerinnen aus, es bestehe ein begründetes rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung. Die A-Versicherung als Haftpflichtversicherer des Stadtkrankenhauses habe ihre Ansprüche für die Vergangenheit reguliert, wobei die Zahlungen unter dem Vorbehalt der vollständigen oder teilweisen Rückforderung erfolgt seien, da das Risiko einer Deckungssummenüberschreitung bestehe. Die Berechnung der Restdeckungssumme sei (weiterhin) nicht abgeschlossen.

Die Klägerinnen beantragen, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, alle der Klägerin zu 1) und der Klägerin zu 2) in der Vergangenheit entstandenen sowie ab Rechtshängigkeit (06.01.2005) noch entstehenden materiellen Schäden aus der fehlerhaften, geburtshilflichen Behandlung ihrer Versicherten … im Stadtkrankenhaus in B zu ersetzen, soweit diese gemäß § 116 Abs. 1 SGB X auf sie übergegangen sind bzw. übergehen werden.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet , sie sei im Jahre 1984 angestellte Oberärztin gewesen. Der zunächst behandelnde Arzt Dr. … sei ohne weitere Kontrolle von dem durch die Frauenärztin errechneten Geburtstermin (12.06.1984) ausgegangen; der Geburtstermin sei aber offensichtlich fehlerhaft berechnet worden, da die Versicherte nach der Geburt als voll ausgeprägtes Neugeborenes präsentiert habe. Ein solcher Berechnungsfehler sei bei Erstgebärenden häufiger zu beobachten. Bei den im Rahmen des ersten stationären Aufenthaltes durch Dr. … gefertigten Ultraschalluntersuchungen hätte dieser feststellen können und müssen, dass die Entwicklung des Fötus nicht dem errechneten Geburtstermin entsprochen habe.

Der vor der erneuten stationären Aufnahme eingetretene Blasensprung sei noch kein Hinweis für das Einleiten irgendwelcher Maßnahmen – z. B. Kaiserschnitt etc. – gewesen. Auch nach der Aufnahmeuntersuchung sei ein sofortiges ärztliches Einschreiten noch nicht notwendig gewesen. Die Untersuchung am 28.05.1994 sowie die Aufzeichnungen des CTG hätten keinerlei Auffälligkeiten oder Besonderheiten gezeigt, die Anzeichen für eine eventuelle Notsituation hätten sein können. Nach dem Auftreten der Notsituation sei sie durch die Hebamme, die über Jahrzehnte lange Erfahrung verfügt und hinsichtlich des CTG – Gerätes umfassende Kenntnisse gehabt habe, nicht sofort informiert worden. Über die Gründe dieses fehlerhaften Verhaltens sei nichts bekannt. Die von ihr sofort nach Erscheinen eingeleitete Zangengeburt habe die schnellste Möglichkeit der Entbindung dargestellt, ein Kaiserschnitt sei wegen der tiefen Beckenlage des ungeborenen Kindes medizinisch nicht angezeigt gewesen. Der Vorwurf, sie habe die Patientin … nicht ordnungsgemäß überwacht, sei nicht gerechtfertigt. Da um 18.00 Uhr eine Notsituation noch nicht bestanden habe, habe sie berechtigt die Überwachung der Hebamme überlassen und auch überlassen dürfen. Ein von dieser begangener Fehler bei der Überwachung könne ihr nicht angelastet werden.

Ferner erhebt die Beklagte ausdrücklich die Einrede der Verjährung. Sie behauptet, die Kläger hätten nicht erst mit dem MDK-Gutachten vom 3.5.2002 Kenntnis vom Vorliegen eines Behandlungsfehlers erlangt, vielmehr sei bereits im Jahr 2000 die Regressabteilung der Zentrale der Klägerinnen mit dem Fall befasst gewesen. Hierzu verhalte sich auch der Schriftverkehr aus dem Jahr 2000 sowie des Folgejahres, der unstreitig von keiner der Parteien vorgelegt werden konnte. Dies gelte unbeschadet der Tatsache, dass der Zeuge … als Sachbearbeiter keinen Behandlungsfehler angenommen habe. Schließlich ist sie der Auffassung, dass ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung nicht bestehe.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugin … Wegen des Ergebnisses des Beweisergebnisses wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14.3.2007 (Bl. 122 ff. Bd. I) verwiesen. Die Kammer hat weiter Beweis erhoben durch Einholung schriftlicher Sachverständigengutachten gemäß Beweisbeschluss vom 15.3.2007 (Bl. 125 Bd. I). Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Sachverständigengutachten von Prof. Dr. … vom 19.3.2008 (Bl. 170 ff. Bd. I) sowie von Prof. Dr. … vom 16.1.2009 (Bl. 11 Bd. II) verwiesen. Letzterer hat sein Gutachten im Termin am 3.2.2010 erläutert (Protokoll vom 3.2.2010; Bl. 106 Bd. II).

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Den Klägerinnen steht mangels Verletzung der aus dem Behandlungsvertrag erwachsenen Pflichten weder ein übergegangener vertraglicher noch deliktischer Anspruch gegen die Beklagte zu. Darüber hinaus sind etwaige Ansprüche der Klägerin zu 2) verjährt. Ein mögliches Fehlverhalten der am Geburtstag tätigen Hebamme, der mittlerweile verstorbenen Zeugin …, ist der Beklagten nicht zuzurechnen.

Im Rahmen der Tätigkeit der Beklagten am 28.05.1984 ist nach dem gesamten Inhalt der Verhandlungen und dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme ein Behandlungsfehler der Beklagten persönlich nicht vorzuwerfen. Nachdem die Beklagte die Kindesmutter gegen 17:30 Uhr am 28.05.1984 untersucht hat, stellte sich aus ihrer Sicht ein unauffälliger Befund dar. Es handelte sich insbesondere nicht um einen Zustand, der als Risikogeburt zu bewerten ist. Insoweit stellt der gynäkologische Sachverständige Prof. Dr. … ausdrücklich klar (Blatt 30 Band II d. A.), dass sich aus dem Aufnahmebefund der Patientin keine Indikation für ein ärztliches Handeln ergab. Es lagen keine Anzeichen für eine Notsituation vor. Es war vielmehr angesichts der erstgebärenden Kindesmutter in den nächsten Stunden nicht mit einer Geburt zu rechnen. Vielmehr erweist sich der tatsächlich stattgehabte Verlauf einer Geburt 5 Stunden und 10 Minuten nach dem Blasensprung als für eine Erstgebärende rasche Geburt, die so für die beteiligten Ärzte und Hebammen nicht vorhersehbar war. Darüber hinaus stellte sich auch die Gesamtsituation der Kindesmutter nicht als Zustand im Rahmen einer Risikogeburt dar, die die Anwesenheit der Beklagten als diensthabende Ärztin geboten hätte. Vielmehr war es so, dass, wie der Sachverständige im Termin der Kammer überzeugend und eindrucksvoll darlegen konnte, die vorzeitigen Wehen eine abgeschlossene Episode darstellten. Der weitere Schwangerschaftsverlauf war nach Bewertung des Sachverständigen Prof. Dr. … als normal zu bezeichnen. Der Blasensprung als solcher stellt kein besonderes Risiko dar. Von daher war es nach sachverständiger Einschätzung mit den Regeln der ärztlichen Kunst und damit auch mit den behandlungsvertraglichen Pflichten vereinbar, die weitere Geburt und die Überwachung des Geburtsverlaufes einer Hebamme zu überlassen. Denn dieser obliegt es dann, im Falle einer pathologischen Entwicklung des CTG zu reagieren und ärztliche Hilfe herbeizurufen. Die klassischen Kriterien einer Risikoschwangerschaft, nämlich vorzeitiger Blasensprung vor der 34. Schwangerschaftswoche, Mehrlingsgeburten, Diabetes mellitus in der Schwangerschaft oder Hypertonie in der Schwangerschaft hat der Sachverständige ausdrücklich verneint (Blatt 24 Band II d. A.). Das weitere Handeln der Beklagten, nachdem sie von der Hebamme über das pathologische CTG informiert worden ist, bewertet der Sachverständige nach Durchsicht sämtlicher zur Verfügung stehenden Krankenunterlagen als schnell und sachgerecht und damit zusammenfassend nicht als fehlerhaft (Blatt 34 Band II d. A.).

Diese Bewertung des Sachverständigen konnte die Kammer ungeachtet der Tatsache ihrer Entscheidung zugrunde legen, dass die Dokumentation fragmentarisch war und die Dokumentation insgesamt seitens des Sachverständigen als sehr kurz bezeichnet worden ist (Blatt 21 Band II d. A.). Jedoch können konkret aus der so in Betracht zu ziehenden Lückenhaftigkeit der Dokumentation keine Rückschlüsse zu Gunsten der Klägerinnen hergeleitet werden. Zum Einen ergibt sich aus den sachverständigen Äußerungen nicht, dass die Lückenhaftigkeit der Dokumentation gerade die Zeiträume und Handlungsanteile der Beklagten erfasst, d. h. die Zeit bis ca. 18:00 Uhr als sie in Rufbereitschaft ging und die Zeit nach Alarmierung durch die Hebamme. Zum Anderen ist es so, dass Behandlungsunterlagen nur 10 Jahre aufzubewahren sind. Nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist darf dem Arzt oder Krankenhaus aus dem Fehlen, der Unvollständigkeit oder der Mangelhaftigkeit der Krankenunterlagen aus Rechtsgründen kein Nachteil erwachsen. Deshalb führen nach Ablauf von 10 Jahren Dokumentationsversäumnisse nicht mehr zu Beweiserleichterungen des Patienten, so dass es bei seiner vollen Darlegungs- und Beweislast bleibt (OLG Hamm, VersR 2005, 412).

Soweit der Sachverständige das Handeln der Hebamme in der Zeit der Abwesenheit der Beklagten bis zu ihrer erneuten Verständigung aufgrund der Nichtreaktion bzw. verspäteten Reaktion als behandlungsfehlerhaft gewertet hat, ist dieses behandlungsfehlerhafte Verhalten nicht der Beklagten zuzurechnen.

Denn die Beklagte war als angestellte Ärztin im damaligen Stadtkrankenhaus B, dem heutigen J krankenhaus B GmbH, tätig. Dies ergibt sich zum Einen aus der Anhörung der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung am 03.02.2010 und im Übrigen aus den Behandlungsunterlagen, die eine Aufnahme der Kindesmutter als gesetzlich Versicherte im Rahmen eines totalen Krankenhausvertrages belegen. Dieses so zur Überzeugung der Kammer feststehende Rechtsverhältnis hat zur Folge, dass vertragliche Ansprüche der Kindesmutter mit der Beklagten, die auf die Klägerin hätten übergehen können, nicht bestanden.

Denn mangels vertraglicher Beziehungen kann die Hebamme nicht als Erfüllungsgehilfin (§ 278 BGB) der Beklagten, sondern nur des Krankenhausträgers angesehen werden. Soweit der Bundesgerichtshof entschieden hat, dass eine Hebamme mit Übernahme der Geburt durch den Arzt kraft dessen übergeordneter Kompetenz zur Gehilfin des Arztes wird (BGH, Urteil vom 14.02.1995, VI ZR 272/93, Rn. 20), so trifft dies die vorliegende Konstellation des angestellten Arztes nicht. Nach den Ausführungen des BGH ändere sich an der Übernahme der Geburt auch bei zeitweiliger Abwesenheit mit Rufbereitschaft nichts, weil nach einer Erstuntersuchung der weitere Geburtsverlauf nicht wieder zur alleinigen Aufgabe der Hebamme werde; denn dies widerspreche dem Berufsbild und der Bedeutung der ärztlichen Tätigkeit (a. a. O., Rn. 19). Diese Entscheidung betrifft jedoch nur das Belegarztverhältnis, mithin einer Konstellation, dass zwischen der Patientin und dem Arzt selbst eine vertragliche Beziehung besteht, im Rahmen derer dann das Handeln der Hebamme als Erfüllungsgehilfe gemäß § 278 BGB zurechenbar wird.

Eine Zurechnung des Handelns der Hebamme zu Lasten der Beklagten käme danach nur gemäß § 831 BGB in Betracht, was jedoch zu verneinen ist. Denn die für den Krankenhausträger tätig werdende Hebamme ist damit Verrichtungsgehilfin des Krankenhausträgers, nicht aber des seinerseits als Verrichtungsgehilfen tätig werdenden angestellten Arztes. Zwar ist in anderem Zusammenhang – etwa im Rahmen des Rechts der Arbeitnehmerüberlassung – durchaus anerkannt, dass ein angestellter Arbeitnehmer durchaus zwei Geschäftsherren haben kann, mithin sowohl der den Arbeitnehmer überlassende wie auch der den Arbeitnehmer ausleihende Geschäftsherr i. S. d. § 831 BGB sein kann, soweit beide befugt sind, Einzelweisungen zu erteilen (vgl. zum Ganzen Soergel/Krause, 13. Auflage, BGB, § 831 Rn. 26). Dies setzt im Ergebnis aber voraus, dass der Geschäftsherr selbständiger Unternehmer ist. § 831 BGB findet hingegen auch auf leitende Mitarbeiter eines Geschäftsherrn oder solche, die eigenverantwortlich Aufgaben des Geschäftsherrn erfüllen, keine Anwendung, weil es sich bei den Anstellungsverträgen abhängig Beschäftigter nicht um eine vertragliche Übernahme i. S. d. § 831 Abs. 2 BGB handelt (zusammenfassend: Palandt/Sprau, BGB, 68. Auflage, § 831 Rn. 17; Münchener Kommentar, BGB/Wagner, 5. Auflage, § 831 Rn. 50). Hier wird in der Literatur die Konsequenz aus der Tatsache gezogen, dass der Bundesgerichtshof § 831 Abs. 2 BGB nicht auf Organe des jeweiligen Geschäftsherrn anwendet (vgl. BGH NJW 1974, 1371, 1372), so dass erst recht Bedienstete nicht erfasst sind. Im Ergebnis fehlt es damit an einer Zurechnungsnorm, die es erlauben würde, den Behandlungsfehler der Hebamme, wie der Sachverständige festgestellt hat, der Beklagten in Person zuzurechnen.

Liegt damit im Ergebnis kein (zurechenbarer) Behandlungsfehler in der Person der Beklagten vor, so sind darüber hinaus die Ansprüche der Klägerin zu 2) verjährt. Für den Verjährungsbeginn ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs über die Kenntnis des Ausgangs der medizinischen Behandlung und die Kenntnis der medizinischen Ursache hinaus auch die Kenntnis vom Vorliegen eines Behandlungsfehlers erforderlich, die dem medizinischen Laien das Abweichen vom üblichen Vorgehen oder die Unterlassung ärztlich gebotener Maßnahmen zur Vermeidung oder Beherrschung von Komplikationen vermitteln (BGH, Urteil vom 29.11.1994 – VI ZR 189/93, Rn. 17). Bei der Klägerin zu 2), der Pflegeversicherung, ergibt sich jedoch die Besonderheit, dass diese erst seit Mitte der 90er Jahre existiert. Folglich konnten etwaige Schadensersatzansprüche auch erst zu diesem Zeitpunkt auf sie übergehen. Aufgrund dieses Umstandes konnte ein Anspruchsübergang gemäß § 116 SGB X bzw. entsprechender Vorgängervorschriften nicht bereits – wie es die Regel ist – zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses auf den Sozialversicherungsträger erfolgen, wenn und soweit mit seiner Inanspruchnahme aufgrund des Schadensereignisses zu rechnen ist. Für die Zeit bis zu dem Entstehen des Anspruchsüberganges muss sich vielmehr die Klägerin zu 2) das Wissen der Geschädigten bzw. ihrer gesetzlichen Vertreter zurechnen lassen. Der Bundesgerichtshof hat nämlich entschieden, dass bei einer im Schadenszeitpunkt nicht sozialversicherten Person sich ein späterer Sozialversicherungsträger die Kenntnis des Geschädigten zurechnen lassen muss (BGH, Urteil vom 24.02.1983 – VI ZR 243/80, Rn. 10). Hieraus ist für die hier vorliegende Konstellation eines nach dem Schadenszeitpunkt gegründeten Sozialversicherungsträger die Folgerung zu ziehen, dass er sich die Kenntnis des Geschädigten bis zu seiner Gründung und dem damit einhergehenden Anspruchsübergangs zurechnen lassen muss. Dass aber die gesetzlichen Vertreter des im Rahmen der Geburt geschädigten Kindes bereits im Jahr 1988 hinreichende Kenntnis von dem Schadensereignis und dem Vorliegen eines Behandlungsfehlers hatten, ergibt sich zur Überzeugung der Kammer aus dem zwischen den Eltern der Versicherten, zugleich handelnd als gesetzliche Vertreter der geborenen … und dem Haftpflichtversicherer des damaligen Stadtkrankenhauses in … geschlossenen Vergleiches vom 04.11.1988, der auf der Grundlage der sicheren Kenntnis des Vorliegens eines ärztlichen Behandlungsfehlers geschlossen worden ist. Da weitere verjährungshemmende oder -unterbrechende Ereignisse nicht vorgetragen sind, insbesondere die Beklagte zu 2) – anders als der Haftpflichtversicherer des Krankenhauses in … – keinen Verjährungsverzicht erklärt hat, war die nach Kenntniserlangung im Jahre 1988 im Jahre 2004 erhobene Klage erst nach Ablauf der Verjährungsfrist des § 852 BGB a. F. erhoben, so dass die seitens der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung gegenüber der Klägerin zu 2) durchgreift.

Ein etwaiger Anspruch der Klägerin zu 1) wäre indes nicht verjährt. Nach der einschlägigen, zuvor zitierten Rechtsprechung des BGH ist für den Beginn der Verjährung die Kenntnis des Vorliegens eines Behandlungsfehlers entscheidend, wobei bei Sozialversicherungsträgern auf die Kenntnis des mit der Schadensbearbeitung zuständigen Sachbearbeiters abzustellen ist. Hier ist die Kammer davon überzeugt, dass diese Kenntnis erst mit Vorlage des Gutachtens des seitens des medizinischen Dienstes eingeschalteten Gutachters … vom 03.05.2002 vorlag. Soweit die Beklagte eine frühere Kenntnis daraus herleiten will, dass es bereits im Jahr 2000 aufgrund der Einschaltung der Regressabteilung Prüfungen gegeben hat, kann hieraus eine entsprechende Kenntnis über das Vorliegen eines Behandlungsfehlers nicht abgeleitet werden. Hier trägt die Beklagte nämlich selbst vor, dass der damals als Sachbearbeiter tätige Zeuge … einen ärztlichen Behandlungsfehler zunächst verneint habe. Der seitens der Beklagten weiter in Bezug genommene weitere Schriftverkehr, insbesondere der PHO-Akte vom 18.10.2000, ist nicht vorgelegt worden, weil er offenbar mittlerweile nicht mehr zur Verfügung steht. Die Kläger haben insoweit erklärt, keine weiteren Regressunterlagen mehr in den Händen zu halten. Die aus der Existenz entsprechender Regressakten seitens der Beklagten gezogenen Folgerungen, dass eine entsprechende Kenntnis vorgelegen haben müsse, stellt lediglich ein Mutmaßung dar. Dieser Vortrag ist mithin nicht geeignet, der Kammer die Überzeugung vom Vorliegen einer früheren Kenntnis des Vorliegens eines Behandlungsfehlers zu vermitteln. Eine solche Kenntnis ergibt sich auch nicht aus dem mit Schreiben des MDK vom 16.08.2001 vorgelegten Haftpflichtgutachten des Dr. … aus dem Jahr 1984, da dieses gerade keine geburtshilfliche Bewertung enthält (vgl. Blatt 102 Band I).

Angesichts der Tatsache, dass der Anspruch der Klägerin zu 2) verjährt ist, bedarf es keiner weiteren Stellungnahme, ob etwaige Schadenspositionen der Klägerin zu 2) als Pflegeversicherung durch den Vergleich vom 04.11.1988 mit abgegolten sind, der sich auch ausdrücklich zu Pflegegeld und Pflegegeldzahlungen verhält.

Damit war die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.

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