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Krankenhaushaftung für Geburtsschmerzen nach vaginaloperativer Entbindung

OLG Celle – Az.: 1 U 25/19 – Beschluss vom 13.11.2019

1. Es wird erwogen, die Berufung der Klägerin gegen das am 21. Januar 2019 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hannover durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

2. Die Klägerin erhält Gelegenheit, binnen zwei Wochen zu der beabsichtigten Verfahrensweise Stellung zu nehmen.

3. Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 91.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin macht gegen die Beklagten Ansprüche auf Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen behaupteter ärztlicher Behandlungs- und Aufklärungsfehler im Zusammenhang mit der Geburt ihres Kindes am 12.03.2016 geltend.

Hinsichtlich der erstinstanzlichen tatsächlichen Feststellungen und der gestellten Anträge wird Bezug genommen auf das angefochtene Urteil des Landgerichts Hannover vom 21.01.2019 (Bl. 112 ff. d. A.).

Das Landgericht hat nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens und mündlicher Anhörung des Sachverständigen Priv.-Doz. Dr. M. die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es lasse sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht feststellen, dass die Beklagte zu 1 durch ihr behandelndes Personal, die Beklagte zu 2 und die Beklagte zu 3, im Rahmen der Entbindung der Klägerin gegen bewährte und grundlegende Gebote der ärztlichen Heilkunst verstoßen hätte oder die Gestaltung des Geburtsvorgangs nicht von einer Einwilligung der Klägerin getragen gewesen sei. Laut Dokumentation habe die Beklagte zu 2 bei der Geburt den sogenannten „Unterarm-Fundus-Druck“ eingesetzt. Dieser sei angesichts des CTG-Befundes und den nachvollziehbaren Ausführungen des Gerichtssachverständigen auch sach- und fachgerecht ausgeführt worden. Ein weiteres Abwarten wäre für die Gesundheit des Kindes kritisch gewesen, die Unterstützung der Klägerin zur zügigen Beendigung der Geburt eindeutig indiziert gewesen. Der Unterarm-Fundus-Druck als eine Form der „Kristeller-Hilfe“ (Oberbegriff) sei trotz der bestehenden Diskussionen um seine Anwendung im Vergleich zu den sehr viel risikoreicheren vaginaloperativen Entbindungen wie Saugglocke und Kaiserschnitt alternativlos. Die Druckrichtung könne mit dem Unterarm bestimmt werden. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Ausführung seien nicht zu erkennen. Bei den von der Klägerin beklagten chronischen Schmerzen im Steißbeinbereich handele es sich um Beschwerden im gewöhnlichen Komplikationsspektrum nach einer Geburt, welche keine Rückschlüsse auf Fehler bei der Geburtshilfe zuließen. Die fehlende Aufklärung über geburtshilfliche Alternativen verhelfe der Klage nicht zum Erfolg. Aufklärungspflichtige Alternativen habe es nicht gegeben. Es habe zu keinem Zeitpunkt die Indikation für einen Kaiserschnitt bestanden. Ein solcher wäre wegen der erheblichen Risiken für Mutter und Kind behandlungsfehlerhaft gewesen. Auch der Einsatz einer Vakuumglocke, die alternativ hätte eingesetzt werden können, wäre mit erheblichen Risiken für das kindliche Gehirn einhergegangen, zumal dieser ebenfalls zum Einsatz einer „Kristeller-Hilfe“ geführt hätte.

Wegen weiterer Einzelheiten und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.

Krankenhaushaftung für Geburtsschmerzen nach vaginaloperativer Entbindung
(Symbolfoto: aslysun/Shutterstock.com)

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Das Landgericht habe erhebliche Mängel des Gerichtsgutachtens verkannt. Der Sachverständige habe ausgeführt, dass der Unterarm-Fundus-Druck weiterhin vertretbar und übliche Praxis sei, er sich aber der Diskussion über dieses Manöver bewusst sei. Damit räume er ein, dass der Unterarm-Fundus-Druck nicht unumstritten sei und auch der Kritik unterliege. Dennoch setze er sich nicht mit dem fachmedizinischen Meinungsstreit auseinander und gebe diesen nicht wieder. Mit der kritischen Literatur, auf die er von der Klägerin erstinstanzlich hingewiesen worden war, habe er sich nicht auseinandergesetzt, sondern sich auf die Wiedergabe seiner persönlichen Meinung beschränkt. Sein Gutachten enthalte nicht einmal ein Literaturverzeichnis. Zudem befinde sich im Gutachten ein Widerspruch im Zusammenhang mit der Anwendung einer Vakuumglocke als Alternative zur Kristeller-Hilfe, indem der Sachverständige zunächst beschreibe, dass der Einsatz der Vakuumglocke alternativ möglich gewesen wäre, aber im weiteren den Einsatz als nicht indiziert ansehe. Auch bestehe ein Widerspruch darin, dass der Sachverständige ausgeführt habe, dass der Einsatz der Saugglocke nicht indiziert gewesen sei, weil er erhebliche Risiken für das kindliche Gehirn berge, diese Risiken aber dann dem Einsatz einer Vakuumglocke immer immanent seien, sodass ihr Einsatz als geburtshilfliche Maßnahme immer ausscheiden müsse, obwohl dieser als geburtshilfliche Maßnahme in der Geburtshilfemedizin anerkannt sei. Da der Sachverständige die beschriebenen Risiken für das Kind als nur selten angesehen habe, lasse es sich umso schwerer nachvollziehen und plausibel erscheinen, dass im Fall der Klägerin der Einsatz einer Vakuumglocke wegen immanenter Komplikationen nicht indiziert gewesen sein solle. Das erstinstanzliche Gericht habe es verfahrensfehlerhaft unterlassen, wegen des nur ungenügenden und grob mangelhaften Gutachtens ein weiteres Gutachten nach § 412 ZPO einzuholen. Auch die Ansicht, der Klägerin verhelfe der Umstand einer fehlenden Aufklärung über bestehende geburtshilfliche Alternativen nicht zum Erfolg, sei rechtsfehlerhaft. Der Sachverständige habe den Einsatz einer Vakuumglocke als alternative Möglichkeit beschrieben. Offen bleibe, ob und ggf. in welchem Umfang die Behandlungsmöglichkeiten zu unterschiedlichen Belastungen führten und welche unterschiedlichen Risiken und Erfolgschancen sie böten. Der Sachverständige habe zwar schwerwiegende Traumata des kindlichen Gehirns als Risiko für das Kind genannt, im Hinblick auf die Mutter sei jedoch lediglich von Komplikationen die Rede, ohne diese näher zu beschreiben. Auf Erfolgschancen der Vakuumglocke werde überhaupt nicht eingegangen. Ungeklärt seien insbesondere die Risiken des Unterarm-Fundus-Drucks für die Klägerin und das ungeborene Kind. Im Übrigen nimmt die Klägerin Bezug auf ihren gesamten erstinstanzlichen Vortrag.

Die Klägerin beantragt: Das Urteil des Landgerichtes Hannover vom 21.01.2019 – 2 O 190/17 – wird aufgehoben und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt an die Klägerin ein angemessenes und der Höhe nach in das ausdrückliche Ermessen des Gerichtes gestelltes, jedoch mindestens 10.000,00 EUR betragendes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie außergerichtliche Anwaltsgebühren in Höhe von 2.217,45 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten – vorbehaltlich eines Anspruchsübergangs – als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtlichen materiellen und weiteren immateriellen Schaden aus der Behandlung im X.-Krankenhaus in der Zeit vom 12.- 15.03.2016 zu ersetzen.

Hilfsweise beantragt die Klägerin: Das Urteil des Landgerichtes Hannover vom 21.01.2019 – 2 O 190/17 – wird aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das erstinstanzliche Gericht zurückverwiesen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

II.

Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung der Klägerin durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung des Berufungsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist nicht erforderlich. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten. Auch hat die Berufung nach vorläufiger Beurteilung der derzeitigen Sach- und Rechtslage aus den folgenden Gründen offensichtlich keinen Erfolg.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin stehen keine Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten zu. Die Voraussetzungen einer vertraglichen oder deliktischen Haftung der Beklagten gemäß §§ 630a, 630c, 280 Abs. 1, 278 BGB bzw. §§ 823 Abs. 1, 31 BGB, jeweils in Verbindung mit §§ 249, 253 Abs. 2 BGB liegen nicht vor. Behandlungsfehler durch die Anwendung des Unterarm-Fundus-Drucks (nachfolgend Ziffer 1) oder eine fehlerhaft unterlassene Aufklärung über Behandlungsalternativen (nachfolgend Ziffer 2) können nicht festgestellt werden.

1.

Das Landgericht hat nach gut nachvollziehbarer und fehlerfreier Beweiswürdigung einen den Beklagten vorwerfbaren Behandlungsfehler im Rahmen der Entbindung der Klägerin im X.-Krankenhaus der Beklagten zu 1 auf der Grundlage der Begutachtung des Sachverständigen Priv.-Doz. Dr. M. nicht festzustellen vermocht. Soweit die Klägerin mit der Berufung das Ergebnis der Begutachtung des Sachverständigen anzweifelt, bleibt dieser Einwand ohne Erfolg. Der Sachverständige hat den angewandten Unterarm-Fundus-Druck nach Auswertung der Behandlungsunterlagen und Gerichtsakte überzeugend als indiziert sowie sach- und fachgerecht ausgeführt angesehen. Das Landgericht durfte dessen Ausführungen seiner Entscheidung zugrunde legen.

a) Der Sachverständige Priv.-Doz. Dr. M. verfügt als Chefarzt der Frauenkliniken der Kliniken … und …, Schwerpunkt Geburtshilfe und Perinatalmedizin, über die erforderlichen Fachkenntnisse und Erfahrungen betreffend die hier zu begutachtende Behandlung der Patientin aus der maßgeblichen Sicht der Geburtshilfe. Sein Gutachten ist weder mit Mängeln behaftet noch ist der Sachverständige von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen. Er hat die sich aus der Behandlungsdokumentation ergebenden Befunde und die Gerichtsakten einschließlich des klägerischen Vortrags ausgewertet und das Behandlungsgeschehen zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Geburtsverlaufs beurteilt. An der Richtigkeit des Ergebnisses und Belastbarkeit der getroffenen sachkundigen Feststellungen hat der Senat ungeachtet der Kritik der Klägerin keine Zweifel. Das Sachverständigengutachten ist auch für einen medizinischen Laien nachvollziehbar und verständlich erläutert. Auch im Rahmen seiner mündlichen Anhörung hat der Sachverständige seine Auffassung fachkundig und überzeugend dargelegt und ist auf die Nachfragen und Einwände der Klägerin und des Gerichts ausführlich eingegangen. Insbesondere hat er die verschiedenen Techniken der Presshilfe bei der Geburt sehr ausführlich und anschaulich dargestellt. Auch mit der persönlichen Schilderung der Klägerin, wie die Beklagten zu 2 und 3 gedrückt hätten, hat er sich auseinandergesetzt und keine Anhaltspunkte dafür gefunden, dass in irgendeiner Weise fehlerhaft verfahren worden wäre.

b) Die Ausführungen des Sachverständigen Dr. M. halten der im Arzthaftungsprozess gebotenen kritischen Überprüfung auf Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit (vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 1993 – VI ZR 67/93 –, juris Rn. 13) stand. Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass er die Argumente der Kritiker zum Einsatz einer „Kristeller-Hilfe“ nicht explizit dargelegt hat.

aa) Der Sachverständige hat den hier angewandten „Unterarm-Fundus-Druck“ eindeutig als weiterhin vertretbar und auch als übliche Praxis bezeichnet, wobei er zugleich ausgeführt hat, dass dieses Manöver nicht unumstritten ist. Dabei hat er bereits in seinem schriftlichen Gutachten klargestellt, dass er sich der Diskussionen über den Einsatz des sogenannten Unterarm-Fundus-Drucks in der gynäkologischen Medizin bewusst sei. Trotz aller Kritik sei er jedoch weltweit aus der Geburtshilfe nicht wegzudenken. Im vorliegenden Fall sei das gewählte Vorgehen korrekt gewesen. Nach Erhalt des schriftlichen Gutachtens hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 13.09.2018 erklärt, dass der streitgegenständliche Kristeller-Handgriff in der fachmedizinischen Literatur ausgesprochen umstritten sei und hierzu auf ein Hebammenlehrbuch, eine Diplomarbeit und einen Zeitungsartikel hingewiesen sowie bemängelt, dass sich der Sachverständige mit diesem fachmedizinischen Meinungsstreit nicht auseinandergesetzt und insbesondere nicht den aktuellen Fach- und Meinungsstand wiedergegeben habe (Bl. 73 f. d.A.). In der mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige daraufhin noch einmal ausdrücklich erklärt, dass der Kristeller-Handgriff in der wissenschaftlichen Diskussion immer wieder umstritten sei. Er selbst habe sich an dieser Diskussion immer wieder beteiligt und dabei eine klare Position bezogen, die laute: „Ohne geht es in der Geburtshilfe nicht“ (wenn nicht jede Geburt als Schnittgeburt stattfinde; Sitzungsprotokoll vom 15.01.2019 Seite 2, Bl. 88 d.A.). Damit kann nicht festgestellt werden, dass durch den Einsatz der Kristeller-Hilfe der geburtshilfliche Standard verletzt worden wäre.

bb) Soweit die Klägerin dem Sachverständigen vorwirft, sein Gutachten mangels Auswertung einschlägiger medizinischer Fachliteratur nicht hinreichend wissenschaftlich begründet zu haben, stellt dies die Richtigkeit des Ergebnisses der Begutachtung nicht infrage. Die Klägerin übersieht, dass es im vorliegenden Fall nicht darum geht, in der Wissenschaft umstrittene Behandlungsmethoden einander gegenüberzustellen und das Für und Wider der verschiedenen Methoden in ihren Vorteilen und Risiken abzuwägen, um letztendlich das Ergebnis einer medizinisch standardgerechten Behandlung zu begründen. Vorliegend geht es ausschließlich darum, aus Sicht eines auf dem Gebiet der Geburtshilfe tätigen Arztes und damit praxisorientiert die Frage zu beantworten, wie die Patientin auf der Grundlage des erwiesenen Sachverhalts zu behandeln war bzw. ob insoweit Versäumnisse der Beklagten festzustellen sind. Genau dies hat der Sachverständige getan und überzeugend begründet. Dabei hat er angegeben, dass es sich bei der streitgegenständlichen Presshilfe bei der Geburt um einen Vorgang handele, wie er tagtäglich in Geburtskliniken stattfinde. Er selbst leite drei Geburtskliniken mit insgesamt ca. 6.000 Geburten im Jahr. Dort zählten derartige Abläufe zum üblichen „Tagesgeschäft“, dies gelte gleichermaßen für die anderen Kliniken, und zwar Universitätskliniken, in denen er gearbeitet habe. Vor diesem Hintergrund bestehen hier keine Zweifel daran, dass der Sachverständige den maßgeblichen medizinischen Standard zutreffend bestimmt hat.

Aus seinen Angaben ergibt sich auch, dass er sich mit der Kritik an der Kristeller-Hilfe befasst hat, ihm der Stand der wissenschaftlichen Diskussion bekannt war und er sich im Rahmen seiner Begutachtung damit auseinandergesetzt hat. In Kenntnis dessen hat er indes gut begründet die Anwendung derartiger Presshilfe-Manöver in der Geburtshilfe, insbesondere auch den hier streitgegenständlichen Unterarm-Fundus-Druck, für vertretbar und der üblichen Praxis entsprechend angesehen. Gerade bei solchen alltäglichen Vorgängen misst sich der medizinische Standard an der üblichen Praxis, die dem auf dem Gebiet der Geburtshilfe tätigen Arzt aus eigener Erfahrung bekannt ist. Deshalb stellt es vorliegend auch keinen Mangel der Begutachtung dar, dass der Sachverständige in seinem Gutachten keine Literatur angegeben hat (so hat auch das OLG Frankfurt angenommen, dass ein Gutachten eines Sachverständigen, der als praktisch tätiger Arzt in einem Krankenhaus zahlreiche solcher Operationen ausgeführt hat, nicht allein deshalb unbrauchbar sei, weil dieses nicht mit Literatur unterlegt war, vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 12. März 2015 – 15 U 73/13 –, juris Rn. 28). Der Sachverständige Priv.-Doz. Dr. M. verfügt über ausreichende eigene Kenntnisse aus verschiedenen Kliniken.

Auch liegt kein Fehler des Gerichts darin, dem Sachverständigen in seiner mündlichen Anhörung nicht die von der Klägerin zitierten Gegenstimmen in der medizinischen und nichtmedizinischen Literatur vorgehalten zu haben. Das Landgericht hat die Einwendungen der Klägerin ernst genommen und ist dem Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör in ausreichender Weise nachgekommen. So hat es dem Sachverständigen die Einwendungen der Klägerin vor der mündlichen Verhandlung zur Kenntnis gebracht und hat diesen auf Antrag der Klägerin mündlich angehört. In der Anhörung hat der Sachverständige auf die wissenschaftliche Diskussion Bezug genommen. Seine Ausführungen waren gut nachvollziehbar; Widersprüche oder Unvollständigkeiten, die vom Gericht weiter aufzuklären gewesen wären, lagen nicht vor. Die Klägerin und ihr Prozessbevollmächtigter hatten in der mündlichen Verhandlung Gelegenheit, Nachfragen zu stellen oder dem Sachverständigen konkrete Vorhaltungen z.B. im Hinblick auf die von ihnen zuvor schriftsätzlich zitierten Literaturangaben zu machen – wovon sie allerdings ausweislich des Sitzungsprotokolls keinen Gebrauch gemacht haben.

cc) Im Übrigen geht die Klägerin selbst davon aus, dass die Anwendung des streitgegenständlichen Handgriffs in der fachmedizinischen Literatur ausgesprochen umstritten ist. Dies bedeutet aber gerade nicht, dass allein der Verzicht auf diese Methode standardgerecht und üblich wäre und steht der Einschätzung des Gerichtsgutachters, dass die Anwendung des Unterarm-Fundus-Drucks vertretbar und üblicher Standard sei, nicht entgegen.

Eine Unterschreitung des medizinischen Standards kann vielmehr nur festgestellt werden, wenn das Verhalten des behandelnden Arztes nicht dem eines gewissenhaften und aufmerksamen Arztes in der konkreten Behandlungssituation aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs im Zeitpunkt der Behandlung entspricht. Der medizinische Standard repräsentiert den jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der ärztlichen Erfahrung, der zur Erreichung des ärztlichen Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat (vgl. BGH, Urteil vom 24. Februar 2015 – VI ZR 106/13 –, juris Rn. 7). Eine Standardunterschreitung liegt daher nicht bereits darin, dass eine Methode angewandt wird, an der es – wie hier auch vom Sachverständigen beachtet – Kritik gibt.

dd) Der Sachverständige hat sich nicht lediglich auf die Wiedergabe seiner persönlichen Meinung beschränkt, wie die Klägerin ihm vorwirft. Vielmehr hat er die übliche Praxis aus eigener Erfahrung geschildert, die ihm auch aus anderen Kliniken bekannt sei. Sodann hat er unter Berücksichtigung der bestehenden Diskussion die streitgegenständliche Methode als im vorliegenden Fall vertretbar und nicht standardunterschreitend angesehen. Aus der von der Klägerin zitierten Fundstelle Stegers/Hansis/Alberts/Scheuch, Sachverständigenbeweis im Arzthaftungsrecht, 2. Aufl., Rn. 389, wonach der Sachverständige seine eigene Position nicht verabsolutieren dürfe, sondern ggf. darlegen müsse, ob eine andere Methode vertretbar sei, ergeben sich keine weitergehenden Anforderungen. Der Sachverständige musste hier nicht etwa die Vertretbarkeit einer anderen geburtshilflichen Methode beurteilen, sondern allein die angewandte Art der Presshilfe. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass dem mit Arzthaftungssachen vertrauten Senat auch aus anderen Verfahren mit anderem Sachverständigen bekannt ist, dass das sogenannte Kristeller-Manöver bei einer drohenden fetalen Sauerstoffmangelversorgung als nicht den medizinischen Standard unterschreitend angesehen wird.

b) Entgegen dem Einwand der Klägerin liegt darin, dass der Sachverständige Priv.-Doz. Dr. M. den Einsatz einer Vakuumglocke zwar als alternativ möglich, aber nicht indiziert angesehen hat, kein Widerspruch. Aus den Ausführungen des Gutachters im Zusammenhang ergibt sich, dass dieser die Möglichkeit der Anwendung einer Vakuumglocke nicht als Alternative zur Kristeller-Hilfe im Sinne einer echten Behandlungsalternative angesehen hat. Zudem hätte der Einsatz der Saugglocke, so der Sachverständige, in aller Regel zusätzlich einer Kristeller-Hilfe bedurft.

Dass der Einsatz der Vakuumglocke möglich war, schließt nicht aus, dass sie nicht indiziert war. Letzteres hat der Sachverständige in seiner mündlichen Anhörung nochmals gut nachvollziehbar anhand der Darstellung der damit verbundenen besonderen Risiken erläutert. Eine nicht indizierte Behandlungsmaßnahme stellt jedoch keine echte Behandlungsalternative im juristischen Sinn dar.

Aus den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen kann auch nicht, wie die Klägerin in ihrer Berufungsbegründung anführt, geschlossen werden, dass denknotwendigerweise aufgrund der mit dem Einsatz einer Vakuumglocke verbundenen Risiken deren Einsatz dann immer ausscheide, was nicht damit vereinbar sei, dass diese geburtshilfliche Maßnahme anerkannt sei. Vielmehr hat der Sachverständige den Einsatz der Vakuumglocke im hier zu beurteilenden konkreten Fall aufgrund der erheblichen Risiken für das Kind als nicht indiziert angesehen. In seiner Anhörung hat er aber ausdrücklich erklärt, dass der Einsatz einer Saugglocke sinnvoll und erforderlich werden könne, wenn eine besondere Kopfstellung dazu führe, dass sich allein mit dem Pressen nichts beschicken lasse (Sitzungsprotokoll vom 15.01.2019 Seite 5, Bl. 91). Damit gibt es durchaus einen Anwendungsbereich für den Einsatz einer Saugglocke für andere Situationen als hier vorliegend.

Der Umstand, dass die mit dem Einsatz einer Vakuumglocke verbundenen Risiken für das Kind in Form von schwerwiegenden Traumata des kindlichen Gehirns nur selten vorkommt, lässt es auch nicht etwa unplausibel erscheinen, dass der Einsatz nicht indiziert gewesen wäre. Vielmehr ist sehr gut nachvollziehbar, dass das Risiko schwerer kindlicher Schäden, auch wenn es nur selten eintritt, nicht eingegangen werden sollte, sofern dies – wie hier – vermieden werden kann.

c) Ein Obergutachten war entgegen der Auffassung der Klägerin nicht einzuholen. Dies kommt nur in Betracht, wenn das Gutachten im Sinne des § 412 ZPO ungenügend (unvollständig, widersprüchlich, nicht überzeugend) ist, von falschen tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, der Sachverständige erkennbar oder erklärtermaßen nicht die notwendige Sachkenntnis hat, die Anknüpfungstatsachen sich durch neuen Sachvortrag ändern oder ein anderer Sachverständiger über überlegene Forschungsmittel oder Erfahrung verfügt (vgl. OLG Celle, Urteil vom 04. Oktober 2012 – 13 U 234/11 –, juris Rn. 59; Zöller-Greger, ZPO, 32. Aufl., § 412 Rn. 2). Dies ist hier wie ausgeführt nicht der Fall. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang erneut den Vorwurf erhebt, der Sachverständige Priv.-Doz. Dr. M. habe bei der Gutachtenerstellung den bestehenden Meinungsstreit über die Kristeller-Hilfe ausgeblendet, ist dies nicht gerechtfertigt. Auch kann aus dem Umstand, dass sein Gutachten kein Literaturverzeichnis enthält, nicht geschlossen werden, dass er die gegenteilige Meinung in ihrer Argumentation noch nicht einmal zur Kenntnis genommen hätte, wie die Klägerin rügt. Im Gegenteil hat der Sachverständige ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ihm die Diskussion bewusst sei und er sich selbst daran beteiligt habe. Er hat also die ihm bekannten Argumente der Gegenseite mit in seine Begutachtung einbezogen. Wie bereits ausgeführt hat er diese aber aufgrund seiner eigenen Erfahrung und Fachkunde nicht für so überzeugend gehalten, dass der angewandte Unterarm-Fundus-Druck im konkreten Fall als standardunterschreitend anzusehen wäre.

2.

Das Landgericht hat zu Recht eine Aufklärung über die Möglichkeit einer Schnittentbindung oder den Einsatz einer Vakuumglocke für nicht erforderlich gehalten und einen Aufklärungsfehler seitens der Beklagten verneint. Aus den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen, nach denen beide vorgenannten Entbindungsmöglichkeiten als nicht indiziert und nicht gleichwertige Behandlungsalternativen anzusehen seien und eine Aufklärung über diese dementsprechend nicht erforderlich sei, hat das Landgericht fehlerfrei und überzeugend geschlossen, dass auch aus juristischer Sicht keine echten Behandlungsalternativen vorlagen, über die aufzuklären gewesen wäre.

a) Eine Schnittentbindung hat der Sachverständige zwar im Zeitpunkt der Anwendung der Kristeller-Hilfe als technisch noch möglich angesehen, hat sie aber in der konkreten Situation für falsch, gar für verwerflich gehalten und es für einen groben geburtshilflichen Fehler angesehen, auf eine solche in irgendeiner Weise hinzuwirken (Sitzungsprotokoll vom 15.01.2019 Seite 3, Bl. 89). Hierauf gestützt hat das Landgericht zutreffend eine Aufklärungspflicht verneint. Dies entspricht der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OLG Celle, Urteil vom 19. November 2001 – 1 U 24/01 –, juris Rn. 28: dort war den Ausführungen des Sachverständigen zu entnehmen, dass mangels Indizien für das Vorliegen einer Risikogeburt mit ernst zu nehmenden Gefahren für Kind oder Mutter für den Fall einer vaginalen Geburt eine sectio nicht als medizinisch verantwortbare Alternative in Betracht kam, also über Vor- und Nachteile einer vaginalen Geburt und einer sectio nicht aufzuklären war; mangels medizinischen Grundes für einen Kaiserschnitt stelle diese Entbindungsart keine ernsthafte Behandlungsalternative dar). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der geburtsleitende Arzt gegenüber der Gebärenden von sich aus die Möglichkeit einer Schnittentbindung nur zur Sprache bringen, wenn im Falle einer vaginalen Geburt für das Kind ernstzunehmende Gefahren drohen (vgl. BGH, Urteil vom 16. Februar 1993 – VI ZR 300/91 –, juris Rn. 17). Eine Aufklärungspflicht über eine Schnittentbindung ist also erst für den Fall anzunehmen, dass bei einer Risikogeburt deutliche und konkrete Anzeichen dafür bestehen, dass sich der Geburtsvorgang in Richtung auf eine solche Entscheidungssituation entwickeln kann, in der die Schnittentbindung notwendig oder zumindest zu einer echten Alternative zur vaginalen Entbindung wird (vgl. BGH, Urteil vom 17. Mai 2011 – VI ZR 69/10 –, juris Rn. 11, 16). Diese Grundsätze hat das Landgericht hier beachtet. Mit der Berufung werden hinsichtlich der unterlassenen Aufklärung über eine mögliche Sectio auch keine konkreten Fehler des erstinstanzlichen Urteils aufgezeigt.

b) Auch über den möglichen Einsatz einer Vakuumglocke war die Klägerin nicht aufzuklären. Die Voraussetzungen des § 630e Abs. 1 S. 3 BGB, wonach bei der Aufklärung auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen ist, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können (vgl. auch BGH, Urteil vom 15. März 2005 – VI ZR 313/03 –, juris Rn. 10 sowie die im landgerichtlichen Urteil zitierten Fundstellen), liegen nicht vor. Dass der Sachverständige den Einsatz der Vakuumglocke als alternative Möglichkeit beschreibt, bedeutet nicht, dass diese auch indiziert gewesen wäre und es sich um eine echte, gleichwertige Behandlungsmöglichkeit gehandelt hätte.

Wie bereits ausgeführt hat der Sachverständige Priv.-Doz. Dr. M. die Verwendung einer Saugglocke als nicht indiziert angesehen. Eine nicht indizierte Behandlungsmethode stellt indes keine echte Behandlungsalternative dar, über die aufzuklären wäre. Zudem hat der Sachverständige in seiner mündlichen Anhörung ausdrücklich die Methoden der Saugglocke vorliegend als nicht gleichwertig angesehen, da sie mit größeren Gefahren verbunden sei (Sitzungsprotokoll vom 15.01.2019 Seite 2, Bl. 88 d.A.). Eine Auseinandersetzung mit den jeweiligen unterschiedlichen Risiken und Erfolgschancen war daher nicht mehr erforderlich.

III.

Da die Berufung somit ohne Erfolg bleiben dürfte, sollte die Klägerin erwägen, das Rechtsmittel – ggf. auch im Hinblick auf das Kosteninteresse der Rechtsschutzversicherung – zurückzunehmen.

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