LG Hannover – Az.: 2 O 190/17 – Urteil vom 21.01.2019
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
4. Streitwert: 91.000,-€
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagten im Wege der Leistungs- und Feststellungsklage wegen einer – so macht sie geltend – fehlerhaften ärztlichen Behandlung auf den Ersatz materieller und immaterieller Schäden in Anspruch.
Die am 29. Mai 1984 geborene Klägerin begab sich am 12. März 2016 um 1.45 Uhr in Begleitung ihres Lebensgefährten Herrn … in die Notaufnahme des von der Beklagten zu 1 betriebenen …krankenhauses Hannover; sie war schwanger, stand fünf Tage vor dem errechneten Geburtstermin, und es war um ca. 1 Uhr nachts zu einem vorzeitigen Blasensprung gekommen. Zunächst führten die behandelnden Ärzte der Beklagten zu 1 eine Ultraschalluntersuchung durch, maßen, Blutdruck, Puls sowie Temperatur und zeichneten ab 2:05 Uhr ein Aufnahme-CTG auf, welches einen Normalbefund ergab, wobei hinsichtlich der Einzelheiten auf die Behandlungsunterlagen Bezug genommen wird. Sodann wurde sie stationär auf der Station 6 aufgenommen.
Um ca. 3.30 Uhr beklagte die Klägerin Schmerzen bei subjektiv zunehmender Wehentätigkeit; sie erbat „etwas Schmerzbehandlung“ und erhielt jeweils ein „Spascupreel“-Zäpfchen sowie ein „Tramal“-Zäpfchen zur Eigenapplikation. Um 4.45 Uhr berichtete die Klägerin erneut von zunehmender Wehentätigkeit. Im weiteren Verlauf leitete das behandelnde Personal ein weiteres CTG ab, gab der Klägerin ein Wärmepack für den Rücken und die Klägerin nahm ein Bad. Sie erhielt dann eine Periduralanästhesie. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Behandlungsunterlagen (insbesondere Anlage K 1 der Klagschrift, im Anlagenband Klägerin) Bezug genommen.
Von 9.00 Uhr an setzte das behandelnde Personal einen wehenfördernden „Oxytocin“-Tropf an, ab 9.45 Uhr bestand zunehmend Druck nach unten und um 10 Uhr war der Muttermund vollständig eröffnet und der Kopf des Kindes befand sich tief und fest im Beckeneingang. Darauffolgend kam es zu einem mehrfachen Positionswechsel der Klägerin. Ab 11.50 Uhr schnitt der Kopf des Kindes leicht ein und der Wehentropf wurde gesteigert. Das CTG zeigte nach einer kurzen Aufzeichnungslücke eine Reaktion des Kindes mit wiederholt auftretenden Abfällen der Herzfrequenz bei gleichzeitig guter Mikrofluktuation. Bei dem Kind zeigten sich bei seit Stunden vollständigem Muttermund und Kompression der Nabelschnur im Geburtskanal und fehlender alleiniger Kraft der Klägerin bei einer CT-Aufnahme Anzeichen einer beginnenden fetalen Hypoxie, einer Beeinträchtigung des Gasaustauschs zwischen Mutter und Kind, welche die Sauerstoffversorgung beeinträchtigt und unmittelbar zu einer Störung der kindlichen Herztätigkeit führen kann.
Die um 12.12 Uhr hinzugerufene Beklagte zu 2 war von 12.14 Uhr an bei der Versorgung der Klägerin zugegen. Um 12.17 Uhr presste sie bei der in Rückenlage befindlichen Klägerin – zeitweilig mit Unterstützung der Beklagten zu 3 als Hebamme – aktiv mit, wobei die von ihr konkret angewandte Presstechnik zwischen den Parteien in Streit steht. In der Behandlungs-Dokumentation (Anlage K1, Anlagenband Klägerin) ist dazu niedergelegt:
12.17: „Beginn akt. Mitpressen in RL mit Unterarm-Fd.-Druck Frau …“
12:25: „nach 3 Presswehen + Unterarm-Fd.-Druck Spontangeburt (..)“
Um 12.25 Uhr gebar die Klägerin nach drei Presswehen ein gesundes Mädchen; der postpartale fetale Nabelschnur-pH betrug 7,14. Wegen der weiteren Einzelnen wird auf die Behandlungsunterlagen Bezug genommen. Um 14.25 Uhr verlegte man die Klägerin wieder auf die Normalstation. Die Beklagte zu 3 als betreuende Hebamme und der Lebensgefährte der Klägerin befanden sich über die gesamte Spanne des Geburtsvorgangs im Kreißsaal.
Die Klägerin gab am 13. und 14. März 2016 an, nicht gut sitzen zu können und Beschwerden am Steißbein zu haben. Dies lässt sich insbesondere dem Eintrag im Pflegebericht (Anlage K1, Anlagenband Klägerin) vom 14. März 2016 um 21.30 Uhr entnehmen:
„Patientin klagt noch sehr über Schmerzen am Steißbein und erhält noch eine Voltaren“
Die behandelnden Ärzte entließen die Klägerin am 15. März 2016. In den Arztbriefen und im Mutterpass wurden die Beschwerden der Klägerin nicht aufgegriffen. Die Frauenärztin der Klägerin veranlasste im Nachhinein die Eintragung der Beschwerden in den Mutterpass.
Die Klägerin studierte zum Zeitpunkt der Geburt Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld, sie schloss das Studium inzwischen ab; derzeit sucht sie nach einer Tätigkeit.
Die Klägerin wandte sich mit anwaltlichem Schreiben vom 3. März 2017 mit Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen an die Beklagte zu 1, die mit der Einschaltung ihrer Haftpflichtversicherung reagierte, welche eine Einstandspflicht mit Schreiben vom 16. Juni 2017 schließlich zurückwies.
Die Klägerin behauptet, die Beklagte zu 2 und 3 hätten den sog. „Kristeller“-Handgriff eingesetzt, dieser aber werde im Allgemeinen wegen der mit ihm verbundenen Nachteile nicht ausgeführt, er sei auch nicht konkret indiziert gewesen und überdies behandlungsfehlerhaft durchgeführt worden: Dieser werde mit flach aufgelegten Händen, und nicht mit dem Unterarm angewendet.
Eine modifizierte Form des Kristeller-Handgriffes – wie sie die Beklagten thematisieren – gebe es nicht. Wegen des geringeren Risikos hätte eine Saugglocke verwendet oder ein Kaiserschnitt durchgeführt werden müssen.
Im Übrigen macht die Klägerin geltend, sie sei nicht in dem gebotenen Umfang über verschiedene Entbindungsmöglichkeiten aufgeklärt worden. Sie ist der Ansicht, entgegen den insoweit unstreitigen Abläufen habe der geburtsleitende Arzt insbesondere dann die Schnittentbindung zu erörtern, wenn im Interesse des Kindes „gewichtige Gründe“ für diese sprechen und wenn es sich im Hinblick auf die Gesundheit der Mutter um eine „medizinisch verantwortbare Alternative“ handele (S.5 der Klagschrift). Das gelte auch dann noch, wenn sich die Indikation einer Schnittentbindung erst im Geburtsverlauf einstelle. Als aufklärungsrelevante echte Behandlungsalternativen seien der Einsatz einer Vakuumglocke und die Kaiserschnittgeburt in Frage gekommen. Infolge der nicht indizierten und behandlungsfehlerhaften Durchführung des Kristeller-Handgriffes habe sie Schmerzen im Steißbeinbereich erlitten, die sich zu einer chronischen therapierefraktären Coccygodynie, einem dauerhaften Steißbeinschmerz entwickelt hätten.
Die Klägerin habe sich wegen der auch nach der Entlassung anhaltenden Schmerzen in eine allgemeinärztliche Behandlung begeben, in deren Verlauf zwar weder Röntgenaufnahmen noch ein MRT (Magnetresonanztomographie) einen Befund gezeigt hätten, ihr aber zur Schmerzlinderung Ibuprofen 600 dreimal täglich verordnet worden sei. Es bestehe bei ihr inzwischen ein chronisches Schmerzempfinden im Bereich des Steißbeines, eine sogenannte Coccygodynie und sie leide noch immer unter erheblichen Beeinträchtigungen und Schmerzen, wobei hinsichtlich ihrer Ausführungen im Einzelnen auf die Ausführungen in der Klagschrift (Bl. 3/9/10 der Akte) Bezug genommen wird. Die Klägerin behauptet, der Einsatz bzw. die fehlerhafte Durchführung des Kristeller-Handgriffs seien für ihre Beschwerden kausal geworden, denn er habe verhindert, dass das Steißbein und das Kreuzbein der Klägerin bei der Geburt nach hinten schwingen konnten.
Die Klägerin ist der Ansicht, ihr stehe für die erlittenen und bestehenden Schmerzen ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,- € zu, wobei hinsichtlich der Ausführungen dazu auf S. 9 und 10 der Klagschrift (Bl. 9/10 der Akte) Bezug genommen wird.
Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes und der Höhe nach in das ausdrückliche Ermessen des Gerichtes gestelltes, jedoch mindestens 10.000,00 € betragendes, Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
2. festzustellen, dass die Beklagten – vorbehaltlich eines Anspruchsübergangs – als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtlichen materiellen und weiteren immateriellen Schaden aus der Behandlung im …krankenhaus Hannover in der Zeit vom 12. bis 15. März 2016 zu ersetzen.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Sie behaupten, bei dem Geburtsvorgang sei nicht die sogenannte „Kristeller-Hilfe“ in ihrer ursprünglichen Gestalt angewandt worden, sondern vielmehr eine modifizierte Technik des klassischen Kristeller-Handgriffes in Gestalt des – entsprechend dokumentierten – „Unterarm-Fundus-Drucks“, der in vielen geburtshilflichen Kliniken üblich sei. Der Unterarm-Fundus-Druck sei infolge der CTG-Veränderungen und Anzeichen einer beginnenden fetalen Hypoxie indiziert gewesen, was auch der postpartale Nabelschnur-pH von 7,14 im Nachhinein bestätigt habe. Der Unterarm-Fundus-Druck sei von der Beklagten zu 2 überdies sach- und fachgerecht durchgeführt worden, wobei hinsichtlich der Einzelheiten auf S. 3/4 der Klagerwiderung (Bl. 41/42 der Akte) Bezug genommen wird. Der Einsatz eines Vakuumextraktors hätte einen Zeitverlust bedeutet und sei nicht indiziert gewesen, da der Kopf nur eine kleine Hilfe benötigt habe. Eine Schnittentbindung sei zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr in Betracht gekommen, der kindliche Kopf habe dafür zu tief gestanden. Auch mit einer vaginal-operativen Entbindung wären deutlich mehr Risiken einhergegangen. Ein Unterlassen des Unterarm-Fundus-Drucks hätte zu schwerwiegenden Komplikationen für das Leben und die Gesundheit der Mutter und des Kindes führen können. Die Beklagten behaupten, bereits aufgrund der etwas „brachial“ aussehenden Anwendung des Unterarm-Fundus-Drucks sei es das „regelmäßige Vorgehen“ in der Klinik der Beklagten zu 1.) vor der Durchführung mit den Patienten zu sprechen und die Vorgehensweise zu schildern, was bereits das „wehensynchrone“ Tätigwerden erfordere (im Einzelnen S. 5 der Klagerwiderung, Bl. 43 der Akte). Da eine vaginal-operative Entbindung viel mehr Risiken und Komplikationsmöglichkeiten mit sich gebracht hätte, hätte die Klägerin im Übrigen auch bei noch näherer Aufklärung in die Durchführung des Unterarm-Fundus-Drucks eingewilligt. Sie sind der Auffassung, dass ein Entscheidungskonflikt weder ersichtlich noch plausibel sei.
Die Beklagten behaupten weiterhin, Schmerzen im Steißbeinbereich seien aufgrund der physiologischen Lageveränderungen während des Geburtsvorgangs keine ungewöhnlichen Folgen, sie stünden in keinem Kausalzusammenhang gerade zu der Anwendung des Unterarm-Fundus-Drucks.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die wechselseitigen Schriftsätze sowie deren vorgetragene Anlagen Bezug genommen.
Die Kammer hat gemäß dem Beweisbeschluss vom 11. März 2018 (Bl. 55 der Akte) das schriftliche Gutachten des Sachverständigen PD Dr. med. … (im Folgenden: Gerichtssachverständiger), vom 10. Juni 2018 (Bl. 4ff im Sachverständigensonderheft) eingeholt. Ferner hat der Gerichtssachverständige sein Gutachten in der mündlichen Verhandlung vom 15. Januar 2019 erläutert. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten vom 10. Juni 2017 sowie die Verhandlungsniederschrift vom 15. Januar 2019 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1.
Die Klage ist zulässig, namentlich auch soweit die Klägerin mit dem Antrag zu Ziffer 2 eine Feststellung begehrt. Das besondere rechtliche Interesse an dieser (§ 256 I ZPO) ergibt sich daraus, dass sie Gewissheit darüber beanspruchen kann, ob die Beklagten ihr für den Fall des Eintritts künftiger materieller und immaterieller Schäden dem Grunde nach eintrittspflichtig sind.
2.
In der Sache hat die Klage keinen Erfolg. Der Klägerin steht gegen die Beklagten kein Anspruch auf Schmerzensgeld gem. §§ 611, 280, 278, 823, 249, 253 II BGB sowie auf weitere Feststellung zu. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme lässt sich nicht feststellen, dass die Beklagte zu 1 durch ihr behandelndes Personal, die Beklagte zu 2 und die Beklagte zu 3 im Rahmen der Entbindung der Klägerin gegen bewährte und grundlegende Gebote der ärztlichen Heilkunst verstieß oder aber die Gestaltung des Geburtsvorganges nicht von einer Einwilligung der Klägerin getragen war.
3.
Laut der Dokumentation hat die Beklagte zu 2 im Rahmen der Geburt den sog. „Unterarm-Fundus-Druck“ eingesetzt. Soweit die Klägerin indes behauptet, es habe sich um den sog. „Kristeller-Handgriff“ gehandelt, erschließt sich der Kammer – fern der Frage, inwieweit sich dieser von der dokumentierten Maßnahme unterscheidet und ob ein Unterschied von Belang wäre – nicht, worauf die Klägerin ihre Behauptung gründet.
Die Anwendung des Unterarm-Fundus-Druckes ist angesichts des CTG-Befundes und den nachvollziehbaren Ausführungen des Gerichtssachverständigen auch sach- und fachgerecht ausgeführt worden. Aus Sicht des Gerichtssachverständigen – welcher sich die Kammer anschließt – wäre ein weiteres Abwarten sowohl aus der Ex-ante- als auch aus der Ex-post-Perspektive für die Gesundheit des Kindes kritisch, die Unterstützung der Klägerin zur zügigen Beendigung der Geburt sei eindeutig indiziert gewesen. Dies läge ex-ante in dem pathologischen CTG und dem mehr als zwei Stunden vollständigen Muttermund sowie ex-post in dem pH-Wert von 7,14 begründet. Dabei geht der Einwand der Klägerin fehl, der während des Geburtsvorganges am 12. März 2016 angewandte Unterarm-Fundus-Druck sei in der gynäkologischen Medizin nicht mehr vertretbar. Auch der Gerichtssachverständige führt dazu überzeugend aus, dass der Unterarm-Fundus-Druck als eine Form der – wenn man so wolle als Oberbegriff zu bezeichnenden „Kristeller-Hilfe“ – trotz der bestehenden Diskussionen um seine bzw. ihre Anwendung im Vergleich zu den sehr viel risikoreicheren sogenannten vaginaloperativen Entbindungen wie der Saugglocke und dem Kaiserschnitt in der weltweiten Geburtshilfe alternativlos sei und in allen ihm persönlich bekannten Geburtskliniken regelmäßig zur Anwendung käme und zwar in den unterschiedlichsten Ausprägungen, denen stets eines gemeinsam sei und zwar der „Druck von oben“.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass auch der im Falle der Klägerin angewandte Unterarm-Fundus-Druck sach- und fachgerecht ausgeführt wurde. Der Gerichtssachverständige hat dazu nachvollziehbar unter Bezugnahme auf die eigene langjährige Erfahrung ausgeführt, dass die Druckrichtung nicht nur mit den aufgelegten Handflächen, sondern auch mit dem Unterarm bestimmt werden könne. Ein behandlungsfehlerhaftes Verhalten sei darin nicht zu sehen, vielmehr gebe es noch diverse andere Anwendungsformen dieser geburtshilflichen Maßnahme, wobei jeder Geburtshelfer diejenige anwende, welche er persönlich am besten beherrsche, d.h. mit welcher er am effektivsten den notwendigen Druck aufbauen könne. Aus Sicht des Gerichtssachverständigen, welcher die Kammer folgt, sei gegen keine der gängigen Varianten – der Gerichtssachverständige schilderte im Rahmen der mündlichen Verhandlung anschaulich mehrere – aus medizinischer Sicht etwas zu erinnern, eine jeweils fehlerfreie Ausführung vorausgesetzt. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Ausführung des hier eingesetzten „Unterarm-Fundus-Druckes“ seien aus Sicht des Gerichtssachverständigen jedoch nicht zu erkennen, im Gegenteil: die Maßnahme habe bereits nach dreimaliger Anwendung und 8-minütiger Dauer zum Erfolg geführt, ohne, dass es zu Komplikationen wie Rippenbrüchen bei der Klägerin, Verletzungen des Kindes oder einem Geburtsstillstand gekommen sei. Bei den seitens der Klägerin beklagten chronischen Schmerzen im Steißbeinbereich handele es sich um Beschwerden im gewöhnlichen Komplikationsspektrum nach einer Geburt, welche ihrerseits keine Rückschlüsse auf Fehler bei der vorgenommenen Geburtshilfe zuließen.
4.
Der Klägerin verhilft auch der Umstand einer fehlenden Aufklärung über bestehende geburtshilfliche Alternativen nicht zum Erfolg.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist eine Aufklärung über eine alternative Behandlungsmöglichkeit dann erforderlich, wenn für eine medizinisch sinnvolle und indizierte Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten (vgl. BGH vom 22. September 1987 – VI ZR 238/86, BGHZ 102, 17, 22; vom 13. Juni 2006 – VI ZR 323/04, BGHZ 168, 103 Rn. 13; vom 17. Mai 2011 – VI ZR 69/10, VersR 2011, 1146 Rn. 10, jeweils mwN). Gemäß diesem allgemeinen Grundsatz braucht der geburtsleitende Arzt in einer normalen Entbindungssituation, in der die Schnittentbindung medizinisch nicht indiziert und deshalb keine echte Alternative zur vaginalen Geburt ist, ohne besondere Veranlassung die Möglichkeit einer Schnittentbindung nicht zur Sprache zu bringen. Anders liegt es aber, wenn für den Fall, dass die Geburt vaginal erfolgt, für das Kind ernstzunehmende Gefahren drohen, daher im Interesse des Kindes gewichtige Gründe für eine Schnittentbindung sprechen und diese unter Berücksichtigung auch der Konstitution und der Befindlichkeit der Mutter in der konkreten Situation eine medizinisch verantwortbare Alternative darstellt. In einer solchen Lage darf sich der Arzt nicht eigenmächtig für eine vaginale Geburt entscheiden. Vielmehr muss er die Mutter über die für sie und das Kind bestehenden Risiken sowie über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Entbindungsmethoden aufklären und sich ihrer Einwilligung für die Art der Entbindung versichern (vgl. BGH vom 6. Dezember 1988 – VI ZR 132/88, BGHZ 106, 153, 157; vom 19. Januar 1993 – VI ZR 60/92, VersR 1993, 835, 836; vom 16. Februar 1993 – VI ZR 300/91, VersR 1993, 703, 704; vom 25. November 2003 – VI ZR 8/03, VersR 2004, 645, 647; vom 14. September 2004 – VI ZR 186/03, VersR 2005, 227; vgl. zur Einwilligung allgemein: BGH vom 14. Februar 1989 – VI ZR 65/88, BGHZ 106, 391, 397 f.).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bestand im vorliegenden Fall jedoch zu keinem Zeitpunkt die Indikation für einen Kaiserschnitt, vielmehr hat der Gerichtssachverständige nachvollziehbar und anschaulich ausgeführt, dass ein Kaiserschnitt insbesondere zu dem Zeitpunkt, als bei der Klägerin ein aktives Geburtsmanagement notwendig wurde, zwar noch grundsätzlich möglich, aufgrund des vorangeschrittenen Geburtsvorganges im Hinblick auf die damit verbundenen erheblichen Risiken für Mutter und Kind aber behandlungsfehlerhaft gewesen wäre. In einer derartigen Geburtssituation das mildere Mittel des Unterarm-Fundus-Druckes nicht einmal zu versuchen, wäre aus Sicht des Gerichtssachverständigen sogar „verwerflich“ gewesen.
Das behandelnde Personal hätte zwar eine Vakuumglocke im Gegensatz zu der Durchführung einer Schnittentbindung – welche, um es noch einmal zu verdeutlichen, in dieser Situation allerdings behandlungsfehlerhaft gewesen wäre – alternativ einsetzen können, damit wären jedoch ebenfalls erhebliche Risiken für das kindliche Gehirn einhergegangen, zumal auch der Einsatz einer Saugglocke nicht ohne „Druck von oben“ auskomme, mithin ebenfalls zum Einsatz einer – in welcher Form auch immer – „Kristeller-Hilfe“ geführt hätte. Im Übrigen gelte es, den Einsatz der Saugglocke möglichst zu vermeiden und zunächst sämtliche „milderen“ Optionen auszuschöpfen. Echte, d.h. aufklärungspflichtige Alternativen hat es mithin aus der Sicht des Gerichtssachverständigen – welcher sich die Kammer anschließt – nicht gegeben, sodass im Ergebnis dahinstehen kann, ob der von den Beklagten erhobene Einwand der hypothetischen Einwilligung durchgreifen würde.
5.
Die Kammer berücksichtigt zwar, dass den nachvollziehbaren Ausführungen des Gerichtssachverständigen zufolge nicht ausgeschlossen ist, dass infolge der Durchführung des Unterarm-Fundus-Druckes und der gewollt forcierten Kopfentwicklung das Steißbein der Klägerin angebrochen ist, aber auf Fragen der Kausalität kommt es mangels Vorliegens eines haftungsbegründenden Behandlungsfehlers nicht mehr an. Zudem liegen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme chronische Schmerzen im Steißbeinbereich eben gerade im gewöhnlichen Komplikationsspektrum einer Geburt und sind nicht per se auf Behandlungsfehler bei der vorgenommenen Geburtshilfe zurückzuführen (s.O).
6.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S.1 ZPO.