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Läsion nervus mandibularis – zahnärztlicher Behandlungsfehler

LG Köln – Az.: 3 O 57/12 – Urteil vom 08.03.2016

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Gegenstand der Klage sind Schadensersatzansprüche wegen angeblich fehlerhafter zahnärztlicher Behandlung des Klägers durch den Beklagten.

Der 1963 geborene Kläger befand sich in der Zeit von August 2010 bis April 2011 in Behandlung des Beklagten. Unter dem 31.8.2010 erstellte der Beklagte einen Heil- und Kostenplan, der die prothetische Versorgung des Unterkiefers links und rechts des Klägers vorsah. Am gleichen Tag wurde nach lokaler Betäubung des Klägers Zahn 36 entfernt. Im Oktober 2010 wurden – ebenfalls nach lokaler Betäubung des Unterkiefers – Zähne zwecks Aufnahme eines Zahnersatzes präpariert und der Zahnersatz im Folgenden eingegliedert.

Der Kläger wirft dem Beklagten Behandlung- und Aufklärungsfehler vor. Der Beklagte habe weder im Zusammenhang mit der Anästhesie vor der Entfernung des Zahnes 36 noch im Zusammenhang mit der Anästhesie vor der Präparation der Zähne darauf hingewiesen, dass mögliche bleibende Nervschäden ein Risiko der Behandlung darstellten. Bei hinreichender Aufklärung hätte der Kläger sich für eine alternative Behandlungsmethode oder eine Anästhesie durch Vollnarkose entschieden. Er behauptet, infolge des Nervschadens an Missempfindungen in der linken Zungenhälfte, an einer Taubheit der linken Unterlippe sowie einem Geschmacksverlust zu leiden. Ferner habe er Probleme beim Sprechen, Essen und Trinken.

Der Kläger meint, dass wegen des bleibenden Schadens ein Schmerzensgeld i.H.v. 20.000 EUR angemessen sei.

Der Kläger beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 20.000,00 EUR, nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit;

2. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 1150,49 EUR zu zahlen nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (Rechtsanwaltskosten);

3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle weiteren, zukünftigen Schäden zu ersetzen, die infolge der Behandlung vom 24.02.2006 entstehen werden, soweit diese Ansprüche nicht von Gesetzes wegen auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen oder bereits übergegangen sind.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte bestreitet Fehler in der ärztlichen Behandlung. Insbesondere habe er den Kläger über mögliche Risiken aufgeklärt, was auch dokumentiert sei. Ferner habe er den Kläger auch über die Möglichkeit der Vollnarkose aufgeklärt. Er beruft sich auf eine hypothetische Einwilligung, da vernünftige Behandlungsalternativen nicht bestanden hätten.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß den Beweisbeschlüssen vom 24.10.2012, vom 31.1.2013 und vom 26.3.2013. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. E (Bl. 144 ff. der Akte) und des Sachverständigen Dr. F (Bl. 153 ff. der Akte) sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 2.2.2016 (Bl. 219 ff. der Akte) verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Läsion nervus mandibularis - zahnärztlicher Behandlungsfehler
(Symbolfoto: Roman Chazov/Shutterstock.com)

Dem Kläger steht weder ein Schmerzensgeldanspruch noch ein Anspruch auf Feststellung von materiellen und immateriellen Ersatzansprüchen gegen den Beklagten zu. Solche Ansprüche ergeben sich insbesondere nicht aus den §§ 280 Abs. 1, 249, 253 Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem Behandlungsvertrag bzw. aus § 823 Abs. 1 BGB.

Dem Kläger ist es nicht gelungen, den Beweis für eine fehlerhafte Behandlung durch den Beklagten zu führen. Die gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. E und Dr. F haben mit überzeugenden, ausführlichen und plausiblen Begründungen, denen sich die Kammer anschließt, die durch den Kläger im vorliegenden Rechtsstreit aufgeworfenen Behandlungsfehler, insbesondere auch in Form von Aufklärungsfehlern, verneint. Anhaltspunkte für Zweifel an der fachlichen Kompetenz der Sachverständigen hat die Kammer nicht.

Der Sachverständige Dr. E hat nach einer eigenen Untersuchung des Klägers sowie einer durchgeführten Gustometrie festgehalten, dass bei dem Kläger eine Teilläsion des Nervus mandibularis besteht, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf die im Oktober 2010 durchgeführte Leitungsanästhesie zurückzuführen sei. Diese Verletzung sei eine bekannte Komplikation der Leitungsanästhesie; einen Behandlungsfehler vermochte der Sachverständige danach nicht festzustellen.

Dieses Ergebnis wird bestätigt von dem Sachverständigen Dr. F. Dieser hat ausgeführt, dass bei der Leitungsanästhesie die Kanüle einige Zentimeter „blind“ in das Gewebe vorgeschoben werden müsse. Dabei könne es in seltenen Fällen zu einer Verletzung des Nervus alveolaris inferior, bei dem es sich um einen Unterarm des Nervus mandibularis handelt, kommen. Methoden zur Vermeidung einer Berührung des Nerven existierten nicht. Daher könne aus dem Auftreten einer Nervläsion nicht auf einen Behandlungsfehler geschlossen werden.

Die vorstehend wiedergegebenen gutachterlichen Feststellungen konnte die Kammer ihrer Entscheidung uneingeschränkt zugrundelegen. Hierbei hat sie zunächst berücksichtigt, dass die fachliche Kompetenz der Sachverständigen Dr. E und Dr. F unter keinem Gesichtspunkt in Zweifel gezogen werden kann. Beide Sachverständige beziehen ihre Fachkunde nicht nur aus einer langjährigen ärztlichen Tätigkeit, sondern sind überdies erfahrene Gerichtsgutachter. Die Sachverständigen haben ihre Feststellungen nachvollziehbar und überzeugend zu begründen vermocht. Die Grundlagen ihrer Erkenntnisse, insbesondere die von ihnen eingesehenen vollständigen ärztlichen Behandlungsunterlagen und die Ergebnisse bildgebender Verfahren, haben sie durchgängig kenntlich gemacht und im einzelnen verdeutlicht, aus welchem Grund die vorhandenen Anknüpfungstatsachen zu den gefundenen Ergebnissen geführt haben.

Mängel der Begutachtung sind hiernach unter keinem Aspekt erkennbar, so dass sich die Kammer den Ausführungen der Sachverständigen anschließt.

Mit ebenso überzeugenden Ausführungen hat der Sachverständige Dr. F festgestellt, dass weder im Zusammenhang mit der Anästhesie vor der Entfernung des Zahnes 36 (August 2010) noch im Zusammenhang mit der Anästhesie vor der Präparation der Zähne und Eingliederung des Zahnersatzes (Oktober 2010) eine Aufklärungspflicht über eine mögliche Schädigung des Nervus alveolaris inferior bestand. Bezüglich der im August 2010 durchgeführten Behandlung hat der Sachverständige dies damit begründet, dass dort eine Infiltrationsanästhesie oder eine intraligamentäre Anästhesie zum Einsatz gekommen sei. Bei diesen Anästhesieformen könne die beim Kläger festgestellte Nervläsion jedoch nicht eintreten, so dass hierüber auch nicht aufzuklären sei.

Bei der im Oktober 2010 zum Einsatz gekommenen Leitungsanästhesie liege das Risiko einer Nervläsion bei etwa 1: 400.000 bis 1 : 750.000, was dem Risiko entspreche, bei einem Flug abzustürzen. Vor dem Hintergrund eines so geringen Risikos, so der Sachverständige weiter, sei es 2010 mit dem Facharztstandard vereinbar gewesen sei, hierüber nicht aufzuklären, zumal die Rechtsprechung zum Bestehen einer Aufklärungspflicht im Jahr 2010 uneinheitlich gewesen sei.

Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers von einer Aufklärungspflicht des Beklagten ausgehen würde, könnte sich der Beklagte auf eine hypothetische Einwilligung des Klägers berufen. Denn der Sachverständige hat mit einleuchtender Begründung ausgeführt, dass es Behandlungsalternativen, die ein geringeres Risiko für den Kläger boten, nicht gab. Die vom Kläger in Betracht gezogene Anästhesieform der Vollnarkose weise für einen gesunden Menschen ein Versterbensrisiko von 1 : 100.000 auf und sei damit ungleich gefährlicher. Es habe auch unter keinem Gesichtspunkt eine Indikation für eine Vollnarkose bestanden. Ferner hat der Sachverständige ausgeführt, dass auch bei einer anderen Behandlungsform, nämlich bei der Wahl von Implantaten als Stütze für den Zahnersatz anstelle der natürlichen Zähne des Klägers, eine Leitungsanästhesie zum Einsatz gekommen wäre. Auch im Rahmen der Implantatbehandlung habe es einer Aufklärung über Anästhesierisiken nicht bedurft.

Somit wäre mangels Kausalität einer unterstellten Aufklärungspflichtverletzung ein Schadensersatzanspruch des Klägers auch aus diesem Grunde zu verneinen.

Mangels eines Hauptanspruchs kann der Kläger die Erstattung von vorprozessual angefallenen Rechtsanwaltsgebühren nicht verlangen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1 S. 1, 709 S. 1 und 2 ZPO.

Streitwert: 30.000,00 EUR

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