LG München II – Az.: 1 O 1942/19 Hei – Urteil vom 28.09.2021
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger macht Schadensersatz im Zusammenhang mit einer Schulteroperation geltend.
Am 11.09.2013 wurde bei dem Kläger im Haus der Beklagten eine arthroskopische subacromiale Dekompression mit arthroskopischer AC-Gelenksresektion rechts durchgeführt. Zur Durchführungen des Eingriffs wurde der Kläger in der „Beach-Chair- Position“ gelagert.
Der Kläger erhielt durch den Anästhesisten … jedenfalls 20 pg Sufentanil, 4 mg Dexamethason und 5 mg Atracurium sowie 200 mg Propofol verabreicht (BI. 3, 26 d. A. mit dem als Anlage K 3 vorgelegten Narkoseprotokoll).
Nach dem Eingriff wurde bei dem Kläger eine linksseitige Stimmbandlähmung (Recurrensparese) festgestellt, zudem gab es einen passageren Ausfall des N. hypoglossus.
Der Kläger behauptet, er habe aufgrund Intubation bei der Operation vom 11.09.2013 Lähmungen der Nervi Recurrens und Hypoglossus erlitten (BI. 3 d. A.). Diese Verletzungen seien entweder schon zu Beginn bei der erschwerten Intubation oder durch eine anschließende Fehllage des Klägers und traumatischen Druck auf die Stimmbänder z.B. aufgrund Verrutschen des Tubus wie etwa bei einer Umlagerung entstanden (BI. 9 d. A.).
Es liege ein grob fehlerhaftes intraoperatives Vorgehen vor, welches zu der dauerhaften paretischen Stimmritze und der später kompensierten Kehlkopflähmung geführt habe (BI. 10 d. A.).
Der Kläger sei nicht ordnungsgemäß über die Risiken der Anästhesie aufgeklärt worden. Insbesondere sei er nicht darüber aufgeklärt worden, dass es bei der Intubation zu Dauerschäden an den Stimmbändern oder Nerven kommen kann. Er habe keine Kopie des Aufklärungsbogens erhalten.
Die Verabreichung von 5 mg Atracurium sei bei dem am Operationstag 97 kg (BI. 8 d. A.) schweren und 1,80 m großen Kläger zur Muskelrelaxation nach dem damaligen medizinischen Standard nicht ausreichend gewesen, weshalb die Intubation stark erschwert gewesen wäre (BI. 9 d. A.). Während des Intubationsvorgangs habe eine übermäßige Krafteinwirkung auf den Kehlkopf stattgefunden (BI. 7, 9 d. A.).
Der Schmerzkatheter sei während der OP vom 11.09.2013 falsch gelegt worden. Dadurch sei es zu einer Nervenschädigung gekommen. Zusammen mit den wegen nicht vorgenommener Cuff-Druck-Messungen unerkannt gebliebenen Druckveränderungen während der OP sei es wegen der unterschiedlichen Lagerungen zu den Nervschädigungen beim Kläger gekommen.
Auch sei der Kläger mit einer zu niedrigen Sauerstoffsättigung von 80 % im Aufwachraum angekommen (BI. 3 d.A.).
Der Kläger beantragt:
I. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, wobei der genaue Betrag des Schmerzensgeldes in das Ermessen des Gerichts gestellt wird und hierbei von einem restlichen Betrag nicht unter 34.000 € ausgegangen werden soll, zuzüglich 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. daraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
II. Der Beklagte wird verteilt, dem Kläger als Nebenforderung vorgerichtliche Anwaltskosten iHv. 2.603,01 € zuzüglich 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a. daraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
III. Es wird festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen hat, soweit sie nicht mit dieser Klage geltend gemacht wurden und aufgrund des Schadensereignisses vom 11.09.2013 entstanden sind oder noch entstehen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind oder übergehen.
Die Beklagte beantragt: Die Klage wird abgewiesen.
Die Beklagte behauptet, der Kläger sei durch die Zeugin … mit Hilfe des am 10.09.2013 verwendeten Aufklärungsbogens hinreichend über die Operationsrisiken aufgeklärt worden (BI. 24 f. d. A.).
Die Verabreichung von 5 mg Atracurium sei bei dem am Operationstag 98 kg schweren Kläger aus anästhesiologischer Sicht vertretbar gewesen. Der Tubus der Größe 7,5 habe problemlos platziert werden können, ohne ein Husten und Würgen zu verursachen. Relaxierung und Hypnose seien für die Intubation also ausreichend gewesen. Dies zeige sich auch daran, dass eine weitere Gabe eines intravenösen Anästhetikums nicht erforderlich gewesen sei, was bei einer ungenügenden Narkosetiefe der Fall gewesen wäre. Nach auskultatorischer Lagekontrolle des Tubus, bei der sich eine korrekte Tubuslage ergeben habe, sei der Beatmungstubus fixiert worden.
Dr. … habe den Cuffdruck sodann durchaus gemessen.
Anschließend sei unter Sono- und Stimulationskontrolle mit dem Nervenstimulator der Interskalenuskatheter über die Führungskanüle 19G auf der zu operierenden Seite zur intraoperativen und postoperativen Analgesie platziert und 30 ml Prilocain 1 % sowie 10 ml Ropivacain 1 % appliziert worden. Bei guter Wirkung der Interskalenusblockade sei im weiteren Verlauf der Schulteroperation keine weitere Gabe eines i.v.-Anästhetikums erforderlich gewesen. Gegen Ende der Narkose sei dem Kläger zur weiteren PONV- Prophylaxe 1 mg Haldol intravenös verabreicht worden. Die Extubation sei unauffällig verlaufen. Unmittelbar postooperativ sei nach dem Transport des Klägers vom OP-Saal in den Aufwachraum einmalig eine Sauerstoffsättigung von 80 % gemessen worden. Es sei unverzüglich und effektiv eine Therapie durch Sauerstoff-Inhalation über eine Gesichtsmaske erfolgt, was zu einem Anstieg der Sauerstoffsättigung von 96 % geführt habe. Dieses Vorgehen sei aus fachanästhesiologischer Sicht vertretbar gewesen (BI. 26 f. d. A.).
Der im Arztbrief der Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie des Universitätsklinikums Gießen und Marburg festgehaltene Befund zu den Untersuchungen vom 18.11.2013 und vom 09.12.2013 („Lupenendoskopisch zeigen sich reizlose, glatte Stimmlippen, die rechte Stimmlippe ist in paramedianer Stellung gelähmt“) schließe eine Verletzung des Kehlkopfes und der Stimmbänder im Rahmen der Intubation als Ursache der Heiserkeit aus und deute darauf hin, dass diese Heiserkeit durch einen Funktionsverlust des Nervus laryngeus recurrens bedingt sei (BI. 28 f. d. A.).
Die Beklagte erhebt den Einwand der hypothetischen Einwilligung.
Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen anästhesiologischen Gutachtens sowie mündliche Anhörung des anästhesiologischen Sachverständigen Dr. … sowie des orthopädischen Sachverständigen Prof. Dr. …, ferner durch Einvernahme der Zeugen Dr. …, Dr. …, … und …. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das anästhesiologische Gutachten vom 31.10.2020 sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28.09.2021 Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28.09.2021 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Dem Kläger stehen weder unter vertraglichen, noch unter deliktischen Gesichtspunkten Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte zu, weil er in die für den Eingriff vorgenommene Allgemeinanästhesie jedenfalls eingewilligt hätte und weil schadensursächliche Behandlungsfehler nicht nachweisbar sind.
Die Kammer hat sich bei der Entscheidungsfindung durch die Sachverständigen Dr. … und Prof. Dr. … beraten lassen. Dr. … ist langjährig erfahrener Anästhesist, von dessen fachanästhesiologischen und anatomischen Kenntnissen sich die Kammer durch die plastischen Erläuterungen im Rahmen seiner Anhörung eindrücklich überzeugend konnte. Prof. Dr. … ist nicht nur Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, sondern auch Facharzt für Allgemeinchirurgie. Auch seine Erläuterungen waren in jeder Hinsicht schlüssig und überzeugend. Beide Sachverständige waren erkennbar an der Rekonstruktion des Sachverhalts interessiert, ohne der Patienten- oder der Behandlerseite mehr zuzuneigen. Sie sind nach gründlichster Auswertung der Behandlungsunterlagen zu überzeugenden und anschaulich begründeten Ergebnissen gelangt. Dass die Kanzlei der Beklagtenvertreter die Anästhesieabteilung des Universitätsklinikums Erlangen in rechtlicher Hinsicht berät (vgl. S. 17 des Protokolls vom 28.09.2021), stellt die Wertigkeit der Ausführungen des Sachverständigen Dr. … erkennbar nicht in Frage. Dass der Gutachter keine Hemmungen hat, das Handeln der Beklagtenpartei kritisch zu beleuchten – soweit hierfür Anlass besteht -, wird nicht zuletzt auch durch seine klare Positionierung belegt, die vollkommen unterdosierte Relaxation sei vorliegend unsinnig gewesen (vgl. z. B. 13 des Protokolls).
I. Ansprüche unter Aufklärungsgesichtspunkten stehen dem Kläger nicht zu. Der Sachverständige Dr. … hat nachvollziehbar erläutert, dass der Kläger vor dem Eingriff über die Risiken zu informieren war, welche in dem Aufklärungsbogen niedergelegt sind. Auf Frage der Kammer hat der Kläger angegeben, dass er sich auch bei Information über diese Risiken im Hinblick auf seinen hohen Leidensdruck operieren hätte lassen (vgl. S. 4 des Protokolls vom 28.09.2021).
II. Auch stehen dem Kläger keine Ansprüche unter Behandlungsfehlergesichtspunkten zu. Schadensursächliche Behandlungsfehler vermochte der Kläger nicht nachzuweisen.
1. Die einvernommenen Zeugen Dr. … und Dr. … haben glaubhaft bekundet, dass in Anbetracht des dokumentierten Verlaufs kein Zweifel daran besteht, dass der Kläger in der Weise in die Beach-Chair-Position gelagert wurde, wie dies in der Anleitung gern. Anlage B 2 beschrieben ist (vgl. die Angaben der Zeugen ab S. 5 ff. des Protokolls vom 28.09.2021 einerseits und die in der Anlage B 2 beschriebenen Schritte andererseits). Die Herstellung der Beach- Chair-Position ist nach Angaben des Sachverständigen Dr. … sehr anspruchsvoll (vgl. S. 15 des Protokolls vom 28.09.2021). Es besteht daher kein Zweifel, dass die Beteiligten gewissenhaft – wie von ihnen glaubhaft bekundet – darauf konzentriert waren, bei achsengerechter Lagerung von Wirbelsäule und Kopf die Lagerungsposition herzustellen, während Dr. … den Kopf und den Tubus mit seinen Händen hielt. Zu dem auf 2019 lautenden Datum des Operationsberichts hat der Zeuge glaubhaft angegeben, dass er den Operationsbericht direkt nach dem Eingriff diktiert habe. Danach habe er erst 2021 von dem Fall erfahren (S. 7 des Protokolls vom 28.09.2021).
Die Angaben Zeuginnen … und … stehen – jedenfalls bezüglich der zentralen Aspekte – nicht in Widerspruch zu den Angaben der Zeugen Dr. … und Dr. …. Der Umstand, dass das Feld „Lagerung überprüft“ in der „Checkliste Patientensicherheit“ nicht angekreuzt ist, wurde von den Zeugen Dr. … und Dr. … nachvollziehbar als reiner Dokumentationsfehler erkannt (S. 8 des Protokolls vom 21.09.2021; dass die Dokumentation insofern unvollständig ist, deckt sich mit der Angabe, dieses Protokoll habe Dr. … geführt, denn dessen Dokumentation lässt auch in zahlreichen anderen Punkten eine hinreichende Detailgenauigkeit vermissen); nachdem sich die Beach-Chair-Position überhaupt nur herstellen lässt, wenn vier Kräfte gemeinsam – unter ihnen der Anästhesist und der Operateur – die Lage des Patienten verändern (vgl. insbes. die Angaben der Zeugen Dr. …, S. 7 des Protokolls), ist schon von vorneherein ausgeschlossen, dass die am Ende hergestellte Lagerungsposition nicht von Seiten sowohl des Operateurs wie auch des Anästhesisten zur Kenntnis genommen wird.
Der Sachverständige Prof. Dr. … hat nachvollziehbar dargestellt und mittels Präsentation und Video erläutert, dass dieses Vorgehen dem fachärztlichen Standard entspricht (S. 12-13 des Protokolls vom 28.09.2021).
Ein Lagerungsfehler ist mithin nicht nachweisbar.
2. Die Dosierung des eingesetzten Muskelrelaxanses im Rahmen der Narkoseeinleitung war deutlich zu niedrig, das Vorgehen kommt daher einer Intubation ohne (suffiziente) Relaxation gleich. Dies stellt jedoch keine Abweichung vom Facharztstandard dar. Vielmehr war es im Hinblick auf die beabsichtigte Nervstimulation bei der nachfolgenden Durchführung eines Regionalanästhesieverfahrens im Bereich des Armplexus vertretbar, auf ein Relaxans zu verzichten. Aus dem Umstand, dass ein Relaxans überhaupt zum Einsatz gekommen ist (und nicht vollständig verzichtet wurde), folgen keine gesundheitlichen Nachteile für den Kläger. Die Anästhetika wurden in einer Dosierung appliziert, wie es bei einer Intubation ohne suffiziente Relaxation erforderlich ist. Zwar lässt sich nicht nachvollziehen, ob die volatilen Anästhetika unter Kautelen gegeben wurden, aufgrund derer sie zum Zeitpunkt der Intubation bereits eine hinreichende Wirkung auf das Bewusstsein entfalten konnten. Dem Kläger ist jedoch nicht der Nachweis gelungen, dass das nicht der Fall gewesen wäre. Die Beweislast obliegt insoweit dem Kläger, Dokumentationsfehler sind hier nicht ersichtlich. Insbesondere ist es bei Führung einer nicht elektronischen Dokumentation – was für das Jahr 2013 nicht zu beanstanden war – gar nicht möglich (und üblich), alle Parameter so exakt festzuhalten, dass sich ex post die genaue Wirkung der volatilen Anästhetika berechnen lässt. Im Übrigen war – bei Betrachtung ex post – die Anästhesie und die Intubation in Ordnung, der Patient ließ sich problemlos intubieren (S. 13-14 des Protokolls vom 28.09.2021).
3. Der Zeuge Dr. … hat glaubhaft angegeben, dass er den Cuffdruck sowohl nach der Intubation wie auch im Operationssaal überprüft habe (S. 5 des Protokolls). Dies steht im Einklang mit der Angabe der Zeugin … (S. 10). Die Zeugin … erklärte vollkommen nachvollziehbar, dass man eine Cuffdruckmessung (abstrakt) natürlich vergessen könne, dies könne aber nicht der Fall gewesen sein, wenn sie im Operationssaal Dienst gehabt hätte (S. 11 des Protokolls). Letztlich ist damit sogar ein 4-Augen-Prinzip belegt. Die Beklagte hat damit den – im Hinblick auf die unzureichende Dokumentation ihr obliegenden – Nachweis geführt, dass der Cuffdruck in der vom Facharztstandard gebotenen Weise überprüft worden ist. Der Sachverständige Dr. … forderte – derartige – zwei Kontrollen (von denen mindestens eine zu dokumentieren sei – vgl. S. 15 des Protokolls), ein Behandlungsfehler liegt insoweit also nicht vor.
Doch selbst, wenn man von einem zu hohen Cuffdruck ausginge, kann dieser im Übrigen den Schaden nicht allein verursacht haben.
4. Dass der Endotrachealtubus vorwerfbar fehlerhaft platziert worden wäre, vermochte der Kläger nicht nachzuweisen.
a) Eine Läsion der Stimmbänder bei Einführen des Tubus wäre wegen der vollständig hervorgerufenen Recurrensparese atypisch und die zu erwartenden Narben konnten bei den HNO-Untersuchungen nicht nachgewiesen werden – (S. 14 und 27 des anästhesiologischen Gutachtens vom 30.11.2020, BI. 80 und 93 d.A.) – so dass dies insgesamt extrem unwahrscheinlich ist (BI. 90/91); im Übrigen handelt es sich bei einer Stimmbandverletzung durch die Intubation um ein typisches Risiko einer Intubationsnanästhesie, nicht aber zwingend um einen Behandlungsfehler (S. 25 oben des Gutachtens, BI. 91 d.A.).
b) Auch lässt sich nicht feststellen, dass der Tubus zu wenig weit in die Trachea vorgeschoben worden wäre. Die Dokumentation der genauen Tubuslage wäre wünschenswert und im Universitätsklinikum des Sachverständigen auch üblich gewesen, sie war im Jahr 2013 aber noch kein deutschlandweit geltender Standard (S. 15 unten des Protokolls). Im Übrigen besteht kein Zweifel, dass der Zeuge Dr. … als erfahrener Anästhesist, der dem Kläger auch empfohlen worden war (was nicht protokolliert ist, vom Kläger aber in der Verhandlung berichtet wurde), zunächst einmal den Tubus in der gebotenen Tiefe platziert hat, was – wie vom Sachverständigen eindrücklich anhand eines Modells erläutert – vollkommen unschwer dadurch zu erreichen ist, dass der Tubus so weit vorgeschoben wird, dass die schwarze Markierung auf dem Tubus gerade noch zu sehen ist (S. 16 unten des Protokolls).
5. Der Kläger vermochte auch nicht nachzuweisen, dass die Tubuslage nur unzureichend kontrolliert worden wäre. Der Sachverständige forderte, dass der Tubus mindestens nach der Intubation, sodann nach der Umlagerung und schließlich nach jeder weiteren Veränderung kontrolliert wird (S. 16 des Protokolls). Dass eine diesbezügliche Dokumentation in Häusern mit einer Versorgungsstufe wie der der Beklagten im Jahr 2013 gefordert war, ließ sich hingegen nicht feststellen. Im Übrigen haben der Zeuge Dr. … und die Zeugin … glaubhaft bekundet, dass die erforderlichen Kontrollen stets erfolgt wären (S. 5 und 9 des Protokolls).
6. Soweit der Kläger zahlreiche weitere Behandlungsfehler geltend gemacht hat, steht zum einem die Fehlerhaftigkeit der Behandlung insoweit bereits nicht fest und im Übrigen ist jedenfalls eine Ursächlichkeit ausgeschlossen oder äußerst unwahrscheinlich.
Die weiteren von dem Kläger als behandlungsfehlerhaft gerügten Maßnahmen bzw. Umstände (insbes. bei der Anlage des Katheters für die Regionalanästhesie, behauptete Unklarheiten in Bezug auf das Geschehen zwischen OP und Aufwachraum, die Sauerstoffsättigung bei Eintreffen im Aufwachraum) sind schon nicht als Behandlungsfehler zu qualifizieren, noch ergeben sich daraus Hinweise auf das Vorliegen von Behandlungsfehlern.
Diese klägerseits als Behandlungsfehler gerügten Maßnahmen können im Übrigen jedenfalls nicht ursächlich für den eingetretenen Schaden sein (S. 14 oben und 21 des Gutachtens vom 30.11.2020, BI. 80 und 87 d.A.; vgl. insbesondere zum Katheter der Regionalanästhesie: er wurde rechts angelegt, die Lähmungen sind linksseitig). In diese Kategorie gehört auch die klageseits in der mündlichen Verhandlung aufgeworfene Frage, ob bei dem Umlagern des Klägers vor Operationsbeginn Falten auf dem Leintuch unter seinem Rücken entstanden sein können (S. 9 des Protokolls vom 06.10.2021). Hier ist schon grundsätzlich kein Zusammenhang zwischen dem Faltenwurf auf dem Leintuch unter dem 97kg schweren Kläger und einer Schädigung des N. hypoglossus und der linksseitigen Stimmbandlähmung zu erkennen.
Der Nervschaden muss nicht infolge eines Behandlungsfehlers eingetreten sein. Bei realistischer Betrachtung besteht zwar kein Zweifel, dass der Nervschaden durch Druck verursacht wurde, welcher vom Cuff des Endotrachealtubus ausging (so Dr. … auf S. 16 Mitte des Protokolls vom 28.09.2021 unter Hinweis auf die zeitliche Koinzidenz zur Narkose). Ein solcher Schaden kann aber auch schicksalhaft darauf beruhen, dass eine nicht bemerkbare Lageveränderung des evtl. ohnehin schon nicht behandlungsfehlerbedingt leicht schief liegenden Tubus zu einem Druck auf die Stimmlippe geführt hat (S. 17 des Protokolls).
Die Geschehnisse zwischen Beendigung der Operation und Aufnahme im Aufwachraum können in keinem Zusammenhang zu dem eingetretenen Schaden stehen, weil der Zeuge Dr. … glaubhaft bekundet hat, dass er den Kläger noch im Operationssaal extubiert hat (S. 5 des Protokolls). Ab diesem Zeitpunkt waren keine iatrogenen Einwirkungen auf den geschädigten Nerven mehr denkbar (denn schadensursächlich kann – wie ausgeführt – nur der Cuff des Tubus gewesen sein). Die Kammer hat dabei nicht übersehen, dass der Zeuge – wie der Sachverständige festgestellt hat – sich bei dem von ihm geführten Narkoseprotokoll nicht an die für diese Art von Protokoll vorgesehene Form der Protokollierung gehalten hat. Jenseits des Umstands, dass das Protokoll nicht gemäß den Vorgaben ausgefüllt ist, sind die Angaben des Zeugen Dr. … aber stimmig und mit der ihm eigenen Art der Protokollführung nicht nur in Bezug auf den Zeitpunkt der Extubation kongruent. Der Zeuge hat nachvollziehbar angegeben, der eingezeichnete Pfeil stehe nicht für die Intubation, sondern für die Injektion des Regionalanästhetikums. Er hat die vom Protokollherausgeber vorgesehenen Striche nicht nur für die Extubation, sondern auch für die Intubation nicht eingetragen, sondern stattdessen angegeben, die Intubation sei zwischen Anästhesiebeginn und Operationsbeginn erfolgt; die Extubation sei wiederum zwischen Operationsende und Anästhesieende erfolgt. Diese Art der Dokumentation entspricht zwar nicht dem vorgesehenen Standard, sie ist aber in sich stimmig und schlüssig. Es handelt sich offensichtlich nicht nur um eine Schutzbehauptung, weil eben nicht nur ein Eintrag zum Extubationszeitpunkt, sondern auch zum Intubationszeitpunkt fehlt (zu alledem: S. 5 unten des Protokolls vom 28.09.2021). Es besteht daher insgesamt kein Zweifel, dass der Zeuge den Kläger noch im Operationssaal extubiert hat.
Zu Gunsten des Klägers streitet auch nicht die Vermutung, dass der bei ihm eingetretene Schaden auf einem groben Behandlungsfehler beruht. Zwar können mehrere einfache Behandlungsfehler im Rahmen einer Gesamtbetrachtung die ärztliche Behandlung als grob fehlerhaft erscheinen lassen, wenn in einer Zusammenschau das Vorgehen insgesamt nicht mehr verständlich erscheint und schlechterdings nicht so ablaufen darf. Bei dieser Zusammenschau bleiben jedoch solche Behandlungsfehler außer Betracht, die von vorneherein mit dem Schaden nicht in Zusammenhang stehen können bzw. deren Mitursächlichkeit für den eingetretenen Schaden äußerst unwahrscheinlich ist. Denn Sinn und Zweck der Beweislastumkehr wegen mehrerer einfacher Behandlungsfehler, die sich insgesamt als grob erweisen, ist die hierdurch für den Patienten vergrößerte Schwierigkeit, die konkrete Ursache für den bei ihm eingetretenen Schaden nachzuweisen. Hingegen dient diese Rechtsfigur nicht der pauschalen Sanktionierung der Behandlerseite für unsauberes Arbeiten oder Ungenauigkeiten in der Dokumentation. Soweit ein Zusammenhang zwischen einem Behandlungsfehler und dem Schaden jedoch äußerst unwahrscheinlich ist, fehlt es an einer relevanten Erschwerung der klägerischen Möglichkeit zur Beweisführung in Bezug auf die Kausalität einzelner Fehler für den Schaden.
Wie vorstehend ausgeführt, liegen die klageseits geltend gemachten Behandlungsfehler nicht vor. Selbst, wenn man das Vorliegen von Behandlungsfehlern unterstellen wollte: In ursächlichem Zusammenhang zu dem Schaden kann weder die Intubation (incl. vorangegangener Dosierung des Atracuriums), noch die Lagerung des Klägers (im Sinne von Zug am Hals oder Druck von außen auf den Hals), noch die Behandlung nach seiner Extubation stehen. Etwaige diesbezügliche Behandlungsfehler spielen daher keine Rolle bei der Frage, ob es zur Beweislastumkehr wegen grober Behandlungsfehler kommt. Ursächlich kann vielmehr – wie vorstehend gezeigt – allein vom Cuff des Tubus ausgehender Druck geworden sein, so dass für die Kausalitätsfrage (incl. der Frage, ob von einem insgesamt grob fehlerhaften Behandlungsgeschehen auszugehen ist) ausschließlich der Cuffdruck, die Platzierung des Tubus und die Überwachung der Tubuslage (insbes. während Lagerungsmaßnahmen) eine Rolle spielen können. Insoweit liegen aber – wie ausgeführt – zur Überzeugung der Kammer keine Behandlungsfehler vor, erst recht nicht mehrere oder grobe Behandlungsfehler.
III. Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus den §§ 91 Abs. 1, 709 S. 1 ZPO.