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Nervenverletzung bei Kahnbein-Operation – Schadensersatz und Schmerzensgeld

OLG Dresden – Az.: 4 U 1234/21 – Beschluss vom 02.09.2021

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.

2. Die Klägerin hat Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen. Sie sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.

3. Der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 19.10.2021 wird aufgehoben.

4. Der Senat beabsichtigt, den Gegenstandswert des Berufungsverfahrens auf 27.632,87 € festzusetzen.

Gründe

I.

Die am 24.10.1986 geborene Kläger war nach einer körperlichen Auseinandersetzung am 18.02.2017 in der Notaufnahme vorstellig und wurde am 21.02.2017 stationär aufgenommen. Es wurde eine Fraktur des Kahnbeins der rechten Hand diagnostiziert. Am 21.02.2017 erfolgte eine geschlossene Reposition der Fraktur mit interner Fixierung durch eine Herbertschraube. Es erfolgten Nachkontrollen.

Nervenverletzung bei Kahnbein-Operation - Schadensersatz und Schmerzensgeld
(Symbolfoto: HENADZI KlLENT/Shutterstock.com)

Die Klägerin hat behauptet, sie habe nach der Operation starke Schmerzen und Taubheitsgefühle verspürt. Bei den Kontrollen sei ein Überstand der Schraube von einem Millimeter festgestellt worden. Ein Nachbehandler habe die Schieflage der Schraube festgestellt. Am 28.07.2017 sei die Schraube operativ entfernt worden. Es habe sich ein Neurom (gutartige Knotenbildung, die durch nervale Läsion entsteht) entwickelt, das am 09.11.2017 operativ entfernt worden sei. Die Klägerin sei vom 20.02. bis 22.09.2017 arbeitsunfähig erkrankt gewesen, denn sie habe als Packerin bei DHL keine schweren Lasten heben können. Es sei eine Schraube der falschen Größe eingesetzt worden und habe eine Entzündung der Nerven der rechten Hand und damit Schmerzen und Taubheitsgefühle verursacht. Den Überstand der Schraube hätten die Behandler der Beklagten erkennen müssen. Dies sei ein grober Fehler.

Die Beklagte hat behauptet, die Klägerin sei entsprechend dem Facharztstandard behandelt worden. Der Überstand der Schraube sei funktionell nicht relevant gewesen und es sei sachgerecht gewesen, die Schraube bis zum Abschluss der Knochenheilung zu belassen. Die Schieflage werde bestritten. Die Beschwerden werden ebenso bestritten wie die Kausalität und die geltend gemachte Schadenshöhe.

Das Landgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachten die Klage mit Urteil vom 27.05.2021 abgewiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie meint, das Landgericht habe einen entscheidenden Punkt übersehen. Es spreche ein Anscheinsbeweis dafür, dass die Beklagte die nervale Läsion bei der Klägerin verursacht habe. Stehe eine Primärschädigung und eine typische Schadensfolge fest, darf die Klägerin auf das Vorliegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers schließen. Nach den Ausführungen des Gutachters kämen als Ursache für die Nervenverletzung fünf Schritte beim operativen Eingriff in Betracht. Für den Nachweis sei daher ausreichend, dass der Gutachter die betreffenden Operationsschritte eingrenze und zugleich ausgeschlossen habe, dass die Verletzung auf atypische Umstände außerhalb des medizinischen Eingriffs zurückzuführen sei.

Die Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil. Der Sachverständige habe eindeutig einen Behandlungsfehler verneint. Aus der Verwirklichung operationsimmanenter Risiken könne nicht auf einen Fehler geschlossen werden.

II.

Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch – einstimmig gefassten – Beschluss zurückzuweisen. Die zulässige Berufung der Klägerin bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.

Zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen fehlerhafter Behandlung gemäß §§ 630 a ff., 249, 253 BGB zu.

Der Klägerin ist der Beweis für einen Behandlungsfehler nicht gelungen. Der Sachverständige hat zwar dargelegt, dass die Läsion des Nervs, die zu einem Neurom (gutartige Knotenbildung) geführt habe, bei einem der Operationsschritte entstanden sei. Er hat fünf operative Schritte aufgezählt, die geeignet gewesen seien, zu einer Nervverletzung zu führen. Gleichwohl hat der Sachverständige einen Behandlungsfehler verneint. In seinem Gutachten führte er aus, dass im Zugangsgebiet zum Kahnbein sensible Nervenstrukturen verliefen. Ein Nerv könne bei dem gewählten Operationsverfahren verletzt werden, ohne dass dies für den Operateur unbedingt ersichtlich sei. Im weiteren Verlauf könne dann das körpernahe Ende des verletzten Nervs im Rahmen seines Regenerationsprozesses bei fehlendem körperfernen Anschluss „bäumchenförmig“ in die Peripherie auswachsen, so dass ein Neurom entstehe. Die Frage der Beklagten, ob die Behandlung lege artis erfolgt sei, hat der Sachverständige ausdrücklich bejaht. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann von einer Primärschädigung nicht auf das Vorliegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers geschlossen werden. Dafür streitet auch kein Anscheinsbeweis. Ein ärztlicher Behandlungsfehler liegt vor, wenn der Behandelnde oder sein Erfüllungsgehilfe von dem geschuldeten Pflichtprogramm der medizinischen Behandlung oder dem Behandlungsmaßstab abweicht (vgl. Weidenkaff in Palandt, 80. Aufl., § 630 a, Rdnr. 25). Dies ist der Fall, wenn der Behandler vom medizinischen Standard abweicht. Dieser gibt Auskunft darüber, welches Verhalten von einem gewissenhaften Arzt in der konkreten Behandlungssituation aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereiches zum Zeitpunkt der Behandlung erwartet werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 11.12.2015 – VI ZR 67/15 – juris). Ein solcher Fehler ist indes nicht ersichtlich. Schließlich können Nervenverletzungen bei chirurgischen Eingriffen nach der Erfahrung des Senates, der seit Jahren mit Arzthaftungssachen im Schwerpunkt befasst ist, auch ohne Vorliegen eines Behandlungsfehlers eintreten. Sie sind häufig eingriffsimmanent. Der Umstand, dass die Klägerin während des Eingriffs narkotisiert war und daher nicht nachweisen kann, welcher konkrete Operationsschritt zu der erlittenen Verletzung geführt hat, rechtfertigt – entgegen der Auffassung der Klägerin – nicht die Annahme eines Anscheinsbeweises. Denn die Klägerin muss nicht nachweisen, bei welchem der einzelnen Schritte ein Fehler geschehen sei, denn dies ist unerheblich. Es steht fest, dass die Läsion intraoperativ entstanden ist. Die Klägerin muss aber beweisen, dass während der Operation von dem Facharztstandard abgewichen worden ist. Es liegt ein Operationsbericht vor, der für die Beurteilung, ob ein Behandlungsfehler vorliegt, herangezogen werden kann. Dem Sachverständigen lag der Operationsbericht 21.02.2017 vor und er hat keine Behandlungsfehler feststellen können.

Der Senat rät auf dieser Grundlage zu einer Rücknahme der Berufung, die zwei Gerichtsgebühren spart.

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