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Notarzteinsatz: Schadensersatz und Schmerzensgeld

LG Detmold, Az.: 1 O 245/14, Urteil vom 14.10.2016

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Schadensersatz und Schmerzensgeld nach einer ärztlichen Behandlung im Rahmen eines Notarzteinsatzes.

Am 27.02.2011 benachrichtigte der Zeuge T2, der Ehemann der Klägerin, kurz vor 22:00 Uhr den Rettungsdienst des Beklagten zu 1). Diensthabender Notarzt war der Beklagte zu 2), der wenige Minuten nach dem Anruf bei der Klägerin zu Hause erschien. Zugegen war ebenfalls der Sohn der Klägerin, der Zeuge T3. Zum Zeitpunkt des Eintreffens des Beklagten zu 2) war die Klägerin wach, sie gab jedoch einen schmerzhaften Druck im Nacken an. Der Zeuge T2 erklärte gegenüber dem Beklagten zu 2) an, dass seine Frau zuvor einige Zeit bewusstlos gewesen sei und sich übergeben habe. Näheres ist zwischen den Parteien streitig. Der Beklagte zu 2) legte sodann auf Grundlage der Angaben des Zeugen T2 einen venösen Zugang und verabreichte der Klägerin unter anderem ein Medikament gegen Übelkeit sowie eine Infusion. Die Vitalparameter wie Herz, Kreislauf und Atmung wurden ständig überwacht und waren stabil. Der Beklagte zu 2) nahm in seinen Notarztbogen auf, dass die Klägerin wach, ansprechbar und allseits orientiert gewesen sei. Ferner vermerkte er als Verdachtsdiagnose eine „Synkope unklarer Genese“ und veranlasste die Verbringung der Klägerin in das Klinikum der Beklagten zu 3), wo sie vom diensthabenden Arzt, dem Zeugen T5, um 22:43 Uhr aufgenommen wurde. Auch dieser vermerkte in dem Aufnahmebogen, dass die Klägerin wach und orientiert gewesen sei und sich nicht eingenässt habe. Ob dies den tatsächlichen Umständen entsprach, ist jedoch zwischen den Parteien streitig. Im Anschluss an die Aufnahme wurde die Klägerin an ein EKG angeschlossen, welches ohne wesentliche Auffälligkeiten ausfiel. Anschließend wurde die Klägerin in die Röntgenabteilung der Beklagten zu 3) verbracht, wo ein Lichtbildbefund des Thorax gefertigt wurde. Sodann wurde sie auf ein Zimmer auf der Entbindungsstation verlegt. Auch im Pflegeanamnesebogen wird vermerkt, dass die Klägerin wach, ansprechbar und allseits orientiert gewesen sei. Das Klinikum der Beklagten zu 3) verfügt auch über eine sog. „stroke unit“ für Schlaganfallpatienten. Den weiteren Pflegeprotokollen der diensthabenden Nachtschwester kann entnommen werden, dass die Klägerin gegen 01:15 Uhr erklärt haben soll, dass sich die bereits gegenüber dem Beklagten zu 2) geäußerten Nackenbeschwerden gebessert hätten. Um 03:00 Uhr ist vermerkt worden, dass die Klägerin schlief. Gegen 05:00 Uhr am 28.02.2011 klagte die Klägerin sodann über Nacken- und Kopfschmerzen, zudem hatte sie erbrochen, woraufhin der Arzt vom Dienst benachrichtigt wurde. Dieser veranlasste um 05:24 Uhr, dass ein CT der Klägerin gefahren wird. Das CT ergab um 08:35 Uhr eine Subarachnoidalblutung mit Einbruch des Ventrikelsystems als Zeichen eines beginnenden Liquoraufstaus, woraufhin der Oberarzt der Beklagten zu 3) eine umgehende Verlegung auf die Intensivstation veranlasste. Wenig später wurde die Klägerin auf die Neurochirurgie des Ev. Krankenhauses überführt. Auch die dortigen Ärzte hielten bei Aufnahme der Klägerin schriftlich fest, dass diese wach und bewusstseinsklar sei und veranlassten ein sog. Aneurysma-Coiling, durch das die Versorgung des Aneurysmas verhindert werden soll.

Notarzteinsatz: Schadensersatz und Schmerzensgeld
Foto: Kzenon/Bigstock

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin unter Behauptung eines Behandlungsfehlers der Beklagten ein Schmerzensgeld von mindestens 120.000,00 EUR, fiktive Haushaltsführungskosten in Höhe von 38.799,44 EUR für die Vergangenheit und 35.645,47 EUR für die Zukunft sowie pauschale Fahrt-, Medikamenten- und Zuzahlungskosten in Höhe von 2.000,00 EUR von den Beklagten. Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die weiteren Ausführungen der Klägerin in der Klageschrift vom 13.10.2014, Bl. 19 ff. d.A., Bezug genommen.

Vorgerichtlich wurden die Beklagten mit anwaltlichem Schreiben vom 06.05.2014 unter Fristsetzung bis zum 09.06.2014 vergeblich zur Anerkennung der Haftung dem Grunde nach aufgefordert.

Die Klägerin behauptet, sie habe zu Hause gegen 21:45 Uhr versucht, vom Sofa aufzustehen, sei dann jedoch zusammengebrochen und etwa 2-3 Minuten ohne Bewusstsein gewesen. Nach dem Erwachen habe sie über starke Übelkeit geklagt und bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes mehrfach erbrochen und die Kontrolle über ihre Blase verloren. Der Zeuge T2 habe den Beklagten zu 2) auch nach seinem Eintreffen über diese Vorkommnisse in Kenntnis gesetzt. Die vom Beklagten zu 2) niedergeschriebenen Befunde seien falsch, denn die Klägerin habe eindeutige Symptome eines Schlaganfalls bzw. einer TIA (transitorische ischämische Attacke) vorgewiesen. Hierin sei ein Behandlungsfehler zu sehen und dem Beklagten zu 2) überdies grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Im Rahmen des Transfers zum Krankenhaus sei der Klägerin sodann ein plötzlicher „Blitzschlag“ im Nacken widerfahren und sie sei von diesem Zeitpunkt an kaum mehr ansprechbar gewesen. Insoweit entsprächen die anderslautenden Feststellungen in den Dokumentationen nicht den tatsächlichen Gegebenheiten. Ein weiterer Fehler sei bei der Übergabe der Klägerin im Hause der Beklagten unterlaufen, denn der Beklagte zu 2) habe unvollständige Informationen weitergegeben, sodass keine sachgerechte Untersuchung der Schlaganfallsymptome veranlasst worden sei. So sei auch dem Zeugen T5 in der Folge ein Diagnosefehler unterlaufen. Dies habe verhindert, dass keine weiteren Befunde erhoben worden seien, obwohl Anhaltspunkte für eine CT- und MRT-Untersuchung bestanden hätten. Ferner sei es angezeigt gewesen, die Klägerin statt auf die Entbindungsstation auf die „stroke unit“ im Hause der Beklagten zu 3) zu verlegen, um eine engmaschigere Kontrolle zu gewährleisten. Nachdem die Klägerin auf ihr Krankenzimmer verlegt worden war, habe der Zeuge T2 versucht, den diensthabenden Arzt auf die zwischenzeitlich aufgetretenen Kopfschmerzen, den Verlust der Blasenfunktion und die erheblichen Nackenschmerzen aufmerksam zu machen. Es sei aber nur nach etwaigen alten OP-Narben und der Bedarfsmedikation gefragt worden. Noch bevor die Klägerin in die Röntgenabteilung gebracht worden sei, habe sie sich erneut übergeben müssen. Eine Kommunikation mit ihr sei auch weiterhin nur sehr eingeschränkt möglich gewesen. Auch gegenüber der Nachtschwester seien die Symptome (Kopf- und Nackenschmerzen, Erbrechen und Einnässen) nochmals zur Sprache gebracht worden.

Zudem sei die Klägerin entgegen der ärztlichen Gepflogenheiten nicht darüber aufgeklärt worden, dass bei den gegebenen Symptomen auch ein Schlaganfall in Betracht zu ziehen sei.

Bei der Klägerin sei ein Dauerschaden verblieben.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Festsetzung der Höhe nach in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf den zuerkannten Betrag seit dem 10.06.2014,

2. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche aus der fehlerhaften Behandlung resultierenden weiteren materiellen Schäden der Vergangenheit und Zukunft sowie die nicht vorhersehbaren immateriellen Zukunftsschäden zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen und/oder übergegangen sind und

3. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, die Klägerin von den nach dem RVG nicht konsumierten außergerichtlichen Kosten der Klägerin bei den Prozessbevollmächtigten in Höhe von 3.450,46 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.06.2014 freizustellen.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Sie behaupten, die körperliche Untersuchung der Klägerin durch den Beklagten zu 2) habe keine verdächtigen Anhaltspunkte ergeben. Vielmehr sei die Kläger wach und ansprechbar gewesen. Der unstreitige Hinweis auf bestehende Nackenschmerzen habe der Verdachtsdiagnose „Synkope unklarer Genese“ nicht entgegengestanden. Es sei nur von Schwindel, einer Bewusstlosigkeit und einem einmaligen Erbrechen berichtet worden. Auch im Rahmen des Transfers zum Krankenhaus habe es keine weiteren Auffälligkeiten gegeben, vielmehr sei die Kläger auch dort wach und ansprechbar gewesen. Ein unverändertes Bild habe auch der Zeuge T5, der die Aufnahme der Klägerin im Hause der Beklagten zu 3) begleitete, vorgefunden. Die von der Klägerin angegebenen Umstände des Vorfalls seien vollständig gewesen. Kommunikationsschwierigkeiten habe es nicht gegeben. Auch im weiteren Verlauf habe es keinen Grund gegeben, die Klägerin auf die „stroke unit“ zu verlegen oder weitere Untersuchungen – insbesondere CT und MRT – zu veranlassen, da die Untersuchungen keine fokale Symptomatik oder neurologischen Auffälligkeiten auf. Die Klägerin sei anschließend auf der Entbindungsstation internistisch betreut und überwacht worden. Selbst wenn man die Klägerin auf die „stroke unit“ verlegt hätte, so hätte die Hirnblutung ebenfalls nicht verhindert werden können, sodass eine Kausalität eines unterstellten Behandlungsfehlers nicht anzunehmen sei. Das weitere Beschwerdebild der Klägerin sei in der Pflegedokumentation im Übrigen richtig wiedergegeben worden. Selbst nachdem es zur Hirnblutung gekommen war, sei die Klägerin im Rahmen der Fertigung des CTs am 28.02.2011 lediglich etwas psychomotorisch verlangsamt gewesen; eine Aphasie oder eine Dysarthrie habe nicht festgestellt werden können.

Die Kammer hat Beweis durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen sowie nach persönlicher Anhörung der Klägerin durch uneidliche Vernehmung der Zeugen T2 und T3 und T5 erhoben.

Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sachverständigengutachten vom 03.02.2016 (Bl. 129 ff. d.A.) sowie auf die Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung vom 26.08.2016 (Bl. 207 ff. d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe

Der zulässigen Klage bleibt der Erfolg in der Sache versagt.

A)

Die Klage ist zulässig. Dies gilt insbesondere auch für den Feststellungsantrag zu 2.), bezüglich dessen ein Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 ZPO vorliegt. Dass aufgrund des Zeitablaufs mittlerweile eine weitergehende Konkretisierung des Zahlungsanspruchs möglich wäre, steht dem nicht entgegen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 14.09.2009 – 3 U 9/08, zitiert bei juris Rn. 86).

B)

Die Klage ist aber unbegründet. Bezüglich der Beklagten zu 1.) und 3.) kann eine Pflichtverletzung in Form eines Behandlungsfehlers bereits nicht festgestellt werden. Gegenüber dem Beklagten zu 2.) steht Art. 34 GG einer persönlichen Haftung bereits im Ansatz entgegen.

Dazu nunmehr im Einzelnen:

I.

Die Klägerin hat zunächst keinen Schadensersatz- und Schmerzensgeldanspruch in begehrter Höhe gegenüber der das Klinikum betreibenden Beklagten zu 3.).

1.

Dieser folgt zunächst nicht aus § 280 I BGB unter dem Gesichtspunkt eines Behandlungsfehlers.

Als Behandlungsfehler ist jeder Verstoß gegen die Regeln und Standards der ärztlichen Wissenschaft zu verstehen. Ob ein Arzt einen Behandlungsfehler begangen hat, beantwortet sich danach, ob er nach den von ihm zu fordernden medizinischen Kenntnissen und Erfahrungen im konkreten Fall diagnostisch und therapeutisch vertretbar und sorgfältig vorgegangen ist oder nicht (OLG Brandenburg, Urteil vom 9. Oktober 2002, 1 U 7/02, VersR 2004, 199f.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 12. Oktober 2005, 7 U 132/04, OLG Report Karlsruhe 2006, 8; OLG Naumburg, Urteil vom 11. Juli 2006, 1 U 1/06, OLG Report Naumburg 2007, 396).

Es ist der Klägerin nicht zur Überzeugung der Kammer (§ 286 ZPO) gelungen, den ihr nach allgemeinen Grundsätzen obliegenden Beweis eines Behandlungsfehlers im Hause der Beklagten zu 3.), die sich diese nach § 278 BGB zurechnen lassen müsste, nachzuweisen.

Ansatz der Klägerin war nach der insoweit vorzunehmenden Schwerpunktbetrachtung (OLGR Schleswig 2009, 296) in Abgrenzung zum reinen Diagnosefehler zunächst ein sog. Befunderhebungsfehler, bei dem das Unterlassen weiterer medizinisch gebotener diagnostischer Maßnahmen gerügt wird. Zwar führt die Klägerin auch an, dass bereits der Beklagte zu 2) und schlussendlich auch die weiterbehandelnden Ärzte im Hause der Beklagten zu 3) die angeführten vermeintlichen Warnzeichen für eine neurologische Problematik falsch interpretiert hätten, was für einen Diagnoseirrtum spricht, jedoch liegt das Hauptaugenmerk der Argumentation der Klägerin in der vorgeworfenen Unterlassung weiterer Maßnahmen, insbesondere eines CTs und der Verlegung auf die „stroke unit“ zur engmaschigeren Kontrolle. Unabhängig von der zwischen den Parteien streitigen Frage, welche Symptome die Klägerin aufwies, argumentiert die Klägerin bereits damit, dass selbst bei Wahrunterstellung des Beklagtenvorbringens vordringlich Weiteres hätte veranlasst werden müssen.

Der Sachverständige hat im Rahmen der Erörterung seines Gutachtens zu Protokoll erklärt, dass bei Wahrunterstellung des klägerischen Vorbringens zum starken Kopfschmerz, Erbrechen und zur vermeintlichen mangelnden Ansprechbarkeit der Klägerin ein neurologisches Konsil und die Verlegung auf die „stroke unit“ sowie die Veranlassung eines CTs angezeigt gewesen wäre. Dies ist vorliegend nicht geschehen.

a)

Diese streitigen Anknüpfungstatsachen können jedoch nicht zur Grundlage der Überzeugungsbildung der Kammer gemacht werden, sondern müssen nach wie vor als offen im Sinne eines sog. „non liquet“ bewertet werden, da die Kammer sich nicht eine den Maßstäben von § 286 ZPO genügende Überzeugung vom Vorliegen eines Behandlungsfehlers zu bilden vermochte.

Sowohl die Angaben der Zeugen T2 und T3 als auch die des gegenbeweislich benannten Zeugen T5 bewertet die Kammer als glaubhaft. Unter Hinzuziehung der Angaben der Klägerin und des Beklagten zu 2) im Rahmen ihrer ergänzenden Anhörung sieht sich die Kammer nicht in der Lage, einer Aussage mehr Glauben zu schenken als der anderen.

Die Klägerin selbst hat an die hier maßgeblichen Momente der Einlieferung in die Klinik der Beklagten zu 3) und des darauf folgenden Untersuchungsverlaufs keine aktiven Erinnerungen mehr. Nach eigenen Angaben setzte ihre Erinnerung erst wieder auf der Intensivstation ein.

Demgegenüber hat der Zeuge T2 überaus plastisch, detailreich und sehr gut nachvollziehbar die Geschehnisse am Abend des 27.02.2011 der Kammer dargelegt. Seine Aussage ist geprägt von Details, die nicht nur das eigentliche Beweisthema bzw. das Kerngeschehen betreffen, sondern auch Randgeschehnisse berühren, wie beispielsweise den Versuch, seiner Frau noch aus der nach seinen Darstellungen eingenässten Hose zu helfen, bevor sie ins Klinikum transportiert werden sollte. Diese Komplikationen, die er in seine Erläuterungen hat mit einfließen lassen, machen die Gegebenheiten erfahrbar und zeugen von tatsächlich Erlebtem. Die Geschehnisse unmittelbar bis zum Eintreffen des Beklagten zu 2) hat der Zeuge T2 in Übereinstimmung mit den Angaben der Klägerin geschildert, was letztlich die Glaubhaftigkeit beider Aussage unterstreicht. Dabei berücksichtigt die Kammer auch den Umstand, dass diese Geschehnisse für alle auf Seiten der Klägerin Beteiligten sich als besonders schwerwiegend und damit einprägsam dargestellt haben dürften. Dies wurde auch im Rahmen der Vernehmung der klägerseits benannten Zeugen deutlich, in der immer wieder die nachvollziehbare Hilflosigkeit angesichts dieser gesundheitlichen Probleme zum Ausdruck gebracht wird. Auch die weiteren Geschehnisse in der Klinik hat der Zeuge T2 derart plastisch dargestellt, dass die Kammer sich von der Glaubhaftigkeit seiner Aussage überzeugen konnte. Der durch den Zeugen dargestellte Widerspruch zwischen der eigenen Unruhe, dem Wunsch, der Klägerin zu helfen und der im Gegensatz dazu stehenden gesundheitlichen Verfassung der Klägerin macht die Situation erfahrbar.

Ein ganz ähnliches Bild hat auch der Zeuge T3 der Kammer vermittelt, welcher gleichfalls die Konstitution der Klägerin, die zu dem Zeitpunkt, in dem er hinzu gerufen wurde, noch deutlich vor Augen hatte und bildhaft zu schildern vermochte. Seine Aussage deckt sich in den Kernpunkten mit der des Zeugen T2 und kann auch mit den Angaben der Klägerin, soweit für sie erinnerlich, in Übereinstimmung gebracht werden.

Gleichwohl sind auch die Angaben der Beklagtenseite allesamt als glaubhaft zu bewerten.

Obwohl es sich für den Beklagten zu 2) als diensthabenden Notarzt um ein sehr viel alltäglicheres Geschehen als für die Klägerin und deren Familie handelte, was in der Regel auch mit entsprechenden Erinnerungsproblemen einhergeht, weil sich wiederholende Sachverhalte schwerer im Detail auseinander gehalten werden können, haben auch die Ausführen des Beklagten zu 2) die Kammer überzeugt. Gerade die nicht immer gleichlaufenden, individuellen Aspekte eines Notarzteinsatzes – wie vorliegend die Reaktion und Aufregung der Angehörigen – hatte er noch gut in Erinnerung und war in der Lage, diese der Kammer anschaulich zu schildern. Dieser Hintergrund erklärt auch, warum er freimütig und ohne erkennbare Be- oder Entlastungstendenzen einräumt, sich an die eigentliche Übergabe der Patientin an den Zeugen T5 im Hause der Beklagten zu 3) nicht mehr im Detail erinnern zu können, da dies wiederum naturgemäß einem festen, sich wiederholenden Schema folgt, was zwangsläufig zu einer geringeren Erinnerungsintensität führt.

Gleiches gilt letztlich auch für den Zeugen T5, der das Procedere bei der Aufnahme der Klägerin wertungsfrei und in sich schlüssig dargelegt hat.

Die Angaben und Einschätzungen zur Frage der Ansprechbarkeit der Klägerin seitens des Beklagten zu 2) und des Zeugen T5 finden überdies eine Stütze in den zur Akte gereichten ärztlichen Unterlagen, welche von unterschiedlichen Ausstellern herrühren und unabhängig voneinander stets von Neuem die Feststellung enthalten, dass die Klägerin wach, ansprechbar und allseits orientiert gewesen sei. Dabei vertritt die Kammer die Auffassung, dass diese Schlussfolgerungen der behandelnden Ärzte nicht zwingend im Widerspruch zu den Einschätzungen der Zeugen T2 und T3 stehen müssen, denn die behandelnden Ärzte begegneten der Klägerin in einer absoluten Ausnahmesituation wohingegen die Angehörigen auch den Zustand ohne gesundheitliche Probleme vor Augen haben. Dies hat naturgemäß auch Auswirkungen auf den Maßstab, der angelegt wird, wenn man nach einer „Ansprechbarkeit“ einer nahestehenden Person gefragt wird: wo Familienangehörige zwangsläufig das Idealbild vor Augen haben und unter Umständen auch Charakter und Eigenarten des Betroffenen mit einbeziehen, machen die Mediziner ebendiese gesundheitliche Ausnahmesituation zum Maßstab.

Die Schwierigkeiten bei der Bewertung durch einen medizinischen Laien zeigen sich hier ganz konkret auch daran, dass die Aussagen des Ehemannes der Klägerin und ihres gemeinsamen Sohnes sich jedenfalls in den Details nicht unerheblich unterscheiden. Während der Ehemann, der Zeuge T2, im Rahmen seiner Aussage angegeben hat, seine Frau habe sich bis zu dem „Blitzschlag“ noch ausreichend artikulieren können, war die Wahrnehmung des Sohnes eine andere. Aus seiner Sicht war seine Mutter bereits zuvor, im Wohnzimmer, kaum noch zu einer geordneten Lautäußerung in der Lage.

b)

Der Anspruch der Klägerin scheitert letztlich aber auch daran, dass sich die Hirnblutung der Klägerin selbst bei Unterstellung einer Pflichtverletzung der behandelnden Ärzte der Beklagten zu 3) nicht als kausal für das geplatzte Aneurysma darstellt.

Der Sachverständige hat insoweit in seinem Gutachten und schließlich auch im Rahmen seiner Anhörung im Termin erklärt, dass auch eine Verlegung der Klägerin auf die „stroke unit“ der Beklagten zu 3) noch des Nachts und/oder eine Veranlassung eines CTs weder die Hirnblutung hätte verhindern noch eine frühere Behandlung mit günstigeren Folgen für die Klägerin hätte ermöglichen können. Grund hierfür ist, dass das später in Bielefeld durchgeführte Coiling des Aneurysmas einer sog. Panangiografie bedurfte, um das selbiges überhaupt erst einmal orten zu können. Da im Rahmen dieser Untersuchungsmethode jedoch ein Kontrastmittel gespritzt wird, geht diese stets auch mit einem erhöhten Risiko einer erneuten Ruptur des Aneurysmas einher, was zur Folge hat, dass nach der Durchführung eines CTs sechs Stunden zugewartet werden muss. Dies vor Augen hätte die lebensnotwendige OP der Klägerin in keinem Fall früher als am Folgetag durchgeführt werden können. Selbst bei einer gedachten nächtlichen Verlegung der Klägerin in eine neurologische Spezialklinik hätte sich kein anderer Behandlungsablauf ergeben können, da diese Wartezeit für die Panangiografie abgewartet werden musste und ohne diese weiteren Erkenntnisse eine OP nicht durchführbar war.

Das bei der Klägerin festgestellte geplatzte Aneurysma weist vor diesem Hintergrund zwar ähnliche Symptome wie die eines Schlaganfalles auf, wird aber anders behandelt. Soweit die Klägerin schriftsätzlich argumentiert, dass umgehendes Handeln im Falle eines Schlaganfalls unerlässlich ist, so ist dem zwar zuzustimmen, kann aber auf den hier zu entscheidenden Fall nicht übertragen werden, da die Klägerin gerade keinen Schlaganfall erlitten hat. Bei einem Aneurysma, das die Klägerin höchstwahrscheinlich schon eine ganze Weile hatte und welches nachfolgend platzte, sind vielmehr die obigen Behandlungs- und Untersuchungserfordernisse zu beachten, die zwangsläufig im Widerspruch zum erforderlichen Sofort-Handeln bei einem Schlaganfall stehen.

Die Kammer folgt den Ausführungen des Sachverständigen und macht sich diese bei ihrer Entscheidungsfindung zu Eigen. Der Sachverständige hat sich sowohl im Rahmen seines schriftlichen Gutachtens als auch im Rahmen seiner mündlichen Erläuterung ausführlich mit den zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen auseinandergesetzt und diese nachvollziehbar bewertet. Auch auf Nachfragen der Parteien war er in der Lage, seine Argumentation anhand hypothetischer Geschehensabläufe zu überprüfen und die gefundenen Ergebnisse weiter zu erläutern. Angesichts der Bezugnahme auf die ausgewerteten Behandlungsunterlagen und einschlägige Literatur, kann den Ausführungen des Sachverständigen gut gefolgt werden.

2.)

Aber auch ein Aufklärungsfehler der behandelnden Ärzte der Beklagten zu 3), welche eine Ersatzpflicht aus § 823 I BGB nach sich ziehen würde, kann vorliegend nicht festgestellt werden.

Aus der Rüge der Klägerin, dass sie und ihre Angehörigen unstreitig nicht über die Möglichkeit eines Schlaganfalles aufgeklärt worden sind, kann insoweit keine Schadensersatzpflicht der Beklagten zu 3.) hergeleitet werden. Zum einen ist es nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens, dem sich die Kammer anschließt, zu keinem Schlaganfall der Klägerin gekommen. Insofern bedurfte es auch keiner Aufklärung bezüglich der Behandlung eines Schlaganfalls.

Zum anderen zeigt die weitere Argumentation der Klägerin, dass mit ihrem Vortrag im Ergebnis ein Behandlungsfehler gerügt werden soll. Ein solcher liegt – wie dargelegt – nicht vor.

II.

Des Weiteren kann die Klägerin sich nicht bei dem Beklagten zu 2) als diensthabenden Notarzt nach § 823 BGB schadlos halten.

Die Annahme einer durch die Klägerin angeführten persönlichen Haftung des Beklagten zu 2) scheitert vorliegend nach Auffassung der Kammer bereits daran, dass dieser haftungsrechtlich zu privilegieren ist, weil er hoheitlich in Ausführung eines öffentlichen Amtes tätig geworden ist (vgl. Art. 34 GG).

Ist die Wahrnehmung der rettungsdienstlichen Aufgaben sowohl im Ganzen wie im Einzelfall der hoheitlichen Betätigung zuzurechnen, so sind auch etwaige Behandlungsfehler des „Notarztes im Rettungsdiensteinsatz“ nach Amtshaftungsgrundsätzen zu beurteilen (BGH, NJW 2003, 1184).

Ebenso wie in dem vom BGH zu entscheidenden Fall (Bayern) ist auch in Nordrhein-Westfalen der Rettungsdienst öffentlich-rechtlich ausgestaltet. Nach § 2 I RettG NRW umfasst der Rettungsdienst unter anderem die Notfallrettung (Nr. 1) und den Krankentransport (Nr. 2). Die Notfallrettung hat dabei die Aufgabe, bei Notfallpatientinnen und Notfallpatienten lebensrettende Maßnahmen am Notfallort durchzuführen, deren Transportfähigkeit herzustellen und sie unter Aufrechterhaltung der Transportfähigkeit und Vermeidung weiterer Schäden mit Notarzt- oder Rettungswagen oder Luftfahrzeugen in ein für die weitere Versorgung geeignetes Krankenhaus zu befördern, § 2 II 1 RettG NRW. Hierum ging es auch vorliegend, als der Beklagte zu 2) anlässlich einer plötzlichen Ohnmacht der Klägerin zu dieser nach Hause gerufen wurde und diese anschließend auf dem Weg in die Klinik medizinisch betreute.

Für die öffentlich-rechtliche Ausgestaltung spricht zudem noch Folgendes: Nach § 6 I RettG NRW sind die Kreise und kreisfreien Städte als Träger des Rettungsdienstes verpflichtet, die bedarfsgerechte und flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen der Notfallrettung einschließlich der notärztlichen Versorgung im Rettungsdienst und des Krankentransports sicherzustellen. Beide Aufgabenbereiche bilden eine medizinisch-organisatorische Einheit der Gesundheitsvorsorge und Gefahrenabwehr. Hieraus ergibt sich, dass auch in Nordrhein-Westfalen die Frage des Rettungsdienstes ebenfalls der den Ländern obliegenden Gefahrenabwehr zuzuordnen und überdies zur öffentlich-rechtlichen Daseinsfürsorge zu zählen ist (vgl. hierzu zusammenfassend und mit weiteren Nachweisen: Reinert in: BeckOK-BGB, Stand: 01.05.2016, § 839 Rn. 20).

Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte zu 2) – wie in der oben zitierten BGH-Entscheidung aufgeführt – hier nicht auch „im Einzelfall“ einer hoheitlichen Tätigkeit nachgegangen sein soll, sind dem Klägervorbringen nicht zu entnehmen.

Eine Haftung des Beklagten zu 2.) scheidet nach alledem aus.

III.

Die Klägerin hat ferner keinen Anspruch gegen den Beklagten zu 1.) auf Schmerzensgeld- und Schadensersatzzahlungen in der begehrten Höhe gem. § 839 BGB iVm. Art. 34 GG.

Zwar ist der Beklagte zu 1) als Träger des Rettungsdienstes gem. § 6 I RettG NRW passivlegitimiert, jedoch scheitert dessen Inanspruchnahme entsprechend den obigen Erwägungen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme daran, dass keine kausale Pflichtverletzung des Beklagten zu 2) festgestellt werden konnte.

IV.

Mangels Bestehens einer Hauptforderung kann die Klägerin daneben auch nicht die Verzinsung der begehrten Beträge aus §§ 280 I, II, 286, 288 BGB und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangen, §§ 280 I, II, 286 BGB.

Auch unter verzugsunabhängigen Gesichtspunkten – etwa direkt aus § 280 I BGB gegenüber der Beklagten zu 3) – scheidet eine Übernahme der Kosten vorgerichtlicher Tätigkeit aus, da nach oben Gesagtem keine kausale Pflichtverletzung durch die Klägerin nachgewiesen werden konnte.

C)

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 I, 709 S. 1, 2 ZPO.

D)

Das Urteil ist mit Beschluss vom 17.10.2016 berichtigt worden:

Das Rubrum des Urteils der Zivilkammer I des Landgerichts D vom 14.10.2016 wird gemäß § 319 ZPO wegen offenbarer Unrichtigkeit dahingehend berichtigt, dass die Klägerin vertreten wird durch Rechtsanwalt XY aus D.

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