1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagtenseite gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin macht Ansprüche im Zusammenhang mit einer notfallmedizinischen Behandlung geltend.
Die am 21.03.1936 geborene Klägerin verschluckte sich am Sonntag, den 04.02.2018 gegen 12.30 Uhr beim Essen und aspirierte i. W. (bzw. zumindest auch) aus Reiskörnern bestehende Nahrung. Die Schwiegertochter – eine examinierte Kinderkrankenpflegerin – versuchte, das Aspirat mit dem Heimlich-Griff zu lösen, was nicht gelang. Es kam zu vermehrter Schleimbildung.
Der Beklagte wurde als Notarzt mit dem Meldebild „akute Atemnot“ zur Klägerin disponiert. Bei seinem Eintreffen musste die Klägerin ständig husten und konnte nicht mehr richtig sprechen. Der Beklagte stellte die Diagnose „Zustand nach Aspiration mit pulmonaler Insuffizienz“ und notierte im Notarzteinsatzprotokoll u.a.: „HF 98, AF 25, SpO2 ohne O2 92%. Atmung: Dyspnoe, Stridor. Psyche: ängstlich; Erstdiagnose: ´Aspiration Nahrung`; NACA-Score: IV (Lebensgefahr nicht auszuschließen)“.
Die Klägerin litt unter zahlreichen Vorerkrankungen, namentlich: Herzinsuffizienz (NYHA II-III° – HFPEF); koronare Makroangiopathie (2015); geringgradige MI und AI; Carotisatheromatose nicht stenosierend; arterieller Hypertonus; hypertensive Herzerkrankung; chronische Niereninsuffizienz (Stadium 2 NKF); Zustand nach linkshemisphärischer TIA 03/14 mit Aphasie und Hemianopsie a.e. bei zerebraler Makroangiopathie; Depression; Zustand nach Hüft-TEP beidseits.
Der Beklagte stellte die Indikation zur dringlichen Absaugung der aspirierten Nahrung. Zur Durchführung dieser Maßnahme transportierte er die Klägerin mit Sondersignal unter der Gabe von Sauerstoff und Adrenalin mittels Verneblermaske in den Schockraum des Krankenhauses A. Dort kamen sie 12.52 Uhr an. Die Klägerin war orientiert und bewusstseinsklar.
Im Krankenhaus A war der Beklagte zum damaligen Zeitpunkt als Chefarzt tätig. Er ist Facharzt für Innere Medizin mit den Zusatzbezeichnungen Notfallmedizin, Gastroenterologie und Spezielle Internistische Intensivmedizin.
Im Schockraum verabreichte der Beklagte der in Oberkörperhochlagerung befindlichen Klägerin Propofol. Die Klägerin erbrach und die Sauerstoffsättigung fiel ab. Der Beklagte ließ das Anästhesieteam alarmieren, nahm eine Absaugung unter laryngoskopischer Sicht vor und intubierte die Patientin noch vor Eintreffen des Anästhesieteams. Im Aufnahmebogen des Krankenhauses ist notiert: „Reis aspiriert, mit Notarzt ins Krankenhaus. Prof B wollte intubieren und endotracheal absaugen. Während Einleitung Bradykardie + Hypoxie; Rea-Alarm. Einstellung schwierig, da wohl alles mit Speiseresten voll. Im Verlauf weiterhin Kreislaufinstabilität mit Bradykardie (HF-30) Atropin & Hypotonie (Noradrenalin) dann schmalkomplex Tachykardie. Beatmung problemlos. Aspiration mit pulmonaler Insuffizienz + Schock im Rahmen der Intubation.“
Es folgten eine intensivmedizinische Behandlung bis 06.02.2018, eine anschließende stationär-geriatrische Behandlung und schließlich die Entlassung am 15.02.2018.
Die Klägerin behauptet, eine Indikation zur Verabreichung von Propofol habe nicht bestanden. Die Behandlung sei ohne Aufklärung und Einwilligung erfolgt. Erforderliche Vorkehrungen zu ihrer Überwachung seien unterblieben. Der Beklagte habe nicht adäquat auf das Erbrechen reagiert. Folgen seien die Erforderlichkeit der intensivmedizinischen Behandlung, nicht ausschließbar auch ein Dauerschaden.
Die Klägerin beantragt:
I. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen Schäden im Zusammenhang mit der ärztlichen Behandlung vom 04.02.2018 im Krankenhaus A zu erstatten, soweit die Ansprüche nicht bereits auf Sozialversicherungsträger und/oder sonstige Dritte übergegangen sind und/oder noch übergehen werden.
Hilfsweise für den Fall, dass das Gericht von einem fehlenden Feststellungsinteresse der Klägerin und damit der Unzulässigkeit des Feststellungsantrages unter Ziffer I. ausgehen sollte:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.
II. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.295,43 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.
Der Beklagte beantragt: Die Klage wird abgewiesen.
Der Beklagte behauptet, die Analgosedierung mit Propofol sei bei einer endotrachialen Absaugung wegen Fremdkörperaspiration indiziert, um den Würgereiz und vegetative Reflexe, die zu einer Herzkreislaufinstabilität oder zum Erbrechen führen, zu verhindern und das subjektive Erleben des Eingriffs zu dämpfen. Der Beklagte bezieht sich insoweit insbesondere auf die S3-Leitlinie Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DAS-Leitlinie 2015). Bereits in ihrer Wohnung sei der Klägerin im Zusammenhang mit dem Umstand, dass die Klägerin mit in das Krankenhaus A zur Entfernung des Fremdkörpers genommen werden sollte, erläutert worden, dass der Eingriff unter Sedierung stattfinden werde, so dass die Patientin kurz schlafen werde. Hiermit sei die Klägerin ausdrücklich einverstanden gewesen.
Die Kammer hat ein gastroenterologisch-notfallmedizinisches Gutachten eingeholt sowie den Sachverständigen Prof. Dr. R in der mündlichen Verhandlung vom 19.09.2023 angehört. Zu dieser Verhandlung hat die Kammer des Weiteren den anästhesiologischen Sachverständigen Prof. Dr. L geladen, welcher zuvor am 24.06.2020, am 17.01.2023 und am 24.08.2023 Gutachten für das Institut für Rechtsmedizin der Universität München mitverantwortet hatte. Hintergrund dieser Gutachten – wie auch weiterer Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin vom 03.09.2019 und 05.03.2020 -, auf welche sich die Parteien und die Sachverständigen bezogen haben, sowie die Gegenstand der mündlichen Verhandlungen waren, war der von der Staatsanwaltschaft München II erhobene Vorwurf, der Beklagte habe in 15 Fällen ohne Indikation und ohne ausreichende Aufklärung als Notarzt Propofol verabreicht, wodurch es zu gesundheitlichen Schäden der Patientinnen und Patienten gekommen sei; eine Patientin sei kausal aufgrund dieser Medikation verstorben. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen den – zwischen 13.09.2018 bis 05.11.2018 in dieser Sache (sowie wegen der weiteren 14 Fälle der Anwendung von Propofol) in Untersuchungshaft befindlichen – Beklagten beim Landgericht München II – Schwurgericht – erhoben wegen Totschlags in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung in vierzehn tatmehrheitlichen Fällen. Zwischen 18.07.2019 und 10.10.2019 bestand ein vorläufiges Berufsverbot für die Tätigkeit als Arzt; seit 11.10.2019 ist dem Beklagten vorläufig eine berufliche Tätigkeit u.a. im Bereich der Notfallmedizin verboten. Die Kammer hatte die Strafakte des Landgerichts München II mit dem Aktenzeichen 1 Ks 31 Js 18787/18 beigezogen und – insbesondere durch Verwertung von polizeilich protokollierten Aussagen und der darin asservierten Behandlungsunterlagen – zum Gegenstand der mündlichen Verhandlungen gemacht. Weiter hat die Kammer Beweis erhoben durch Anhörung des Facharztes für Innere Medizin, Zusatzbezeichnung Spezielle Internistische Intensivmedizin, Dr. Sl und des Facharztes für Innere Medizin und Pneumologie, Dr. Sp. Wegen des Ergebnisses dieser Sachverständigenbefragungen wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.03.2024 verwiesen. Schließlich hat die Kammer Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugen U, Dr. E, S, M und N. Insoweit wird Bezug genommen auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 19.09.2023, 20.02.2024 und 13.03.2024. Im Hinblick auf die zunächst divergierenden Aussagen der Gutachter des Instituts für Rechtsmedizin einerseits sowie der vom Beklagten beauftragten Privatgutachter und des Gerichtssachverständigen Prof. Dr. R andererseits, hat die Kammer schließlich – entsprechend ihrer Praxis in derartigen Fällen (vgl. BGH NJW 1994, 2419; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht 8. Auflage 2022, Kap. E. Rn. 7) – auch selbst medizinische Literatur zu Rate gezogen. Insoweit wird auf die in der mündlichen Verhandlung vom 19.09.2023 mitgeteilten Fundstellen und die seitens der Kammer aus diesen Fundstellen gezogenen Schlussfolgerungen verwiesen, welche mit Beschluss vom 05.10.2023 mitgeteilt worden sind.
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist im Hauptantrag mangels Feststellungsinteresse unzulässig. Ein Feststellungsinteresse setzt voraus, dass dem Recht oder der Rechtslage eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und das erstrebte Urteil geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (BGH NJW 1992, 436 [437]). Zukunftsschäden sind jedoch nicht zu erwarten (S. 31 des Gutachtens des Prof. Dr. R). Die mit Schriftsatz vom 27.02.2024 klageseits behaupteten fortdauernden Beeinträchtigungen bestehen zur Überzeugung der Kammer nicht bzw. sind zumindest nicht auf die streitgegenständliche Behandlung zurückzuführen. Im Gegenteil: Medizinisch objektivierbare Nachwirkungen der streitgegenständlichen Behandlung gibt es nicht. Soweit schriftsätzlich Ängste, Schlafstörungen und andere Beeinträchtigungen behauptet werden, kann deren Bestehen dahinstehen, sie sind jedenfalls nicht mit der streitgegenständlichen Behandlung in Verbindung zu bringen. Die Klägerin hat im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung angegeben, sie sei froh gewesen, dass der Beklagte ihr geholfen habe; im Krankenhaus sei alles gut gewesen (S. 3 des Protokolls vom 19.09.2023). Von der eigentlichen Komplikation hat sie infolge der Propofolgabe nichts mitbekommen. Im noch während des streitgegenständlichen Krankenhausaufenthalts durchgeführten geriatrischen Assessment konnten keine Auffälligkeiten festgestellt werden, vielmehr war die Klägerin in einer lebensbejahenden Stimmungslage (S. 11 und 25 des Gutachtens des Prof. Dr. R vom 28.01.2023; vgl. Bl. 104 des Sonderbands M U L der Strafakte bzw. S. 411 in der PDF-Version). In den Aufzeichnungen des Hausarztes der Klägerin finden sich keine Hinweise, die auf verbliebene negative Auswirkungen des gesamten Vorfalls hindeuten (S. 8 und 25 des Gutachtens des Prof. Dr. R vom 28.01.2024). Von einer Traumatisierung infolge Aufenthalts auf der Intensivstation kann keine Rede sein.
Ein Feststellungsinteresse darf auch nicht etwa deshalb als wahr unterstellt werden, weil doppelt relevante Tatsachen im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit eines Antrags außer Betracht zu bleiben haben. Denn für die Begründetheit des Feststellungsantrags kommt es bei Verletzung eines absolut geschützten Rechtsguts gerade nicht darauf an, ob die Wahrscheinlichkeit eines weiteren Schadens angenommen werden kann (BGHZ 216, 149 Rn. 49; vgl. zum Streitstand Geigel/Bacher, Haftpflichtprozess, 28. Auflage 2020, ZPO §§ 257-304 Rn. 35).
II. Im Hilfsantrag ist die Klage zulässig, aber unbegründet. Der Klägerin stehen weder unter vertraglichen, noch unter deliktischen Gesichtspunkten Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten zu.
Die Kammer hat sich sachverständig durch Prof. Dr. R, Prof. Dr. L, Dr. Sl und Dr. Sp beraten lassen.
Im Rahmen der Beweisaufnahme hat sich die Kammer, wie vom Bundesgerichtshof gefordert (VersR 1996, 647; NJW 2016, 639, 640), mit den vorgelegten Privatgutachten und den für die Staatsanwaltschaft erstellten Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin ebenso sorgfältig auseinandergesetzt, wie mit den Ausführungen der drei seitens der Zivilkammer beauftragten Sachverständigen. Obwohl dies teilweise unter dem Schlagwort der „fachgleichen Begutachtung“ suggeriert wird, kommt es bei der Auswahl der erforderlichen Sachkunde grundsätzlich weniger auf den formalen Ausbildungsstand des beklagten Arztes an, als vielmehr auf das Fachgebiet, dem die Behandlung zuzuordnen ist (BGH VersR 2018, 935 (937)). Gerade für die notärztliche Tätigkeit lässt sich indes ein einheitlicher notfallmedizinischer Standard nicht ohne Weiteres bestimmen. Bei Verfahren der Analgesie, Sedierung und der Notfallnarkose handelt es sich freilich um Standardverfahren, die jeder Notarzt beherrschen muss. Indes setzt die Tätigkeit als Notarzt gemäß Abschnitt C. Ziff. 33 der Weiterbildungsordnung der Bayerischen Landesärztekammer neben einer ärztlichen Approbation, klinischer Erfahrung – auch in den Bereichen Intensivmedizin, Anästhesiologie oder Notfallaufnahme – die Teilnahme an einem 80-stündigen Kurs in Notfallmedizin und an 50 Einsätzen sowie ständige Fortbildungen gem. Art. 44 Abs. 2 BayRDG (i.V.m. §§ 3, 4 der Satzung über den Nachweis zu erfüllender Fortbildungspflicht von Ärzten im öffentlichen Rettungsdienst der Bayerischen Landesärztekammer) voraus; die Qualifikation zum Notarzt bringt also nicht die Fähigkeit mit sich, bei jedwedem Notfallpatienten sämtliche denkbaren Erkrankungen kurativ in einer Weise zu behandeln, wie es ein Arzt der einschlägigen Fachrichtung könnte. Nachdem ohnedies anerkannt ist, dass Patienten auch den Einsatz spezieller Fähigkeiten erwarten können, über die ein Arzt über seine Zugehörigkeit zu dem im konkreten Fall einschlägigen Fachgebiet hinaus verfügt (BGH NJW 1987, 1479 f.), kommt es bei Notfallbehandlungen daher durchaus darauf an, bei der Anwendung welcher Verfahren, deren Einsatz potentiell in Betracht kommt, der anwesende Arzt besondere Erfahrungen hat. Nicht anders stellt sich die Situation in der Notaufnahme eines ländlichen Krankenhauses dar, zumal im Rahmen der Behandlung von Notfallpatienten an einem Wochenende wie hier. Sofern weder HNO-Ärzte noch Pneumologen vor Ort sind oder rechtzeitig hinzugezogen werden können, kann eine besondere Expertise eines Gastroenterologen in der Anwendung von Propofol, die mit seiner endoskopischen Erfahrung zusammenhängt, durchaus auch für die Bestimmung des geschuldeten Standards relevant sein. Dieser Aspekt führte zur Auswahl des Sachverständigen Prof. Dr. R, welcher in den Bereichen Gastroenterologie und Notfallmedizin über ein äußerst großes Erfahrungsspektrum und hervorragende Expertise verfügt. Soweit nicht ein sofortiges Eingreifen erforderlich war und sich der Beklagte mithin ohne Not auf pneumologisches Fachgebiet begeben hat, schuldete er darüber hinaus pneumologischen Facharztstandard, weshalb die Kammer den Chefarzt der pneumologischen Abteilung Dr. Sp hinzugezogen hat, welcher infolge einer früheren Tätigkeit in der Anästhesie über zusätzliche Expertise im Bereich des Atemwegsmanagements verfügt. Aufgrund seiner diesbezüglichen Qualifikation schuldete der Beklagte darüber hinaus die Einhaltung der Standards, die von einem Internisten mit der Zusatzbezeichnung Spezielle Internistische Intensivmedizin erwartet werden konnten, weshalb die Kammer schließlich auch den Ärztlichen Direktor der M-Klinik hinzugezogen hat, der Chefarzt der dortigen Abteilung für Innere Medizin ist sowie über die Zusatzbezeichnungen Notfallmedizin und Spezielle Internistische Intensivmedizin verfügt.
Dabei haben alle diese Sachverständigen zweifelsfrei eine herausragende Qualifikation und Expertise. Namentlich ist in Bezug auf Prof. Dr. R auf die Darstellungen zu seiner eigenen Person auf S. 2-3 seines Gutachtens zu verweisen, aus denen sich bereits ergibt, dass die Notfallmedizin der absolute berufliche Schwerpunkt des Sachverständigen ist; der Sachverständige ist dem Vorsitzenden zudem aus einer gemeinsamen Tätigkeit im Rahmen der Notarztausbildung persönlich bekannt und er verfügt über eine exzellente wissenschaftliche Expertise. Prof. Dr. L war ebenfalls notfall- und intensivmedizinisch tätig (vgl. die in der Verfügung vom 06.09.2023 enthaltenen Informationen über das Telefonat des Vorsitzenden mit dem Facharzt für Rechtsmedizin Dr. F zu der Qualifikation der Ersteller der rechtsmedizinischen Gutachten). Der Sachverständige Dr. Sl ist nicht nur Facharzt für Innere Medizin, sondern verfügt auch über die Zusatzbezeichnungen Notfallmedizin und Spezielle Internistische Intensivmedizin. Er erstattet der Kammer seit Jahren Gutachten zur innerklinischen internistischen Behandlung insbesondere von Notfall- und Intensivpatienten. Er hat im Rahmen dieser Tätigkeit stets ausgesprochen sorgfältige und überzeugende Gutachten erstattet, die allen kritischen Nachfragen der Beteiligten immer standgehalten haben. Dr. Sl hat sich dabei zu keinem Zeitpunkt gescheut, grobe Behandlungsfehler als solche zu benennen. In etlichen von ihm bearbeiteten Fällen hat die Kammer auf Grundlage seiner fundierten Ausführungen eine Haftung festgestellt (was meist zu einer Verfahrensbeendigung durch Vergleich geführt hat, aber tlw. auch durch Urteil – vgl. z.B. das veröffentlichte Urt. v. 10.05.2022 – 1 O 4395/20 Hei, MedR 2022, 930 ff.). Der Sachverständige Dr. Sp, der ebenso wie Prof. Dr. R und Dr. Sl als Chefarzt tätig ist, hat der Kammer schließlich die notwendige pneumologische Expertise vermittelt, um den Rechtsstreit entscheiden zu können. Er hat – ebenso wie Dr. Sl – sämtliche ihm gestellten Fragen wohlüberlegt, in Bezug auf alle denkbaren unterschiedlichen Anknüpfungstatsachen differenziert und vollkommen überzeugend beantwortet; er war der Kammer von dem pneumologischen Sachverständigen ihres Vertrauens, PD Dr. F (welcher im vorliegenden Fall wegen einer Bekanntschaft zum Beklagten als Gutachter nicht in Betracht kam), als angesehener pneumologischer Chefarzt und souveräner Gutachter empfohlen worden (vgl. Verfügung vom 10.01.2024).
Die durchgeführte Beweisaufnahme hat ergeben:
1. Ansprüche wegen einer nicht den Anforderungen entsprechenden notärztlichen Versorgung macht die Klägerin nicht geltend und sind in der Sache nicht ersichtlich. Vielmehr hat der Sachverständige Dr. Sl nachvollziehbar ausgeführt, dass sich der Beklagte zutreffend zu einem abwartenden Vorgehen und einem Transport in die Klinik entschieden hat (S. 10 des Protokolls vom 13.03.2024). Zuletzt wäre der Beklagte für derartige Ansprüche auch nicht passivlegitimiert. Aufgrund der in Bayern hoheitlich organisierten Notfallrettung gem. Art. 1 ff. BayRDG läge insoweit ein Fall der Amtshaftung vor und die Passivlegitimation läge beim Träger des Rettungs- und Notarztdienstes, hier dem Zweckverband für Rettungsdienst- und Feuerwehralarmierung (BGH GesR 2004, 515).
2. Auch bestehen keine Ansprüche der Klägerin gegen den Beklagten wegen der Behandlung im Krankenhaus A.
Zwar liegt die Passivlegitimation insoweit durchaus beim Beklagten. Der Beklagte haftet zwar nicht aus Behandlungsvertrag, welcher mit der Klinik zustande gekommen ist, jedoch hat er sein eigenes Handeln unter deliktischen Gesichtspunkten zu verantworten. Seine Argumentation, es liege ein verlängerter Notarzteinsatz vor und er sei in seiner Eigenschaft als Notarzt tätig geworden, vermag nicht zu überzeugen. Im vorliegenden Fall kann das Handeln des Beklagten nur entweder ein – der Amtshaftung (BGH GesR 2004, 515) unterfallendes – Handeln als Notarzt, ein zur persönlichen Haftung führender Amtsträgerexzess (wie beim Schusswaffengebrauch eines Polizisten außerhalb des Dienstes z. B. im Fall eines Eifersuchtsmordes – BeckOK BGB/Reinert, 61. Ed. 1.2.2022, BGB § 839 Rn. 51) oder ein Handeln als Klinikarzt darstellen. Der Beklagte war angestellter Chefarzt im Krankenhaus A und er hat sich räumlicher und sachlicher Mittel des Krankenhauses zur Behandlung der Patientin bedient. Die Behandlung der Patientin nach Betreten der Räume des Krankenhauses war Aufgabe der Klinikärzte und nicht mehr (hoheitliche) Aufgabe des Notarztes, welche sich von Gesetzes wegen auf die präklinische Notfallrettung beschränkt (vgl. Art. 2 Abs. 3 S. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 2 S. 1 und 3 BayRDG). Es nach Kenntnis der Kammer als Arzthaftungskammer und aufgrund der Tätigkeit des Vorsitzenden als Ausbilder für Notärzte (u.a. in Bezug auf die Organisation des Rettungsdienstes) nicht unüblich, dass Notärzte in ihrer einsatzfreien Zeit Aufgaben als Klinikärzte wahrnehmen. Viele Notarzteinsatzfahrzeuge sind an Krankenhäusern stationiert; in diesen Fällen werden die Notärzte häufig vom Krankenhaus zum Notarztdienst eingeteilt und die Grundvergütung für die Bereitstellung des Notarztes erhält nicht dieser, sondern das Krankenhaus (vgl. auch Drucksache 18/5043 des Bayerischen Landtages, S. 3). In der einsatzfreien Zeit haben diese Notärzte oft ihrer Dienstverpflichtung als Krankenhausärzte nachzukommen. Zwar liegen keine Erkenntnisse vor, ob entsprechende Vereinbarungen auch im vorliegenden Fall galten. Von entscheidender Bedeutung ist aber die Üblichkeit einer anderweitigen ärztlichen Tätigkeit von Notärzten in der einsatzfreien Zeit. Aufgrund dieses Umstands lässt die Behandlung der Klägerin während der Dienstzeit des Beklagten als Notarzt nicht darauf schließen, er hätte die streitgegenständliche Behandlung auch in seiner Eigenschaft als Notarzt durchgeführt. Die Behandlung kann der Beklagte gleichermaßen auch als Klinikarzt vorgenommen haben. Hinzu kommt, dass die Staatshaftung kraft Amtshaftung gemäß Art. 34 GG iVm § 839 BGB voraussetzt, dass der Amtswalter in Ausübung eines öffentlichen Amtes gehandelt hat. Dabei muss entscheidend darauf abgestellt werden, ob die eigentliche Zielsetzung, in deren Sinn die Person tätig wurde, dem Bereich hoheitlicher Betätigung zuzurechnen ist und ob zwischen dieser Zielsetzung und der schädigenden Handlung ein solcher Zusammenhang besteht, dass letzterer ebenfalls noch als dem Bereich der hoheitlichen Betätigung angehörend angesehen werden muss. Nimmt die Verwaltung ein Rechtsinstitut des öffentlichen oder des privaten Rechts in Anspruch, so kann darin idR das prägende Merkmal gesehen werden (BeckOK BGB/Reinert, 61. Ed. 1.2.2022, BGB § 839 Rn. 17 m.w.N.). Im Rahmen rettungsdienstlicher Einsätze ist entscheidend, ob Aufgaben eines – wie in Bayern – hoheitlich organisierten Rettungsdienstes wahrgenommen werden (BeckOK BGB/Reinert, 61. Ed. 1.2.2022, BGB § 839 Rn. 38). Nach den vorstehend zitierten Normen des BayRDG ist es Aufgabe des Rettungs- und Notarztdienstes in Bayern, Notfallpatienten präklinisch zu versorgen und anschließend in eine Klinik zu transportieren. Die Versorgung von Notfallpatienten in der Klinik ist hingegen Aufgabe der Klinik. Im vorliegenden Fall kann das Verhalten des Beklagten auch nicht so interpretiert werden, dass er ausnahmsweise als Notarzt – ohne hierzu beauftragt und berechtigt zu sein – eine Patientenbehandlung innerhalb einer Klinik wahrgenommen hat. Vielmehr war er berechtigt, die Klägerin als Klinikarzt zu versorgen und hat dies auch getan. Die seitens des Beklagten vorgebrachte Interpretation, der Beklagte habe den überforderten Assistenzarzt unterstützt, würde auch kein notärztliches Tätigwerden darstellen. Selbst wenn – was nicht anzunehmen ist – der Beklagte insoweit als Erfüllungsgehilfe und nicht als Vorgesetzter des Assistenzarztes tätig geworden wäre, wäre auch dies nicht eine notärztliche Tätigkeit gewesen.
Indes bestehen Ansprüche der Klägerin wegen ihrer Behandlung in der Klinik der Sache nach nicht.
a) Ansprüche unter dem Gesichtspunkt des klageseits geltend gemachten Behandlungsfehlers sind gem. § 823 Abs. 1, 2 BGB, 229 StGB nicht gegeben.
aa) Zwar war es fehlerhaft, dass der Beklagte der Klägerin im Schockraum Propofol verabreicht hat, um die aspirierten Reiskörner unter laryngoskopischer Sicht abzusaugen.
(1) Zum zugrunde zu legenden Sachverhalt:
(a) In Anbetracht der Angaben der Klägerin, der Zeugin U – welche zunächst durch Anwendung des Heimlich-Handgriffs das Aspirat zu beseitigen versuchte – und des dokumentierten Verlaufs besteht kein Zweifel, dass die Patientin initial unter erheblicher Luftnot litt und Erstickungsangst hatte (vgl. S. 2 des Protokolls vom 19.09.2023). Allerdings haben sich Angst und Luftnot zeitnah zurückgebildet. Bereits ab Eintreffen des Beklagten bis zu Beginn seiner Intervention im Schockraum war die Patientin – wie der Beklagte selbst berichtet hat (S. 6 des Protokolls vom 19.09.2023) – freundlich und zugewandt. Die Zeugin S hat glaubhaft bekundet, dass es möglich war, sich mit der Patientin zwischen Rettungswagen und Schockraum sogar scherzhaft zu unterhalten. So sei davon die Rede gewesen, dass die Fahrt schnell gewesen wäre, es seien die Worte „Frau am Steuer“ gefallen sowie sowohl die Notfallsanitäterin S wie auch die Patientin hätten gelacht. Die Zeugin vermochte hinsichtlich der Vitalparameter – wenn zwar nicht in Bezug auf exakte Zahlenwerte, so doch hinsichtlich der Größenordnung – sehr sicher anzugeben, was sie noch in Erinnerung hatte. Allein die Art der aspirierten Nahrung war der Zeugin nicht mehr präzise in Erinnerung (Nudel statt Reis); ferner hatte die Zeugin glaubhaft noch unpathologische Sättigungswerte sicher in Erinnerung (während die von ihr erinnerten Zahlenwerte mit ihren Angaben im Rahmen der polizeilichen Vernehmung nicht exakt in Kongruenz zu bringen waren, vgl. S. 5 des Protokolls vom 13.03.2024). Die Zeugin konnte sich an eine vermehrte Schleimbildung erinnern. Spontan hat die Zeugin angegeben, dass der Einsatz der Atemhilfsmuskulatur nicht zu bemerken gewesen sei. An Heiserkeit konnte sich die Zeugin nicht erinnern, wollte sie sowie eine angestrengte Atmung jedoch auch nicht ausschließen (vgl. S. 2-6 des Protokolls vom 13.03.2024). Die wiederholte Befragung der Zeugin seitens des Beklagtenvertreters Dr. H nach Kontakten mit der Klageseite zwischen dem Vorfall und ihrer Aussage entbehrte bei vernünftiger Betrachtung nachvollziehbarer Anhaltspunkte in diese Richtung und kann nur entweder auf – aus Sicht der Kammer – abstrusen Verschwörungsgedanken oder dem Versuch beruht haben, die Zeugin einzuschüchtern.
(b) Die Kammer geht davon aus, dass auch noch im weiteren Verlauf und insbesondere im Schockraum der Speichelfluss bei der Patientin verstärkt war – wie dies von zahlreichen Beteiligten berichtet wurde, u.a. der Schwiegertochter der Patientin (Zeugin U, S. 9 des Protokolls vom 19.09.2023) und der Notfallsanitäterin S (S. 4 des Protokolls vom 13.03.2024: „viel Schleim“) – sowie eine (wohl nur: leicht) angestrengte Sprache und Heiserkeit zu bemerken waren (wie vom Zeugen Dr. E berichtet, vgl. S. 3 des Protokolls vom 20.02.2024).
Während an vermehrtem Speichelfluss nicht im Ansatz Zweifel bestehen, ist die Kammer zwar vom Vorliegen von Heiserkeit und angestrengter Sprache – weil allein vom Zeugen Dr. E erinnert – nicht restlos überzeugt; indes sind diese für den Beklagten günstigen Umstände nach Beweislastgrundsätzen zu seinen Gunsten zu unterstellen, weil ihr Gegenteil nicht erwiesen ist. Der Beklagte selbst hat zwar derartige Symptome nicht explizit behauptet, sich diese Schilderungen des Zeugen Dr. E jedoch durch Antragstellung nach Abschluss der Einvernahme des Zeugen Dr. E vom 20.02.2024 konkludent zu eigen gemacht; dem steht nicht entgegen, dass der Beklagte selbst bei seiner Anhörung diese Symptome nicht schon von sich aus genannt hat – bereits bei seiner polizeilichen Vernehmung hatte der Beklagte kaum noch Erinnerung an den streitgegenständlichen Sachverhalt (vgl. S. 4 und 11 der Beschuldigtenvernehmung vom 13.09.2018, Bl. 169 und 176 der Strafakte = S. 182 und 189 der PDF-Version), erst recht gilt das für die 5 Jahre später erfolgte Anhörung vor der Zivilkammer. Dabei ist auch nicht entsprechend § 630h Abs. 3 BGB deshalb vom Fehlen derartiger Symptome auszugehen, weil diese nicht dokumentiert sind. Wie der Sachverständige Dr. Sp überzeugend ausgeführt hat, wäre die Dokumentation derartiger Symptome zwar wünschenswert, in der Praxis aber weder durchgängig üblich und machbar, noch – und das ist entsprechend § 630f BGB entscheidend – für die Weiterbehandlung der Patientin von Relevanz. Heiserkeit und eine gewisse Anstrengung beim Sprechen sind auch nicht deshalb unwahrscheinlich, weil die Zeugin S spontan und vollkommen glaubhaft angegeben hat, eine „Hilfsatmung“ sei nicht zu beobachten gewesen. Als notfallmedizinisch geschulte und erfahrene Sanitäterin hat die Zeugin selbstverständlich in erster Linie die vital relevanten Parameter im Blick; zwischen dem Einsatz der Atemhilfsmuskulatur, zu welchem es bei einem Hindernis in einer für die ausreichende Ventilation der Lunge relevanten Größe kommt, sowie Heiserkeit und angestrengter Sprache, welche bereits auf einem unangenehmen kleineren Fremdkörper im Bereich des Rachens bis zu den Stimmritzen hin beruhen kann, besteht ein erheblicher qualitativer Unterschied.
Auch aus sachverständiger Sicht war die Annahme des Beklagten, die Patientin leide subjektiv unter Luftnot, zumindest mit den initialen Befunden plausibel in Einklang zu bringen (vgl. die Einschätzung der Sachverständigen Dr. Sl und Dr. Sp, S. 10 und 11 des Protokolls vom 13.03.2024).
(2) Auf dieser Grundlage war das Vorgehen des Beklagten fehlerhaft. Es bestand keinerlei Indikation zur Absaugung unter laryngoskopischer Sicht. Bei Fehlen objektivierbarer Anzeichen von Atemnot stellen weder eine subjektive Luftnot, noch Heiserkeit, Speichelfluss und ein erschwertes Sprechvermögen Kriterien dar, die eine solche Intervention bei einer nicht nüchternen Patientin zu rechtfertigen vermögen, denn die Gefahr einer hiermit eingehenden Aspiration von Mageninhalt ist weit gravierender als die von den bereits aspirierten Fremdkörpern ausgehende Gefahr einer Verschlechterung oder einer Pneumonie, weil bei einer Aspiration von Erbrochenem neben der Nahrung auch saurer Magensaft in die Lunge käme, der weitaus schädlicher wäre, als Speisebestandteile, die zuvor noch nicht im Magen waren. Heiserkeit, Speichelfluss, ein erschwertes Sprechvermögen und vor allem ein Fremdkörpergefühl sind äußerst unangenehm, stellen aber in objektiver Hinsicht keine ausreichende Grundlage für ein Absaugen unter Propofolgabe dar. Auch das mit einer solchen Situation verbundene subjektive Leid rechtfertigt eine solche Intervention nicht; ihm kann man mit Zusprache, Sauerstoffgabe sowie evtl. einer leichten Anxiolyse oder Sedierung begegnen; ein Mehr an Invasivität lässt sich erst vertreten, wenn es zu einer Verschlechterung kommt, eine vitale Bedrohung eintritt oder nach einer Phase des Abwartens Nüchternheit durch Zeitablauf eingetreten ist, zumal die Klägerin wegen Alter, Vorerkrankung und fehlender Nüchternheit eine Hochrisikopatientin war. Spätestens nach dem Eintritt von Nüchternheit wäre nach dem pneumologischen Facharztstandard zwar auf jeden Fall eine Bronchoskopie durchzuführen gewesen, zu deren Durchführung der Einsatz von Propofol probat und üblich ist. Sofern sich der Zustand der Patientin nicht verschlechtert oder eine vitale Gefährdung entwickelt hätten, wäre regelhaft der Zeitpunkt der Nüchternheit abgewartet worden. Wenn trotz der entsprechenden, vorbeschriebenen Maßnahmen subjektives Leid der Patientin noch über einen längeren Zeitraum anhält, kann evtl. schon eine Bronchoskopie vor Eintritt von Nüchternheit erfolgen, aber erst nach einer Intubation unter kontrollierten Bedingungen, der wiederum – sofern nicht ein Akutereignis sofortiges Handeln erforderlich macht, was hier nicht der Fall war – eine Präoxygenierung der Patientin vorauszugehen hat. In keinem Fall kommt die – hier vom Beklagten beabsichtigte – Absaugung nach Propofolgabe ohne zwischenzeitliche Platzierung eines Endotrachealtubus in Betracht.
Die vorstehend beschriebenen Standards hätte ein Pneumologe eingehalten; ihre Einhaltung konnte aber auch gleichermaßen von einem Gastroenterologen mit den Zusatzqualifikationen Notfallmedizin und Spezielle Internistische Intensivmedizin erwartet werden – wenngleich die Durchführung einer Bronchoskopie durch einen Gastroenterologen mit derartigen Zusatzbezeichnungen ohne auch die Zusatzqualifikation zum Pneumologen vor Eintritt der Nüchternheit nur wegen subjektiver Atembeschwerden ohne objektive Anzeichen einer Ventilationsstörung sowie ohne Abwarten des Eintritts von Nüchternheit schon grenzwertig wäre (vgl. die Ausführungen der Sachverständigen Dr. Sl und Dr. Sp auf S. 9-13 des Protokolls vom 13.03.2024).
(3) Die Kammer ist von diesem Standard überzeugt, weil er in jeder Hinsicht nachvollziehbar von den Sachverständigen Dr. Sl und Dr. Sp erläutert worden ist. Dr. Sl hat sich hierbei insbesondere auf ein Repetitorium für Internistische Intensivmedizin bezogen, welches den vom Beklagten im Jahr 2018 geschuldeten Standard sehr zutreffend beschreibe (vgl. S. 9/10 des Protokolls vom 13.03.2024). Dass sich eine schwere Obstruktion, die eine sofortige Intervention erfordert, dadurch erkennen lässt, dass ein Patient auf Ansprache weder antwortet, hustet, noch atmet, leuchtet gleichermaßen ein wie die Feststellung, dass eine solche schwere Obstruktion im vorliegenden Fall nicht im Ansatz im Raum stand. Dass die Ausschaltung der Schutzreflexe mit erheblichen Risiken für eine nicht nüchterne Patientin verbunden ist, deren Inkaufnahme nur bei Vorliegen einer anderen gravierenden Gefahr – insbesondere in Form einer klinisch relevanten Beeinträchtigung der Atmung – akzeptiert werden kann, ist vollkommen überzeugend. Diese Ausführungen stehen zudem im Einklang mit der von der Kammer recherchierten, in der Verhandlung vom 19.09.2023 diskutierten und in das Verfahren darüber hinaus mit Beschluss vom 05.10.2023 eingeführten Literatur (Michael et al., „A-Probleme des nicht traumatologischen Schockraummanagements“, Notfall Rettungsmed 2021 – 24, S. 230).
Soweit Prof. Dr. R in seinem schriftlichen Gutachten zu dem Ergebnis gekommen war, das Handeln des Beklagten habe dem Facharztstandard entsprochen, führt die Kammer dies in erster Linie darauf zurück, dass er von anderen Anknüpfungstatsachen ausgegangen ist. Namentlich hat er eine akute Bedrohungslage deshalb angenommen, weil der Beklagte im Notarzteinsatzprotokoll angegeben hat, es habe eine drohende Lebensgefahr bestanden und weil der Transport in die Klinik mit Sondersignal erfolgt sei (S. 21 des Gutachtens des Prof. Dr. R); dabei hatte der Sachverständige Prof. Dr. R vollkommen zutreffend angemerkt, dass alle zur Bewertung des Sachverhalts relevante Erkenntnisquellen noch gar nicht ausgeschöpft gewesen seien, insbesondere weil der ebenfalls anwesende Assistenzarzt noch nicht vernommen worden war (S. 28 des Gutachtens), was die Kammer im weiteren Verlauf des Verfahrens nachgeholt hat. Zuletzt hat der Sachverständige die Angabe der Patientin für maßgeblich erachtet, es sei eine „mords Anstrengung“ zu atmen gewesen. Diese Wertung im schriftlichen Gutachten ist nicht zu beanstanden, weil die Klägerin zum Zeitpunkt der Erstattung des Gutachtens noch nicht von Seiten der Zivilkammer vernommen worden war und die damals nur vorliegende polizeiliche Vernehmung abgesehen von der Angabe der Klägerin, sie sei froh über das Eintreffen im Krankenhaus gewesen, keine relevanten Informationen über den Verlauf enthält (“Eigentlich erinnere ich mich an nichts mehr“) und insbesondere nicht auf eine relevante Besserung bis zum Eintreffen im Krankenhaus schließen ließ. Erst im Verhandlungstermin vom 19.09.2023, in welchem der Beklagte selbst angehört worden ist und angegeben hat, die Patientin sei bereits ab seinem Eintreffen und danach gleichbleibend freundlich und zugewandt gewesen (S. 6 des Protokolls), hat sich in aller Deutlichkeit ergeben, dass zivilprozessual nicht im Ansatz von einer von Anfang an unverändert bestehenden eklatanten Luftnot ausgegangen werden kann. Konsequenterweise hat Prof. Dr. R die resümierende Bewertung in seinem schriftlichen Gutachten nicht uneingeschränkt aufrechterhalten, sondern mitgeteilt, dass die rein ärztlicherseits dokumentierten Befunde nicht allein ausreichen, um ausreichende Kriterien zu erkennen, um definitiv die Indikation für die getroffene Maßnahme festzustellen (S. 15 des Protokolls vom 19.09.2023).
Sowohl im schriftlichen Gutachten wie auch im Rahmen seiner Anhörung hatte Prof. Dr. R noch die Gefahr einer Pneumonie durch die aspirierte Nahrung thematisiert; in diesem Punkt ist indes die Einschätzung von Dr. Sl und dem vor allem fachlich zur Äußerung auf diese Thematik berufenen Dr. Sp überzeugend, dass eine mögliche Aspiration von Erbrochenem auf Grundlage der Ausschaltung der Schutzreflexe eine viel größere Gefahr darstellt, als wenn sich zuvor noch nicht in den Magen gelangte Nahrung in den Atemwegen befindet, weil eine besondere Aggressivität für die Bronchien von Seiten des sauren Magensafts ausgehe (vgl. S. 14 des Protokolls vom 13.03.2024).
Schließlich bestand eine Divergenz zwischen Prof. Dr. R und dem ebenfalls am 19.09.2023 angehörten Prof. Dr. L noch insoweit, als Prof. Dr. R eine sofortige Absaugung auch dann für indiziert hält, wenn der Patient unter subjektiver Luftnot leide, weil das zu Angst führe. Der Sachverständige Prof. Dr. R hat indes zugleich mitgeteilt, dass dieses Kriterium nicht in den Leitlinien zu finden, sondern nur seine persönliche Meinung sei (S. 11 des Protokolls vom 19.09.2023). Zudem haben die Sachverständigen Dr. Sl und Dr. Sp nachvollziehbar mitgeteilt, dass es primär geboten sei, die unangenehmen Empfindungen eines Patienten in einer solchen Situation durch Ansprache, Sauerstoffgabe und ggf. eine medikamentöse Anxiolyse oder leichte Sedierung zu adressieren (vgl. S. 11 und 14 des Protokolls vom 13.03.2024). Subjektive Luftnot rechtfertigt bei fehlenden objektivierbaren Zeichen einer Atemnot daher eine invasive Intervention beim nicht nüchternen Patienten jedenfalls so lange nicht, so lange weniger gefährdende Maßnahmen zur Linderung des subjektiven Leidens noch nicht zur Anwendung gebracht wurden.
Soweit Prof. Dr. R nach seiner Anhörung noch Materialien per E-Mail übersandt hat und der Beklagte mit Schriftsatz vom 03.01.2024 eine Publikation eingereicht hat, vermögen diese an dem gefundenen und nachfolgend von den Sachverständigen Dr. Sl und Dr. Sp noch differenzierter dargestellten Ergebnis ebenfalls nichts zu verändern. Die mit E-Mail vom 05.10.2023 übersandte Stellungnahme differenziert ebenso wenig wie die seitens des Beklagten eingereichte Publikation nach der Schwere der Atembeeinträchtigung. Für die Einzelheiten wird auf die Verfügungen vom 06.10.2023 und 09.01.2024 Bezug genommen.
Aus demselben Grund vermögen auch die seitens des Beklagten vorgelegten Privatgutachten eine andere Einschätzung nicht zu rechtfertigen: Auch diese gehen auf die gebotenen Maßnahmen bei einer klinisch relevanten Beeinträchtigung der Atmung ein, nicht aber auf die hier zur Überzeugung der Kammer vorliegende Situation. Im Übrigen hält auch der für den Beklagten als Privatgutachter tätige Anästhesist und Internist Dr. Bk eine Bronchoskopie unter Sedierung bei Aufrechterhaltung der Schutzreflexe für veranlasst (S. 12 seines Gutachtens vom 15.06.2020), nicht aber eine Absaugung unter Ausschaltung der Schutzreflexe – was für den Fall einer relevanten Beeinträchtigung der Atmung von den Sachverständigen Dr. Sl und Dr. Sp ebenso gesehen wurde. Auch der für den Beklagten gleichfalls als Privatgutachter tätige Prof. Dr. G geht von dem Ziel einer Bronchoskopie aus (S. 3 seines Gutachtens = Bl. 868 der Ermittlungsakte) und beschreibt auf S. 4 die Bronchoskopie ebenfalls als Mittel der Wahl. Auch in der Literatur wird als adäquates Vorgehen bei einer Fremdkörperaspiration die Bronchoskopie beschrieben (Hien, Praktische Pneumologie, 2. Aufl. 2012, S. 46 f.). Die hier vom Beklagten beabsichtigte Absaugung unter Propofolgabe war – mit den klaren Worten des pneumologischen Sachverständigen Dr. Sp – schlichtweg „sinnfrei“ (vgl. S. 14 des Protokolls vom 13.03.2024).
bb) Weitere Behandlungsfehler vermochte die Klägerin nicht nachzuweisen.
(1) Eine Überwachung mittels EKG, Blutdruckmessung und Pulsoximetrie trägt die Klägerin selbst vor (S. 8 ihres Schriftsatzes vom 18.08.2022); diese Überwachung war ausreichend (S. 22 und 29 des Gutachtens des Prof. Dr. R). Auf die Dokumentation (vgl. die diesbezüglichen Rügen des Sachverständigen Prof. Dr. R auf S. 25/26 seines Gutachtens) kommt es mithin nicht an.
(2) Dass das Notfallteam nach Angaben eines Mitarbeiters der Notaufnahme schon nach einer Minute eintraf und dann jedoch nicht mehr benötigt wurde (wie selbst seitens der Klägerin vorgetragen, siehe S. 9 des klägerischen Schriftsatzes vom 18.08.2022), belegt das erfolgreiche Komplikationsmanagement, auch insoweit kann dem Beklagten also kein Vorwurf gemacht werden (S. 24 und 29 des Gutachtens des Prof. Dr. R).
(3) Inwiefern das Pflegepersonal ausreichend geschult war für eine Assistenz bei der endotrachealen Absaugung unter Propofolgabe, kann im Hinblick auf die Anwesenheit eines zweiten Arztes dahinstehen (S. 26/27 des Gutachtens des Prof. Dr. R). Im Übrigen hat der Zeuge M bekundet, dass er über die Qualifikation als Fachkrankenpfleger für Notfallpflege verfügt. Soweit das Institut für Rechtsmedizin von unzureichender Assistenz ausgeht, weil nur nicht weiter ausgebildetes bzw. koordiniertes Personal vor Ort war (S. 13 des Schriftsatzes vom 29.03.2023), berücksichtigt es weder die Anwesenheit eines zweiten Arztes noch des Fachpflegers. Dem Beklagten war die Qualifikation des Pflegers zwar nicht bewusst und bei korrektem Vorgehen hätte er sich vorab über die anwesenden personellen Ressourcen informiert. Indes hat sich dies offensichtlich in keiner Weise auf die Abläufe ausgewirkt, denn die Beherrschung der Komplikation gelang dem Beklagten mit den vorhandenen Ressourcen offensichtlich suffizient, denn ohne dass Erbrochenes in die Bronchien gelangte (vgl. hierzu unten Punkt cc) (1) (d)), hatte er die Klägerin – wie vorstehend unter Punkt (2) ausgeführt – bei Eintreffen des Anästhesieteams bereits endotracheal intubiert.
cc) Der Klägerin ist aus der seitens des Beklagten fehlerhaft durchgeführten Intervention kein Schaden entstanden.
(1) Beweiserleichterungen kommen der Klägerin insoweit nicht zugute, denn ein Fall des groben Behandlungsfehlers ist nicht gegeben.
Ein grober Behandlungsfehler setzt neben einem eindeutigen Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse die Feststellung voraus, dass der Arzt einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (BGH VersR 2007, 541 ff.).
Diese Voraussetzungen liegen großteils, aber nicht vollständig vor. Dem Beklagten ist ein durchaus gravierender Fehler unterlaufen; es handelt sich jedoch nicht um einen Fehler, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint.
(a) Zwar hat der Beklagte mit einer Propofolgabe zum Zweck der Absaugung gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln verstoßen. Denn eine bloße Absaugung war sinnfrei, weil sich durch diese Reiskörner ohnehin nicht sicher vollständig hätten entfernen lassen. Wenn Propofol zum Einsatz gebracht wird, dann hätte die Patientin erst zum Zweck der Atemwegssicherung intubiert und danach bronchoskopiert werden müssen. Aber auch diese für eine nicht nüchterne Patientin gefährliche Maßnahme hätte sich vor Eintritt von Nüchternheit nur bei einer objektiven, vital relevanten Beeinträchtigung der Atmung rechtfertigen lassen, die hier nicht vorlag – selbst, wenn man nicht nur von vermehrtem Speichelfluss, sondern auch von einer angestrengten Sprache und Heiserkeit ausgeht (S. 12-14 des Protokolls vom 13.03.2024).
(b) Im Hinblick auf die mit diesem Vorgehen verbundene erhebliche Gefährdung der Klägerin handelte es sich um einen Fehler, der einem Arzt auch schlechterdings nicht hätte unterlaufen dürfen (S. 12 des Protokolls vom 13.03.2024).
(c) Indes handelte es sich um einen – noch – verständlichen Fehler. Unverständlich wäre dieser Fehler gewesen, wenn die Patientin vollkommen beschwerdefrei oder nur minimal eingeschränkt und frei von Leidensdruck gewesen wäre (S. 13 und 15 des Protokolls vom 13.03.2024). So liegt der Fall hier aber nicht. Wie unter a) aa) (1) erläutert, geht die Kammer von verstärktem Speichelfluss, einer angestrengten Sprache und Heiserkeit bei Einlieferung in den Schockraum aus, während weitergehende Beschwerden und insbesondere objektive Anzeichen einer unzureichenden Ventilation der Lunge nicht (mehr) vorlagen; von einer symptomfreien Patientin kann im Hinblick auf den Speichelfluss, die angestrengte Sprache und die Heiserkeit jedoch weder ex ante noch ex post ausgegangen werden (auch in dem Entlassbrief des Krankenhauses A vom 20.02.2018 ist als Aufnahmegrund eine Aspiration „mit Dyspnoe“ angegeben – vgl. Bl. 142 der Strafakte, in der DPF-Version auf S. 151). Auch aus der Dokumentation ergibt sich, dass die Patientin ängstlich war und gehustet hat (vgl. die Ausführungen des Sachverständigen Dr. Sl auf S. 11 des Protokolls vom 13.03.2024).
Die Sachverständigen Dr. Sl und Dr. Sp haben im Ergebnis übereinstimmend und überzeugend dargestellt, dass das Vorgehen des Beklagten „schlecht“, aber nicht „krass“ gewesen wäre. In jedem Fall ist eine derartige Situation, wie sie bei Einlieferung der Klägerin vorlag, für eine Patientin äußerst unangenehm. Ein Abwarten bis zum Eintritt der Nüchternheit hätte bedeutet, die Patientin noch länger diesem belastenden Zustand auszusetzen. Bei einem solchen Zustandsbild ist es für jeden Arzt, der den ihm anvertrauten Patienten helfen möchte, reizvoll, das Leid der Klägerin zu lindern – zumal an einem Sonntag bei in einer Klinik begrenzten personellen Ressourcen (vgl. S. 12 und 14-15 des Protokolls vom 13.03.2024). Die Kammer hat ebenso wie die Sachverständigen Dr. Sl und Dr. Sp keinen Zweifel daran, dass der Beklagte aus dieser Motivation heraus handelte. Dabei hat er fehlerhafterweise nicht nur nicht erkannt, dass eine Absaugung vor der endotrachealen Intubation nicht zielführend ist, sondern möglicherweise auch den vermehrten Speichelfluss sowie Heiserkeit und Anstrengung beim Sprechen unrichtig als Symptome einer objektiven Beeinträchtigung der Atmung oder einer vitalen Bedrohung gedeutet, während diese Aspekte in Wirklichkeit insoweit keine klinische Relevanz haben. In Anbetracht des Umstands, dass zu Beginn des Geschehensablaufs eine Alarmierung zu einer Notfallsituation erfolgt war, welche initial tatsächlich auch vorgelegen hatte (“mords Luftnot“), dass der weitere Verlauf auch ohne eine objektivierbare Minderbelüftung der Lunge mit erheblichen subjektiven Missempfindungen verbunden war, und dass schließlich neben vermehrtem Speichelfluss möglicherweise auch Auffälligkeiten beim Sprechen bemerkbar waren, die evtl. als relevante Symptome einer Beeinträchtigung der Atmung oder einer Gefährdung fehlgedeutet wurden, kann der stattgehabte Behandlungsfehler am Ende nicht als unverständlich bewertet werden (vgl. zu alledem S. 11-15 des Protokolls vom 13.03.2024). Zusammenfassen lassen sich diese Überlegungen mit der nachvollziehbaren Einschätzung des Sachverständigen Dr. Sl, dass es ein Fehler ist, der in der Hektik vor dem Hintergrund, dass man eine leidende Patientin hat, passieren kann; immerhin führte allein das Fremdkörpergefühl zu Leiden der Patientin (S. 11/12 des Protokolls vom 13.03.2024).
Dass aus der Sicht ex ante die korrekte Behandlung der Klägerin nicht vollkommen eindeutig auf der Hand lag, ergibt sich im Übrigen auch daraus, dass nicht einmal das Institut für Rechtsmedizin, dessen Gutachten von vier ausgesprochen renommierten Ärzten abgefasst worden sind, herausgearbeitet hat, dass unabhängig von dem weiteren Verlauf am Ende nach dem pneumologischen Facharztstandard eine Bronchoskopie – unter Einsatz von Propofol (welches auch aus dem Blickwinkel der speziellen internistischen Intensivmedizin ein hierfür probates Medikament ist – vgl. die Ausführungen des Sachverständigen Dr. Sl auf S. 10 des Protokolls vom 13.03.2024) nicht hätte unterbleiben dürfen, wenngleich sie erst nach Eintritt von Nüchternheit hätte erfolgen dürfen, sofern sich der Zustand der Klägerin nicht zwischenzeitlich verschlechtert hätte (vgl. hierzu die Ausführungen des pneumologischen Sachverständigen Dr. Sp auf S. 13 des Protokolls vom 13.03.2024); es trifft mithin nicht zu, dass im Rahmen des vorliegenden Behandlungsfalles der Einsatz von Propofol zu keinem Zeitpunkt indiziert gewesen wäre. Die Kammer hat zwar keinen Zweifel an der Richtigkeit des von ihr zuletzt gefundenen Ergebnisses. Aber allein der Umstand, dass es dreier Sitzungstermine gebraucht hat, um zu diesem Ergebnis zu kommen, sowie dass insgesamt neun Gutachter mit der Bewertung des Sachverhalts befasst waren (vier Sachverständige waren für das Institut für Rechtsmedizin tätig, der Beklagte hatte zwei Privatgutachter beauftragt, die Kammer hat drei Gutachter eingeschaltet), von denen sieben Gutachter initial zu anderen Ergebnissen gekommen waren, als zuletzt von der Kammer festgestellt, zeigt, dass das richtige Behandlungskonzept nicht von vorneherein vollkommen eindeutig auf der Hand liegt. Insbesondere ist sogar der von der Kammer primär beauftragte Sachverständige Prof. Dr. R bei einer ersten Bewertung des Sachverhalts nach Aktenlage vor Einvernahme der Beteiligten durch die Kammer zu dem Ergebnis gekommen, dass die Behandlung insgesamt fehlerfrei gewesen wäre. Gegen eine vollkommene Unverständlichkeit des Handelns des Beklagten spricht auch, dass der Sachverständige Dr. Sp nachvollziehbar erläutert hat, das korrekte Vorgehen ergebe sich aus einer Abwägung aller relevanten Faktoren und es sei nicht lediglich um eine binäre Entscheidung gegangen, dass entweder interveniert wird oder nicht (S. 13 des Protokolls vom 13.03.2024). Zuletzt kommt, worauf auch Dr. Sl aufmerksam gemacht hat, noch hinzu, dass in dem ländlichen Krankenhaus A bei Nichtvorhandensein eines HNO-Arztes und einer möglicherweise ebenfalls nicht bestehenden Möglichkeit, einen Pneumologen an einem Sonntagmittag hinzuziehen, die noch vorhandene Anwesenheit des Beklagten als Chefarzt vor Fortsetzung seines Notarztdienstes zwar nicht die Vornahme einer nicht indizierten Maßnahme rechtfertigen kann, sich aber andererseits ein sofortiges – wenngleich in der Sache falsches – Agieren von seiner Seite noch als gut gemeint und von dem Bestreben zu helfen getragen darstellen kann (S. 12 des Protokolls vom 13.03.2024).
(d) Zuletzt käme es auch deshalb nicht zu einer Beweislastumkehr wegen groben Behandlungsfehlers, weil kein Mageninhalt in die Bronchien gelangte. Zur Beweislastumkehr wegen groben Behandlungsfehlers kommt es dann nicht, wenn sich nicht das Risiko verwirklicht hat, dessen Nichtbeachtung den Fehler als grob erscheinen lässt (BGH, Urt. v. 16.11.2004, VI ZR 328/03). So liegt der Fall hier. Die Gabe von Propofol war vorliegend deshalb so gefährlich, weil es durch die hiermit assoziierte Ausschaltung der Schutzreflexe zur Aspiration von Mageninhalt kommen kann (S. 16 des Protokolls vom 13.03.2024). Das ist im vorliegenden Fall jedoch nicht geschehen. In dem Entlassbrief des Krankenhauses A vom 20.02.2018 wird als Grund für die Antibiose eine Aspiration angegeben, die zeitlich vor der Intervention seitens des Beklagten erfolgt war (vgl. Bl. 144 der Strafakte, in der PDF-Version auf S. 153: „Nach der Aspiration wurde die Patientin in Notarztbegleitung ins Krankenhaus gebracht. […] Zur weiteren Therapie war eine Intubation mit endotrachealem Absaugen geplant“); Hinweise auf ein erneutes Aspirationsereignis gibt es nicht (vgl. die Ausführungen des Sachverständigen Dr. Sl auf S. 16 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 13.03.2024). Die Patientin wurde vielmehr bereits am Folgetag wieder extubiert, weil eine erneute Aspiration (d. h. ein Aspirationsereignis im Schockraum) aus Sicht der weiterbehandelnden Ärzte unwahrscheinlich erschien – eine ex post zutreffende Einschätzung, denn im weiteren Verlauf besserte sich der Zustand der Klägerin fortlaufend und größere Fremdkörper in der Lunge konnten mittels Röntgenaufnahme ausgeschlossen werden (S. 7 und 25 des Gutachtens des Prof. Dr. R vom 28.01.2023). Dies stimmt mit dem Bericht der Interdisziplinären Intensivstation vom 05.02.2018 überein, welcher Speisereste in der oberen Trachea, aber gerade nicht in den Bronchien beschreibt (Bl. 62 des Sonderbanks M U L der Strafakte, S. 369 der PDF-Version).
(2) Auch steht nicht fest, dass der Klägerin infolge der Behandlung durch den Beklagten ein Schaden entstanden ist.
(a) Ein Zusammenhang zwischen dem Erbrechen und der Behandlung seitens des Beklagten lässt sich nicht herstellen. Propofol fördert nicht das Erbrechen von Mageninhalt, sondern wirkt im Gegenteil antiemetisch. Die mit der narkotisierenden Wirkung assoziierte Muskelerschlaffung kann zwar trotz der Oberkörperhochlagerung bei der Klägerin ein Aufsteigen von Mageninhalt ermöglicht haben. Es steht jedoch keineswegs fest, dass im vorliegenden Fall gerade diese Abläufe zu dem Erbrechen geführt haben. Denkbar ist auch eine zufällige zeitliche Koinzidenz, wobei dies nicht nur eine rein theoretische Möglichkeit darstellt, weil ein Erbrechen in einer derartigen Notfallsituation bei einer nicht nüchternen Patientin jederzeit möglich ist (S. 31 des Gutachtens des Prof. Dr. R; so übereinstimmend auch die Sachverständigen Dr. Sl und Dr. Sp auf S. 15-16 des Protokolls vom 13.03.2024). Am Ende kann also keineswegs davon ausgegangen werden, dass es zu dem stattgehabten Erbrechen ohne die Propofolgabe nicht gekommen wäre.
(b) Auch lässt sich nicht feststellen, dass der weitere Verlauf dem Verhalten des Beklagten anzulasten ist.
(aa) Signifikant erhöht war zwar die Gefahr einer Aspiration des Erbrochenen infolge Ausschaltung der Schutzreflexe durch die Propofolgabe. Indes hat sich vorliegend diese Gefahr nicht realisiert, wie die Sachverständigen in der Verhandlung vom 13.03.2024 dargelegt haben (vgl. vorstehend Punkt (1) (d)).
(bb) Die Maßnahmen der Intubation, einer Bronchoskopie, einer Antibiose und der Überwachung auf der Intensivstation waren schon allein wegen des Erbrechens erforderlich. Wenn die Klägerin vollkommen unabhängig von der Intervention durch den Beklagten erbrochen hat – was, wie vorstehend unter Punkt (2) (a) ausgeführt, durchaus konkret möglich erscheint -, wären all diese weiteren Maßnahmen auf die Klägerin auch dann zugekommen, wenn sich der Beklagte zunächst nur – wie von den Sachverständigen Dr. Sl und Dr. Sp gefordert – für ein abwartendes Behandlungsregime entschieden hätte. Diese Maßnahmen waren wegen des Erbrechens erforderlich, nicht aber aufgrund der Propofolgabe. Dass ihre Notwendigkeit auf dem Handeln des Beklagten beruht, steht nicht fest (S. 16 des Protokolls vom 13.03.2024).
Die Antibiose war im Übrigen schon wegen der häuslichen Aspiration veranlasst und setzte nicht einmal das Erbrechen im Schockraum voraus – vgl. S. 24 und 32 des Gutachtens des Prof. Dr. R vom 28.01.2023).
Dem Beklagten kann die Notwendigkeit der Intubation, einer Bronchoskopie, einer Antibiose und der Überwachung auf der Intensivstation auch nicht deswegen zugerechnet werden, weil ihn nach den Grundsätzen der alternativen Kausalität die Beweislast dafür trifft, dass Folgen einer fehlerhaften Behandlung auch bei einer fehlerfreien Behandlung eingetreten wären. Die Notwendigkeit der Intubation, einer Bronchoskopie, einer Antibiose und der Überwachung auf der Intensivstation hat sich aus dem Erbrechen ergeben. Die Bronchoskopie und die Antibiose waren bereits wegen des häuslichen Aspirationsereignisses geboten gewesen; vor der Bronchoskopie wiederum wären die Atemwege mittels Intubation zu sichern gewesen. Die ergriffenen Maßnahmen wären der Klägerin nicht erspart worden (S. 16 des Protokolls vom 13.03.2024).
Auch die Überwachung der Klägerin war bereits wegen des initialen, häuslichen Aspirationsereignisses unabdingbar gewesen (S. 10 und 16 des Protokolls vom 13.03.2024).
(cc) Anlässlich des Krankenhausaufenthalts in A erfolgten auch invasive kardiologische Behandlungen, u.a. eine Herzkatheteruntersuchung; die Indikation hierfür ergab sich jedoch aus den anamnestischen Angaben der Klägerin und steht nicht in Zusammenhang mit der vom Beklagten durchgeführten Behandlung (S. 25 des Gutachtens des Prof. Dr. R vom 28.01.2023); einen Zusammenhang hierzu macht die Klägerin auch überhaupt nicht geltend.
(dd) Ein Kausalzusammenhang zu dem Verhalten des Beklagten lässt sich haftungsrechtlich allein zu dem Zeitpunkt der Propofolinjektion herstellen. Zur Propofolgabe selbst und dem gesamten weiteren Verlauf wäre es in jedem Fall gekommen. Zwar ist es denkbar, dass die Klägerin den aspirierten Reis noch abgehustet hätte (S. 11 des Protokolls vom 22.03.2024). Gleichwohl wäre – also selbst, wenn ein Abhusten von Reiskörnern noch gelungen wäre – eine Bronchoskopie nach Eintritt von Nüchternheit auf Grundlage des pneumologischen Facharztstandards noch erforderlich gewesen; auch hierbei ist der Einsatz von Propofol in jeder Hinsicht probat und erfolgt regelmäßig bei Bronchoskopien (so Dr. Sp und Dr. Sl, S. 10 und 13 des Protokolls vom 13.03.2024). Darüber hinaus wären die Intubation und die nachfolgende Bronchoskopie auch wegen des Erbrechens erforderlich geworden, welches – wie ausgeführt – nicht in Zusammenhang mit der seitens des Beklagten getroffenen Maßnahmen gebracht werden kann. So haben die Sachverständigen Dr. Sl und Dr. Sp in aller Deutlichkeit ausgeführt, dass der Klägerin schon wegen des Erbrechens gar nichts erspart geblieben wäre, es wäre insgesamt derselbe Verlauf gewesen (S. 16 des Protokolls vom 13.03.2024).
Selbst wenn man eine Einstandspflicht des Beklagten für die Propofolinjektion aus allein dem Grunde bejahen wollte, dass diese Maßnahme zu dem Zeitpunkt noch nicht indiziert war, zu dem der Beklagte sie vornahm, würde die Kammer der Klägerin für diesen Umstand kein Schmerzensgeld zuerkennen. Es ist im Einzelfall zwar schon denkbar, einem Patienten auch für eine 5-10-minütige, nicht indizierte Ausschaltung des Bewusstseins ein Schmerzensgeld zuzuerkennen (Propofol hat eine Wirkdauer von 5-10 Minuten, vgl. S. 39 des Gutachtens des Instituts für Rechtsmedizin vom 03.09.2019 aus der beigezogenen Strafakte 1 Ks 31 Js 18787/18). Folge der Propofolgabe war zudem eine Bradykardie, welche jedoch medikamentös behandelt werden konnte und von der Klägerin nicht bewusst miterlebt wurde. Im vorliegenden Fall wäre aber eine Bronchoskopie ohnehin veranlasst gewesen, zu einer Propofolgabe wäre es daher – wenngleich später – ohnehin gekommen. Der Umstand, dass die Narkose im vorliegenden Fall bis zum Folgetag aufrechterhalten wurde, ist nicht dem Beklagten zuzurechnen, sondern stellte eine gebotene Vorsichtsmaßnahme im Hinblick auf das Erbrechen dar (S. 31 des Gutachtens des Prof. Dr. R vom 28.01.2023, was im Einklang mit der Angabe der Sachverständigen Dr. Sl und Dr. Sp steht, der Klägerin wäre dies schon wegen des Erbrechens nicht erspart geblieben, vgl. S. 16 des Protokolls vom 13.03.2024). Im Übrigen blickt die Patientin insgesamt positiv auf die Intervention seitens des Beklagten zurück, hat diese mithin nicht als leidbehaftet erlebt (vgl. S. 3 des Protokolls vom 19.09.2023: sie habe die Situation nach dem Aufwachen auf der Intensivstation als gut empfunden. Sie sei erleichtert gewesen, dass man ihr geholfen hatte). Infolge der Intervention des Beklagten hatte die Klägerin nicht einmal einen Hautstich ertragen müssen, weil sie über einen ausweislich der Dokumentation und der Angabe der Zeugin S (S. 3 des Protokolls vom 13.03.2024) ohnehin bereits angelegten venösen Zugang erfolgt ist (vgl. auch S. 22 des Gutachtens des Prof. Dr. R vom 28.01.2023), dessen Anbringung die Klägerin nicht beanstandet hat und im Übrigen während des Notarzteinsatzes erfolgte, in dessen Zusammenhang die Klägerin – wie eingangs unter Ziff. II. 1. dargestellt – zivilrechtliche Ansprüche nur gegenüber dem Zweckverband für Rettungsdienst- und Feuerwehralarmierung geltend machen kann; darüber hinaus fällt die kunstgerechte Venenpunktion unter die Geringfügigkeitsgrenze und rechtfertigt nach der Judikatur der Kammer kein Schmerzensgeld. Auf den Bewusstseinsverlust als solchen stützt die Klägerin ihre Ansprüche nicht; ferner hält die Kammer die Ausurteilung eines Schmerzensgeldes für eine kurze Zeit der Narkotisierung ohne im Anschluss bemerkbare negative Empfindungen mangels unangenehmer Wahrnehmungen nicht für angemessen. Die Zeit danach hat die Klägerin nicht als belastend erlebt. Vielmehr hat sie in der mündlichen Verhandlung vom 19.09.2023 bekundet (vgl. Protokoll S. 3), sie habe die Situation nach dem Aufwachen auf der Intensivstation als gut empfunden. Sie sei erleichtert gewesen, dass man ihr geholfen hatte. Zuletzt kann dem Beklagten auch nicht der Bewusstseinsverlust als solcher, sondern nur die Vorverlagerung seines Zeitpunkts zugerechnet werden, denn wie ausgeführt waren Bronchoskopie schon wegen der initialen Reisaspiration und die Intubation wegen des Erbrechens erforderlich, welches nicht in Zusammenhang mit der seitens des Beklagten durchgeführten Behandlung gebracht werden kann.
b) Auch unter dem Gesichtspunkt einer unzureichenden Aufklärung steht der Klägerin gem. §§ 823 Abs. 1, Abs. 2, 223 StGB kein Anspruch gegen den Beklagten zu.
aa) Zwar war die Propofolinjektion nicht von einer rechtfertigenden Einwilligung der Klägerin getragen, denn die Aufklärung der Klägerin stellt sich als unzureichend dar.
(1) Die Aufklärung wäre nicht zu beanstanden gewesen, wenn der Einsatz von Propofol indiziert gewesen wäre.
(a) Auch notfallmedizinische Behandlungen bedürfen einer Rechtfertigung durch Einwilligung des Patienten nach vorheriger Aufklärung. Die – u.a. in Bayern – hoheitliche Organisation des Rettungs- und Notarztwesens verleiht den Durchführenden keine Rechtfertigung zur Vornahme von Behandlungen, welche nicht von einer wirksamen Einwilligung des Patienten bzw. des an seiner Stelle bei Einwilligungsunfähigkeit handelnden Berechtigten nach vorheriger Aufklärung oder einer mutmaßlichen Einwilligung getragen sind. Gleichermaßen müssen auch Notfallbehandlungen innerhalb einer Klinik mit dem (ggf.: mutmaßlichen) Patientenwillen übereinstimmen. Dabei sind Umfang und Genauigkeit der gebotenen Aufklärung umgekehrt proportional zu Dringlichkeit und Erfolgsaussichten der Behandlung (vgl. BGH NJW 2011, 1088 ff.; Brandenburgisches Oberlandesgericht – Az: 12 U 239/06; Katzenmeier MedR 2013, 576, 582 m.w.N.). Im Notfall reduziert sich daher das Maß der gebotenen Aufklärung auf ein Minimum im Sinne der ganz essentiellen Umstände, welche der Patient oder der Berechtigte wissen müssen, um wirksam in die Maßnahme einwilligen zu können (Geiß/Greiner/Greiner, C Rn. 11; LG Aachen MedR 2006, 361). Dabei ist es auch nicht geboten, die Zeit mit Irrelevantem oder Selbstverständlichem zu vergeuden. Die Aufklärung über Behandlungsalternativen ist beispielsweise dann nicht angezeigt, wenn solche in der konkreten Behandlungssituation faktisch gar nicht zur Verfügung stehen und die sofortige Durchführung einer Therapie indiziert ist. Gleichermaßen braucht ein Notfallmediziner präklinisch auch nicht über Behandlungsalternativen aufzuklären, welche zwar abstrakt als gleichermaßen indiziert und üblich gelten, die er aber weniger gut beherrscht als die von ihm beabsichtigte Maßnahme, sofern ein Absehen von einer sofortigen Therapie mit gewichtigen Nachteilen oder Risiken verbunden wäre; denn in diesem Fall stellt sich die von dem Behandler besser beherrschte Methode in der konkreten Behandlungssituation als Mittel der ersten Wahl dar. Wenn durch den mit einem Aufklärungsgespräch verbundenen Aufschub erhebliche Gefahren für die Gesundheit des Patienten drohen, die in keinem Verhältnis zu dem Aspekt der Selbstbestimmung stehen, so ist eine ausführliche Aufklärung gleichermaßen verfehlt. Hinzu kommt der Aspekt, dass in Notfallsituationen oftmals fraglich ist, in welchem Umfang der Patient in der Lage ist, Erklärungen zu den in Betracht kommenden Optionen zu verstehen und abzuwägen. Auch aus diesem Grunde dürfte häufig die Erläuterung komplexer medizinischer Zusammenhänge verfehlt sein. Letztlich braucht ein Patient auch nicht mit Allgemeinplätzen behelligt zu werden. Dass sich die gesundheitliche Situation bei Alarmierung eines Rettungsteams, welches mit notfallmedizinischer Ausbildung und Ausstattung sowie mit Sondersignal zum Einsatzort kommt und dessen Alarmierung überhaupt nur dann gestattet ist, wenn ohne sofortige medizinische Versorgung die Gefahr des Todes oder erheblicher gesundheitlicher Schäden drohen würde, regelmäßig kaum durch eine nur wenig invasive Behandlung verbessern lässt, ist jedem verständigen Patienten klar. Das Absetzen des Notrufs und die nachfolgende Entgegennahme der Behandlung (deren einzelne Schritte der Behandler dem nicht bewusstlosen Patienten schon zur Beruhigung ohnehin erklären wird, ohne dass dies einer Dokumentation bedarf) stellt daher zugleich die konkludente Einwilligung in alle dringlich indizierten Maßnahmen dar, die der Patient nicht erkennbar ablehnt, so dass es nur im Ausnahmefall einer expliziten Selbstbestimmungsaufklärung bedarf. Nicht anders stellt sich die Situation bei Behandlungen im Schockraum einer Notaufnahme dar; jedem Patienten, der direkt nach Einlieferung mit großem personellen und sächlichen Aufwand unter notfallmäßigen Kautelen behandelt wird, ist klar, dass nicht viel Zeit zur Verfügung steht, um Details mit ihm zu besprechen, und dass er sich aktiv einbringen muss, wenn er Bedenken gegen eine standardgemäße Behandlung hat oder vor dieser noch nähere Details zu erfahren wünscht und sich zu deren Aufnahme in der Lage sieht. So wird es beispielsweise für denkbar erachtet, dass bei einem intensivpflichtigen Patienten die Aufklärung unter Umständen darauf beschränkt werden kann, ihm bestmöglich die Bedrohlichkeit seiner Erkrankung zu verdeutlichen und darauf hinzuweisen, dass eine Behandlung mit hochwirksamen – und dementsprechend auch mit einem erheblichen Nebenwirkungspotenzial behafteten – Medikamenten erforderlich ist (LG Aachen MedR 2006, 361); dass hochwirksame – und damit im Einzelfall auch mit möglicherweise gravierenden Nebenwirkungen behaftete – Behandlungen zur Anwendung kommen, dürfte im Übrigen jedem Patienten klar sein, der realisiert, dass er auf einer Intensivstation behandelt wird; soweit letzteres hingegen nicht der Fall ist, fehlt idR. auch jegliche Einwilligungsfähigkeit. Damit sind auch im klinischen Kontext bei äußerst kritischen Patienten Behandlungssituationen denkbar, in denen eine Aufklärung über äußerst dringliche und absolut indizierte Behandlungen letztlich entbehrlich ist; denn – wie schon dargestellt – braucht ein Patient bei dringlichem Interventionsbedarf auch nicht mit Selbstverständlichkeiten behelligt zu werden.
Dabei kann allerdings nicht in allen Fällen einer notfallmedizinischen Behandlung auf eine explizite Aufklärung verzichtet werden. Je gleichwertiger in Betracht kommende Handlungsoptionen und je unterschiedlicher deren Auswirkungen für den konkreten Patienten sind, umso eher ist der Behandler gefordert, die Entscheidung des Patienten einzuholen. Allein der Umstand, dass eine Behandlung vital erforderlich ist, weil der Patient sonst schwerste Schäden erleiden oder gar sterben würde, entbindet den Arzt nicht davon, die Einwilligung des Patienten einzuholen, soweit dies möglich ist. Dies gilt – nach Ergreifung ggf. sofort erforderlicher Maßnahmen zur vorläufigen Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen – insbesondere in Fällen, in denen der mündige Patient ernsthaft erwägt, dem natürlichen Verlauf seiner Erkrankung und möglicherweise dem damit verbundenen Sterbeprozess seinen Lauf zu lassen (BGH NJW 2010, 2963 ff. spricht vom Recht zur Abwehr nicht gewollter Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit und den unbeeinflussten Fortgang des Lebens und Sterbens). Dabei hat der Bundesgerichtshof zutreffend festgestellt, dass der Patient dies nicht nur im Falle eines unumkehrbaren, in jedem Fall zum Tode führenden Grundleidens beanspruchen kann (BGH a.a.O.). Auch im Bereich der Notfallversorgung sind diese Prinzipien zu beachten. Selbst von Notfallsanitätern wird dies erwartet (§ 4 Abs. 1 S. 3 NotSanG), dann erst recht von Notärzten. Eine gründliche Auseinandersetzung mit dem (ggf.: mutmaßlichen) Patientenwillen ist daher zum einen dann geboten, wenn Angehörige von Patienten am natürlichen Lebensende oder mit letalen Erkrankungen in einem palliativen Stadium einen Notruf absetzen. Insbesondere wenn sich die Frage stellt, ob eine weitere Behandlung überhaupt mit dem (mutmaßlichen) Patientenwillen in Einklang zu bringen ist, stellen weder die zeitliche Dringlichkeit der in Betracht kommenden Behandlung, noch die knappen Ressourcen im notfallmedizinischen Bereich einen Grund dar, sich nicht nach einer vorübergehenden Erstversorgung – sofern diese nicht aufgrund einer wirksamen DNR-Order zu unterbleiben hat – mit der Frage zu beschäftigen, inwieweit der Patient (mutmaßlich) behandelt oder sterben gelassen werden möchte. Hierzu kann sowohl im Bereich der präklinischen Notfallrettung wie auch vor einer klinischen Versorgung ein ausführliches Gespräch mit dem Patienten bzw. die gründliche Auseinandersetzung mit einer Patientenverfügung sowie ein Gespräch mit anwesenden oder ggf. telefonisch zu kontaktierenden Angehörigen erwartet werden – insbesondere, soweit diese als Vorsorgebevollmächtigte, Betreuer oder notvertretungsberechtigte Ehegatten zur Entscheidung anstelle eines einwilligungsunfähigen Patienten berufen sind. Im Grenzbereich zwischen Einwilligungsfähigkeit und fehlender Einwilligungsfähigkeit darf auch der natürliche Wille des Patienten nicht ganz unberücksichtigt bleiben (Coester-Waltjen MedR 2012, 553 f.; vgl. auch § 1897 Abs. 4 S. 1 BGB a.F. bzw. § 1816 Abs. 2 S. 1 BGB n.F.). Soweit konkret begründbare Zweifel verbleiben, ist es am Ende aber auch nicht zu beanstanden, wenn zunächst dringliche Maßnahmen ergriffen werden, bis genügend Zeit für eine nähere Auseinandersetzung mit dem Patientenwillen vorhanden ist.
Ein informed consent ist darüber hinaus bei solchen Behandlungen geboten, deren Durchführung sowohl ad hoc bei reduzierter personeller oder sächlicher Ausstattung vertretbar ist, deren Durchführung zwar später aber nach Vorhandensein besserer Bedingungen jedoch als gleichermaßen indiziert und üblich angesehen werden kann. Bei dislozierten Frakturen mit Ausfällen in Durchblutung, Motorik und Sensibilität ist beispielsweise ein unmittelbarer Repositionsversuch vor Ort oft mit weniger Risiken für die betroffene Extremität (insbesondere im Hinblick auf Nervschäden bei fortdauernder Fehlstellung) verbunden, jedoch hat der Patient möglicherweise entweder stärkere Schmerzen oder weniger Sicherheit in Bezug auf die Kontrolle und Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen, als wenn in der Klinik zusätzlich zu dem reponierenden Unfallchirurgen auch ein Anästhesist zur Schmerzbekämpfung hinzugezogen wird. Wenn beide Alternativen gleichermaßen indiziert und üblich sind, entscheidet der Patient über die Vorgehensweise – nach entsprechender Information über die relevanten Vor- und Nachteile der im Raum stehenden Handlungsoptionen. Ähnlich hätte im vorliegenden Fall die Klägerin, wenn denn überhaupt eine sofortige Intervention gleichermaßen vertretbar gewesen wäre wie ein Abwarten bis zum Eintritt der Nüchternheit, Anspruch darauf gehabt, in diesen Entscheidungsprozess einbezogen zu werden.
Abgesehen von solchen Konstellationen, die allesamt die Frage zum Gegenstand haben, ob es vernünftigerweise bzw. nach dem (mutmaßlichen) Patientenwillen überhaupt zu einer sofortigen invasiven Behandlung kommen soll, wird im Bereich der Notfallrettung eine Pflicht zur expliziten Selbstbestimmungsaufklärung regelmäßig eher nicht anzunehmen sein. Von einer konkludenten Einwilligung in die notwendige Behandlung kann allerdings dann nicht ausgegangen werden, wenn die ergriffenen Maßnahmen gegenüber dem ansprechbaren Patienten nicht einmal angekündigt werden; die Erläuterung, was geschieht, ist juristisch unabhängig von der Einwilligungsunfähigkeit gefordert (§ 630e Abs. 5 BGB) und medizinisch eine nicht dokumentationspflichtige Selbstverständlichkeit, um den Patienten zu beruhigen, die Compliance zu erhöhen und das Vorliegen von Kontraindikationen auszuschließen (z.B. Allergien gegen verabreichte Medikamente, welche sich beim ansprechbaren Patienten am unkompliziertesten im Gespräch eruieren lassen dürften; ferner: eine für die beabsichtigte Medikation relevante vorherige Einnahme von Arzneimitteln durch den Patienten).
Hohe Anforderungen an die Aufklärung gelten demgegenüber – auch im Rahmen von Notfällen – in Konstellationen, in denen die durchgeführte Behandlung nur relativ indiziert ist oder kaum als dringlich eingeordnet werden kann. Sofern eine Behandlung durchgeführt wird, die in der konkreten Situation überhaupt nicht indiziert ist, ohne dass dem Patienten dies in aller Deutlichkeit vor Augen geführt wird und er gleichwohl diese Behandlung wünscht, so ist eine Haftung (auch) unter Aufklärungsgesichtspunkten gegeben (BGH NJW 2011, 1088 ff. – Zitronensaftfall).
(b) Dies zugrunde gelegt wäre die Klägerin über die vorgenommene Maßnahme hinreichend informiert gewesen, wenn diese sehr dringlich indiziert gewesen wäre. Die Schwiegertochter hat eingeräumt, dass es sein könne, dass der Beklagte von einer Absaugung unter Narkose gesprochen habe, wie sie es gegenüber der Polizei angegeben habe (S. 9 des Protokolls vom 19.09.2023). Zur Überzeugung der Kammer trifft diese zeitnah zur Behandlung getätigte Aussage zu. Auf dieser Grundlage wäre die Klägerin ausreichend informiert gewesen und hätte konkludent eingewilligt. Weitergehende Erläuterungen wären entbehrlich gewesen, wenn die vorgenommene Maßnahme tatsächlich eilig geboten gewesen wäre.
(2) Indes war die Klägerin deswegen nicht ausreichend informiert, weil die vorgenommene Maßnahme – wie unter Ziff. I. ausgeführt – tatsächlich nicht indiziert war. Dies hätte ihr erläutert werden müssen, was der Beklagte zumindest fahrlässig unterlassen hat.
Explizit anerkannt in der Rechtsprechung ist bislang eine Aufklärungspflicht über ein von vorneherein beabsichtigtes Abweichen vom fachärztlichen Standard (BGH NJW 2011, 1088: Anwendung einer „nicht dem medizinischen Standard entsprechenden Außenseitermethode“, wobei dem Angeklagten in der vom BGH entschiedenen Konstellation nach den Feststellungen des Bundesgerichtshofs dieser Aspekt bewusst gewesen sei). Die Kammer steht indes auf dem Standpunkt, dass der Beklagte auch für eine fahrlässige Falschinformation der Klägerin einzustehen hat. Auch, wenn bislang nur das bewusste Abweichen vom fachärztlichen Standard zu Verurteilungen geführt hat, ist bei richtiger dogmatischer Einordnung eine Haftung auch dann zu bejahen, wenn – wie hier – von vorneherein ein mit den fachlichen Standards nicht in Einklang zu bringendes Vorgehen beabsichtigt ist, dessen Unvereinbarkeit mit dem Standard der Arzt aus Fahrlässigkeit verkannt hat. Denn korrekterweise ist zwischen dem objektiven und dem subjektiven Tatbestand zu trennen: Objektiv kam eine Methode zur Anwendung, die dem notfallmedizinischen Standard widersprach und deren Anwendung der Beklagte von Anfang an geplant hatte. Bereits hierüber hätte die Patientin informiert werden müssen. Für den Fall, dass dem Beklagten die fehlende Indikation dieses Vorgehens nicht bewusst gewesen sein sollte, träfe ihn entsprechend §§ 16 Abs. 1 S. 2, 229 StGB eine deliktische Schadensersatzverpflichtung unter Fahrlässigkeitsgesichtspunkten. Fahrlässig hat der Beklagte im vorliegenden Fall gehandelt, denn er hätte erkennen können und müssen, dass die von ihm beabsichtigte Maßnahme nicht indiziert, zielführend und vertretbar war.
bb) Aus den bereits dargestellten Gründen vermochte die Klägerin indes keinen Schaden infolge der nicht von ihrer Einwilligung getragenen Propofolgabe nachzuweisen. Insbesondere wäre – wie unter a) cc) (2) ausgeführt – die Propofolgabe auch bei standardgemäßer Behandlung im Rahmen der spätestens nach Eintritt von Nüchternheit veranlassten Bronchoskopie veranlasst gewesen; alle übrigen Behandlungsmaßnahmen waren infolge des Erbrechens erforderlich, nicht aufgrund der Propofolgabe; ein Zusammenhang zwischen Propofolgabe und Erbrechen lässt sich wiederum nicht herstellen.
Für die Propofolinjektion selbst unter der dadurch bedingten 5-10-minütigen Narkotisierung steht der Klägerin – wie unter Punkt a) dargestellt – kein Schmerzensgeld zu. Im Übrigen wäre es für die Durchführung der gebotenen Bronchoskopie – spätestens nach Eintritt von Nüchternheit – ohnehin zu einer Sedierung gekommen. Dass die Klägerin in eine Bronchoskopie nebst begleitender Propofolgabe eingewilligt hätte, geht aus ihrer Angabe auf S. 3 des Protokolls vom 19.09.2023 zweifelsfrei hervor, sie sei froh gewesen, dass ihr im Krankenhaus geholfen wurde; auf welche Art dies geschah, spielte für die Einwilligung der Klägerin – (natürlich:) soweit die beabsichtigte Behandlung nach dem pneumologischen Standard indiziert war – hingegen keine Rolle. Die Überlegung, dass die Klägerin in die Propofolgabe zum Zweck einer – dem pneumologischen Facharztstandard entsprechende – Bronchoskopie nach Eintritt der Nüchternheit jedenfalls eingewilligt hätte, führt zum Ausschluss der Haftung unter dem Gesichtspunkt der hypothetischen Einwilligung. Dieser Aspekt wird zwar nur auf Grundlage eines entsprechenden Einwands von Beklagtenseite berücksichtigt, welcher im vorliegenden Rechtsstreit nicht explizit erhoben worden ist. Indes geht aus den Angaben der Klägerin im Rahmen ihrer Anhörung vom 19.09.2023 so eindeutig hervor, dass sie in eine standardgemäße Behandlung jedenfalls eingewilligt hätte, dass davon auszugehen ist, dass sich der Beklagte dies konkludent zu Eigen gemacht hat.
III. Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus den §§ 91 Abs. 1, 709 S. 1 ZPO.