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Operation unter Einsatz eines neuen technischen Geräts – Aufklärungspflicht

OLG Koblenz, Az.: 5 U 907/14, Beschluss vom 18.11.2014

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 08.07.2014 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Dieses Urteil und der hiesige Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die gegen ihn gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht von der Gegenseite Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages gestellt wird.

3. Der Rechtsmittelstreitwert wird, anknüpfend an den Beschluss vom 20.10.2014, auf 120.000 € festgesetzt.

Gründe

Die Entscheidung ergeht gemäß §§ 522Abs. 2, 97 Abs. 1,708 Nr. 10,711 ZPO. Ihre sachlichen Grundlagen ergeben sich aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils und dem Beschluss des Senats vom 20.10.2014. Dort hat der Senat seine Ankündigung, die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, wie folgt erläutert:

Operation unter Einsatz eines neuen technischen Geräts – Aufklärungspflicht
Symbolfoto: Von gpointstudio /Shutterstock.com

„1. Der damals achtjährige Kläger unterzog sich am 27.03.2009 einer laparaskopischen Cholezystektomie. Der Eingriff wurde aufgrund einer Vertragsvereinbarung mit dem – als Leiter einer kinderchirurgischen Klinikabteilung tätigen – Beklagten zu 1. stationär durch den Beklagten zu 2. durchgeführt. Dabei kam es zu einer thermischen Schädigung im Eingangsbereich des Ductus hepaticus communis, so dass sich die aus der Leber abgeleitete Gallenflüssigkeit aufstaute. Man musste deshalb eine Drainage setzen, die erst am 7.07.2010 entfernt werden konnte. Der Ductus hepaticus communis stellte sich anhaltend verengt dar.

Zur Cholezystektomie war der Gallenblasengang – abweichend von den seinerzeit herkömmlichen Methoden einer Abbindung mit Fäden oder der Anbringung eines Klippverschlusses – unter Einsatz eines hitzeentwickelnden LigaSure™-Geräts durchtrennt und versiegelt worden. Dieses Verfahren wurde damals durch den Beklagten zu 2. erprobt.

Nach dem Vorbringen des Klägers unterlief dabei ein Handhabungsfehler, der die Stenose des Ductus hepaticus communis auslöste. Demgegenüber war gemäß der Darstellung der Beklagten die Verwendung einer Koagulationszange schadensursächlich, die zur Stillung einer Blutung aus einem Begleitgefäß des Gallenblasengangs habe benutzt werden müssen.

Der Beklagte zu 1. hatte die Eltern des Klägers vor dem Eingriff auf das Risiko einer Verletzung der Gallenwege und die etwaige Notwendigkeit einer Fremdblutzufuhr aufgeklärt, sie aber nicht darüber unterrichtet, dass ein LigaSure™-Gerät zum Einsatz kommen würde. Die Beklagten haben diese Information für verzichtbar erachtet, da man lege artis verfahren sei und von einer hypothetischen Einwilligung ausgegangen werden müsse.

Im vorliegenden Rechtsstreit hat der Kläger unter Hinweis auf langjährige körperliche und psychische Beeinträchtigungen sowie die Gefahr zukünftiger Gallenwegsinfekte und Leberschäden die gesamtschuldnerische Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines mit mindestens 50.000 € zu beziffernden Schmerzensgeldes und zum Ausgleich vorgerichtlicher Anwaltskosten von 4.281,03 € beantragt. Außerdem hat er die Feststellung deren weitergehender Haftung begehrt.

Das Landgericht hat die Klage nach der Befragung eines kinderchirurgischen Sachverständigen abgewiesen. Es hat Fehler bei der Durchführung des Eingriffs vom 27.03.2009 verneint. Allerdings habe es einen Aufklärungsmangel gegeben, weil nicht auf die – seinerzeit noch nicht probate – Verwendung eines LigaSure™ – Geräts zur Durchtrennung des Gallenblasengangs hingewiesen worden sei. Dabei sei der streitige Schaden jedoch nicht entstanden. Er beruhe vielmehr auf der Hitzewirkung, die später entweder bei der weiteren Präparation von dem LigaSure™-Gerät oder bei der Blutungsstillung von der Koagulationszange ausgegangen sei. Daraus könne jedoch kein Vorwurf abgeleitet werden, und insoweit habe es auch keine besondere Aufklärungspflicht gegeben.

Dagegen wendet sich der Kläger in Erneuerung seines erstinstanzlichen Verlangens mit der Berufung. Er erhebt den Vorwurf eines mangelhaften operativen Vorgehens und einer unzulänglichen Eingriffs- und Risikoaufklärung. Darin lägen insgesamt grobe Fehler, die die Beweislast zu seinen Gunsten umkehrten.

2. Mit diesen Angriffen vermag der Kläger nicht durchzudringen. Das angefochtene Urteil hat Bestand.

a) Den Beklagten ist kein intraoperativer Fehler anzulasten. Der Sachverständige Prof. Dr. U. hat bei seiner Anhörung vor dem Landgericht eine Videoaufzeichnung des Eingriffs vom 27.03.2009 ausgewertet, die während der Gerichtsverhandlung abgespielt wurde. Das hat ihm – anders als der Operationsbericht, der ihm zur Erstellung seines vorangegangenen schriftlichen Gutachtens vorlag – ein vollauf verlässliches Bild des maßgeblichen Geschehenshergangs verschafft. Auf diese Weise konnte er feststellen, dass sich die streitige Schädigung des Ductus hepaticus communis nach der Durchtrennung des Gallenblasengangs mit dem LigaSure™-Gerät ereignete. Sie ist auf Maßnahmen zurückzuführen, die im Zusammenhang mit der Stillung der Blutung aus einem Begleitgefäß oder der weiteren Präparation standen (Protokoll vom 10.06.2014 S. 4 = Bl. 176 GA); dazu wurde einerseits eine bipolare Zange und andererseits wiederum das LigaSure™-Gerät eingesetzt. Das war ein probates Verfahren, dem das Risiko einer Verletzung des Ductus hepaticus communis von vornherein anhaftete (Gutachten vom 10.01.2014 S. 2 = Bl. 114 GA) und das im vorliegenden Fall nicht erkennbar fehlerhaft praktiziert wurde (Gutachten vom 10.01.2014 S. 6 = Bl. 118 GA und Anhörungsprotokoll vom 10.06.2014 S. 4 = Bl. 176 GA). Vor diesem Hintergrund gibt die Würdigung des Landgerichts, Behandlungsfehler seien nicht ersichtlich (LGU S. 7 f. = Bl. 189 f. GA), keinen Anlass zu rechtserheblichen Zweifeln (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

b) Eine Haftung der Beklagten erschließt sich auch nicht aus einem Aufklärungsmangel. Allerdings war die – heute anerkannte – Verwendung von LigaSure™ zur Durchtrennung des Gallengangs im Jahr 2009 nicht hinreichend abgesichert, so dass die Eltern des Klägers insoweit hätten unterrichtet werden müssen (BGHZ 168, 103). Dieses Informationsdefizit stellt die Wirksamkeit der von ihnen erteilten Patienteneinwilligung in Frage, begründet aber keine Schadensersatzhaftung, weil die Durchtrennung des Gallengangs konkret nicht schadensträchtig war. Damit fehlt es am Zurechnungszusammenhang zwischen dem Aufklärungsversäumnis und der Verletzung, an die die Inanspruchnahme der Beklagten anknüpft (BGHZ 144, 1; BGHZ 168, 103; OLG Hamm VersR 2011, 625).

Die Benutzung einer bipolaren Zange zur Blutstillung oder eines LigaSure™-Geräts zur Präparation, auf die die Schädigung des Klägers zurückgeführt werden muss, war nicht aufklärungspflichtig, weil es sich dabei um eine bewährte Behandlung handelte, der keine praktischen Alternativen mit unterschiedlichen Belastungen oder Risiken gegenüberstanden (vgl. BGHZ 102, 17; BGH VersR 2005, 227). Prof. Dr. U. hat mitgeteilt, man habe ein gängiges Verfahren angewandt; neu sei damals lediglich die Durchtrennung des Gallenblasengangs mit LigaSure™ gewesen (Gutachten vom 14.01.2014 S. 5 = Bl. 117 GA und Anhörung vom 10.06.2014, Protokoll S. 4 = Bl. 176 GA).

Die Rüge des Klägers, seine Eltern seien nur unzulänglich auf das intraoperative Risiko einer Verletzung des Ductus hepaticus communis hingewiesen worden, geht fehl. Der Kläger konzediert, wie dies in dem Aufklärungsbogen handschriftlich erwähnt wurde, eine mündliche Erörterung dahin, dass es zu einer „Verletzung der Gallenwege“ würde kommen können, kritisiert aber, das sei allein unter dem Aspekt einer allgemeinen Verwechselungsgefahr für den Operateur und nicht auch im Hinblick auf thermische Einwirkungen geschehen. Einer entsprechenden Ausdifferenzierung bedurfte es indessen nicht. Risiken brauchen nicht in all ihren Erscheinungsformen aufgezählt zu werden. Es reicht hin, sie als solche zu erwähnen und damit eine allgemeine Vorstellung von potentiellen Folgen des Eingriffs zu vermitteln (BGHZ 90, 103; BGH NJW 2009, 1209). Dem ist man auf Beklagtenseite gerecht geworden.“

Mit Blick auf den Schriftsatz des Klägers vom 03.11.2014 ist ergänzend zu bemerken:

1. Über Arzthaftungsprozesse nicht allein durch Urteil, sondern auch im Beschlussweg des § 522 Abs. 2 ZPO zu befinden, entspricht gängiger richterlicher Praxis und ist wiederkehrend vom Bundesgerichtshof gebilligt worden. Das zeigt an, dass eine mündliche Verhandlung nicht ohne weiteres geboten ist. Anlass dazu gibt es regelmäßig lediglich dann, wenn in der Berufungsinstanz neue rechtliche Würdigungen im Raum stehen, die im schriftlichen Verfahren nicht angemessen erörtert werden können, oder wenn dem existentiellen Gewicht, das der Rechtsstreit für eine Partei hat, nur im Rahmen einer persönlichen Anhörung angemessen Rechnung getragen werden kann (vgl. Heßler in Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 522 Rn. 40). Dafür ist konkret weder etwas dargetan noch sonst etwas ersichtlich.

2. Die Frage danach, ob der Einsatz eines LigaSure™-Geräts zur Durchtrennung des Gallenblasengangs unethisch oder medizinisch grob fehlerhaft war, ist ohne ersatzrechtliche Relevanz, weil daraus kein Schaden erwuchs.

3. Das LigaSure™-Gerät zur Präparation zu verwenden, war nach den Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. U. nicht fehlerhaft (Anhörungsprotokoll vom 10.06.2014 S. 4 = Bl. 176 GA). Neu und kritikwürdig war zum damaligen Zeitpunkt nur, das Gerät zur Durchtrennung des Gallenblasengangs zu verwenden (Anhörungsprotokoll a.a.O.).

4. Die – vom Kläger augenscheinlich als kurz empfundene – Zeitspanne von elf Tagen zwischen dem Eingang der Berufungsbegründungsschrift (per Fax am 09.10.2014) und dem Datum des Androhungsbeschlusses (20.10.2014) gibt keine Veranlassung zur Annahme, die Meinungsbildung im Senat sei vorschnell erfolgt. Der Senat ist generell bestrebt, hier eingehende Akten und Schriftsätze ohne Aufschub durchzuarbeiten. Demgemäß konnte im vorliegenden Fall – nach Auswertung des erstinstanzlichen Prozessstoffs und der Rechtsmittelangriffe des Klägers sowohl durch den stellvertretenden Vorsitzenden als auch durch den Berichterstatter und der Erstellung eines schriftlichen Votums durch diesen – bereits am 15.10.2014 in die Beratung eingetreten werden.

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