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Patientenakte – Anspruch auf Kopie von Unterlagen Dritter?

AG Charlottenburg, Az.: 233 C 578/15, Urteil vom 10.06.2016

1. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Einsichtnahme in die für ihn geführte Patientenakte (mit Ausnahme des Schreibens der … vom 23.04.2015) und zwar gemäß § 630 g Abs. 2 BGB durch Übersendung elektronischer Abschriften zu erteilen Zug um Zug gegen Erstattung der der Beklagten entstehenden Kopie- und Portokosten.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 30 % und die Beklagte 70 %.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung zu Ziffer 1. durch Sicherheitsleistung in Höhe von 100,00 € abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Beklagte darf im Übrigen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Patientenakte – Anspruch auf Kopie von Unterlagen Dritter?
Foto: www.BillionPhotos.com/ Bigstock

Der Kläger, der unter einer … leidet, befand sich in der Zeit vom 13.04.2015 bis 16.04.2014 in freiwilliger Behandlung in der … Klinik der Beklagten. Am 16.04.2015 kam es zu einer Auseinandersetzung mit der Ehefrau des Klägers, die daraufhin die Klinik anrief, die ihrerseits die Polizei alarmierte. Der Kläger wurde dann zwangsweise in die Klinik zurückgebracht.

Die Ehefrau des Klägers überreichte der Beklagten mit Schreiben vom 23.04.2015 einen Brief mit einer Zusammenfassung der Krankheitsgeschichte des Klägers.

Die Ärzte diagnostizierten bei dem Kläger …

Das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin stellte am 24.04.2015 beim Amtsgericht Charlottenburg einen Antrag auf Einleitung eines Unterbringungsverfahrens nach PsychKG. Durch Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg vom 25.04.2015 wurde die Unterbringung des Klägers bis zum 16.05.2015 nach den Bestimmungen des PsychKG wegen Eigen- und Fremdgefährdung bei … angeordnet.

Eine Ärztin der Beklagten beantragte mit Schreiben vom 28.04.2015 die Einleitung eines Verfahrens auf Anordnung einer Betreuung. Im Rahmen des Betreuungsverfahrens holte das Amtsgericht Charlottenburg ein Gutachten ein zu der Frage, ob eine Betreuung für den Kläger eingerichtet werden müsste. Der Sachverständige … beschäftigte sich am 01.05.2015 für die Dauer von etwa 1 Stunde und 45 Minuten bis 2 Stunden mit dem Kläger und verfasste am selben Tag einen Bericht, bei dem das Schreiben der Ehefrau vom 23.04.2015 berücksichtigt wurde.

Der Kläger wurde am 16.05.2015 aus der Klinik entlassen. Das Betreuungsverfahren wurde eingestellt.

Der Kläger forderte die Beklagte auf, eine Kopie des Schreibens der …, der Ehefrau des Klägers, vom 23.04.2015 herauszugeben. Die Beklagte berief sich auf das Briefgeheimnis.

Mit Anwaltsschreiben vom 07.12.2015 wurde die Beklagte aufgefordert, gemäß § 630 g Abs. 2 BGB elektronischer Abschriften von der Patientenakte zu übermitteln.

Die Beklagte bot dem Kläger mit Schreiben vom 21.12.2015 an, Einsicht in die Patientenunterlage vor Ort zu nehmen unter Betreuung eines Arztes.

Der Kläger befindet sich sowohl in der Schweiz bei … als auch in Berlin bei .. … in ständiger ärztlicher Betreuung.

Die … bescheinigte dem Kläger am 14.03.2016, dass sich der Kläger bei ihr seit dem 10.08.2015 in Behandlung befinde. Er leide unter …, … . Der psychopathologische Befund sei stabil, seit der Kläger sich bei ihr in Behandlung befinde.

Die … bescheinigte dem Kläger am 01.04.2016, dass sie sich sicher sei, dass die Einsichtnahme in die Patientenakte in keiner Weise Auswirkung auf etwa noch notwendige Therapien, bzw. auf seinen derzeitigen Gesundheitszustand haben könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Bescheinigung vom 14.03.2016 (Anlage K 12) sowie die Bescheinigung vom 01.04.2016 (Anlage zum Klägerschriftsatz vom 05.04.2016) Bezug genommen.

Der Kläger behauptet, in dem Schreiben von … seien unwahre Behauptungen aufgestellt worden, die unter anderem von dem Sachverständigen … in dem von ihm erstellten Gutachten Berücksichtigung gefunden hätten.

Der Kläger sei in der Lage, den Inhalt der Akte ohne Gefährdung seines psychischen Zustandes vollständig zur Kenntnis zu nehmen. Die Beklagte hätte die Herausgabe des Schriftstückes der … vom 23.04.2015 schon deswegen nicht verweigern können, weil der Beklagten bekannt gewesen sei, dass sich der Kläger notfalls auch auf anderem Wege Kenntnis von diesem Text hätte verschaffen können.

Das Landgericht Berlin hat dem Kläger in dem Beschwerdeverfahren 87 T 323/15 (AG Charlottenburg 56 XVII 109/15) eine Kopie des Schreibens der … vom 23.04.2015 übermittelt.

Die Parteien haben den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt, soweit mit der Herausgabe der Patientenakte auch das Schreiben der … vom 23.04.2015 verlangt wurde.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Einsichtnahme in die für ihn geführte Patientenakte und zwar gemäß § 630 g Abs. 2 BGB durch Übersendung elektronischer Abschriften zu erteilen Zug um Zug gegen Erstattung der der Beklagten entstehenden Kopie- und Portokosten, hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Einsichtnahme in die für ihn geführte Patientenakte, mit Ausnahme des Schreibens der … vom 23.04.2015, durch Übersendung elektronischer Abschriften an den Kläger zu Händen von … … …. zu erteilen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, ein Einsichtsrecht habe nicht bestanden, da erhebliche therapeutische Gründe entgegengestanden hätten. Das Einsichtsrecht des Klägers sei eingeschränkt, da er unter einer schweren psychischen Erkrankung leide.

Der Arzt müsse seine Entscheidung dem Patienten und dem Gericht gegenüber nicht im Einzelnen begründen. Eine nachprüfbare Begründung ließe sich mit der gebotenen Zurückhaltung der Krankengeschichte nicht vereinbaren.

Aufgrund der nicht vorhandenen Krankheitseinsicht bestehe die Gefahr, dass der Kläger bei unbegleiteter Einsichtnahme in die Behandlungsunterlagen der Beklagten, in der sich auch zahlreiche Diagnosen und Einschätzungen der Therapeuten befinden, in einen aggressiven Zustand gerate und dadurch sich selbst oder andere schädige. Der Kläger habe schließlich in der Vergangenheit bereits ein sehr aggressives Verhalten gegenüber seiner Familie und z.B. dem Personal der Beklagten gezeigt. Die alleinige Einsichtnahme des Patienten in die Behandlungsunterlagen könnte den Patienten erheblich schaden.

Ein Einsichtsrecht in das Schreiben der Ehefrau vom 23.04.2015 bestehe nicht, da die Rechte der Ehefrau und des gemeinsamen Kindes entgegenstünden.

Allein der Umstand, dass der Kläger nicht eine Genehmigung seiner Ehefrau zur Einsicht in den Brief vorlege, beweise, dass die Rechte der Ehefrau und des gemeinsamen Kindes dem Einsichtsrechts des Klägers entgegenstünden.

Die Beklagte ist der Ansicht, sie sei nicht verpflichtet, von einer handschriftlich geführten Patientenakte eine elektronische Abschrift zu fertigen.

Die Versendungsgefahr für die Übermittlung der Unterlagen trage gemäß § 811 BGB der Kläger.

Nach Schluss der mündlichen Verhandlung hat der Kläger die von der Beklagten geforderten Kosten überwiesen. Die Beklagte hat die Unterlagen am 28.04.2016 per Post an die Praxis von … versandt. Die Behandlungsunterlagen kamen am 03.05.2016 mit dem Vermerk zurück, dass der Empfänger nicht zu ermitteln sei. Die Beklagte forderte den Kläger auf, zum Zwecke der erneute Zustellung an … weitere Kosten in Höhe von 6,99 € zu zahlen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch gemäß §§ 630 g Abs. 1, Abs. 2 BGB, 630 g Abs. 1, Abs. 2 BGB analog auf Übersendung einer elektronischen Abschrift der Patientenakte (mit Ausnahme des Schreibens der … … vom 23.04.2015).

Soweit die Patientenakte zu einem Zeitpunkt erstellt wurde, in dem sich der Kläger freiwillig bei der Beklagten befand, folgt der Anspruch unmittelbar aus § 630 g Abs. 1, Abs. 2 BGB, für den Zeitpunkt ab Unterbringung gemäß gerichtlichem Beschluss vom 25.04.2015 folgt der Anspruch aus § 630 Abs. 1, Abs. 2 BGB analog.

§ 630 g BGB findet für den Zeitraum der Unterbringung nach PsychKG zwar keine unmittelbare Anwendung, weil der Kläger insoweit mit der Beklagten keinen Behandlungsvertrag geschlossen hat. Die entsprechende Anwendung der Vorschriften über den Behandlungsvertrag (§§ 630a ff BGB) ist aber geboten, um eine insoweit bestehende Regelungslücke zu schließen.

Der Einsichtnahme in die Patientenakte durch Übersendung elektronischer Abschriften stehen nicht erhebliche therapeutische Gründe entgegen.

Die Beklagte hat einen therapeutischen Vorbehalt nicht hinreichend substanziiert dargelegt. Der Vortrag der Beklagten, aufgrund der nicht vorhandenen Krankheitseinsicht bestehe die Gefahr, dass der Kläger bei unbegleiteter Einsichtnahme in die Behandlungsunterlagen der Beklagten in einen aggressiven Zustand gerate und dadurch sich selbst oder andere schädige, der Kläger habe schließlich in der Vergangenheit bereits ein sehr aggressives Verhalten gegenüber seiner Familie und z.B. dem Personal der Beklagten gezeigt, ist nicht ausreichend.

Entscheidend ist, ob der Kläger zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung in der Lage war, den Inhalt der Akte ohne Gefährdung seines psychischen Zustandes vollständig zur Kenntnis zu nehmen. Dies hat der Kläger substanziiert durch Vorlage der Bescheinigung der Ärztinnen … vom 14.03.2016 und … vom 01.04.2016 dargelegt. Substanziierte Einwendungen gegen die fachärztlichen Bescheinigungen hat die Beklagte nicht erhoben.

Der Kläger hat gemäß § 630 g Abs. 2 Satz 1 BGB Anspruch auf Abschrift der Patientenakte in elektronischer Form.

Der Anspruch gemäß § 630 g Abs. 2 Satz 1 BGB bezieht sich nicht nur auf originär elektronisch geführte Akten, sondern auch auf die „Papierakte“. Er hat zur Folge, dass der Behandelnde bei einem entsprechenden Begehren die Akte einscannen und die entsprechenden Informationen dann auf CD oder per USB-Stick zur Verfügung stellen muss.

(M. Rehborn/S. Gescher in: Erman BGB, Kommentar, § 630g BGB, Rn. 16).

Der Wortlaut „von der Patientenakte“ deutet darauf hin, dass sämtliche Bestandteile der Patientenakte in eine maschinenlesbare Kopie umzuwandeln sind.

Die Gesetzesbegründung ist insoweit nicht eindeutig.

Der Wortlaut des Gesetzes und der am umfassenden Schutz des Patienten orientierte Gesetzeszweck sprechen dafür, dass der Patient Anspruch auf eine elektronische, maschinenlesbare Abschrift auch solcher Aktenbestandteile hat, die im Original nicht elektronisch vorgehalten werden (Lafontaine in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 630g BGB, Rn. 118).

Der Anspruch besteht Zug um Zug gegen Erstattung der Kosten, die für die Fertigung und Übersendung der elektronischen Abschriften von der Patientenakte entstehen.

Ein Anspruch auf Erstattung von Kopier- und Portokosten für die Versendung von Kopien der Patientenakte per Post an … besteht nicht, da der Kläger eine Übersendung in Papierform per Post nicht verlangt hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 91a ZPO.

Soweit die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend hinsichtlich des Schreibens der … vom 23.04.2015 für erledigt erklärt haben, hat der Kläger die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 91a ZPO zu tragen.

Denn insoweit war die Klage ursprünglich unbegründet.

Der Kläger hatte gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Herausgabe einer Kopie des Schreibens vom 23.04.2015, da insoweit erhebliche Rechte Dritter gemäß § 630 g Abs. 1 Satz 1 BGB entgegenstanden. Die Beklagte hat unbestritten dargelegt, dass … nicht mit der Weitergabe ihres Schreibens vom 23.04.2015 durch die Beklagte an den Kläger einverstanden war. Eine Genehmigung der Ehefrau zur Einsicht in den von ihr geschriebenen Brief hat der Kläger nicht dargelegt. Bei der Abwägung zwischen den Persönlichkeitsrechten der … … und dem Recht des Klägers auf Einsicht in die Patientenakte überwiegen die Persönlichkeitsrechte der … . Dabei ist zu berücksichtigen, dass der vom Gericht bestellten Sachverständigen …, in seinem Gutachten, das dem Kläger vorliegt, für das aktuelle klinische psychopathologische Bild des Betroffenen relevante Auszüge aus dem Schreiben der Ehefrau umfangreich zitiert hat, so dass dem Kläger die relevanten Auszüge bereits bekannt waren. Unerheblich ist, ob der Kläger auf anderen Wegen über Dritte Kenntnis von dem Schreiben hätte erlangen können. Solange die Beklagte nicht positiv wusste, dass dem Kläger das Schreiben bekannt war, hatte sie die Rechte der … zu beachten.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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