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Pflichten Allgemeinarzt – Überweisung in fachärztliche Behandlung

OLG Dresden – Az.: 4 U 506/19 – Beschluss vom 08.08.2019

1. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

3. Dieser Beschluss und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

4. Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf 8.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch – einstimmig gefassten – Beschluss zurückzuweisen.

Sie bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.

Zur Begründung nimmt der Senat auf seinen Hinweisbeschluss vom 04.06.2019 Bezug. Die Ausführungen der Klägerin im Schriftsatz vom 19.06.2019 beschränken sich auf eine Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens, ohne neue Gesichtspunkte aufzuzeigen. Weder die wiederholend vorgetragenen Argumente zur Notwendigkeit einer Aufklärung noch die Ausführungen zum medizinischen Facharztstandard und zur Klärung der juristischen Fragen wie auch schlussendlich die von der Klägerin geforderte „Gesamtbetrachtung“ des ärztlichen Verhaltens gebieten eine andere Sichtweise. Soweit ersichtlich, zielt die diesbezügliche Argumentation der Klägerseite darauf ab, dass die ohne Spaltlampe und andere Hilfsmittel durchgeführte Augenuntersuchung und die unterbliebene sofortige Überweisung an den Augenarzt nicht hätten isoliert betrachtet werden dürfen, sondern dass die „oberflächliche“ eigene Augenuntersuchung zwar zulässig gewesen sei, aber nur dann, wenn dem eine sofortige Überweisung an den Facharzt gefolgt wäre, oder aber eine Überweisung hätte unterbleiben dürfen, dann aber eine eigene profunde, mit augenärztlichen Hilfsmitteln (Spaltlampe, Fluoreszin-Färbung) Augenuntersuchung hätte erfolgen müssen. Eine solche Schlussfolgerung ist aber nicht geboten – sie ergibt sich weder aus den Ausführungen des Sachverständigen, noch aus den klägerseits vorgelegten Fachartikeln und auch nicht aus der klägerseits zitierten Rechtsprechung.

Pflichten Allgemeinarzt – Überweisung in fachärztliche Behandlung
(Symbolfoto: Von fizkes/Shutterstock.com)

Auch der Sachverständige hat nicht etwa die Überweisung an einen Augenarzt für in jedem Falle entbehrlich gehalten. Er hat aber nachvollziehbar ausgeführt, dass hierbei ein Zuwarten von „ca. 2 Tagen“ nicht zu beanstanden gewesen sei. Damit widerspricht er in der Sache nicht der klägerischen Auffassung. Der Streit reduziert sich bei genauerer Betrachtung auf die Frage, wie schnell eine Vorstellung beim Augenarzt hätte erfolgen müssen. Die Klägerin darf hierbei nicht außer Acht lassen, dass es nicht um die Frage geht, welche Vorgehensweise sich im Nachhinein als bestmöglich herausgestellt hat, sondern welche Handlungsweise bei der gebotenen ex-ante Betrachtung dem Standard entsprach. Die Klägerin kann hierbei auch nicht den „Goldstandard“ für sich in Anspruch nehmen, also all diejenigen Maßnahmen fordern, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst überhaupt denkbar zur Verfügung standen, sondern sie kann nur dasjenige fordern, was sich in der medizinischen Wissenschaft und Praxis als von der jeweiligen Berufsgruppe als objektiv einzuhaltender Standard etabliert hat (Vgl. Palandt-Weidenkaff, BGB, 78 Aufl. § 630a, Rz 9 m.w.N.). Vor allem kann die Klägerin nicht generalisierend und abstrakt die Einhaltung eines von ihr so gesehenen Standards einfordern, sondern muss die konkrete Situation, wie sie sich dem Beklagten zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Behandlung präsentiert hat, im Blick behalten. Dies bedeutet: In die Entscheidung des Beklagten zu 1, wie zu verfahren sei, durfte und musste die Tatsache einfließen, dass die Klägerin von Gartenarbeit und von einem Fremdkörpergefühl berichtet hatte und dass ein gerötetes Auge sichtbar war, nicht mehr und nicht weniger. Die Klägerin hatte weder von Schmerzen noch von einer Sehverschlechterung berichtet. Gartenarbeit indiziert für sich genommen deshalb noch nicht das Vorliegen eines Fremdkörpers, weil dabei auch durch Blütenstaub, Pollen oder Ähnliches Reizungen des Auges hervorgerufen werden können. Bei derart unspezifischen Beschwerden am Auge, wie sie die Klägerin aufwies und auch beschrieb, war es nach allgemeinmedizinischem Standard gerechtfertigt, bis zur Entscheidung über eine gegebenenfalls notwendige Überweisung noch 2 – 3 Tage abzuwarten. Nichts anderes ergibt sich aus der klägerseits zitierten Literatur. Neben den bereits im Hinweisbeschluss angesprochenen Literaturstellen der Anlagen K3 und K5 ergibt sich auch aus der Anlage K 6 nichts anderes. Abgesehen davon, dass Augenärzte nicht dadurch den Standard für Allgemeinärzte definieren indem sie in einer Zeitschrift für Allgemeinmediziner publizieren, ergibt sich auch aus diesem Artikel nicht die Verpflichtung zur sofortigen Überweisung an den Augenarzt in Fällen wie dem vorliegenden. Es wird hier lediglich eine Pflicht zur Abgrenzung der Dringlichen von den weniger kritischen Fällen postuliert – einen solchen dringlichen Fall hat der Sachverständige aber gerade anhand der ex-ante bekannten Umstände verneint – sowie die Pflicht des Allgemeinarztes, oberflächlich erkennbare Fremdkörper schnell zu entfernen. Da auch in diesem Artikel andere Ursachen als ein Fremdkörper für die Augenrötung angesprochen werden (S. 18 des Artikels) „erlaubt“ auch dieser Fachartikel einen Therapieversuch durch den Allgemeinarzt mit Tränenersatzmitteln für den Fall einer Hornhautirritation mit nicht allzu ausgeprägter Rötung und empfiehlt erst bei Beschwerdepersistenz eine augenärztliche Untersuchung (S. 18 des Artikels). Auch die klägerseits bemühte Anlage K 8 – wiederum ein Informationsblatt einer Fachklinik für Augenheilkunde und nicht für Allgemeinmedizin – gibt für die klägerische Auffassung nichts her. Die Information zielt offenkundig darauf ab, den medizinischen Laien davon abzuhalten, eine tatsächlich vorhandene Konjunktivitis selbst zu therapieren. Mit der Frage, wie lange ein Allgemeinarzt berechtigt ist, im Falle der Verdachtsdiagnose einer Konjunktivitis einen eigenen Therapieversuch zu starten, hat der Artikel ersichtlich nichts zu tun. Auch die klägerseits zitierte Rechtsprechung betrifft keine dem vorliegenden Fall vergleichbare Konstellation: Der vom BGH in seinem Urteil 21.12.2010 entschiedene Fall betraf eine Befundsituation, in der auch ein nicht zum betreffenden Fachbereich gehörender Arzt und sogar ein „ungeübtes Auge“ unschwer einen fachspezifischen Befund hätte erkennen können (BGH, VI ZR 284/09, Rz. 12, 13 – nach juris). Auch der vom OLG Hamm unter I-3 U 55/14 am 29.10.2024 entschiedene Fall ist mit der vorliegenden Konstellation nicht vergleichbar. Wegen Art und Gefährlichkeit der dort vorliegenden Erkrankung waren Schutz- und Warnhinweise erforderlich, welche im Rahmen der sogenannten Sicherungs- oder therapeutischen Aufklärung die Pflicht zur Aufklärung über mögliche alternative Vorgehensweisen begründete (OLG Hamm, a.a.O., Rz. 55 – juris). Vorliegend jedoch war angesichts des Beschwerdebildes, das auch nach den Angaben der Klägerin selbst eher mäßig ausgeprägt war, ein lediglich 2 – 3tägiger hausärztlicher Therapieversuch ohne den Hinweis auf die Option einer sofortigen Augenarztüberweisung lege artis. Im Übrigen bedurfte die Klägerin insoweit auch keiner Aufklärung, weil sie nach eigenen Angaben ja gerade mit dem ursprünglichen Ziel einer Überweisung den Beklagten aufgesucht hatte. Soweit die Klägerin nun – erstmalig – vorträgt, der Beklagte habe sie „überredet“ von einem Besuch beim Augenarzt Abstand zu nehmen, so hat sie hierfür keinen Beweis angeboten, obwohl die Äußerung im Widerspruch zu der aktenkundigen Stellungnahme des Beklagten persönlich steht, in der er ausführte, sofern ein Augenarztbesuch ausdrücklich gewünscht würde, würde er dies niemals einem Patienten verwehren.

Der Senat verbleibt daher auch nach nochmaliger Prüfung bei seiner bereits mitgeteilten Rechtsauffassung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

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