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Rechtswidrigkeit einer Operationsdurchführung – Erfüllung Wahlleistungsvereinbarung

OLG Hamm – Az.: I-26 U 74/17 – Urteil vom 15.12.2017

Die Berufung der Beklagten gegen das am 28. April 2017 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Siegen wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufungsinstanz werden den Beklagten auferlegt.

Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Klägerin ist gesetzlicher Krankenversicherer der am 00.00.1918 geboren und am 00.00.2012 verstorbenen Frau M (im Folgenden: Patientin) gewesen. Sie hat in der Hauptsache den Ersatz von Aufwendungen in Höhe von 30.000,00 EUR begehrt.

Die Patientin befand sich vom 01.12.2011 in stationärer Behandlung im T-Krankenhaus der Beklagten zu 1). Insoweit bestand neben dem totalen Krankenhausaufnahmevertrag eine Wahlleistungsvereinbarung vom 12.12.2011, die die Patientin, die bei der J AG zusatzversichert war, abgeschlossen hatte. Nach dieser Wahlleistungsvereinbarung war eine Chefarztbehandlung durch den Beklagten zu 2) vereinbart, der im Verhinderungsfall u.a. von der Beklagten zu 3) vertreten werden durfte.

Am 21.12.2011 führte die Beklagte zu 3) eine Koloskopie durch, bei der es zu einem Einriss im Bereich der Rektumschleimhaut kam, der auf Scherkräfte im Rahmen der Koloskopie zurückzuführen war. Der Beklagte zu 2) war bei der Operation anwesend. Er hatte dabei allerdings die Funktion des Anästhesisten.

Postoperativ wurde durch den Eingriff eine intensivmedizinische Behandlung mit Beatmung bis zum 30.12.2011 erforderlich. Während der intensivmedizinischen Behandlung trat eine Sepsis auf. Am 30.12.2011 wurde die Patientin auf die internistische Intensivstation verlegt, wo sie am 00.00.2012 verstarb.

Erstinstanzlich haben die Parteien insbesondere darüber gestritten, ob die Koloskopie indiziert gewesen ist, ob die Patientin zuvor hinreichend aufgeklärt worden ist, und ob der Eingriff schon mangels persönlicher Durchführung durch den Beklagten zu 2) rechtswidrig gewesen ist. Ferner haben die Beklagten die von der Klägerin erbrachten und berechneten Aufwendungen teilweise bestritten.

Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben.

Rechtswidrigkeit einer Operationsdurchführung - Erfüllung Wahlleistungsvereinbarung
(Symbolfoto: Kotin/Shutterstock.com)

Die Durchführung der Koloskopie sei rechtswidrig gewesen, weil sie nicht von der Einwilligung der Patientin abgedeckt gewesen sei. Nach der abgeschlossenen Wahlleistungsvereinbarung hätte die Koloskopie von dem liquidationsberechtigten Beklagten zu 2) durchgeführt werden müssen. Ein Verhinderungsfall habe nicht vorgelegen, weil der Beklagte bei dem Eingriff anwesend gewesen sei.

Wegen des Vorliegens eines nicht durch eine wirksame Einwilligung gedeckten Eingriffs seien die Beklagten verpflichtet, sämtliche darauf zurückführenden Aufwendungen als Schaden zu ersetzen. Das Bestreiten der Schadenspositionen sei angesichts der detaillierten Auflistungen der Klägerin unsubstanziiert.

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die das erstinstanzliche Begehren auf Klageabweisung weiter verfolgen.

Die Beklagten sind der Auffassung, dass die Aufgabenverteilung bei der Koloskopie den Anforderungen der Wahlleistungsvereinbarung entsprochen habe. Sie verweisen darauf, dass der Beklagte zu 2) persönlich anwesend gewesen sei. Er habe den gesamten Untersuchungsvorgang auf großen Videomonitoren simultan überwacht und ständig beobachtet. Seine Fähigkeiten, Erfahrungen und erweiterten Kenntnisse hätten deshalb zur Verfügung gestanden.

Überdies greife die Rechtsprechung zur Erbringung von Wahlleistungen deshalb nicht, weil es sich bei der Koloskopie nicht um eine Kernleistung gehandelt habe.

Hinzu komme, dass nach den aktuellen Leitlinien die Koloskopie mit Untersuchung und Sedierung zwingend von 2 Ärzten durchgeführt werden müsse. Die Unterzeichnung der Wahlleistungsvereinbarung enthalte deshalb zwingend auch die Einwilligung, dass anderes Personal an der Operation mitwirkt.

Überdies zeige die Unterzeichnung der Wahlleistungsvereinbarung, dass der Patientin nicht darum gegangen sei, dass ausschließlich der Beklagte zu 2) die Operation durchführt.

Die Beklagten beantragen, unter Abänderung des am 28.4.2017 verkündeten Urteils des Landgerichts Siegen zum Az. 2 O 329/14 die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung. Der Beklagte zu 2) hätte den Eingriff persönlich vornehmen müssen. Ein Vertretungsfall habe nicht vorgelegen. Die Patientin sei auch nicht über eine Verhinderung des Beklagten zu 2) informiert worden. Die getroffene Vereinbarung sei ohnehin unwirksam gewesen. Es habe sich bei der Koloskopie auch um eine unter die Vereinbarung fallende Kernleistung gehandelt. Der Beklagte zu 2) habe deshalb den Eingriff nicht delegieren dürfen. Zur Durchführung der Anästhesie hätte er gegebenenfalls den liquidationsberechtigten Anästhesisten hinzu holen müssen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes, insbesondere des genauen Wortlautes der erstinstanzlich gestellten Anträge, wird auf die angefochtene Entscheidung und die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet.

Zu Recht hat das Landgericht der Klage stattgegeben. Der Klägerin steht gegen die Beklagten aus den §§ 611, 280, 278, 823, 831, 249, 286, 288 ff. ein Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten Aufwendunggen nebst gesetzlicher Verzugszinsen zu.

1. Es kann dahingestellt bleiben, ob Ansprüche wegen Behandlungsfehlern bestehen. Denn jedenfalls ergeben sich geltend gemachten Ansprüche aus den nachfolgenden Erwägungen.

2. Die Beklagten haften gem. den §§ 823, 831, 249 ff. BGB für sämtliche Folgen der Behandlung schon deshalb, weil die Behandlung mangels wirksamer Einwilligung der Patientin insgesamt rechtswidrig gewesen ist.

a. Es hat eine rechtswidrige Behandlung wegen Nichteinhaltung der Voraussetzungen der Wahlleistungsvereinbarung vorgelegen.

Aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten leiten sich Verhaltenspflichten des Arztes ab, die ihn nicht nur zur Sorgfalt bei der Behandlung des Patienten verpflichten, sondern auch dazu, sich dessen Einwilligung in diese Maßnahmen zu versichern. Erklärt der Patient in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts, er wolle sich nur von einem bestimmten Arzt operieren lassen, darf ein anderer Arzt den Eingriff nicht vornehmen. Ist ein Eingriff durch einen bestimmten Arzt, regelmäßig den Chefarzt, vereinbart oder konkret zugesagt, muss der Patient rechtzeitig aufgeklärt werden und zustimmen, wenn ein anderer Arzt an seine Stelle treten soll. Fehlt die wirksame Einwilligung in die Vornahme des Eingriffs, ist der in der ärztlichen Heilbehandlung liegende Eingriff in die körperliche Integrität rechtswidrig (vgl. Urteil des BGH vom 19.07.2016 – VI ZR 75/15 -; Juris unter Rz.10).

Die Patientin hat unter dem 12.12.2011 eine Wahlleistungsvereinbarung geschlossen, wonach der Beklagte zu 2) nach der GOÄ/GOZ abrechnen durfte. Im Falle seiner unvorhergesehenen Verhinderung sollte die Übernahme der Aufgaben durch die Beklagte zu 3) zulässig sein.

Ob entsprechend der Auffassung der Klägerin die Wahlleistungsvereinbarung unwirksam ist, kann dahingestellt bleiben, weil eine Haftung in jedem Fall gegeben ist. Denn die Voraussetzungen der Wahlleistungsvereinbarung sind nicht erfüllt worden.

b. Der Patient schließt einen solchen Vertrag im Vertrauen auf die besonderen Erfahrungen und die herausgehobene medizinische Kompetenz des von ihm ausgewählten Arztes ab, die er sich in Sorge um seine Gesundheit gegen Entrichtung eines zusätzlichen Honorars für die Heilbehandlung sichern will. Demzufolge muss der Wahlarzt die seine Disziplin prägende Kernleistung persönlich und eigenhändig erbringen. Insbesondere muss der als Wahlarzt verpflichtete Chirurg die geschuldete Operation grundsätzlich selbst durchführen, sofern er mit dem Patienten nicht eine Ausführung seiner Kernleistungen durch einen Stellvertreter wirksam vereinbart hat (vgl. Urteil des BGH vom 11.05.2010 – VI ZR 252/08; Juris unter Rz.7; Urteil des BGH vom 20.12.2007 – III ZR 144/07; Juris unter Rz.7).

Bei der Koloskopie handelt es sich um eine solche die Innere Medizin prägende Kernleistung. Es ging um einen operativen Eingriff mit nicht unerheblichen Risiken und möglichen Schwierigkeiten (siehe auch den OP-Bericht). Es kam maßgeblich auf die Fähigkeiten des Operateurs an. Insoweit ist es unerheblich, ob die Koloskopie die alleinige operative Leistung sein sollte, oder ob diese neben anderen Eingriffen erfolgte. In beiden Fällen besteht das erkennbare Interesse des Patienten daran, sich hierfür durch die Wahlleistungsvereinbarung die fachliche Expertise des Wahlleistungsarztes zu verschaffen.

So hat auch das LAG Niedersachsen die Koloskopie als Kernleistung angesehen (vgl. Urteil des LAG Niedersachsen v. 17.04.2013 – 2 Sa 179/12 -, Juris-Veröffentlichung unter Rz.68).

Der Beklagte zu 2) musste die Koloskopie demnach grundsätzlich selbst durchführen.

c. Es lag auch kein zulässiger Vertretungsfall vor.

Nach der Wahlleistungsvereinbarung durfte die Beklagte zu 3) nur im Falle einer unvorhersehbaren Verhinderung des Beklagten zu 2) die Leistung erbringen.

Eine Verhinderung war jedoch nicht gegeben. Der Beklagte zu 2) war während der Koloskopie als Anästhesist anwesend. Er kann deshalb nicht an der Erbringung der Koloskopie verhindert gewesen sein.

d. Durch die Anwesenheit bei dem Eingriff der Beklagten zu 3) hat der Beklagte zu 2) keine persönliche Leistung im Sinne der Wahlleistungsvereinbarung erbracht.

Die Beklagten berufen sich ohne Erfolg darauf, dass der Beklagte zu 2) als Wahlarzt anwesend gewesen sei und zumindest eine Supervision geleistet habe.

Denn der Beklagte zu 3) war verantwortlich mit der Anästhesie und insbesondere der Überwachung von Puls, Blutdruck und Sauerstoffsättigung beschäftigt. Er war deshalb organisatorisch für diesen Bereich zuständig und nicht für den chirurgischen. Er hatte diesen Bereich auch tatsächlich auszufüllen. Dadurch war er maßgeblich mit der Überwachung der Anästhesie beschäftigt und konnte er das chirurgische Geschehen nicht wie die unstreitig tatsächlich mit der Führung der Instrumente befasste Operateurin beobachten und beeinflussen. Das gilt insbesondere bei Augenblicksversagen bei der Durchführung – etwa der hier erfolgten Extraktion von zwei Polypen -, bei der die Schädigung schon passiert sein konnte, wenn sie für den Beklagten zu 2) erkennbar wurde. Darüber hinaus war der Beklagte zu 3) als Anästhesist während anästhesistischer Notfallsituationen nicht in der Lage, die Koloskopie zu beeinflussen.

Eine Supervision war deshalb hier mit der eigenhändigen Erbringung nicht zu vergleichen. Ebenfalls ist die Fallgestaltung nicht vergleichbar mit der Operation durch einen Assistenzarzt unter Aufsicht des Oberarztes. Denn in diesem Fall sind beide Mediziner im selben Fachgebiet tätig.

Auch der Operationsbericht weist zutreffend nur die Beklagte zu 3) als Untersucherin aus.

e. Die Beklagten können sich nicht darauf berufen, dass die Patientin mit der Leistungserbringung wie geschehen einverstanden gewesen wäre.

Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob es sich um eine Frage des rechtmäßigen Alternativverhaltens oder der hypothetischen Einwilligung handelt. In beiden Fällen gilt:

Den Beklagten ist der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens verwehrt, weil dies dem Schutzzweck des Einwilligungserfordernisses bei ärztlichen Eingriffen widerspricht. Der Arzt, der ohne eine auf seine Person bezogene Einwilligung des Patienten operiert hat, kann sich nicht darauf berufen, dass der Patient mit der Vornahme des Eingriffs durch einen anderen – zumal besser qualifizierten – Operateur einverstanden gewesen sei. Könnte er sich mit diesem Einwand einer Haftung entziehen, bliebe der rechtswidrige Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten sanktionslos (vgl. Urteil des BGH vom 19,07.2016 – VI ZR 75/15 -; Juris unter Rz. 8, 11).

Dasselbe gilt wegen identischer Interessenlage auch bei der Einordnung in den Bereich der hypothetischen Einwilligung.

f. Der Anspruch besteht auch der Höhe nach.

Die Beeinträchtigungen der Patientin sind unstreitig kausal auf die Koloskopie zurückzuführen.

Dadurch sind die Aufwendungen wie geltend gemacht entstanden. Ihre Kosten hat die Klägerin mit einem Simulationsergebnis (Anlg.K4)) dargelegt. Die erstinstanzliche pauschale Behauptung der Beklagten zu der Entstehung von höheren Sowieso-Kosten reichte demgegenüber nicht aus. Hierauf hat bereits das Landgericht hingewiesen. Die Beklagten haben sodann auch nach weiterer ausführlicher Darlegung der Berechnungsgrundlagen dazu keine Einwendungen erhoben.

Eine Haftung der Beklagten ist damit wie erkannt gegeben. Die Entscheidung des Landgerichts ist nicht zu beanstanden. Die dagegen gerichtete Berufung hat keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs.1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr.10, 711, 543 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch keine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert.

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