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Schadensersatzanspruch wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung durch Gynäkologen

LG Flensburg – Az.: 3 O 5/14 – Urteil vom 28.02.2019

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin ist der Berufshaftpflichtversicherer der Gynäkologin Dr. M. (im Folgenden: die Versicherungsnehmerin) Die Beklagten zu 2 und 3 betreiben die Beklagte zu 1 als gynäkologische Gemeinschaftspraxis. Die Klägerin begehrt einen hälftigen Gesamtschuldnerausgleich wegen einer vermeintlich fehlerhaften gemeinsamen ärztlichen Behandlung der Patientin S. (im Folgenden: die Patientin) durch ihre Versicherungsnehmerin einerseits und den Beklagten zu 3 andererseits.

Am 13.10.2005 ließ die Patientin eine Vorsorgeuntersuchung durch die Versicherungsnehmerin vornehmen, nachdem sie einen kleinen Knoten in der linken Mamma ertastet hatte. Die Versicherungsnehmerin führte eine befundlose Sonographie durch und überwies die Patientin anschließend zur Durchführung einer Mammographie an die Beklagten. Am 10.1 1.2005 führte der Beklagte zu 3 die Mammographie der Patientin durch. Nach einem Abgleich mit bereits 2002 erstellten Mammographien erkannte der Beklagte zu 3 keine Hinweise für eine Malignität, empfahl aber zugleich eine erneute sonographische Untersuchung. In dem Mammographiebefund vom 10.11.2005 (Anlage K2, Blatt 30 der Akte) heißt es unter anderem:

„Mammographie:

Kein Hinweis für einen malignomverdächtigen Fleckenschatten, keine suspekten Mikrokalzifikationen.

Beurteilung:

Teilinvolvierte Mammae mit mastopathischem Restparenchym und Verdacht auf Mammacyste links im Segment 7, keine Hinweise auf Malignität. Sonographische Untersuchung empfohlen. Pat. wurde aufgefordert, sich einen Termin bei Ihnen zu vereinbaren. Mammographische Kontrolluntersuchung in 2 Jahren empfohlen.

BI-RADS re. Mamma: 2

BI-RADS lt. Mamma: 2″

Am 05.12.2005 führte die Versicherungsnehmerin die vom Beklagten zu 3 empfohlene erneute Sonographie durch. Die Versicherungsnehmerin stellte ebenfalls keine Hinweise für eine Malignität fest. In der Karteikarte der Patientin (Anlage 1<3, Blatt 32 der Akte) heißt es unter anderem:

„MS: …keine Unterbrechung der Drüsenarchitektur, keine malignomverdächtige Schallschatten …“

Schadensersatzanspruch wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung durch Gynäkologen
(Symbolfoto: Von mariakray/Shutterstock.com)

Bei einer Vorsorgeuntersuchung der Patientin durch die Versicherungsnehmerin am 08.03.2007 beurteilte diese einen Herd in der linken Mamma als dringend karzinomverdächtig. Die daraufhin veranlasste Stanzbiopsie bestätigte den Verdacht eines Mammakarzinoms. In der Folge wurde das Mammakarzinom entfernt, zunächst brusterhaltend. Im März 2007 erfolgte die Mastektomie der linken Mamma mit axillärer Lymphadenektomie, von April bis Juni 2007 eine chemotherapeutische Behandlung der Patientin mit insgesamt 28 Bestrahlungseinheiten.

Die Patientin begehrte daraufhin Schadenersatz und Schmerzensgeld von der Klägerin. Sie warf der Versicherungsnehmerin Behandlungs- und Aufklärungsfehler vor. Am 05.01.2011 schlossen die Klägerin und die Patientin eine Abfindungsvereinbarung über 50.000 nebst außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten (Anlage K 10, Blatt 55 der Akte), die in Höhe von 4.466,43 € reguliert wurden (Anlage K 11, Blatt 56 der Akte). Vermeintliche Ansprüche des gesetzlichen Krankenversicherers der Patientin, der B., wurden am 05.09.2012 in einer Sammelbesprechung reguliert und 2012 durch eine Zahlung der Klägerin in Höhe von 140.000 € abgegolten. Mit Schreiben vom 21.08.2012 (Anlage K 13, Blatt 61 der Akte) meldete die Klägerin gegenüber den Beklagten ihre vermeintlichen Regressansprüche an.

Die Klägerin wirft dem Beklagten zu 3 Behandlungsfehler vor. Sie behauptet, die Mammographieaufnahmen vom 10.1 12005 seien unzureichend erstellt worden. Die Aufnahmen der linken Mamma zeigten zudem mehrere Herde, die der Beklagten zu 3 diagnosefehlerhaft verkannt habe. Standardgerecht seien diese Befunde nach der sog. BRADS-Klassifikation (Breast Imaging Reporting And Data System) des American College of Radiology (ACR) – in die Kategorien BRADS 3 oder 4 einzustufen gewesen und nicht, wie durch den Beklagten zu 3 erfolgt, in die Kategorie BIRADS 2. Schließlich habe der Beklagte zu 3 am 10.11.2005 fehlerhaft weitere Befunde nicht erhoben. Da die Mammographieaufnahmen keine Einordnung als BIRADS 2 zugelassen hätten, seien weitere Befunde durch den Beklagten zu 3 zu erheben gewesen. Dies gelte umso mehr, als dem Beklagten zu 3 bekannt gewesen sei, dass die Patientin mit der Vorbelastung „fam. Risiko II“ eingestuft war. Zudem habe die Versicherungsnehmerin bei der Überweisung der Patientin von einem tastbaren Knoten in der linken Mamma berichtet. Die Klägerin meint, dieser Befunderhebungsfehler überwiege den Diagnosefehler.

Sie behauptet weiter, aufgrund der Einordnung in die Kategorie BRADS 2 durch den Beklagten zu 3 sei die Diagnose des Mammakarzinoms verspätet erfolgt. Bei einer Bewertung der Befunde mit BIRADS 3 oder 4 wären unverzüglich weitere Untersuchungen an der Patientin durchgeführt, das Mammakarzinom 15 Monate früher entdeckt und die Patientin weniger beeinträchtigt worden.

Die Klägerin trägt vor, ihre Versicherungsnehmerin habe ebenfalls diagnosefehlerhaft gehandelt. Diese habe auf den Sonographien vom 17.1 12005 und 05.12.2005 erkennen müssen, dass keine eindeutige Struktur der Mamma links vorlag, die den Ausschluß einer möglichen Malignität erlaubt habe. Die Klägerin meint, aufgrund der gemeinschaftlichen und jeweils fehlerhaften ärztlichen Behandlung der Patientin bestehe eine gesamtschuldnerische Haftung der Versicherungsnehmerin und der Beklagten gegenüber der Patientin, die nach Abfindung der Patientin und ihres Krankenversicherers durch die Klägerin zu hälftigen Ausgleichsansprüchen führe.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 97.233,22 € nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB hieraus seit 24.09.2013 zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, sich mit 50 % an allen weiteren Aufwendungen der Klägerin in der Schadenersatzangelegenheit 8XXXXXXXXXX6 der Patientin S. gegen die Versicherungsnehmerin der Klägerin Frau Dr. S. zu beteiligen, insbesondere, soweit noch Schadenersatzansprüche vom Sozialversicherungsträger aus kraft Gesetzes übergegangenem Recht geltend gemacht werden sollten.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten treten dem Vorbringen der Klägerin vollumfänglich entgegen.

Sie bestreiten, bei der Behandlung der Patientin am 10.1 1.2005 fehlerhaft gehandelt zu haben. Bei dem Abgleich der an diesem Tag gefertigten Mammographieaufnahmen und den Aufnahmen aus dem Jahr 2002 seien keine wesentlichen Veränderungen erkennbar gewesen, es habe sich ausschließlich der Verdacht auf eine Mammazyste links im Segment sieben ergeben. Die Bewertung der Mammae mit BIRADS 2 sei vertretbar gewesen, allenfalls als ein einfacher Diagnosefehler einzuordnen. Weitere Befunderhebungen seien nicht geboten gewesen. Hieran seien die Beklagten im Übrigen aufgrund des erteilten Zielauftrags gehindert gewesen – über den Auftrag der Erstellung von Mammographieaufnahmen hinaus hätten deshalb weitere Untersuchungen durch die Beklagten nur bei einem konkreten Verdacht durchgeführt werden müssen und dürfen, einen solchen habe es aber nicht gegeben.

Die Beklagten bestreiten zudem die Ursächlichkeit eines etwaigen Behandlungsfehlers für die Erkrankung und die Beeinträchtigungen der Patientin. Die Befundung der Mammographie mit BIRADS 2 sei weder für die Erkrankung der Patientin ursächlich geworden noch habe sie Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf gehabt. Eine frühere Diagnose des Mammakarzinoms hätte mit überwiegender Wahrscheinlichkeit keinen geringeren Schaden der Patientin zur Folge gehabt.

Die Beklagten erheben, insoweit unstreitig, die Einrede der Verjährung.

Die Beklagten bestreiten zudem sowohl einen Behandlungsfehler der Versicherungsnehmerin als auch eine etwaige Ursächlichkeit eines solchen für die Beeinträchtigungen der Patientin; auch aus diesem Grund fehle es an einem ausgleichsfähigen Gesamtschuldverhältnis.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die eingereichten Behandlungsunterlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat aufgrund des Beweisbeschlusses vom 07.05.2015 (Blatt 140 der Akte) und des Hinweis- und Beweisbeschlusses vom 22.05.2017 (Blatt 201 der Akte) gemäß S 358a ZPO vor der mündlichen Verhandlung Beweis erhoben durch Einholung zweier schriftlicher medizinischer Sachverständigengutachten. Wegen der Ergebnisse der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche gynäkologische Gutachten des Facharztes für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Prof. Dr. L. vom 04.12.2015 und auf das schriftliche radiologische Gutachten der Fachärztin für Radiologie Dr. B. vom 04.09.2017 Bezug genommen. Die. Sachverständigen haben ihre schriftlichen Gutachten in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt; insoweit wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 07.02.2019 (Blatt 281 der Akte) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

l. Die Klage ist nicht begründet.

1. Die Klägerin hat gegen die Beklagten weder einen Anspruch auf einen Gesamtschuldnerausgleich aus übergegangenem Recht der Versicherungsnehmerin nach § 426 Abs. 1 BGB iVm. § 86 Abs. 1 WG noch auf Schadensersatz aus übergegangenem Recht der Patientin nach § 426 Abs. 2 Mm. S 280 Abs. 1, S 611, § 823 BGB iVm. § 86 Abs. 1 WG.

Voraussetzung wäre jeweils ein Schadensersatzanspruch der Patientin gegen die Beklagten wegen einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung am 10.11.2005. Ein solcher Anspruch besteht jedoch nicht; ein Anspruch folgt weder aus § 280 Abs. 1 BGB iVm. § 61 1 BGB wegen einer Verletzung der ärztlichen Pflichten aus dem Behandlungsvertrag noch aus § 823 Abs. 1 BGB. Dem Beklagten zu 3 ist zwar am 10.112005 ein Diagnosefehler unterlaufen (dazu unter a), es ist aber nicht festzustellen, dass dieser Diagnosefehler für die Beeinträchtigungen der Patientin ursächlich war (dazu unter b). Im Einzelnen:

a) Den Beklagten ist (allein) ein Diagnosefehler des Beklagten zu 3 bei der Mammographie der Patientin am 10.112005 vorzuwerfen.

aa) Aufgrund der Überweisung zur Mammographie ist ein Behandlungsvertrag zwischen der Patientin und den Beklagten zustande gekommen, auf den das Bürgerliche Recht in der Fassung vor Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes anzuwenden ist. Die Überweisung erfolgte zur Auftragsleistung einer Mammographie durch die Beklagten, hier zur Inanspruchnahme einer besonderen Untersuchungs- und Behandlungsmethode, welche die Versicherungsnehmerin als Vertragsärztin nicht erbrachte. Es handelte sich insoweit um eine Auftragsleistung iSd. § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Abs. 4 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä). Mit der Inanspruchnahme des Arztes, an den der Patient überwiesen worden ist, kommt ein neuer Behandlungsvertrag zwischen diesem und dem Patienten zustande. Dies gilt nicht nur bei einer vollständigen Behandlungsübernahme durch den zugezogenen Arzt, sondern auch dann, wenn dieser nur einzelne Leistungen erbringt und der Patient im Übrigen in der Behandlung des überweisenden Arztes bleibt. Aufgrund dieses eingeschränkten, nämlich auf die zu erbringenden Leistungen beschränkten Behandlungsvertrages erbringt in derartigen Fällen der hinzugezogene Arzt seine Leistungen unmittelbar gegenüber dem Patienten, nicht dagegen als Erfüllungsgehilfe des überweisenden Arztes, und kann sie deshalb bei diesem selbst liquidieren oder sie gegenüber seiner Kassenärztlichen Vereinigung aufgrund des Überweisungsscheines abrechnen (BGH, Urteil vom 29.06.1999 – VI ZR 24/98, juris Rn. 17 mwN).

bb) Den Beklagten ist (allein) ein Diagnosefehler des Beklagten zu 3 bei der Mammographie der Patientin am 10.112005 vorzuwerfen. Insoweit wurde der anerkannte fachliche Standard guter ärztlicher Versorgung unterschritten. Im Einzelnen:

(1) Maßgeblicher ärztlicher Standard war hier der eines Facharztes für Radiologie. Zwar handelt es sich bei dem Beklagten zu 3 um einen Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe. Bei der Beurteilung eines medizinischen Geschehens hat das Gericht aber auf die Fachkenntnisse des betroffenen medizinischen Sachgebiets abzustellen. Wendet ein Arzt Untersuchungs- und Behandlungsmethoden an, die in ein fremdes Fachgebiet fallen, hat er dessen Standard zu garantieren (Frahm 1 Walter, Arzthaftungsrecht, 6. Auflage, Rn. 86). Die Durchführung und ausschließliche Befundung einer Mammographie gehört in das Fachgebiet der Radiologie. Die Vorsorgeuntersuchung der Mammae gehört allerdings grundsätzlich zum Fachgebiet der Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Nach der Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Schleswig-Holstein vom 25.05.2011 – eine ältere Fassung war für die Kammer nicht zugänglich – gehören die (Früh-)Erkennung sowie die Grundlagen der gebietsbezogenen Tumortherapie einschließlich der Indikationsstellung zur gynäkologischen Strahlenbehandlung und der Nachsorge von gynäkologischen Tumorerkrankungen zu den maßgeblichen Weiterbildungsinhalten. Die Mammographie als Röntgenuntersuchung und die dazugehörige Diagnostik gehören nach dieser. Weiterbildungsordnung aber zu den Weiterbildungsinhalten eines Facharztes für Radiologie. Diese umfassen ausdrücklich die radiologische Diagnostik der Mamma. Der gynäkologische Sachverständige Prof. Dr. L. hat diese Zuordnung in der mündlichen Verhandlung auch für den Zeitpunkt der streitgegenständlichen Behandlung bestätigt. Er hat erläutert, die Auswertung von Mammographien sei in der Facharztausbildung zur Frauenheilkunde weder damals noch heute enthalten. Bereits in seinem schriftlichen Gutachten hat der Sachverständige ausgeführt, die Beurteilung einer Mammographie gehöre in das Fachgebiet der Radiologie, aus heutiger Sicht sei es eine Ausnahme, dass ein Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Mammographien durchführe und ausschließlich eigenständig befunde. Der Sachverständige hat zudem nachvollziehbar und überzeugend darauf hingewiesen, dass es deshalb auch keine unterschiedlichen Standards bei der Beurteilung von Mammographien gäbe. Bei der Durchführung und ausschließlichen Befundung einer Mammographie hatte der Beklagte zu 3 deshalb den Standard eines Facharztes für Radiologie zu wahren.

(2) Diesen ärztlichen Standard hat der Beklagte zu 3 nicht deshalb unterschritten, weil die vier Mammographieaufnahmen vom 10.11.2005 geringe Mängel aufwiesen. Die radiologische Sachverständige Dr. B. hat zwar bestätigt, dass die Aufnahmen in geringem Umfang nicht die Kriterien einer perfekten oder guten Aufnahme erfüllen, sondern nach den 2005 gültigen Qualitätsstandards der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) (Qualitätsanforderungen in der kurativen Mammographie-Vereinbarung zur Strahlendiagnostik und -therapie gemäß § 135 Abs. 2 SGB V) als Aufnahmen mit eingeschränkter Bildqualität (KBV Stufe li) einzuordnen seien. Gleichwohl seien die vier Aufnahmen in Zusammenschau ausreichend beurteilbar, eine Wiederholung sei nicht zwingend notwendig gewesen. Die Kammer schließt sich der nachvollziehbar erläuterten Einschätzung der Sachverständigen, die Fertigung der Mammographieaufnahmen sei nicht standardunterschreitend erfolgt, an.

(3) Der Beklagte zu 3 hat jedoch gegen den fachärztlichen radiologischen Standard verstoßen, indem er die am 10.11.2005 gefertigten Mammographieaufnahmen mit BIRADS 2 bewertete. Hiervon ist die Kammer aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme iSd. § 286 Abs. 1 ZPO überzeugt. Die radiologische Sachverständige Dr. Buck hat nachvollziehbar erläutert, dass und weshalb eine Bewertung der linken Mamma mit der Kategorie BIRADS 2 („gutartig (Malignitätswahrscheinlichkeit 0)“) fehlerhaft war. Bei Abgleich der Mammographieaufnahmen aus dem Jahr 2002 und den Aufnahmen vom 10.1 1.2005 in der Mamma links seien zwei Befunde zu erkennen, die nicht nach BRADS 2 einzustufen gewesen wären. Zum einen zeige sich eine progrediente Mikrokalkgruppe von 0,4 x 0,4 x 0,5 Bildzentimetern dort, wo im Jahr 2002 nur acht Einzelpartikel sichtbar gewesen seien. Zum anderen sei im oberen inneren Quadranten bei ca. 1 1 Uhr eine hyperdense Herdformation mit Ausläufern von 1 x 0,8 x 0,5 Bildzentimetern zu erkennen, welche sich auf der Voraufnahme aus dem Jahr 2002 nicht zeige. Diese Befunde seien richtig mit BRADS 3 („wahrscheinlich gutartig, kontrollbedürftig (Malignitätswahrscheinlichkeit < 2 %)“) bis BIRADS 4 („suspekt, abklärungsbedürftig (Malignitätswahrscheinlichkeit 2-90 %)“) einzustufen gewesen. Jedenfalls die Bewertung der hyperdensen Herdformation mit BIRADS 2 sei nicht mehr zu vertreten gewesen. In der mündlichen Verhandlung hat die Sachverständige ergänzend erläutert, die Einordnung nach BIRADS 2 setze eine hundertprozentige Gewissheit über die Gutartigkeit des Befundes voraus. Eine solche Gewissheit könne aber bei der Beurteilung der Mammographien ex ante weder für die Mikrokalkgruppe noch für die hyperdensen Herdformation in der Mamma links zum Zeitpunkt der Einordnung nach BIRADS bestanden haben. Die Kammer konnte die sehr verständlichen Erläuterungen der Sachverständigen Dr. Buck hierzu gut nachvollziehen und ist überzeugt davon, dass die Einordnung der Befunde nach BRADS 2 insgesamt fehlerhaft war. Hierbei handelt es sich um einen Diagnosefehler.

(4) Ohne Erfolgt rügt die Klägerin, dem Beklagten zu 3 sei zudem ein Befunderhebungsfehler unterlaufen, weil bei zutreffender Bewertung der Mammographieaufnahmen nach BRADS 3-4 standardgerecht weitere Befunde zu erheben gewesen wären. Insoweit bedarf es weder einer Entscheidung darüber, ob den Beklagten die familiäre Vorbelastung der Patientin und die Tastbarkeit eines Knotens in der linken Mamma mitgeteilt wurde, noch darüber, welche rechtliche Bedeutung der tatsächlich erteilte Rat einer ergänzenden sonographischen Untersuchung hat. Dem Beklagten zu 3 ist ein Diagnosefehler unterlaufen, daneben aber kein hieraus resultierender Befunderhebungsfehler vorzuwerfen. Ein Befunderhebungsfehler ist gegeben, wenn die Erhebung medizinisch gebotener Befunde unterlassen wird. Im Unterschied dazu liegt ein Diagnoseirrtum vor, wenn der Arzt erhobene oder sonst vorliegende Befunde falsch interpretiert und deshalb nicht die aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs gebotenen – therapeutischen oder diagnostischen – Maßnahmen ergreift. Ein Diagnosefehler wird nicht dadurch zu einem Befunderhebungsfehler, dass bei objektiv zutreffender Diagnosestellung noch weitere Befunde zu erheben gewesen wären ( (BGH, Urteil vom 21.12.2010 – VI ZR 284/09, juris Rn. 13). Für die Abgrenzung eines Diagnoseirrtums von einem Befunderhebungsfehler ist im Einzelfall der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit maßgeblich (Frahm Walter, aaO, Rn. 141 mwN). Hier liegt dieser Schwerpunkt auf der irrtümlichen Diagnose: Für die Einordnung eines Fehlers als Diagnoseirrtum ist Voraussetzung, dass der Arzt die medizinisch notwendigen Befunde erhoben hat, um sich eine ausreichende Basis für die Einordnung der Krankheitssymptome zu verschaffen. Hier führte der Beklagte zu 3 die mit dem Zielauftrag aufgegebene Untersuchung und Beurteilung einer Mammographie abschließend durch. Weitere Befunderhebungen waren hierzu zunächst nicht veranlasst. Die Sachverständige Dr. B. hat erläutert, die BIRADS-Klassifikation erfolge ausschließlich anhand der bildgebenden Aufnahmen. Werde die Mammographie durchgeführt und anschließend (zutreffend) nach BRADS 2 eingestuft, sei eine weitere mammographische oder sonstige Abklärung weder erforderlich noch leit[iningerecht. Nach Überzeugung der Kammer liegt der Schwerpunkt der gerügten ärztlichen Fehlleistung des Beklagten zu 3 daher auf der fehlerhaften Interpretation der erhobenen Befunde und nicht auf dem Unterlassen einer weiteren Befunderhebung.

b) Voraussetzung einer Haftung der Beklagten wäre weiter, dass der Diagnoseirrtum für den Krankheitsverlauf der Patientin und deren Beeinträchtigungen ursächlich geworden wäre. Dies ist aber nicht festzustellen:

aa) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist die Kammer nicht iSd. § 286 Abs. 1 ZPO davon überzeugt, dass bei einer fehlerfreien Diagnose des Beklagten zu 3 die Beeinträchtigungen der Patientin, insbesondere die Mastektomie der Mamma links und die anschließende chemotherapeutische Behandlung mit insgesamt 28 Bestrahlungseinheiten, verhindert oder nur gemildert worden wären.

Nach den klaren Ausführungen der Sachverständigen Dr. B. hätte bei einer hypothetischen zutreffenden Einstufung der Mammographien nach BIRADS 4 leitliniengerecht eine sonographische Untersuchung der Mamma links durchgeführt werden müssen. Wäre diese unauffällig gewesen, wäre eine Einstufung nach BRADS 4 noch nicht entkräftet gewesen. Es hätten dann weitere Maßnahmen, etwa ein MRT der Mamma oder eine mammographiegesteuerte Vakuumbiopsie, durchgeführt werden müssen. Ein solches hypothetisches Vorgehen wäre nach der „S-3-Leintlinie Brustkrebs Früherkennung in Deutschland“ aus dem Jahr 2003 leitliniengerecht gewesen.

Eine Gewissheit darüber, dass ein solches hypothetisches leitliniengerechtes Vorgehen bereits Ende 2005 zu der zutreffenden Diagnose einer Malignität geführt und dies den Krankheitsverlauf für die Patientin verändert und gemildert hätte, kann die Kammer nicht gewinnen. Nach den nachvollziehbaren Ausführungen des gynäkologischen Sachverständigen Prof. Dr. L. hätte eine frühere Diagnose eines malignen Befundes mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit zwar zur früheren Diagnose des Mammakarzinoms geführt. Dieses hätte mit großer Wahrscheinlichkeit zu diesem früheren Zeitpunkt auch einen kleineren Tumordurchmesser aufgewiesen als im Jahr 2007.

Gleichwohl wären mit größerer Wahrscheinlichkeit die Chemotherapie auch bei früherer Diagnose notwendig gewesen und die Mastektomie der Mamma links erfolgt. Der Sachverständige hat erklärt, bei einer Erkrankung mit dem auch bei der Patientin festgestellten Tumor vom Typ HER2, dessen Typ sich im Laufe der Zeit auch nicht verändere, sei eigentlich immer eine Chemotherapie notwendig. Wegen der Multizentrizität des Mammakarzinoms sei es zudem nicht sehr wahrscheinlich, dass eine Brusterhaltung möglich gewesen wäre. Auch wäre die operative Entfernung der Lymphknoten der Achselhöhle sehr wahrscheinlich im gleichen Ausmaß nötig geworden, da hier mehrere Lymphknoten befallen gewesen seien. Die Kammer hat keine Veranlassung, an dieser nachvollziehbar erläuterten Einschätzung des Sachverständigen zu zweifeln. Die Einschätzung des hypothetischen Krankheitsverlaufes der Patientin fällt unmittelbar in das Fachgebiet des gynäkologischen Sachverständigen Prof. Dr. L. – dieser ist Chefarzt einer Frauenklinik mit der Zusatzqualifikation als gynäkologischer Onkologe.

bb) Der Umstand, dass die Kammer keine Überzeugung iSd. § 286 Abs. 1 ZPO von einer Ursächlichkeit des Diagnosefehlers des Beklagten zu 3 für den Krankheitsverlauf der Patientin gewinnen konnte, geht zu Lasten der Klägerin. Diese ist für die Ursächlichkeit beweisbelastet. Die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr liegen nicht vor:

(1) Eine Beweislastumkehr folgt zunächst nicht aus einem groben Behandlungsfehler der Beklagten (dazu BGH, Urteil vom 27.4.2004 – VI ZR 34/03, juris). Dass es sich bei dem Diagnoseirrtum des Beklagten zu 3 um einen groben Fehler handelte, ist nicht festzustellen. Ein Behandlungsfehler ist dann als grob zu bewerten, wenn ein medizinisches Fehlverhalten vorliegt, das aus objektiver ärztlicher Sicht bei Anlegung des für einen Arzt geltenden Ausbildungs- und Wissensmaßstab nicht mehr verständlich und verantwortbar erscheint, weil ein solcher Fehler dem behandelnden Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Die radiologische Sachverständige Dr. B. hat in der mündlichen Verhandlung nach Vorhalt dieser Definition, dem Versuch einer Umschreibung durch die Kammer und erneutem mehrfachen Vorhalt der Definition durch die Parteivertreter das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers aus ärztlicher Sicht eindeutig verneint. Hierzu hat sie erläutert, eine – hypothetische – Einstufung eines tatsächlich nach BIRADS 5 („karzinomverdächtig (Malignitätswahrscheinlichkeit > 90 %)“) zu qualifizierenden Befunds als BRADS 2 („gutartig (Malignitätswahrscheinlichkeit 0)“) wäre ein Fehler, der dem behandelnden Arzt schlechterdings nicht unterlaufen dürfe. Bei einem als BRADS 4(„suspekt, abklärungsbedürftig (Malignitätswahrscheinlichkeit 2-90 % )“) zu qualifizierenden Befund sei dies aber – allein schon wegen der großen Wahrscheinlichkeitsspanne – noch nicht der Fall. Diese Einschätzung ist für die Kammer nachvollziehbar und überzeugend. Die Diagnose des Beklagten zu 3 war deshalb aus ärztlicher Sicht nicht vollkommen unverständlich, der Diagnoseirrtum ist deshalb nicht als grober Behandlungsfehler einzuordnen. (2) Eine Beweislastumkehr nach den für eine unterlassene Befunderhebung entwickelten Grundsätzen (BGH, Urteil vom 6.10.1998 – VI ZR 239/97, juris) kommt hier bereits deshalb nicht in Betracht, weil wie oben ausgeführt – den Beklagten eine unterlassene Befunderhebung nicht vorzuwerfen ist.

c) Bestand danach ein Anspruch der Patientin gegen die Beklagten bereits dem Grunde nach nicht, konnte ein solcher auch nicht nach § 426 Abs. 1 BGB iVm. S 86 Abs. 1 WG oder nach § 426 Abs. 2 iVm. § 86 Abs. 1 WG auf die Klägerin übergehen.

2. Mangels eines Anspruchs dem Grunde nach hat die Klägerin auch weder einen Anspruch auf die begehrten Zinsen noch auf die begehrte Feststellung einer gesamtschuldnerischen Ausgleichspflicht der Beklagten für zukünftige Aufwendungen der Klägerin gegenüber der Patientin.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

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