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Schlaganfallhervorrufung durch ruckartige Mobilisierung des Kopfes eines Patienten

OLG Oldenburg, Az.: 5 U 71/13, Beschluss vom 26.01.2015

I.

Der Senat beabsichtigt, die Berufung durch einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.

Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem Hinweisbeschluss und Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Berufung unter Kostengesichtspunkten binnen zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses.

Gründe

II.

Der Senat lässt sich bei seiner Absicht, nach § 522 Abs. 2 ZPO zu verfahren, von folgenden Überlegungen leiten:

Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten.

Die Berufung hat auch offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.

Ernstliche Zweifel daran, dass das Landgericht die Tatsachen unzutreffend festgestellt hätte, bestehen nicht.

Schlaganfallhervorrufung durch ruckartige Mobilisierung des Kopfes eines Patienten
Symbolfoto: Von S K Chavan /Shutterstock.com

Das Landgericht ist nach persönlicher Anhörung der Parteien und Vernehmung der Ehefrau des Beklagten als gegenbeweislich benannter Zeugin zu dem Ergebnis gekommen, dass der Beklagte im Rahmen einer chiropraktischen Heilbehandlung den Kopf des Klägers ruckartig einmal nach links und einmal nach rechts gezerrt und dabei den Schlaganfall des Klägers ausgelöst hat.

Der Senat folgt der Feststellung des Landgerichts zum eigentlichen Geschehen. Tatsächlich hat der Beklagte in seiner persönlichen Anhörung nicht bestritten, den Kläger am Kopf bewegt zu haben. Er hat vielmehr eingeräumt, bei Patienten durchaus aus Anlass der Behandlung von Rückenleiden, Blockaden zu lösen und in diesem Zusammenhang den Kopf nach rechts und links zu drehen. Auch ein Knacken hat er nicht in Abrede genommen, sondern dies auf entweichende Atemluft zurückgeführt. Allerdings habe er an die Behandlung des Klägers keine konkrete Erinnerung mehr; er könne aber ausschließen, gezerrt zu haben. Mit dem Landgericht ist der Senat der Ansicht, dass diese Einlassung des Beklagten nicht geeignet ist, die plausible und überzeugungskräftige Darstellung des Klägers zu entkräften. Mit Recht weist das Landgericht auf die Konsistenz der klägerischen Schilderung hin. Der Kläger hat bereits in einem Kontext, als dieser Vortrag ihm eher schädlich war, nämlich bei Inanspruchnahme des vorbehandelnden Krankenhauses behauptet, der Beklagte habe ihm den Nacken „eingerenkt“. Insofern kann vernünftigerweise ausgeschlossen werden, dass der Kläger diesen Vortrag nachträglich ersonnen hat, um den Beklagten mittels unwahrer Behauptung mit einem Prozess zu überziehen.

Demgegenüber steht die wenig konsistente Einlassung des Beklagten, der seinerzeit auf den ersten schriftsätzlichen Vorhalt (10 Monate nach dem Vorfall), er habe durch das Reißen den Schlaganfall verursacht (Anspruchsschreiben vom 13. März 2009, Anl.7, Anlagenband), diesen Vortrag nicht etwa bestritten, sondern ausschließlich geltend gemacht hat, wegen Gefälligkeit nicht zu haften. In der Klageerwiderung (Bl.36 GA) hat er vortragen lassen, den Rücken abgetastet und nichts gefunden und daher nichts gemacht zu haben, um dann schließlich ein Jahr später in der mündlichen Verhandlung geltend zu machen, nunmehr keine konkrete Erinnerung an den Vorgang zu haben. Letzteres ist angesichts des Umstands, dass er bereits knapp 10 Monate nach dem Vorfall in Anspruch genommen worden ist, wenig glaubhaft. Jedenfalls ist es für den Senat kaum nachvollziehbar, dass der Beklagte in 2012 (Zeitpunkt der Klageerwiderung) den Vorgang noch erinnerte und daher guten Gewissens hat bestreiten können, überhaupt Handlungen an dem Kläger vorgenommen zu haben, um diesen Umstand dann im Verlaufe eines Jahres im laufenden Prozess zu vergessen. Daher steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Beklagte entweder in der Klageerwiderung oder in der mündlichen Verhandlung nicht die Wahrheit gesagt hat. Dieser wechselnde und ausweichende Vortrag (s. Antwort auf Schreiben vom 13. März 2009) beeinträchtigt seine persönliche Glaubwürdigkeit erheblich.

Soweit die Berufung meint, das Landgericht habe den Zeugenbeweis falsch gewürdigt, setzt sich die Berufung nicht hinreichend mit der Begründung des Landgerichts auseinander. Das Landgericht hat ausgeführt, dass die Zeugenaussage der klägerischen Äußerung nicht entgegenstehe, weil die Zeugin eingeräumt habe, bei Zubereitung der Bachblütenmischung mit dem Rücken zum Kläger und Beklagten gestanden zu haben, so dass nicht auszuschließen ist, dass ihr das „Einrenken“ deshalb entgangen sei.

Die Kausalität der Behandlung des Beklagten für die Schäden des Klägers hat das Landgericht zutreffend auf der Grundlage der Feststellungen des Sachverständigen bejaht. Der Senat hält sie ebenfalls für überzeugend. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass die Infarkte mit einer an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit durch das Einrenkungsmanöver des Beklagten verursacht sind; bei diesem Manöver seien Thromben, die sich in der Aortendissektion gebildet hätten, gelöst und ausgespült worden, die sodann die Infarkte im Stromgebiet ausgelöst hätten. Angesichts der konkreten Umstände, also der Eignung der Behandlung, die entsprechende Komplikation typischerweise auszulösen, und der zeitlichen Nähe, die Symptome sind nahezu unmittelbar nach der Behandlung aufgetreten, erweisen sich die Hinweise der Berufung auf Arteriosklerose als alternative Ursache der Infarkte als theoretisch und nicht geeignet, ernsthafte Zweifel an der Beurteilung des Sachverständigen zu wecken.

Das Urteil weist im Ergebnis auch keine Rechtsfehler auf. Dabei kann dahinstehen, ob die vom Sachverständigen postulierten Pflichten, nämlich zur Anamnese der Beschwerden und der daraus abzuleitende absoluten Kontraindikation des „Einrenkens“ am Kopf, so ohne weiteres für den Beklagten gelten, der ja nicht etwa für sich in Anspruch nimmt, Arzt zu sein. Der Hinzuziehung eines Allgemeinmediziners, Orthopäden oder Physiotherapeuten zur sachverständigen Klärung der Frage, welche Pflichten insoweit bei der Behandlung gelten, bedarf es gleichwohl nicht, weil der Beklagte dem Kläger in jedem Fall aus §§ 823 Abs.2 BGB i.V.m. § 5 HeilprG haftet, weil er die Heilpraktikertätigkeit unstreitig ohne Genehmigung ausgeübt hat. Anerkanntermaßen fällt chiropraktische Tätigkeit in den Anwendungsbereich des HeilprG (vgl. nur BVerwG, NJW 1981, 2008). Ebenso anerkannt fällt die nur nebenberuflich ausgeübte Heilpraktikertätigkeit unter das HeilprG (vgl. nur Haage, HeilprG, 2. Aufl. (2013), § 1 Rn.7). Das HeilprG bezweckt auch den Schutz der Patienten vor unkundigen Heilern. Zweck des Erlaubnisvorbehalts ist unter anderem, ein Minimum an Fachkunde sicherzustellen, um die Patienten davor zu schützen, dass der Heilende sie, z.B. weil er die Bedeutung seines Handelns verkennt, schädigt. So definiert die „Richtlinie zur Durchführung des Verfahrens zur Erteilung einer Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz“ vom 01.03.2007 des nds. Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie den Prüfungsinhalt wie folgt:

4.2 Die Überprüfung dient der Abwehr von Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung. Dabei ist festzustellen, ob der Stand der Kenntnisse und Fähigkeiten der Antragstellerin oder des Antragstellers keine Anhaltspunkte dafür bietet, dass eine heilkundliche Tätigkeit durch sie oder ihn zu Schäden an der menschlichen Gesundheit führen könnte. Insoweit sind neben der Kenntnis der einschlägigen gesundheitsrechtlichen Vorschriften auch solche fachlichen Grundlagenkenntnisse der Medizin zu überprüfen, ohne deren Beherrschung heilkundliche Tätigkeit mit Gefahren für die menschliche Gesundheit verbunden sein können. Auf Grund der Überprüfung muss insbesondere festgestellt werden können, ob die Antragstellerin oder der Antragsteller die Grenzen ihrer oder seiner Fähigkeiten und der Behandlungskompetenzen der Heilpraktikerin oder des Heilpraktikers klar erkennt, sich der Gefahr bei einer Überschreitung dieser Grenzen bewusst und bereit ist, ihr oder sein Handeln entsprechend einzurichten.

Daraus folgt, dass also derjenige, der einen als Heilpraktiker tätigen Physiotherapeuten aufsucht, darauf muss vertrauen dürfen, dass dieser die Möglichkeiten und Grenzen der eigenen Diagnosefähigkeit erkennt und auch beachtet (Haage, a.a.O., Einf. Rn.20). Diese Gefahr, vor der das HeilprG schützen soll, hat sich vorliegend verwirklicht.

Aus diesem Grund muss sich der Kläger schließlich auch nicht etwa ein Mitverschulden anrechnen lassen, wie der Beklagte meint, weil er nicht sofort einen Neurologen, sondern den Beklagten aufgesucht hat. Denn nach dem Gesetzeszweck soll der Patient gerade davor geschützt werden, dass unkundige Heiler in Verkennung der Gefährlichkeit ihres Tuns dem Patienten schaden.

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