Oberlandesgericht in Bremen – Az.: 5 W 6/19 – Beschluss vom 12.06.2019
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts Bremen – 3. Zivilkammer – vom 27. Februar 2019 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 70.000,00 €.
Gründe
I.
Der Antragsteller (Beschwerdeführer) erlitt am 08.05.2015 eine Quetschverletzung am rechten Vorfuß mit Grundgliederfrakturen der I. und II. Zehe rechts. Kurze Zeit nach dem Unfall wurde der Beschwerdeführer in die Klinik der Antragsgegnerin notfallmäßig aufgenommen und sofort operiert. Am 22.05.2015 wurde der Antragsteller (unter Beigabe von Medikamenten und Verbandsmaterial) nach Hause entlassen, stellte sich aber am 26.05.2015 mit einem deutlich verschlechterten Lokalbefund erneut bei der Antragsgegnerin vor. Er verließ das Krankenhaus am 29.05.2015 auf ausdrückliches eigenes Verlangen und gegen ärztlichen Rat und wurde, nachdem er am 01.06.2015 zunächst in der berufsgenossenschaftlichen Unfallbehandlungsstelle vorgesprochen hatte, am 02.06.2015 in das Klinikum Z. aufgenommen. Dort wurde am 05.06.2015 die Amputation der großen Zehe des rechten Fußes nebst Fußballen durchgeführt.
Mit seinem am 31.12.2018 – per Telefax – beim Landgericht eingegangenen Antrag hat der Beschwerdeführer die Einholung eines Sachverständigengutachtens im Wege des selbständigen Beweisverfahrens beantragt. Unter anderem begehrt er – sinngemäß – die sachverständige Feststellung, auf welcher Ursache das Erfordernis der Amputation der rechten Zehe am 05.06.2015 im Klinikum Bremen Mitte beruhe, ob sich mit der Amputation ein allgemeines Behandlungsrisiko verwirklicht habe, welches in der Zeit der Behandlung vom 08.05.2015 bis 29.5.2015 voll beherrschbar und vermeidbar gewesen sei, ob die Antragsgegnerin in der Zeit ihrer Behandlung medizinisch gebotene Maßnahmen unterlassen habe – und wenn ja – welche, ob das Erfordernis der Amputation auf einen groben oder in der Summe mehrere ärztliche Behandlungsfehler der Antragsgegnerin zurückzuführen sei, worin diese Behandlungsfehler liegen und wie sie sich ausgewirkt haben und ob das Erfordernis der Amputation auf Pflichtverletzungen der Antragsgegnerin zurückzuführen sei, die nicht durch ärztliches Personal, sondern durch pflegerische Maßnahmen ausgelöst worden seien. Ferner begehrt der Beschwerdeführer Feststellungen zu den dauerhaften ursächlichen körperlichen Auswirkungen der durchgeführten Amputation und eine prozentuale Feststellung der Minderung seiner Erwerbsfähigkeit. Schließlich begehrt er die Beiziehung der Patientenakte nach § 421 ff. ZPO.
Die Antragsgegnerin hat die Auffassung vertreten, die Fragestellungen des Beschwerdeführers seien im selbstständigen Beweisverfahren unzulässig.
Durch Beschluss vom 27.02.2019 hat das Landgericht – 3. Zivilkammer – den Antrag des Antragstellers auf Einholung des Sachverständigengutachtens im selbstständigen Beweisverfahren zurückgewiesen. Der Antrag sei nicht zulässig, denn er benenne abgesehen von dem pauschalen Vorwurf einer grob fehlerhaften Behandlung nicht ansatzweise einen konkreten möglichen Verstoß gegen ärztliche Standards auf Seiten der Antragsgegnerin und sei aufgrund der sehr allgemein gehaltenen Fragen vor allem auf eine Ausforschung des Sachverhalts durch einen Sachverständigen dahingehend gerichtet, auf welche mögliche Ursache die Amputation zurückzuführen sei und ob es im Krankenhaus zu Verstößen gegen gebotene ärztliche Standards gekommen sei. Dies entspreche nicht einmal den sehr niedrigen Anforderungen an die Darlegungslast in einem auf Feststellung von ärztlichen Behandlungsfehlern gerichteten selbständigen Beweisverfahren.
Gegen diesen, dem Beschwerdeführer zu Händen seines Verfahrensbevollmächtigten am 07.03.2019 zugestellten Beschluss hat er mit Schriftsatz vom 21.03.2019 sofortige Beschwerde eingelegt und diese nach Verlängerung der Frist am 11.04.2019 begründet. Mit seiner Begründung macht der Beschwerdeführer geltend, der Verfahrensgegenstand sei zweifelsfrei abgrenzbar, denn die Beweisfragen erstreckten sich ausschließlich auf die einzige Operation der Antragsgegnerin vom 08.05.2015 und die nachfolgenden Behandlungsmaßnahmen. Dem Beschwerdeführer könne auch keine Ausforschung entgegengehalten werden, denn die Antragsgegnerin sei mit diesem Einwand nach § 242 BGB unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens ausgeschlossen, da sie trotz Aufforderung die Patientenakte nicht an die gesetzliche Krankenversicherung des Beschwerdeführers zwecks Begutachtung herausgegeben habe.
Durch Beschluss vom 05.04.2019 hat die Kammer der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und das Verfahren dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Nach wie vor zielten die vom Beschwerdeführer zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Fragen weiterhin pauschal und undifferenziert darauf ab, ob und gegebenenfalls zu welchen ärztlichen Behandlungsfehlern es im Krankenhaus gekommen und was Ursache für die Amputation gewesen sei. Eine Fragestellung, die undifferenziert jedes mögliche Fehlverhalten im Zusammenhang mit der Behandlung eines Patienten erfassen soll, erfülle die Anforderungen an die notwendige Substantiierung jedoch nicht. Der Antragsgegnerin sei auch nicht gemäß § 142 ZPO aufzugeben, die vollständige Behandlungsdokumentation vorzulegen, vielmehr sei der Beschwerdeführer gehalten, außerhalb des selbstständigen Beweisverfahrens seinen ihm gemäß § 630 g BGB zustehenden Anspruch auf Einsichtnahme geltend zu machen.
II.
Das gemäß §§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 ZPO statthafte und zulässige Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
Nach § 485 Abs. 2 ZPO kann eine Partei die Begutachtung durch einen Sachverständigen unter anderem auch dann beantragen, wenn sie ein rechtliches Interesse daran hat, dass entweder der Zustand einer Person oder die Ursache eines Personenschadens festgestellt wird. Ein rechtliches Interesse an einer vorprozessualen Klärung der haftungsrechtlich maßgeblichen Gründe für einen Gesundheitsschaden durch einen Sachverständigen kann im selbstständigen Beweisverfahren sogar dann gegeben sein, wenn zwar die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann, jedoch für eine abschließende Klärung weitere Aufklärungen erforderlich erscheinen (BGH, Beschl. v. 14.09.2013, VI ZB 12/13 = MDR 2013, 1342). Damit kann auch die Behauptung, dass ein ärztlicher Behandlungsfehler vorliege, grundsätzlich Gegenstand eines selbstständigen Beweisverfahrens sein. Voraussetzung ist aber, dass der Antragsteller unter Bezeichnung gewisser Anhaltspunkte die Behauptung eines ärztlichen Behandlungsfehlers aufstellt. Zwar findet im selbstständigen Beweisverfahren keine Erheblichkeits- oder Schlüssigkeitsprüfung statt und es ist auch auf die Informationsnot der beweispflichtigen Partei Rücksicht zu nehmen, doch gilt im Rahmen des § 487 Nr. 2 ZPO das Verbot des Ausforschungsbeweises bei unsubstantiiertem Vorbringen (OLG Stuttgart, Beschl. v. 30.03.2015, 1 W 11/15 – juris – Rn. 25 m. w.N.). Eine im Erkenntnisverfahren nicht zulässige Ausforschung ist auch im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens nicht gerechtfertigt (BGH, Beschl. v. 29.11.2016, VI ZB 23/16 – juris – Rn. 19). Insbesondere ist das zu fordernde minimale Maß an Substantiierung hinsichtlich der gemäß § 487 Nr. 2 ZPO zu bezeichnenden Beweistatsachen jedenfalls dann nicht erreicht, wenn der Antragsteller in lediglich formelhafter und pauschaler Weise Tatsachenbehauptungen aufstellt, ohne diese zu dem zu Grunde liegenden Sachverhalt in Beziehung zu setzen (BGH Beschl. v. 10.11.2015, VI ZB 11/15 = MDR 2016, 295).
Da der Arzt dem Patienten regelmäßig nur eine fachgerechte, dem wissenschaftlichen Stand entsprechende Behandlung als Dienstleistung, nicht aber einen Behandlungs- oder gar Heilerfolg schuldet (vgl. Martis/Winkhart, 4. Auflage, Seite 560, B 20 m.w.N.), setzt eine Haftung des Arztes wegen einer von ihm verantworteten Behandlung den Nachweis einer Abweichung vom geschuldeten Standard voraus (Pauge, Arzthaftungsrecht, 13. Aufl., Rn. 159). Der bloße Misserfolg begründet keinen Behandlungsfehler. Der Tatsachenvortrag für eine ärztliche Haftung im Rechtsstreit kann sich also nicht darauf beschränken, eine ärztliche Behandlungsmaßnahme und eine damit in Zusammenhang gestellte Gesundheitsbeeinträchtigung zu benennen, wenn nicht jedenfalls Anhaltspunkte dafür genannt werden, an welcher Stelle der Behandlung der Arzt vom geschuldeten Standard abgewichen sein soll. Dies kann nämlich theoretisch in vielfältiger Weise geschehen sein, z.B. durch Fehler bei der Diagnose, der Wahl der konkreten Behandlungsmaßnahme, bei deren konkreter Durchführung oder in der Art und Weise der Nachsorge. Eine Fragestellung, die undifferenziert jedes mögliche Fehlverhalten im Zusammenhang mit der Behandlung eines Patienten erfassen soll, erfüllt die – im selbstständigen Beweisverfahren möglicherweise niedrigeren – Anforderungen an die notwendige Substantiierung nicht (BGH Beschl. vom 10.11.2015, VI ZB 11/15 – juris – Rn. 10). Eine – unzulässige – Ausforschung liegt damit beispielsweise vor, wenn sich der Antragsteller auf die schlichte Frage beschränkt, ob ein Behandlungsfehler vorliegt (OLG Stuttgart a.a.O.).
Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung der Zivilkammer nicht zu beanstanden. Die Beweisfragen zu Nummer 1 a) – e) sind als unzulässige Ausforschung erst auf die Herbeischaffung der für einen zulässigen Antrag notwendigen Tatsachen gerichtet, in dem der gerichtliche Sachverständige sich das in Betracht kommende Fehlverhalten selbst heraussuchen soll (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 01.08.2016, 5 W 18/16 – juris – Rn. 10). Es lässt sich nicht ansatzweise erkennen, welches Fehlverhalten den Ärzten der Antragsgegnerin vorgeworfen werden soll. Die allgemein formulierte Frage nach der Ursache der Amputation (1a) schließt in ihrer Breite auch Ursachen ein, die aus dem Einflussbereich der weiterbehandelnden Klinik herrühren. Die Frage nach der Verwirklichung eines allgemeinen Behandlungsrisikos (1b) eröffnet Raum für vielfältige Spekulationen ohne einen Bezug zu konkreten Behandlungsmaßnahmen der Antragsgegnerin herzustellen. Entsprechendes gilt für die Frage nach etwaigen unterlassenen – aber medizinisch gebotenen – Behandlungsmaßnahmen (1c) bzw. die ins Blaue gerichtete Frage nach etwaigen Behandlungsfehlern (1d) oder die Frage nach pflegerischen Mängeln (1e). Genauso undifferenziert ist die unter 2) formulierte Frage nach dem aktuellen Gesundheitszustand des Beschwerdeführers als Folge der Amputation, denn diese wird in keinen Zusammenhang mit einem etwaigen Fehlverhalten der Antragsgegnerin gestellt. Aus demselben Grund besteht auch kein rechtlich schützenswertes Interesse des Beschwerdeführers an der Feststellung der Minderung seiner Erwerbsfähigkeit, abgesehen davon, dass insoweit durch die berufsgenossenschaftliche Unfallversicherung bereits eine entsprechend Feststellung getroffen worden ist (vorgelegter Bescheid v. 15.12.2015).
Auf die Frage nach der Anordnung der Vorlage der Patientenakte kommt es nach dem Vorgesagten nicht mehr an; die Verweigerung der im Ermessen der Kammer stehenden Anordnung wäre ohnehin nicht anfechtbar (BGH, Beschl. v. 29.11.2016 a.a.O.).
Für die vom Beschwerdeführer begehrte Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht kein Anlass, denn der Senat steht mit seiner Entscheidung auf der Grundlage der Rechtsprechung des BGH und der Oberlandesgerichte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.